Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPReG) erfordert Nachbesserungen

Dr. Elisabeth Fix, Referentin für Gesundheitspolitik, Pflege und Behindertenpolitik im Berliner Büro des Deutschen Caritasverbands

RISG heißt jetzt IPReG. Das Bundesgesundheitsministerium hat sich wohl angesichts der vehementen Proteste der vielen Interessensvertreter von Menschen mit Beeinträchtigungen entschlossen, den Gesetzentwurf kurzerhand umzubenennen. Am 13. Februar wurde das IPReG im Kabinett beschlossen. Vorweg: In diesem Gesetzentwurf, der die Rahmenbedingungen in der außerklinischen Intensivpflege und in der Rehabilitation neu ordnet, stecken weitaus mehr Chancen als Risiken. Aber auch die nach mehrfachen Nachbesserungen verbliebenen Risiken müssen restlos ausgeräumt werden.

Kern der Proteste, die den Referentenentwurf seit Herbst auf den Weg ins Kabinett begleitet haben, war, dass erwachsene Intensivpflegepatient/innen nur im Ausnahmefall und aufgrund einer Angemessenheits- und Zumutbarkeitsprüfung in der eigenen Häuslichkeit und Familie, im Regelfall aber in vollstationären Einrichtungen oder Intensiv-WGs versorgt werden sollten. Diese fundamentale Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts war nicht hinnehmbar. Der im Dezember bekannt gewordene Entwurf einer Kabinettsfassung blieb im Kern mit diesem Makel behaftet. Die Bundesregierung intendierte, mit diesen Neuregelungen zur Intensivpflege den Augiasstall schlechter Qualität in skandalbehafteten Intensiv-WGs ausräumen zu wollen. Dieses Ziel ist nicht nur nachvollziehbar, sondern in jeder Hinsicht unterstützenswert. Also: Wie zwischen Skylla und Charybdis navigieren?

Dem vorliegenden Kabinettsentwurf gelingt noch keine Lösung dieses Dilemmas. Zwar ist die bisher vorgesehene Angemessenheits- und Zumutbarkeitsprüfung entfallen, und der Haushalt, die Familie und andere geeignete Orte werden im vorliegenden Kabinettsentwurf als mögliche reguläre Orte der Leistungserbringung vorgesehen. Aber Krankenkassen und Medizinischer Dienst (MD) haben weiterhin weitreichende Möglichkeiten der Steuerung der Intensivpflegepatient/innen in den stationären Bereich: So umfasst der Rechtsanspruch auf außerklinische Intensivpflege nach § 37c SGB V nicht nur die intensivpflegerische Behandlungspflege selbst, sondern auch die Beratung durch die Krankenkasse zur Auswahl des geeigneten Leistungsorts. Mit diesem Instrument kann die Krankenkasse den Patienten in seiner besonders vulnerablen Situation vor Entlassung aus dem Krankenhaus in die stationäre Versorgung steuern. Der MD hat sodann festzustellen, ob die medizinische und pflegerische Versorgung z.B. in der Häuslichkeit tatsächlich und dauerhaft sichergestellt werden kann und zwar unter Berücksichtigung der persönlichen, familiären und örtlichen Umstände.

 

Damoklesschwert schwebt jährlich über Menschen mit Behinderung

Diese Überprüfung soll jährlich erfolgen. Das bedeutet insbesondere für Menschen mit Behinderung, die ihre intensivpflegerische Versorgung zu Hause sowie ambulant z.B. am Arbeitsort oder in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) sicherstellen müssen, dass das Damoklesschwert der Angemessenheitsprüfung einer ambulanten Weiterversorgung jedes Jahr über ihnen schwebt. Das ist insbesondere für Menschen mit Behinderung, die ihr ganzes Leben lang auf Beatmung angewiesen sein werden, nicht akzeptabel.

Besonders kritikwürdig ist die weitere Regelung, dass die Krankenkasse bei einer Verweigerung der Prüfung durch den MD in der eigenen Häuslichkeit die Weitergewährung der Leistung zuhause versagen und den Betroffenen auf eine stationäre Versorgung verweisen kann. Dies trifft auch dann ein, wenn nicht der Versicherten selbst, sondern der Hausrechtsinhaber oder der an den Wohnräumen Berechtigte den Zutritt zwecks Prüfung verweigert. Das könnte dazu führen, dass Versicherte, deren Angehörige als Wohnungsinhaber dem MD den Zutritt verweigern, ihr Recht auf häusliche Versorgung verlieren.

 

Bundesregierung verletzt Rechte der Betroffenen

Auch wenn die Bundesregierung beteuert, mit der Regelung nur kriminell agierende Betreiber von Intensiv-WGs treffen zu wollen, verletzt sie doch die Rechte der Betroffenen. Sowohl im SGB XI- als auch im SGB V-Bereich muss jeder Leistungsempfänger bei MD-Prüfungen grundsätzlich in die Prüfung einwilligen. Der Schutzbereich des in Art. 13 garantierten Unverletzlichkeitsrechts der Wohnung darf nur bei dringenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eingeschränkt werden. § 275b SGB V sieht einen ausreichenden Rahmen für die ohne Zweifel vorzunehmenden Prüfungen vor, ob im Einzelfall die medizinisch-pflegerische Intensivversorgung gewährleistet ist.

Der Gesetzgeber sollte grundsätzlich ein abgestuftes, die Verhältnismäßigkeit der Mittel berücksichtigendes Verfahren vor der „Ultima Ratio“ der stationären Versorgung vorsehen. Dies könnte z.B. ein Prüfrecht des MD an einem Ort außerhalb der Häuslichkeit, wenn ein Versicherter den Zutritt zur eigenen Häuslichkeit oder – noch wichtiger – zur Intensiv-WG verweigert. Zudem wird den Fehlentwicklungen in einzelnen Intensiv-WGs durch den neuen § 132j mit seinen klaren Qualitätsvorgaben zu personellen und strukturellen Anforderungen einschließlich baulicher Qualitätsanforderungen und Maßnahmen bei Vertragsverstößen in sehr positiv zu bewertender Weise zu Leibe gerückt.

 

Begrenzung der Zuzahlung für ambulant betreute Intensivpflegepatienten

Nach der Darstellung dieser Schattenseiten des Gesetzes ist jedoch auf die zahlreichen Lichtseiten zu verweisen: So wird die finanzielle Belastung der in stationären Einrichtungen versorgten Intensivpflegepatienten durch die Zuzahlungsbegrenzung und das Tragen der Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten deutlich begrenzt. Dringend erforderlich ist jedoch die Begrenzung der Zuzahlungen für ambulant versorgte Intensivpflegepatienten auf 28 Tage pro Kalenderjahr – analog zur Zuzahlungspflicht bei der HKP.

Auch im zweiten Regelungsbereich des Gesetzes, der Rehabilitation, gibt es viele Positiva, wie z.B. die Festlegung der Dauer der geriatrischen Reha auf 20 Tage bei ambulanter und 3 Wochen bei stationärer Versorgung, die Aufhebung der Grundlohnsummenbindung für Vergütungsverträge mit Vorsorge- und Rehaeinrichtungen oder die Aufhebung der Vierjahresfrist für die erneute Bewilligung von Maßnahmen zur Kinderreha im SGB V. Die Sonderregelungen für die geriatrische Reha, die mit diesem Gesetz besonders in den Blick genommen wird, müssen jedoch im Sinne eines einheitlichen Rehabilitationsrechts auch auf die anderen Bereiche der Rehabilitation übertragen werden und auch allesamt für das SGB VI angeglichen werden. Halb voll auch nur ist das Glas auch bei der Regelung zu den Mehrkosten, die Versicherte bei der Wahl einer anderen als der von der Krankenkasse bestimmten Rehaeinrichtung zu tragen haben. Es gibt keinen sachlichen Grund, warum Versicherte in Einrichtungen, die einen Versorgungsvertrag haben, überhaupt Mehrkosten zu zahlen haben. Dies belastet vor allem Versicherte im Niedrigeinkommensbereich.

Bedauerlich ist auch, dass der Kabinettsentwurf wieder hinter die Regelung zur automatischen Genehmigung einer geriatrischen Reha auf Grundlage einer ärztlichen Verordnung, wie noch im Referentenentwurf vorgesehen zurückfällt, indem die Genehmigung jetzt an die Prüfung des Abschätzungsinstruments anknüpft. Allein: Mit einer Stärkung der geriatrischen Reha werden wir jedoch die geriatrische Versorgung pflegebedürftiger Menschen nicht verbessern, denn diese wollen häufig weder in Kurzzeitpflege noch in eine stationäre Reha. Diese Patient/innen brauchen eine ärztliche, pflegerische und therapeutische Leistungen umspannende wohnortnahe geriatrische Komplexversorgung. Dafür gilt es mit diesem Gesetz die rechtlichen Grundlagen zu schaffen.


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