Nach dem DVG I ist vor dem DVG II

Maria Klein-Schmeink MdB, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Deutschland ist wirklich genügsam geworden. Es begnügt sich bei der Digitalisierung seines Gesundheitswesens offensichtlich mit einem DVG, das vor allem Fassaden errichtet. Das ist bedauerlich, denn 2015 ist nach der Verabschiedung des sicher unvollkommenen eHealh-Gesetzes Aufbruchsstimmung entstanden. Das Gesetz wurde als Weckruf des Gesetzgebers aufgefasst: Die Zeit der politisch zumindest geduldeten, wenn nicht sogar unterstützen digitalen Stagnation im deutschen Gesundheitswesen sollte endlich beendet werden. Diese Erwartung wurde nun mit dem DVG enttäuscht – jedenfalls für die, die Digitalisierung nicht als Selbstzweck betrachten, sondern als Instrument, um unser Gesundheitswesen zu verbessern.

Dies liegt z.T. an den einzelnen Regelungen selbst, von denen z.B. die Reform der Forschungsdateninfrastruktur erneut vermeidbare Kritik bezogen auf den Datenschutz auf sich zog, die dann von den Regierungsfraktionen mit einem Änderungsantrag aufgenommen wurde.

Es liegt auch an dem, was nicht in dem Gesetz steht. Es fehlt schlichtweg an wichtigen Voraussetzungen für die erfolgreiche Digitalisierung unseres Gesundheitswesens. Es gibt keine Strategie, es ist keine Institution sichtbar, die eine solche Strategie gemeinsam mit den Nutzerinnen und Nutzern entwickeln und umsetzen könnte, es fehlt an nützlichen Rahmenbedingungen für Interoperabilität usw.

 

Viel Fassade im DVG – Beispiel App auf Rezept

Natürlich gehört zur Digitalisierung immer auch das Unfertige. Das ist legitim. Wieviel Fassade jedoch in diesem Gesetz steckt, wird bei der „App auf Rezept“ deutlich. So stellt sich im Kleingedruckten zum DVG nun heraus, dass für Versicherte die schöne neue Welt der kassenfinanzierten Apps nur über die datenhungrigen Google oder Apple führt und bei den politischen Urhebern dieser Regelung nicht mal eine Idee davon zu bestehen scheint, wie sichere Alternativen aussehen könnten. Da fühlt sich wohl auch der geneigte Betrachter schlichtweg übers Ohr gehauen. Ich habe Zweifel, ob der in der Gesetzesbegründung erwähnte Download der Apps über Webseiten der Krankenkassen der Weisheit letzter Schluss ist. Zumal hier Sicherheitslücken entstehen können und keine automatischen Updatemöglichkeiten bestehen. Diskussionswürdig wäre zumindest auf längere Sicht beispielsweise ein sicherer App-Kiosk für kassenfinanzierte Gesundheits-Apps. Ob das ohne den (technischen) Segen von Apple oder Google überhaupt funktionieren kann, sei mal dahingestellt. Aber eine Überlegung ist es allemal wert.

 

Ohne Strategie geht es nicht

Noch gründlichere Überlegungen sind jedoch nötig beim weiteren Umgang mit digitalen Anwendungen. Denn das DVG hat nur einen Bypass für einen sehr, sehr kleinen Teil der Anwendungen gelegt. Die eigentliche Herausforderung, wie ein stimmiges Gesamtkonzept für die evidenzbasierte Bewertung und Erstattung aller digitalen Anwendungen aussehen könnte, bleibt bestehen. Dabei muss sichergestellt sein, dass auch die Pflege berücksichtigt wird und die Anwendungen sinnvoll in Versorgungsprozesse integriert werden. Koalition und Bundesregierung sind aus unserer Sicht in der Pflicht, im angekündigten DVG II – oder wie auch immer es die Experten für politisches Framing im BMG benennen werden – deutlich mehr Substanz in diesen Fragen zu schaffen.

Ohne das Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die Sicherheit ihrer Daten und ohne die aktive Beteiligung der Patientenverbände in die Gestaltung kann die Digitalisierung nicht zum Erfolg werden. Wir erwarten daher, dass der Minister im anstehenden Gesetzgebungsverfahren die digitale Souveränität der Versicherten deutlich ernster nimmt und nicht die gleiche Geringschätzung an den Tag legt, wie sie beim DVG I offensichtlich wurde. Im DVG II muss daher der Pfad für ein differenziertes Berechtigungsmanagement für die elektronische Patientenakte aufgezeigt werden. Die Versicherten müssen selbst entscheiden können, wem sie welche Daten zur Verfügung stellen. Dies betrifft auch mögliche Regelungen für eine forschungskompatible Patientenakte. Patientenorientierte Zustimmungs-, Widerspruchs- und Widerrufsmöglichkeiten für die Datennutzung zum Zweck der Forschung sind die Grundlage für die Akzeptanz der Versicherten. Zu diskutieren wäre, das Thema Forschungsdaten und Forschungsdateninfrastruktur schon aus Gründen der Transparenz in einem eigenen Gesetz zu behandeln. Dabei sollte auch die Frage berücksichtigt werden, wie die Qualität der Daten gesichert wird.

 

Klammer zwischen Vision und Prozess

Vom Amazon-Chef Jeff Bezos stammt der Satz: „Be strong on vision, but flexible on detail.” Darum geht es: um eine Vision, ein klares Ziel und einen iterativen Prozess, in dem die Vision Wirklichkeit werden kann. Eine Strategie bildet die notwendige Klammer zwischen Vision und Prozess. Eine Strategie bedeutet aber auch, Prioritäten zu setzen und diese nicht an den Bedürfnissen der politischen Kommunikation auszurichten, sondern an denen des Gesundheitswesens. Eine Strategie bedeutet auch, die Voraussetzungen der Digitalisierung zu definieren und sie schrittweise zu schaffen. Auch wenn Gesundheitsminister Spahn eine Strategie für die Digitalisierung im Gesundheitswesen für unnötig hält und damit sämtliche nationalen und internationalen Erfahrungen ignoriert: Wir bestehen auf einer solchen Strategie und werden das DVG II auch daran messen.


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