Vorstellung der digitalen Gesundheitsakte Vivy

Initiatoren der Vivy: Andreas Strausfeld (BITMARCK), Christian Rebernik (Vivy GmbH), Birgit König (Allianz), Andreas Storm (DAK-Gesundheit), Frank Hippler (IKK classic), Hans-Jörg Gittler (Bahn-BKK) (v.L.n.r.)
Andreas Storm (DAK-Gesundheit)
Großes Interesse bei der Vorstellung von Vivy
Mit dem Herzen dabei: Christian Rebernik (Vivy GmbH)
Daniel Bahr (Allianz) (r.) im Gespräch mit Peter Thelen (Handelsblatt)
Birgit König (Allianz)
Andreas Strausfeld (BITMARCK) in der Diskussion
Stephan Hofmeister (KBV)
Hans-Jörg Gittler (Bahn-BKK)
Gerlinde Bendzuck (Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin), Christian Rebernik (Vivy GmbH)


Sehen, spüren, erfahren – verstehen. Und das alles gespickt mit viel Emotionen. So läuft die Werbung in der Automobilbranche, für Supermarktketten oder Baumärkte oder für neue Lebensmittel. Oftmals wird schon Monate vorher ein Produkt beworben, bevor es auf den Markt kommt. Der Coup gelingt – meistens. Der Krankenversicherungsmarkt hat sich in diesem Bereich nicht hervorgetan: Bis jetzt. Der öffentlichen Vorstellung der digitalen Gesundheitsakte Vivy am 5. Juni in Berlin mit großem Auflauf aus der Branche ging eine monatelange Werbung auf den sozialen Medien und bei Veranstaltungen voraus.

Ob das Produkt wirklich so erfolgreich beim Versicherten ankommt, wie die Betreiber – gesetzliche und private Krankenversicherungen sowie die BITMARCK – sich erhoffen; das wird spannend. Bis zu 25 Millionen Versicherte können zukünftig von ihrem Smartphone mit der App Vivy aus ihre medizinische Versorgung organisieren und zusätzlich die eigene Gesundheit managen. Die Daten sollen geschützt sein, die Kooperation zwischen Leistungserbringern und Kassen gut funktionieren.

Seit Anfang des Jahres agiert die Vivy GmbH mit Geschäftsführer und Gründer Christian Rebernik bei twitter und facebook und youtube. Im März wurden erste Einblicke in die neue App gegeben, Produktmanager berichteten über die Digitalisierung in der Gesundheitsbranche, Besucher konnten einen Einladungscode erwerben, um immer auf dem Laufenden zu sein. Im Mai präsentierten Allianz- Vorstand und Ex-Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, DAK-Vorstandschef Andreas Storm sowie Christian Rebernik bei einer Veranstaltung der BITMARCK, Mitinitiator, die App vor. Rebernik ist kein Unbekannter und bisher erfolgreich. Seine Stationen waren Parship und Number26, das eine Girokonto-App entwickelte. Jetzt also Gesundheit.

Vor Journalisten und vielen Interessenten von Kassen, Leistungserbringern und anderen, wichtigen Menschen zeigte Rebernik im obligatorischen Kapuzenpulli denn auch die Funktionen der App von seinem iPhone aus. Die anwesenden Geschäftsführer und Vorstände, u.a. Andreas Strausfeld (BITMARCK), Andreas Storm (DAK-Gesundheit), Birgit König (Allianz) sowie Frank Hippler (IKK classic) und Hans-Jörg Gittler (Bahn-BKK) und waren anschließend voll des Lobes: flexible Plattform, keine Insellösung, Gesundheit selbst in der Hand, allein Herr über die Daten.

In der anschließenden Diskussionen waren zudem die Experten willkommen. Hier kamen neben den Fachleuten von kooperierenden Versicherungen auch der Leistungserbringer und der Selbsthilfe zu Wort. Dass die Veranstaltung sehr gut besucht, steht außer Frage. Wer es nicht zur Veranstaltung geschafft hat, konnte sich wiederum in den sozialen Medien schlau machen, wo Videos, Interviews und nur lobende Worte für die App veröffentlicht wurden.

Die Erwartungen sind hoch: Vivy verbindet die Möglichkeit zur Dokumentenverwaltung mit individuellen Services. Im Dialog mit der digitalen Assistentin „Vivy“ kann man auf dem Smartphone z.B. Röntgen- und Blutbilder speichern und anschließend mit anderen teilen. Dank inhaltlicher Funktionen kann Vivy zusätzlich erklären (z.B. Laborwerte), informieren (z.B. über Prävention) und analysieren (den Lebensstil des Nutzers). Auf Wunsch gibt Vivy sogar praktische Empfehlungen, wie man den eigenen Lebensstil verbessern könnte. Dazu nutzt die App die Ergebnisse von Blutbildern und kombiniert die Daten mit persönlichen Angaben zu Körper und Geist. Dieses Angebot zur Lebensstilberatung provozierte auf einer der Panel-Diskussionen prompt eine kritische Anmerkung. Gerlinde Bendzuck von der Selbsthilfe fand, dass Vivy ihre digitalen Ratschläge an der realen Situation der Nutzerin orientieren müsse: „Eine Oma, die nur 50 Meter weit gehen kann, darf nicht für ihren Lebensstil gedisst werden.“ Der Einwurf überzeugte und Rebernik gelobte Besserung. Ansonsten herrschte überwiegend Begeisterung bei den Teilnehmern der Panels. Von der Usability („konsequent vom Kunden her gedacht“) bis hin zur Datensicherheit („höchste Standards“) gab es Bestnoten von den Experten.

Auch Stephan Hofmeister, Vizevorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, begrüßte das neue Tool, gab allerdings zu bedenken, dass hier zusätzlicher Aufwand auf die behandelnden Ärzte zukommt. Der Zugang eines Dokuments auf das Smartphone scheint etwas umständlich – mit E-Mail-Anfrage an die jeweilige Praxis. Für den Versicherten einfach, für die Ärzte operativer Aufwand. Da müssen die Versicherten auf den guten Willen der Arztpraxen hoffen.

Die Teilnahme ist für alle freiwillig und Vergütungen sind nicht vorgesehen. Kompliziert dürfte besonders die Anbindung der Krankenhäuser werden; die Landschaft ist sehr heterogen. Thomas Lemke, Vorstandsvorsitzender der Sana-Kliniken, zeigte sich allerdings zuversichtlich: „Die Patienten werden die Leistungserbringer zu einer Teilnahme treiben.“

Nach dem professionellen Auftakt muss das neue Angebot nun eine doppelte Hürde nehmen: Von den 25 Millionen Versicherten müssen sich viele für die App entscheiden – und zwar so viele, dass Ärzte und Krankenhäuser einen Teilnahme (und den damit verbundenen Mehraufwand) für sinnvoll oder notwendig halten. Dabei dürfte es sich als vorteilhaft erweisen, dass die App auch einige „arztunabhängige“ Funktionen bereithält. Gerlinde Bendzuck von der Selbsthilfe: „Die App berücksichtigt alle Lebenslagen und lädt zum Spielen ein.“ Das könnte die Einführungsphase überbrücken helfen. Das Engagement der Anbieter ist groß und das Produkt scheint für sich selbst zu sprechen. Der sonst übliche Ruf nach politischer Unterstützung war nirgendwo zu hören.  


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