05.02.2021
Von Apothekern lernen…
Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände
Am 28. April 2020 berichtete die „Tagesschau“ darüber, dass während der ersten Pandemiewelle nur 30 der ca. 19.000 Apotheken in Deutschland wegen Infektions(verdachts)fällen vorübergehend geschlossen waren. Anmoderiert wurde der Beitrag vom Sprecher mit den markigen Worten: „Von Apotheken lernen, heißt siegen lernen“. Dem einen oder anderen Betrachter mag diese Feststellung vielleicht etwas zu weit gehen, aber sie war Ausdruck der Anerkennung, dass die „Systemverfügbarkeit“ in der Arzneimittelversorgung selbst in der Hochphase der Pandemie bei über 99,8 Prozent lag.
Wie in einem Brennglas hat die Krise die besondere Resilienz unseres dezentralen, wohnortnahen Systems inhabergeführter Apotheken gezeigt. Seine kleinteilige Struktur, die zu anderen Zeiten gelegentlich Gegenstand kritischer Betrachtungen war, garantierte schnelle Reaktionsfähigkeit und hohe Ausfallsicherheit. Schon in einer sehr frühen Phase der Pandemie implementierten die meisten Apotheken strenge Infektionsschutzregeln mit Zugangsbeschränkungen, Plexiglaswänden und getrennten Teams in Wechselschichten.
Gewaltiger Schub für das Image
Als industriell gefertigte Desinfektionsmittel zur Mangelware wurden, besorgten sich Apotheken kurzerhand den für die Herstellung der Desinfektionsmittel notwendigen Alkohol aus Brennereien, stellten sie im Labor selbst her, belieferten Krankenhäuser, Pflegeheime oder Hebammen und versorgten Verbraucher. Als „Hamsterkäufe“ einsetzten, kontingentierten Apotheken die Abgabe bestimmter Arzneimittel, managten Lieferengpässe und trugen mit geduldiger Aufklärung dazu bei, Fake News über die angebliche Wunderwirkung bestimmter Mittel gegen Covid-19 einzudämmen. Als im Dezember des letzten Jahres schnellstmöglich über dreißig Millionen Risikopatienten kostenfreie Schutzmasken bekommen sollten, besorgten Apotheken über Nacht die Ware und reorganisierten Betriebsabläufe, um dem enormen Patientenansturm Herr zu werden.
Das in Umfragen ohnehin immer sehr gut bewertete Image von Apotheken hat durch ihre „Pandemie-Performance“ noch einmal einen deutlichen Schub erhalten. Nicht nur in der Öffentlichkeit, auch in der Politik hat sich der Blick geschärft für den Wert einer krisenfesten Arzneimittel- und Gesundheitsversorgung. Für die Kolleginnen und Kollegen vor Ort ist das mehr als eine ideelle Anerkennung. Das gute Standing ist im Zusammenspiel mit dem im Herbst verabschiedeten Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz ein wichtiges Fundament für die Verwirklichung der zukünftigen Ziele des Berufsstandes.
Große Hoffnung mit Einführung pharmazeutischer Dienstleistungen
Im Kern geht es dabei um drei wesentliche Punkte:
Erstens wollen wir die Apotheke vor Ort angesichts der längerfristig rückläufigen Betriebszahlen stabilisieren und zugleich die Versorgung mit Arzneimitteln weiter verbessern. Große Hoffnungen verbinden sich dabei mit der Einführung von pharmazeutischen Dienstleistungen, die Patienten ab 2022 zur Verfügung stehen werden. Die Verhandlungen dazu mit den Krankenkassen laufen jetzt an. Mehr Arzneimitteltherapiesicherheit, eine verbesserte Adhärenz der Patienten und eine wirkungsvollere Vorsorge und Früherkennung von Erkrankungen stehen dabei im Fokus. Dass die Apotheken vor Ort mit der Implementierung solcher Dienstleistungen ‚mehr sichernde Pharmazie einbringen´ können, dürfte als Nebeneffekt auch die Attraktivität des Apothekerberufs nicht nur für den Nachwuchs erhöhen.
Unser zweites Ziel ist es, die digitale Transformation im Gesundheitswesen erfolgreich zu gestalten. Die verbindliche Einführung des E-Rezepts im Jahr 2022 ist für die Apotheken dabei ein wichtiger nächster Meilenstein. Es gibt einige Risikoszenarien, die sich mit den Auswirkungen der elektronischen Verordnung auf die Marktanteile von Arzneimittelversendern befassen. Entscheidend sind allerdings die zusätzlichen Optionen, die sich aus dem digitalen Rezepttransport und digital unterstützten Dienstleistungen der Apotheke vor Ort ergeben. Die Apotheken vor Ort schaffen eine wertvolle Kombination von analog und digital, die für die Versorgung ihrer Patienten*innen mehr Versorgungsqualitäten bringen kann. Auch dadurch kann die Apotheke vor Ort ihre Position im Wettbewerb schärfen.
Arzneimittel besonderes Gut
Und drittens geht es um ein scheinbar altmodisches, gleichwohl hochaktuelles und versorgungspolitisch wichtiges Ziel: Arzneimittel sind ein ganz besonderes Gut, sind stärkste Helfer gegen Krankheiten, bringen aber auch Risiken und Nebenwirkungen mit sich. Dass diese starken Helfer nur dann gefahrlos sind, wenn sie bei der korrekten Indikation, zur rechten Zeit in der richtigen Dosierung und in der passenden Kombination eingenommen werden, ist in der Wahrnehmung der Bevölkerung und der Politik zu weit in den Hintergrund geraten. Es ist Aufgabe der Apothekerinnen und Apotheker, der Bagatellisierung und Trivialisierung von Arzneimitteln mit aller Kraft und fachlichen Expertise entgegenzutreten. Dazu werden auch Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen und der gesellschaftlichen Wertungen von Qualitäten erforderlich sein. Das zu erreichen erfordert Ausdauer – und die bringen unsere Kolleginnen und Kollegen mit.
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