Systemische Therapie – zwar evidenzbasiert, doch der G-BA ist entscheidungslos

Sebastian Baumann, Vorstandsbeauftragter Psychotherapie der Systemischen Gesellschaft

Manche Dinge dauern ja etwas länger. So auch beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Bei der Systemischen Therapie gibt es für den Außenstehenden allerdings mehr Fragen als Antworten. Seit 24. Mai 2017 liegt der Abschlussbericht „Systemische Therapie bei Erwachsenen als Psychotherapieverfahren“ des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vor. Bei sieben psychischen Störungsbereichen, so nennt es das IQWiG, wurde der Nutzen der Systemischen Therapie festgestellt. Konsequenzen des G-BA daraus bis heute: Keine!

Der G-BA muss transparente und rechtssichere Entscheidungen treffen, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, so beschreibt er selbst seine Arbeitsweise – nachzulesen auf der Internetseite. Das will gut überlegt sein. Denn durch eine vom G-BA beschlossene Richtlinie über eine neue Leistung wird diese nach Nicht-Beanstandung durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgenommen. Da kommen Kosten auf die Kassen zu, die übrigens mit dem GKV-Spitzenverband auch im G-BA vertreten sind und Entscheidungsrecht haben. Dass die Versicherten davon profitieren – versteht sich von selbst und hat oberste Priorität; zumindest geht man davon aus.

 

Zwölf Forscher werten Studien aus

Zur Vorbereitung seines Beschlusses über die Systemische Therapie hat der G-BA deshalb das IQWiG mit einer Expertise beauftragt – erteilt am 25. August 2014. Eine wissenschaftliche Fragestellung wurde vom G-BA formuliert, das IQWiG hat recherchiert und das vorhandene wissenschaftliche Material ausgewertet. Zwölf Forscher haben die vorhandenen Studien dafür weltweit genauestens unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Für sieben Anwendungsbereiche wurde der Nutzen festgestellt. Mit diesem Resultat hätte der G-BA nach Prüfung letztlich die Aufnahme in den Leistungskatalog beschließen können, die das BMG dann absegnet. Doch dazu ist es bisher nicht gekommen. An der Beschlussgrundlage dafür kann es nicht liegen: Denn der entsprechend den Psychotherapie-Richtlinien erwiesene Nutzen der Mindestzahl von grundsätzlich drei Anwendungsbereichen ist bei der Systemischen Therapie erfüllt.

 

Druck vom GKV-Spitzenverband?

Das IQWiG ist auch nicht die Ursache, dass die Systemische Therapie beim G-BA keine Rolle spielt. Insider vermuten, dass der GKV-Spitzenverband Druck macht und an einer schnellen Entscheidung über die Systemische Therapie kein Interesse hat. Sind es befürchtete Kosten, die auf die Kassen zukommen? Das Leid der Patienten kann es nicht sein, denn die profitieren davon, wenn die Familie bei einem psychisch Kranken miteinbezogen wird – und zwar aktiv.

Zu viele Veränderungen bei der Liste der zugelassenen psychotherapeutischen Richtlinienverfahren können es auch nicht sein: Die letzte Neuerung kam vor 31 Jahren. Auch an der Bedeutung der Behandlung von psychisch Kranken kann es nicht liegen. Was effektiv und effizient hilft, psychische Krankheiten, die Volkskrankheiten geworden sind, zu heilen, kann nur willkommen sein.

Ist es Verschleppungstaktik? Wie anders ist es zu erklären, dass der Unparteiische G-BA Vorsitzende Josef Hecken schriftlich gegenüber den Systemischen Fachgesellschaften mitgeteilt hat, dass die Empfehlungen des IQWiG „von den im G-BA vertretenen Organisationen unterschiedlich wahrgenommen“ werden. Deshalb habe man sich im Unterausschuss (UA) Methodenbewertung darauf verständigt, „zur Lösung des Dissens die Expertise der Fachöffentlichkeit einzubinden“. Im Schreiben heißt es: „Es soll in Kürze ein Stellungnahmeverfahren zu den unterschiedlichen Auffassungen mit den wissenschaftlichen Fachgesellschaften und den Heilberufekammern durchgeführt werden.“ Wenn dann der Nutzen nicht hinreichend belegt sei, könne der G-BA „eine Erprobungs-Richtlinie beschließen“. Eine „exakte Aussage zur voraussichtlichen Verfahrensdauer“ könne daher „leider“ nicht getroffen werden, vertröstet Hecken.

 

Zweifel an Aufgabe der Selbstverwaltung

Es sollen also nicht die Ergebnisse des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie, der Systemische Therapie bereits 2008 zugelassen hat, und des IQWiG reichen. Wird hier auf Zeit gespielt? Machen wir uns nichts vor: Beratungen, Aufsetzen von neuen Studien (im Falle einer Erprobungs-Richtlinie), die Durchführung von Stellungnahmeverfahren dauern – viele Monate, Jahre. Ist das die Aufgabe der Selbstverwaltung? Warum wird nicht transparent gemacht, worin der Dissens im G-BA beruht und wie dort argumentiert wird? Wenn die Gründe gegen die Aufnahme der Systemischen Therapie evidenzbasiert sind, warum werden sie nicht offen gelegt und einem kritischen Diskurs zugeführt?

Ein wenig Hoffnung macht die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90 / Die Grünen vom 2. Juli 2018 zum „Stand der Anerkennung der Systemischen Therapie als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung“. Darin zitiert der Autor, BMG-Staatssekretär Thomas Gebhart, den „dritten Bericht des G-BA-Vorsitzenden“ vom 31. März 2018 an den Gesundheitsausschuss des Bundestages, dass die Beratungen zur Systemischen Therapie „voraussichtlich im März 2019 abgeschlossen“ sein sollen. Gebhart schreibt, dass von Seiten des BMG an den UA Methodenbewertung des G-BA appelliert werde, „die Beratungen zügig zum Ende zu bringen, um eine zeitnahe Beschlussfassung herbeizuführen“. Fragen von möglichen Sonderbedarfszulassungen dürfen die Entscheidung nicht beeinflussen, sondern lediglich die Ergebnisse der Nutzenbewertung sind ausschlaggebend.

Am Ende kann man nur darauf hoffen, dass Josef Hecken handelt wie ein Unparteiischer Vorsitzender und auf die Expertise von Wissenschaftlern und Fachgesellschaften vertraut und damit bei der Systemischen Therapie seine Rolle wahrnimmt – im Interesse der Patienten.


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