Die Pflege neigt dazu, selbst ein Pflegefall zu werden

Erich Irlstorfer MdB, pflegepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag

Nach mehr als 430 Tagen, die Bundesminister Prof. Karl Lauterbach nun im Amt ist, hat sich in der Pflege nahezu nichts getan. Neben einer sich abschwächenden Pandemie sowie der Aufhebung letzter Schutzmaßnahmen und der Diskussion bezüglich der Legalisierung von Cannabis bleiben andere drängende gesundheitspolitische Bereiche gnadenlos auf der Strecke. Ankündigungen werden zu Schall und Rauch, während sich die Situation auf den pflegerischen Stationen und in den Einrichtungen weiter verschlechtert. Das ist nicht zufriedenstellend – weder für die Beschäftigten in der Pflege oder die Pflegebedürftigen sowie ihre Angehörigen, noch für die Gesundheitspolitik.

Auch wenn nach zwei Jahren Pandemie das Ansehen der Profession Pflege in der breiten Bevölkerung deutlich gestiegen ist, haben sich die Arbeits- und Rahmenbedingungen proportional nicht verbessert. Noch schlimmer: Die Pflege neigt dazu, selbst ein Pflegefall zu werden, wenn wir nicht vorankommen. Um dem Mangel an professionellen Pflegekräften zu beheben, müssen sich die Maßnahmen intensiv darauf konzentrieren, Personal zu halten und neu zu gewinnen. Gute Qualität in der Pflege wird nicht am Geld, sondern am fehlenden Personal in den Einrichtungen, ambulanten Diensten sowie Rehabilitationseinrichtungen scheitern.

 

Gesundheitspolitik ohne roten Faden

Bereits im Oktober 2022 hat Minister Lauterbach in einer Regierungsbefragung ausführlich über seine gesundheitspolitischen Vorhaben referiert. Darunter fiel neben überaus drängenden Themen, wie der GKV-Finanzierung oder der Weiterentwicklung des DRG-Systems auch die Einführung der E-Patientenakte. Die Pflege rückte erneut in den Hintergrund und wurde mit dem sogenannten Krankenpflegeentlastungsgesetz vertröstet. Bei weiteren Auftritten und letztlich bei einer Sitzung des Ausschusses für Gesundheit  Anfang Februar machte Minister Lauterbach (vertreten durch den Parlamentarischen Staatssekretär, Dr. Edgar Franke, MdB) nun deutlich, dass das Ministerium zeitnah eine detaillierte Pflegereform vorstellen wird – Zeitplan unbekannt, genauso auch die Frage der Finanzierung oder mögliche Inhalte. Gerade die jüngsten Unstimmigkeiten zwischen dem Bundesgesundheits- und dem Bundesfinanzministerium zeigen, wie uneinig sich die Ampel-Fraktionen sind, die Pflege zu reformieren.

 

Konzepte und Ideen für die Pflege sind hinreichend bekannt

Jedoch liegt klar auf der Hand, welche politischen Rahmenbedingungen nun geschaffen werden müssen, um die Pflege nicht nur zukunfts- sondern auch krisenfest zu machen. Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Bereichen haben Konzepte vorgestellt, um der Pflege eine Perspektive aufzuzeigen. Bedauerlicherweise hat sich das Bundesgesundheitsministerium diesen bisher öffentlich nicht angenommen. Drei Bereiche sind relevant:

  • Nach den Prognosen des Pflegereports der Bertelsmann Stiftung werden in Deutschland im Jahr 2030 schätzungsweise 500.000 Pflegekräfte fehlen. Das Ziel muss deshalb zunächst die Prävention der Pflegebedürftigkeit sein. Nicht nur um Zeit zu gewinnen, die Personalsituation in der Pflege abzumildern, sondern auch um Menschen so lange wie möglich eigenständig, eigenverantwortlich und vor allem altersgerecht in ihrem vertrauten Umfeld leben zu lassen. Gerade der Ausbau der (geriatrischen) Rehabilitation spielt hier eine maßgebliche Rolle. Der Grundsatz „Rehabilitation vor Pflege“ bleibt entscheidend.
  • Gute Pflege und eine adäquate Versorgungsqualität haben ihren Preis. Das muss nicht nur der Politik klar sein, sondern auch der Gesellschaft. Aus diesem Grund muss ein Dreiklang, bestehend aus einer aus Steuermitteln finanzierten Bezuschussung der sozialen Pflegeversicherung, betrieblicher Mitfinanzierung sowie einer eigenverantwortlichen Vorsorge die Finanzierungsfrage der Pflege beantworten.
  • Das betrifft auch den Bereich der Arbeitsbedingungen sowohl in der stationären und ambulanten Pflege sowie in der Rehabilitation. Eine Attraktivitätssteigerung der Profession Pflege kann nur über die Verbesserung der Arbeitssituation der Beschäftigten erfolgen. Neben einer angemessenen Bezahlung gehören dazu auch nichtmonetäre Entlastungen, wie beispielsweise ein an die Berufsjahre gekoppeltes Stundenreduzierungskonzept bei Vollzeitkräften ohne finanzielle Nachteile und eine Überstundenregelung, die nach österreichischem Vorbild vorsieht, Überstunden nach monatlichem Rhythmus auszubezahlen, um Anreize für diejenigen zu schaffen, die mehr arbeiten wollen und können, ohne sie mit Beiträgen und Steuern zu belasten. Auch müssen regelmäßige Reha-, Kur- und Erholungsangebote gemacht werden.

 

Pflegende Angehörige nicht außer Acht lassen

Darüber hinaus dürfen die pflegenden Angehörigen nicht außer Acht gelassen werden. Pflegende Angehörige sind eine tragende Säule für die Aufrechterhaltung der pflegerischen Versorgungsstrukturen. Um es deutlich zu machen: Knapp 80 Prozent der Menschen mit Pflegebedarf werden in den eigenen vier Wänden von knapp fünf Millionen pflegenden Angehörigen gepflegt. Dem größten „Pflegedienst“ Deutschlands gebührt mehr Respekt und Unterstützung.

So sollte eine sozialrechtliche Neudefinition von Betreuung und Pflege erfolgen, um die Stellung pflegender Angehöriger klar zu regeln. Darüber hinaus sollte das sogenannte Entlastungsbudget weiter flexibilisiert werden. Pflegestützpunkte, Pflegeberaterinnen und -berater spielen ebenso eine wichtige Rolle, um die bereits bestehenden Angebote für Pflegebedürftige und deren Angehörige zu kommunizieren und umzusetzen. Hier sind vor allem die regionale Ebene sowie die Kommunen in der Verantwortung.

Arbeitenden Angehörigen sollte ein Anspruch auf jährlich zehn Tage kurzzeitige Arbeitsverhinderung bei Zahlung des Pflegeunterstützungsgeldes sowie eine Verbesserung der rentenrechtlichen Absicherung gewährt werden.

 

Instrument der Leiharbeit in der Pflege regulieren

Leiharbeit in der Pflege kann in einer Notsituation eine befristete Lösung sein, darf jedoch nicht zu einem Gegenmodell zu sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen werden. Die Herausforderungen in der Pflege werden durch Leiharbeit nicht weniger, sondern mittel- und langfristig mehr. Gleichzeitig führen Leiharbeits-Konzepte zu Unmut und Unzufriedenheit zwischen den Pflegenden. Auch wenn ein Verbot der Leiharbeit marktwirtschaftlich als nicht sinnvoll bedenklich erscheint und vermutlich verfassungswidrig ist, müssen Maßnahmen gefunden werden, die eine Regulierung ermöglichen. Springerkonzepte und Kooperationen mit anderen Einrichtungen bzw. Stationen können Bausteine sein, verlässliche Arbeitszeiten, Dienstpläne und eine ausreichende Personalausstattung sicherzustellen.

Ziel muss es sein, dass tarifgebundene  und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse bei einem Unternehmen, einem öffentlichen Träger oder der Kirche die Grundlage des Pflegepersonals bildet. Leiharbeit begünstigt Nomadentum in der Pflege und führt häufig zu Versorgung ohne persönliche Bindung.


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