Politische Indienstnahme

Kassenwettbewerb wird zur Finanzierung des Spitzensports missbraucht

Dr. Robert Paquet

Die Krankenkassen-Werbemaßnahmen-Verordnung (KKWerbeV) scheitert an den falschen Interessen. Das BMG wird den im Dezember vorgelegten Entwurf aus Angst vor dem Bundesrat und den mächtigen Sportverbänden liegenlassen. Dabei hätte es genügend gute Gründe für eine scharfe Kritik gegeben. Jetzt wird das Vorhaben aber ausgerechnet wegen der einzigen vernünftigen Neuregelung ausgesetzt: Die Krankenkassen sollen weiterhin den Spitzen- und Profisport mit Geldern für Trikot- und Bandenwerbung unterstützen. Dabei machen sich die Länder bei der Förderung des Breitensports einen schlanken Fuß. Der Vorgang zeigt – in a nutshell –, was der Wettbewerb der Kassen für die Gesundheitspolitik noch bedeutet.

 

Kassenwettbewerb – ein weitgehend gescheitertes Experiment

Ein kurzer Rückblick zeigt, dass es der Politik mit dem Kassenwettbewerb schon lange nicht mehr ernst ist. Schon der Start mit dem Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) von 1992 zeigt die Ambivalenz. Angesichts von über tausend Kassen musste man damals die Vielfalt der GKV akzeptieren, aber den Beitragssatzwettbewerb fairer gestalten. Worin der Nutzen dieser vielen Parallelstrukturen bestehen sollte, war der Politik allerdings nie so richtig klar.

Erst die rot-grüne Koalition hat um die Jahrtausendwende das von den Kassen entwickelte Konzept des Vertragswettbewerbs aufgegriffen und zaghafte Ansätze zu Selektivverträgen zugelassen. Es folgte ein Jahrzehnt der Wettbewerbsrhetorik. Das nolens-volens-Verhältnis der Politik zum Wettbewerb hat jedoch stets verhindert, dass sich tatsächlich parallele, d.h. konkurrierende Versorgungsstrukturen entwickeln konnten. Zum Beispiel wären Unterschiede in der Versorgung zu schwer erklärbar gewesen; die freie Arztwahl hätte eingeschränkt werden müssen etc. Das erwies sich alles als zu kompliziert; der Vertragswettbewerb ist nie so richtig zum Fliegen gekommen. Stattdessen haben sich die Kassen 15 Jahre lang am Risikostrukturausgleich (RSA) wundgerieben. Ungerechtigkeiten beim RSA waren oft ein Vorwand, in der Versorgung weniger zu tun. Der RSA-Streit war auch Grund für weniger Kooperation der Kassen, als eigentlich nahegelegen hätte, und führte schließlich zum Lagerdenken.

Darüber hat die Politik das Vertrauen in das Wettbewerbsmodell verloren. Spätestens seit Einführung des Innovationsfonds glaubte sie nicht mehr an eine wettbewerbliche Weiterentwicklung von Qualität und Effizienz der Versorgung durch die Kassen. Das neue Paradigma ist jetzt der gouvernementale Ansatz.

Mit dem Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (vom 22. März 2020) wurde der RSA-Streit endlich (halbwegs fair) beigelegt. Überraschenderweise wurde mit einem neuen § 4a SGB V auch die seit einem Vierteljahrhundert vermisste „offizielle“ Zielsetzung des Kassenwettbewerbs nachgeliefert: „Der Wettbewerb der Krankenkassen dient dem Ziel, das Leistungsangebot und die Qualität der Leistungen zu verbessern sowie die Wirtschaftlichkeit der Versorgung zu erhöhen. Dieser Wettbewerb muss unter Berücksichtigung der Finanzierung der Krankenkassen durch Beiträge und des sozialen Auftrags der Krankenkassen angemessen sein.“ – Die Zielbestimmung zu einem Zeitpunkt, an dem schon längst ein anderer Weg beschritten wurde.

Trotzdem gibt es nach wie vor einen gewissen Wettbewerb der Kassen. Es geht um kleine Leistungsunterschiede, Servicequalität und natürlich auch die verbleibenden Unterschiede der Zusatzbeitragssätze. Zum Jahresanfang haben Focus Money und die anderen Lebenshilfemedien diese Aspekte – wie in all den Jahren zuvor – mit Liebe zum Detail ausgebreitet und verglichen.

Dass das Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz (GPVG) seit Anfang dieses Jahres (mit der Neufassung von § 140a SGB V) die Möglichkeit zum Abschluss von Selektivverträgen deutlich verbessert hat, hat erneut viele Beobachter erstaunt. Im BMG steht offenbar das Schwungrad mit dem Wettbewerb noch nicht völlig still; eine wirkliche Revitalisierung wird jedoch von niemandem mehr erwartet. Auch die Kassen selbst glauben nicht mehr an ihre wettbewerbliche Mission. Exemplarisch sei die BARMER zitiert: „Die Funktion von Selektivverträgen kann nicht sein, neben dem Kollektivvertrag dauerhaft ein konkurrierendes Leistungsangebot aufrechtzuerhalten. Selektivverträge sollen gerade die Entwicklung abweichender Versorgungsstrukturen ermöglichen und so Impulse für die Regelversorgung geben. Sofern sich diese abweichenden Strukturen im selektivvertraglichen Kontext bewährt haben, muss zum Nutzen aller Versicherten eine Überführung in die Regelversorgung erfolgen.“ (BARMER, Berlin-kompakt Nr.1//4. Februar 2021, Seite 4). Man bleibt also lieber beim Typus von Modellversuchen.

 

Warum diese Werbeverordnung?

In diese zweifelhafte Stimmungslage zum Wettbewerb schickte der Minister Anfang Dezember den Entwurf der KKWerbeV. Weder ein aktueller Anlass noch ein neuer Regelungsbedarf waren dafür erkennbar. Der zugrundliegende § 4a SGB V (Verordnungsermächtigung) schreibt keine Fristen vor. Vielleicht ging es nur um einen weiteren Beweis, dass man im BMG trotz Corona auch an allen anderen Themen fleißig weiterwerkelt.

Die KKWerbeV soll nach § 4a Abs. 4 „das Nähere über die Zulässigkeit von Werbemaßnahmen der Krankenkassen … regeln im Hinblick auf 1. Inhalt und Art der Werbung, 2. Höchstgrenzen für Werbeausgaben …, 3. die Trennung der Werbung von der Erfüllung gesetzlicher Informationspflichten,“ etc. Das BMG hätte die Ermächtigung mit Zustimmung des Bundesrates auch auf das Bundesamt für Soziale Sicherung übertragen können. Das BMG wollte aber offenbar selbst regulieren, wohl weil man sich dadurch eine (mindestens symbolisch) höhere Bindungswirkung auch gegenüber den landesunmittelbaren Kassen erhoffte.

Ausgangspunkt der Verordnung sind die „Gemeinsamen Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden“, die zu einem großen Teil in die Verordnung übernommen wurden. „Zu einzelnen Aspekten werden die Wettbewerbsgrundsätze allerdings präzisiert, ergänzt oder weiterentwickelt.“ Dabei sind diese Grundsätze bekanntlich bereits sehr engherzig, was zur grundsätzlich ablehnenden Haltung des BAS zum Kassenwettbewerb passt (vgl. Robert Paquet: „BVA fordert Reform der Aufsicht – Wettbewerbsbericht kritisiert Instrumente und die Kassen“, in Observer Gesundheit, 12.04.2018).

Nach Abschluss des Stellungnahme-Verfahrens wurde nun bekannt, dass das BMG die Verordnung nicht an den Bundesrat weiterleiten wird. Der Bundesrat muss zustimmen, weil die Regelung auch die Kassen erfasst, über die die Länder die Aufsicht führen, d.h. vor allem die Ortskrankenkassen. Es ist inzwischen offensichtlich, dass Spahn für die Verordnung keine Mehrheit finden würde.

Für die Ablehnung der Verordnung hätte es gute Gründe gegeben. Zwei seien hier herausgegriffen. So wird in § 3 für den „Vergleich zwischen Krankenkassen“ gefordert, dass sie betreffend ihrer Leistungen, „über die Unterschiede in den angesprochenen Bereichen umfassend informieren (müssen). Ein Vergleich des Beitragssatzes ist nur zulässig, wenn zugleich über etwaige Leistungsunterschiede aufgeklärt wird.“ Präzisiert wird das in der Begründung so: Wenn eine Kasse hervorhebt, dass sie eine „bestimmte Leistung erbringt, die andere Krankenkassen nicht anbieten, muss (sie) aber zugleich darüber aufklären, wenn das Leistungsangebot der Konkurrenten in einzelnen Punkten über das eigene hinausgeht.“ (S. 16). Eine solche Vorschrift macht die vergleichende Werbung, die sie regulieren will, faktisch unmöglich. Die Leistungswerbung der einzelnen Kassen kann nicht „umfassend“ über die gesamte Breite des Leistungsspektrums aller konkurrierenden Kassen informieren; ganz abgesehen davon, dass diese Aufgabe schon mehrfach im Jahr durch zahlreiche Medien übernommen wird.

Das zweite Beispiel ist die Konkretisierung zum „Sonderkündigungsrecht“ (bei überdurchschnittlichem Zusatzbeitrag) in § 12: Das Schreiben, mit dem die Mitglieder nach § 175 Abs. 4 Satz 7 SGB V darüber informiert werden müssen, „darf keine Werbemaßnahmen zugunsten der zum Hinweis verpflichteten Krankenkasse beinhalten.“ Hier wird die Regelung der Wettbewerbsgrundsätze 2016 verschärft, „wonach der Hinweis nicht mit Werbeaussagen verbunden werden soll oder bei ausnahmsweiser Verbindung zumindest klar von diesen abzugrenzen ist und den wesentlichen Bestandteil des Schreibens ausmachen muss.“ Nach dem Verordnungsentwurf könnte der „Hinweis“ nur noch als Aufforderung verstanden werden, die Kasse zu verlassen. Die zugrundeliegende Regelung des § 175 Abs. 4 ist bereits absurd; mit dem Verordnungsentwurf würde sie noch weiter auf die Spitze getrieben.

 

„Gesundheitsbotschaft“ der Bandenwerbung

An einer Stelle enthält der Entwurf jedoch eine richtig gute (neue) Regelung: In § 6 („Werbung bei Sportveranstaltungen“) heißt es in Satz 2: „Unzulässig ist insbesondere die Banden- und Trikotwerbung im Spitzen- und Profisport.“ Ausgerechnet wegen dieser Vorschrift wurde die Verordnung jetzt zurückgezogen. (Auch im Bundesrat wäre sie deshalb nicht angenommen worden). In dankenswerter Offenheit hat der CDU-Gesundheitsexperte Michael Hennrich MdB im „Teckboten“ (online vom 09.02.2021), dem geschätzten Blatt seiner Heimatstadt Kirchheim, die Dinge erklärt: „Man wolle in der jetzigen Situation, in der sich viele Unternehmen coronabedingt aus dem Sponsoring zurückziehen, kein neues Fass aufmachen.“

Die AOK-Rheinland/Hamburg weist dagegen die Begründung dieser Regelung im Entwurf, solche Kooperationen dienten nicht der Vermittlung sachbezogener Informationen, sondern eher der Imagepflege der Krankenkassen als „unzutreffend“ zurück. Die AOK versteigt sich in ihrer Pressemitteilung vom 09.02.2021 sogar zu der Aussage: „Bandenwerbung hilft, wichtige Gesundheitsbotschaften zu vermitteln.“

Dabei liegt das Problem bei der Kooperation etwa mit der Fußball-Bundesliga und mit Spitzensportlern (die Millionen verdienen) auf der Hand: Banden- und Trikotwerbung führt weniger zu der Assoziation, dass z.B. die AOK den Sport fördert. Der Schwerpunkt der Assoziation liegt in der umgekehrten Richtung: Dass die AOK vom positiven Image des Spitzensports profitieren will. Die AOK muss jedoch ebenso wenig wie die anderen großen Kassen noch bekannt gemacht werden. Auf Trikots und Banden kann bestenfalls die „Gesundheitsbotschaft“ vermittelt werden, dass es eine bestimmte Kasse gibt. Sinn solcher Werbemaßnahme ist damit ausschließlich, für die Kasse einen Abglanz der Sportgrößen zu erhaschen.

Die regionale Förderung des Breitensports wäre durch das Verbot überhaupt nicht berührt. Die Begründung der Verordnung erklärt hier zu recht: Auf dieser Grundlage könnten „etwa auf kommunaler Ebene Partnerschaften mit Sportvereinen eingegangen werden. Fördern die Krankenkassen in diesem Zusammenhang gesundheitsbezogene Angebote, ist es als legitim anzusehen, dass sie hierbei auch ihre Beteiligung durch Hervorhebung ihres Namens oder Logos deutlich machen und gegebenenfalls weitere Informationen zu ihren Leistungen präsentieren.“ (S. 18).

Dass die Länder lieber die Kassen zahlen lassen, als selbst die Lücke bei der Sportförderung zu füllen, ist leicht einzusehen. Dass aber ausgerechnet, die Krankenkassen die Ausfallbürgen für die Unternehmen (und Länder) sein sollen, wie Hennrich meint – ist abwegig. Wer glaubt – Corona hin oder her –, dass Spitzen- und Profisportler durch die Zwangsbeiträge der GKV-Mitglieder unterstützt werden müssten, hat zumindest fragwürdige Prioritäten.


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