15.06.2020
Eine kleine Auseinandersetzung mit den Gesetzesmaßnahmen zur Corona-Krise
Prof. Dr. Andrew Ullmann MdB, FDP-Bundestagsfraktion, Obmann im Ausschuss für Gesundheit
Die erste Jahreshälfte 2020 wird rückblickend für lange Zeit mit der COVID-19-Pandemie verbunden werden, denn die politischen Reaktionen auf die Pandemie waren sehr weitgehend. Die Auswirkungen werden die deutsche Politik noch über Monate und Jahre beschäftigen. Die mangelnde Vorbereitung auf eine Pandemie, das Krisenmanagement der Regierung und ihre Gesetzesinitiativen müssen kritisch beleuchtet werden.
Das Krisenmanagement der Exekutive
Das Krisenmanagement der Bundesregierung fing erst am 8. März 2020 an. An diesem Tag ließ Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verlauten, dass er bundesweit die Absage von Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern empfehlen würde. Dieser Schritt hat viele überrascht und den Stein der grundrechtseinschränkenden Maßnahmen ins Rollen gebracht. Überrascht hat der Schritt, weil er zu diesem Zeitpunkt sehr weitgehend war. Im damaligen Infektionsgeschehen wäre die Absage von regionalen Großveranstaltungen der sinnvolle nächste Schritt gewesen. Um Übertragungswege einzudämmen, hätten in Infektionsherden, wie im Kreis Heinsberg, Veranstaltungen nicht mehr stattfinden dürfen. Erst wenn regionale Maßnahmen nicht greifen, ist es angemessen, diese Einschränkungen bundesweit auszuweiten.
Um das Bild eines Krisenmanagers in die Öffentlichkeit zu tragen, ist es wichtig entschlossen und tatkräftig zu handeln. In der Krise zählen Bilder und Botschaften mehr als detailliertes Auseinandersetzen und differenziertes Handeln. Nachdem Jens Spahn diesen ersten Schritt gegangen ist, folgten immer weitere. Wie eine Dominokette wurden in den folgenden Tagen und Wochen in kürzesten Abständen Maßnahmen beschlossen, die fast zu einer vollständigen Ausgangssperre geführt hätten.
Krankenhausentlastungsgesetz
Die Gesetzespakete Krankenhausentlastungsgesetz und Bevölkerungsschutzgesetz waren die ersten parlamentarischen Maßnahmen. Das Krankenhausentlastungsgesetz war ein grundsätzlich richtiger Schritt zu dem damaligen Zeitpunkt. Es wurden rechtsverbindlich die Kapazitäten für die erwarteten COVID-19-Patienten geschaffen und Einnahmeausfälle ausgeglichen. Damit wurde gesichert, dass das Gesundheitssystem während und nach der Pandemie handlungsfähig bleibt.
Was ich an dem Gesetz jedoch kritisiere, ist die einseitige Finanzierung durch den Bund, insbesondere in der Krankenhausfinanzierung. Die finanzielle Grundlage der Krankenhäuser basiert auf einem dualen System. Die Betriebskosten werden von den Krankenkassen getragen, die Investitionskosten finanzieren hingegen die Bundesländer. Aufgrund der hohen finanziellen Mittel, die bei der Bekämpfung der Pandemie verwendet werden müssen, ist es gerechtfertigt, dass der Bund in die Finanzierung der Maßnahmen unterstützend mit eingreift. Jedoch entbindet dieser Eingriff niemanden von seinen Aufgaben. Nachdem zehn Landes-Wissenschaftsminister in einem gemeinsamen Brief weitere Mittel insbesondere für die Uni-Kliniken forderten, habe ich sie in einem Schreiben befragt, welche Maßnahmen sie zur Finanzierung der Krankenhäuser, insbesondere in der Corona-Krise leisten würden. Diese Fragen müssen schließlich geklärt sein, bevor der Bund weitere Mittel zur Verfügung stellt. Nach zwei Monaten haben mir jedoch nur zwei der zehn Minister Antworten liefern können.
Bevölkerungsschutzgesetz
Umstrittener als das Krankenhausentlastungsgesetz war das Bevölkerungsschutzgesetz. Ziel des Gesetzes war es grundsätzlich, das Infektionsschutzgesetz an die neue Pandemie anzupassen und dem Bundesminister für Gesundheit mehr Verordnungsvollmachten zu erlauben. Als das Gesetz am 25. März im Bundestag beraten wurde, war die Befürchtung groß, dass der Bundestag aufgrund der Pandemie nicht mehr zusammentritt bzw. aufgrund einer schnellen Entwicklung der Pandemie, die parlamentarischen Prozesse nicht schnell genug reagieren können. Die Folge waren zahlreiche Verordnungsermächtigungen, die aufgrund der Feststellung der „epidemischen Lage nationaler Tragweite“ gültig wurden. In diesem Gesetz zeigt sich, dass der Einfluss der Opposition, aber vor allem der parlamentarischen Kontrolle wichtig ist. Uns als Freie Demokraten im Deutschen Bundestag war ein geschlossenes Auftreten der Politik in der Pandemiebekämpfung sehr wichtig. Da wir jedoch nicht allem zustimmen konnten, haben wir wichtige Kernforderungen an die Bundesregierung übermittelt. Dazu gehört u. a. auch, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite nur vom Parlament ausgerufen und eingestellt werden kann. Die vorherigen Pläne der Regierung hatten diese Rolle alleinig bei der Bundesregierung gesehen. Dieses hätte die Möglichkeit geschaffen jederzeit die Notlage auszurufen und am Parlament vorbei zu regieren.
Obwohl einige Forderungen der Opposition übernommen wurden, wurde dem Gesetz nur unter Bauchschmerzen zugestimmt. Für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung sind Krisenzeiten ein Stresstest. Die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in Europa und Deutschland führte zu Einschränkungen der liberalen Demokratie, die noch vor einigen Monaten unvorstellbar gewesen wären. Durch Grenzkontrollen und Ausgangsbeschränkungen ist bzw. war die Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt. Die Funktionsfähigkeit der Gerichte, bei denen sich die Bürgerinnen und Bürger über diese Maßnahmen beschweren könnten, waren ebenso beeinträchtigt wie die Möglichkeit, dagegen zu protestieren. Auch die weitreichenden Verordnungsermächtigungen an das Bundesgesundheitsministerium ohne parlamentarische Einbindung hielt ich für falsch. Meine Bedenken habe ich daher auch zu Protokoll gegeben.
Verordnungen sind Murks
Noch viel mehr läuft seit dem 2. Bevölkerungsschutzgesetz schief. Auch dieses Gesetz wurde im Eilverfahren in den Deutschen Bundestag eingebracht und abgestimmt, was zu dem Zeitpunkt nicht mehr notwendig gewesen wäre. Der Gesetzesentwurf wurde begleitet mit der unsäglichen Diskussion zum Immunitätsausweis, der zurecht wieder zurückgezogen wurde. Jedoch sind auch die weiteren Inhalte des Gesetzes nicht besser ausgearbeitet. Anstatt die Zeit zu nutzen und Maßnahmen niederzuschreiben, fanden sich in dem Gesetz fast nur Verordnungsermächtigungen an das Bundesgesundheitsministerium wieder, die grob umschrieben wurden. Nachbesserungen in Fragen der Parlamentseinbindung konnte man nicht finden. In der öffentlichen Anhörung des Gesetzes zweifelten die Sachverständigen daher an der Verfassungsmäßigkeit. Ich teile diese Befürchtungen.
Die aus dem Gesetz folgenden bekanntgewordenen Verordnungsentwürfe sind zudem ordnungspolitischer Murks. In einer Verordnung zu der Finanzierung von Coronavirus-Testungen ist vorgesehen, dass alle vom öffentlichen Gesundheitsdienst angeordneten Testungen von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt werden. Dies gilt auch für Personen, die nicht gesetzlich versichert sind. Dass der Staat bzw. die Bundesländer nicht ihren Teil dazu beitragen, kann man nicht verstehen. Insbesondere weil der öffentliche Gesundheitsdienst im Verantwortungsbereich der Länder liegt.
Pandemievorbereitung jetzt beginnen
Am schlimmsten ist es jedoch, dass bereits jetzt wichtige Punkte verschlafen werden. Jetzt wäre die richtige Zeit, sich auch auf die nächste Pandemie vorzubereiten. Eine wichtige Forderung meinerseits ist es, multilaterale Organisationen, wie die WHO, zu stärken. Die Finanzierung müsste reformiert und Programme wie der Notfallfonds der WHO auf neue Füße gestellt werden.
Um den medizinischen Sachverstand der Bundesregierung zu erhöhen, muss eine zentrale gesundheitspolitische Koordinierungsstelle, ein Chief Medical Officer, im Kanzleramt geschaffen werden. Gerne auch in Personalunion mit dem Chef des Robert-Koch-Instituts. Außerdem müssen wir analog zum Stresstest des Bankenwesens nach der Finanzkrise 2008, einen Stresstest für unser Gesundheitssystem einführen. Mit diesem Stresstest kann man verschiedene Szenarien analysieren und prüfen, ob das Gesundheitssystem gut für die zweite COVID-19-Welle oder auch die nächste Pandemie ausgestattet ist.
Am wichtigsten ist es jedoch, dass die nächsten Schritte und Vorschläge detailliert im Parlament diskutiert werden. Denn das Herz unserer Demokratie schlägt im Deutschen Bundestag, nicht im Bundesgesundheitsministerium – das gilt auch während einer Pandemie.
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