Krankenhausplanung: Versorgungsstufen und Leistungsgruppen zusammen denken

Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)

Auch wenn sich unsere stationären Versorgungsstrukturen während der Corona-Pandemie bewährt haben: Niemand bezweifelt mehr, dass tiefgreifende Veränderungen notwendig sind. Der Handlungsdruck und vor allem auch der Wille für eine wirkliche Krankenhausplanung sind grundsätzlich sehr hoch. Dabei geht es nicht nur um die Versorgungsangebote selbst, sondern auch um die Zuständigkeiten – was kann und sollte bundeseinheitlich definiert werden, was auf Landesebene und was auch nur regional?

Die Chance, das bisherige Nebeneinander von Versorgungsstufen und Leistungsgruppen zu überwinden und stattdessen zusammen zu denken, sollte dabei aus meiner Sicht genutzt werden.

 

Derzeitige Versorgungsstrukturen: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?

Die bisherige Krankenhausplanung der Bundesländer hat sich in vielen Fällen als ungeeignet erwiesen, die stationären Strukturen bedarfsgerecht zu planen. Krankenhausstandorte sind oftmals schlicht „historisch“ gewachsen, und ihre Fachabteilungen sowie Bettenzahl bleiben unangetastet, da sie aus Sicht der Bundesländer weitaus mehr Funktionen erfüllen müssen, als einfach nur die Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Im Ergebnis sehen wir beispielsweise städtische Ballungszentren mit einer sehr hohen Anzahl an Krankenhäusern, die nicht nur um Patientinnen und Patienten, sondern auch um Betriebs- und Investitionsmittel und Personal konkurrieren. Wir sehen ländliche Regionen mit eigentlich bedarfsnotwendigen Krankenhäusern, denen aber die technische und personelle Ausstattung und die Routine fehlt, lebensbedrohliche Notfälle zu behandeln oder bestimmte planbare Leistungen mit hoher Qualität zu erbringen. Gleichzeitig haben wir ein Vergütungssystem über die Fallpauschalen (DRG), das sich aufgrund von Fehlanreizen, sinkender Fallzahlen und nur marginaler Investitionskostenfinanzierung der Bundesländer ebenfalls als zunehmend reformbedürftig erweist.

Detaillierte Ist-Analysen und teilweise stark voneinander abweichende Reformvorschläge liegen bereits vor, unter anderem das Gutachten des Sachverständigenrats für Gesundheit von 2018, das vom nordrhein-westfälischen Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann beauftragte Gutachten zur leistungs-, bedarfs- und qualitätsorientierten Krankenhausplanung sowie das erst im Mai 2022 veröffentlichte Sondergutachten der Monopolkommission.

Gleichzeitig hat die politische Diskussion dahingehend Fahrt aufgenommen, welche Grundlagen und Ziele eine Krankenhausplanung haben sollte: Die Koalitionsregierung beauftragte eine Kommission, einheitliche Leitplanken für eine auf Leistungsgruppen und Versorgungsstufen basierende Krankenhausplanung zu erarbeiten und sich dabei an Kriterien wie der Erreichbarkeit und der demografischen Entwicklung zu orientieren. Die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) versucht hingegen, bisherige föderale Zuständigkeiten abzusichern. Ihr Argument: Die Qualität der Versorgung sollte „mit anderen, nicht minder wichtigen Zielen der Krankenhausplanung (insbesondere Erreichbarkeit, aber auch Bedarfsgerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit, Trägervielfalt etc.)“ in Einklang gebracht  werden. Dieser Logik folgend forderte die GMK eine Öffnungsklausel zu den bundeseinheitlich angelegten Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), die Wiedereinführung der Ausnahmeregelungen der Länder im Rahmen der Mindestmengen sowie ein Veto bei den Zentrums-Regelungen für zuschlagsfähige Aufgaben. Deutlich mehr Veränderung gibt es hingegen in Nordrhein-Westfalen (NRW), hier werden bereits Nägel mit Köpfen gemacht: Seit Herbst diesen Jahres gelten neue Rahmenvorgaben für den Krankenhausplan, der bei der Bedarfsbemessung von den tatsächlichen Fallzahlen in verschiedenen Leistungsbereichen ausgeht und ausdrücklich die flächendeckende Grundversorgung stärken will. Bemerkenswert zudem: Die praktische Umsetzung erfolgt bewusst dezentral durch regionale Planungsverfahren. Das größte Problem des Leistungsgruppen-Ansatzes bleibt jedoch nach wie vor ungelöst: Wie können Leistungsausschlüsse durchgesetzt werden?

 

Versorgungsstufen: bundeseinheitliche Kombination mit Leistungsgruppen

Die Diskussion um Versorgungsstufenkonzepte und einer neuen Krankenhausplanung auf Basis sogenannter Leistungsgruppen wie in NRW zeigen, worum es inhaltlich im Kern geht und was weitgehend unstrittig ist: Krankenhausplanung muss sich an der regionalen Bevölkerungsentwicklung und an den von Grund- bis Maximalversorgung abstufbaren medizinischen Versorgungsbedarfen orientieren. Aus meiner Sicht braucht es dafür drei klar abgegrenzte Versorgungsstufen mit jeweils unterschiedlichen Personal- und Strukturanforderungen: regionale Grundversorger, Schwerpunkt- und Maximalversorger. Ihnen werden ganz konkret definierte Leistungsaufträge zugeordnet. Die Häuser der einzelnen Versorgungsstufen müssen regional abgestimmt eng zusammenarbeiten.

Die Basis für dieses Stufenmodell unter Wahrung der föderal unterschiedlichen Zuständigkeiten ist dabei eine veränderte künftige Aufgabenteilung: Bundeseinheitlich festzulegen sind die Anforderungen an die einzelnen Versorgungsstufen. Ebenso sollte auf Bundesebene eine verbindliche Zuordnung von Leistungskomplexen zu den unterschiedlichen Versorgungsstufen erfolgen. Diese bundeseinheitlichen Vorgaben und Zuordnungen hat der G-BA zu definieren. Aufbauend auf diesem Stufenmodell legen die Bundesländer anschließend anhand der jeweiligen Demografie- und Morbiditätsstruktur einzelne Versorgungsregionen fest, bestimmen die Krankenhausstandorte (Stichwort: Erreichbarkeit) und die konkreten Leistungskomplexe einschließlich der jeweiligen Leistungsmengen für die entsprechend qualifizierten Häuser. Das heißt, die in den meisten Bundesländern noch angewendete Bettenplanung wird durch eine populationsbezogene Leistungsplanung ersetzt – ähnlich wie es in NRW vorgesehen ist, jedoch erfolgt eine bundeseinheitliche Vorstrukturierung. Dies führt zwar dazu, dass nicht mehr jedes Krankenhaus jede Leistung erbringen wird, gewährleistet aber eine qualitativ hochwertige Versorgung von Patientinnen und Patienten, indem „Gelegenheitsversorgung“ unterbunden wird.

 

Erfahrungen des G-BA mit stationärer „Bedarfsplanung“

Als Gremium der Selbstverwaltung ist der G-BA prädestiniert dafür, bundeseinheitliche Vorgaben und Zuordnungen für die Versorgungsstufen von Krankenhäusern zu definieren. Er verfügt über seine Trägerorganisationen und seine Geschäftsstelle über die notwendigen Systemkenntnisse. Seine Beratungen zielen darauf ab, ein möglichst konsensuales Ergebnis und einen Interessenausgleich zu erreichen, denn auch die Bundesländer sind eingebunden. Dass der G-BA genau solche Aufträge zielorientiert und praktikabel erfüllen kann, zeigen drei Beispiele:

Beispiel Notfallstrukturen – Krankenhäuser, die sich an der stationären Notfallversorgung beteiligen und dabei bestimmte technische und personelle Mindestanforderungen erfüllen, sollen finanzielle Zuschläge erhalten: Je umfangreicher die Anforderungen, desto höher die Zuschläge. Die Merkmale, anhand derer die Mindestanforderungen an die drei Notfallstufen zu definieren sind, gab der Gesetzgeber vor – beispielsweise zum Fachpersonal und zum zeitlichen Umfang der Bereitstellung von Notfallleistungen. Der G-BA legte entsprechend fest, dass ab der erweiterten Notfallstufe die Durchführung einer notfallendoskopischen Intervention am oberen Gastrointestinaltrakt, die Durchführung einer perkutanen koronaren Intervention (PCI), sowie die Primärdiagnostik und Durchführung einer Initialtherapie beim Schlaganfall (Fibrinolyse oder interventionelle Therapie) jederzeit möglich sein muss.

Beispiel Mindestmengen – Besonders schwierige Eingriffe sollen nur an solchen Krankenhäusern erfolgen, die ausreichend Erfahrung damit haben: Dies gilt nur für planbare Eingriffe und nur für solche, bei denen auch einen Zusammenhang zwischen Durchführungshäufigkeit und Behandlungsqualität besteht. Legt der G-BA eine neue Mindestmenge – beispielsweise für Operationen von Brustkrebs – fest, überprüft er anhand von Modellrechnungen, wie sie sich voraussichtlich auf die Anzahl und Verteilung der Krankenhäuser auswirken würde. Denn natürlich ist der schon aus Patientensicht bestehende Zielkonflikt zwischen Qualitätssicherung durch Verhinderung einer sogenannten Gelegenheitsversorgung und wohnortnaher Erreichbarkeit bei diesem Thema ganz offensichtlich. Dass die Ergebnisqualität an zertifizierten Zentren, die eine Mindestfallzahl erfüllen, in der Regel höher ist, hat jüngst ein Projekt des Innovationsausschusses (WiZen) beim G-BA anhand von Routinedaten eindrücklich belegt.

Beispiel Zentrumszuschläge – Krankenhäuser, die als Zentren „besondere Aufgaben“ wahrnehmen, die über die eigentliche Patientenversorgung hinausgehen, können hierfür finanzielle Zuschläge erhalten. Die Idee: Das spezialisierte, zentralisierte Wissen einiger weniger Krankenhäuser soll bei Bedarf auch von anderen Häusern abgerufen werden können. Dabei geht es hier für den G-BA darum, Anforderungen an die Erbringung dieser Beratungsaufgaben so zu definieren, dass sichergestellt ist, dass diese nur durch die Krankenhäuser erbracht werden, die in einem Fachbereich besonders spezialisiert sind und sich aufgrund ihrer medizinischer Kompetenz und Ausstattung von anderen Klinken in diesem Fachbereich abheben.

 

Fazit

Der G-BA hat in der Vergangenheit bereits diverse Aufgaben übernommen, die sich auch auf das stationäre Versorgungsangebot auswirken (können). Sie sind Beispiele für evidenz- und bedarfsorientierte Arbeitsaufträge und auch aufgrund der transparenten und strukturierten Entscheidungsfindung im Ergebnis eben keine kalte „Strukturbereinigung“. Ein bundeseinheitliches Stufenmodell würde die Planungshoheit der Bundesländer nicht einschränken, sondern diese nur an längst überfällige und zur Beförderung des Patientenwohls zwingend verbindliche Qualitäts- und Strukturvorgaben binden und uns so den wichtigen Zielen einer Krankenhausplanung endlich näherbringen. Ich meine damit ein qualitativ hohes medizinisches Angebot für Patientinnen und Patienten in der Nähe sicherzustellen und zugleich die vorhandenen Mittel effizient einzusetzen.

Für eine zukunftsfeste Struktur braucht es neben der leistungsfähigen wohnortnahen stationäre Grundversorgung spezialisierte und technisch sowie personell bestens ausgestattete größere Krankenhäuser. In ihnen können komplexer werdende Behandlungen qualitätsgesichert angeboten werden. Diese Unterscheidung der Versorgungsstufen ist die richtige Antwort auf die zunehmende Multimorbidität einer älter werdenden Bevölkerung und den medizinisch-technischen Fortschritt. Durch Spezialisierung und Konzentration wird zudem die wirtschaftliche Basis der Leistungserbringung gestärkt und ein sinnvoller Einsatz von Personal gewährleistet.

 

Der Autor vertritt seine persönliche Meinung.


Observer Gesundheit Copyright
Alle Kommentare ansehen