Die GKV kann! Aufräumen mit Mythen!

Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V.

Die Politik weist den gesetzlichen Krankenkassen leider oft nur die Rolle des Payers, aber nicht des Players zu. Dabei sind die gesetzlichen Krankenkassen mit dem konstituierenden Element der sozialen Selbstverwaltung eine der Säulen des Gesundheitswesens. Nach wie vor greift die Politik in die Kompetenz der Selbstverwaltung ein und beschneidet sie in ihren Aufgaben und ihrer Funktion.

An unserer Problemlösungskompetenz werden von politischer, zum Teil auch öffentlicher Seite, in wesentlichen gesundheitspolitischen Feldern Zweifel geschürt und uns gern pauschal entgegengebracht: „Die GKV kann nicht mit Geld“, „Die GKV kann keine Digitalisierung“ und „Die GKV kann nicht beraten“. Der IKK e.V. hat sich mit diesen Mythen beschäftigt und dazu im August 2023 eine forsa-Umfrage in Auftrag gegeben.

 

Mythos 1: Die GKV kann nicht mit Geld

Das grundlegendste gesundheitspolitische Thema der 20. Legislaturperiode war und ist die Finanzierung. Obwohl seit langem der Reformbedarf bekannt ist, agiert Bundesgesundheitsminister Lauterbach wie die Vorgängerregierung mit bekannten Maßnahmen: Abschmelzung der Kassenvermögen und Anhebung der Zusatzbeiträge. Dabei waren für den 31. Mai 2023 Empfehlungen zur nachhaltigen Finanzierung der GKV sogar gesetzlich angekündigt. Diese liegen wohl noch immer im Bundeskanzleramt zur Abstimmung. Ich bin gespannt, ob und wann sie wirklich kommen!

Die Innungskrankenkassen haben dabei bereits im August 2022 sowie im Mai 2023 konstruktive Vorschläge vorgelegt. Und zwar für eine Verbreitung der Einnahmebasis einerseits – wir denken hier zum Beispiel an eine Umwandlung der Genusssteuern in eine Abgabe zugunsten des Gesundheitsfonds oder auch die Einbeziehung der Digitalwirtschaft in die Sozialversicherung – und andererseits ein Konzept für die Ausgabenseite. Hier sehen wir Einsparpotenzial, in dem Steuerungs- und Lenkungsoptionen für die konkrete Versorgung unserer Versicherten ausgeweitet werden. Der Staat nimmt durch die Tabak- und Alkoholsteuer jährlich über 17 Milliarden Euro ein, eine Umwandlung der Steuern in eine Abgabe zugunsten des Gesundheitsfonds würde die Finanzierung der GKV also durchaus ein gutes Stück verbreitern.

Dass wir hiermit den richtigen Weg einschlagen, zeigt auch die von uns in Auftrag gegebene repräsentative forsa-Umfrage: Gerade das Thema Umwandlung von Genusssteuern zu einer „Gesundheitsabgabe“ findet bei den Versicherten Anklang. Mehr als 83 Prozent finden eine solche Abgabe gut bzw. sehr gut. Dabei gibt es nur geringe Unterschiede zwischen Männern (80 Prozent) und Frauen (85 Prozent) oder Ost (77 Prozent) und West (81 Prozent). Die größten Unterschiede sind bei den Haushaltsnettoeinkommensklassen festzustellen: Unter denjenigen, die 4.000 Euro oder mehr pro Monat verdienen, begrüßen 89 Prozent diese Abgabe, bei denjenigen, die unter 2.000 Euro monatlich mit nach Hause nehmen, nur 78 Prozent. Es liegt jedoch die Vermutung nah, dass hier befürchtet wird, dass zusätzlich zu den schon jetzt erhobenen Steuern eine Abgabe eingeführt werden würde. Eine Befürchtung, die mit Blick auf das Festhalten des Staates an einmal getätigte Einnahmen verständlich ist, von uns aber nicht beabsichtigt wird.

Doch zurück zum Thema und dem Mythos, wir können nicht mit Geld und deshalb müssen wir immer wieder die Beiträge erhöhen: Richtig ist, dass sich der Staat immer weiter seiner Finanzverantwortung entzieht, so z. B. die Länder in der Frage der Investitionskosten für die Krankenhäuser. Und da, wo der Staat durchaus Handlungsbedarf sieht, wie in der Frage der Anpassung der Beiträge für Bürgergeldbeziehende oder der Dynamisierung der pauschalen Steuerzuschüsse für versicherungsfremde Leistungen, sind selbst Vereinbarungen auf der Ebene von Koalitionsverträgen Makulatur!

Uns geht es übrigens gar nicht um mehr Geld, sondern um eine gerechte Verteilung der Belastungen zwischen Staat sowie Beitragszahler und Beitragszahlerinnen. Die Innungskrankenkassen habe errechnet, dass alleine mit den von uns beschriebenen Maßnahmen auf der Einnahmenseite die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, also die Arbeitgeber und Versicherten zusammen, um 33,35 Milliarden Euro entlastet werden könnten. Dies wären sowohl ein Sozial- als auch ein Wirtschaftsförderungsprogramm.

 

Mythos 2: Die GKV kann keine Digitalisierung

Aber auch bei dem Thema Digitalisierung brauchen sich die Innungskrankenkassen wie auch die GKV insgesamt nicht zu verstecken. Deutschland hinkt bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens zwar hinter, aber nicht die Krankenkassen. Wenn man den Blick auf die GKV, und insbesondere die Innungskrankenkassen wirft, sieht man ein differenzierteres Bild: Sie bieten allen Versicherten seit Jahren Online-Geschäftsstellen an, haben die wichtigsten Anträge für die Kundinnen und Kunden digitalisiert, wie etwa den Aufnahmeantrag, die Bonusprogramme oder die Beantragung von Krankengeld. Die Krankenkassen bieten Online-Postfächer und Versorgungs-Apps an und arbeiten mit Chatbots. Auch hier fällt die Bilanz des öffentlichen Bereichs dünner aus, was die mehr als schleppende Umsetzung der Vereinbarungen im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes zeigt.

Die Innungskrankenkassen können Digitalisierung, wenn man uns denn lässt! Allerdings müssen auch wir Hausaufgaben machen. Danach gefragt, welche digitalen Angebote die Befragten von ihrer Krankenkasse kennen, geben 59 Prozent an, eine Service-App ihrer Krankenkassen zu kennen, allerdings nur 24 Prozent die elektronische Patientenakte (ePA). Dabei sind die Service App bei den Befragten mittleren Alters (30 bis 59 Jahre) bekannter (73 Prozent) als bei den jüngeren (54 Prozent) bzw. älteren Umfrageteilnehmenden (44 Prozent). Analog gilt dies auch für thematische Gesundheits-Apps. Erklärbar ist dies mit einem grundsätzlich geringeren Versorgungsbedarf bei den jüngeren und einer ggf. nicht so starken Technikaffinität bei den Befragten 60+. Mit Blick auf 2025 ist dies zu wenig! Hier müssen die Krankenkassen noch mehr Aufklärung leisten. Denn knapp jeder dritte gesetzlich Versicherte (72 Prozent) gibt in der forsa-Umfrage an, dass digitale Anwendungen (z. B. die elektronische Patientenakte, elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, eRezept, Videosprechstunde) in den nächsten Jahren stärker als bisher angeboten und flächendeckend genutzt werden sollten.

Die beiden vom Bundeskabinett verabschiedeten Digitalisierungsgesetze – das Gesundheitsdatennutzungsgesetz sowie das Digitalgesetz – werden der Digitalisierung im Gesundheitswesen einen großen Schub geben. Endlich können die Krankenkassen die Daten der Versicherten nutzen, um sie im Sinne ihrer Gesundheit zu informieren und zu beraten. Die aktuelle forsa-Umfrage des IKK e.V. hat deutlich gezeigt, dass dies auch die Versicherten wünschen. Immerhin 71 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, dass zur Verbesserung der Versorgung Gesundheitsdaten stärker als heute von den Krankenkassen genutzt werden sollten, nur eine Minderheit von 13 Prozent lehnt dies ab.

Schaut man hier auf die Unterschiede nach Einkommensklasse, so stellt man fest, dass es keine Unterschiede zwischen den geringer und höher Verdienenden gibt (80 Prozent befürworten die Nutzung der Daten), während die mittlere Einkommensgruppe (2.000 bis 4.000 Euro) sogar mit 85 Prozent eine Datennutzung noch stärker begrüßt.

Insofern sehe ich durchaus die GKV bzw. die Innungskrankenkassen als positiven Treiber der Digitalisierung und nicht als vermeintlichen Verzögerer!

 

Mythos 3: Die GKV kann nicht beraten

Den gesetzlichen Krankenkassen wird in regelmäßigen Abständen vorgeworfen, sie würden ihre Versicherten in ihren Belangen nicht ernst nehmen oder gar versuchen, sie bzw. ihre Bedarfe „abzuwimmeln“. Jüngst wurde den Kassen sogar pauschal Irreführung, fiese Trickserei und Täuschung bzw. Belästigung ihrer Versicherten unterstellt. Dabei zeigt das aktuelle M + M Versichertenbarometer: 82 Prozent bezeichnen sich als „zufrieden“ oder sogar „sehr zufrieden“ mit ihrer Krankenversicherung. 86 Prozent der gesetzlich Versicherten geben an, dass sie auch weiterhin bei ihrer Krankenkasse versichert bleiben werden.

An dieser Stelle lohnt es sich, einmal mit den Zahlen vertraut zu machen: 2021 haben die IKKn im Bereich der Krankenversicherung über 4,7 Millionen Leistungsanträge bearbeitet. Einspruch gegen eine Entscheidung wurde aber nur in 26.000 Fällen eingelegt. Diese Einsprüche wurden zum einen von den Fachabteilungen noch einmal überprüft und, wenn es nicht zu einer Einigung kam, an die Widerspruchsausschüsse weitergeleitet. Insgesamt konnte so 40 Prozent der Widersprüche abgeholfen werden. Hingegen hat beispielsweise die Unabhängige Patientenberatung Deutschlands (UPD) laut Jahresbericht 2022 bundesweit nur ca. 123.000 Beratungen insgesamt durchgeführt. Beratungen zu Leistungsansprüchen machten dabei rund 40 Prozent aller rechtlichen Beratungen aus und beliefen sich insgesamt nur auf 26.600 Fälle über alle Krankenkassen hinweg.

Tatsächlich stehen die gesetzlichen Krankenkassen auch bei der forsa-Umfrage des IKK e.V. gut da. Es wurde gefragt: „Einmal angenommen Sie haben eine medizinische oder gesundheitliche Frage: An wen würden Sie sich wenden? Wer hat Ihrer Meinung nach die größte Kompetenz, Ihre Frage fundiert und für Sie zufriedenstellend zu beantworten?“ Das zunächst wenig überraschende Ergebnis: Fast alle (93 Prozent) würden sich an ihren Haus- oder Facharzt wenden, vergleichsweise häufig, nämlich 17 Prozent, würde man auch „Dr. Google“ oder Familie, Freunde und Bekannte (16 Prozent) fragen. Aber fast jeder Zehnte würde sich bei Beratungsbedarf an seine Krankenkasse wenden! Wem das wenig vorkommt, der sei darauf hingewiesen, dass fast niemand die UPD oder das Nationale Gesundheitsportal nennt. Beide Angebote rangieren mit drei bzw. zwei Prozent bundesweit unter ferner liefen.

Eine Anschlussfrage in der forsa-Umfrage bezog sich auf die Qualität der Auskünfte. Das Ergebnis: Von denjenigen, die sich mit einer medizinischen Frage bereits an einen Haus- bzw. Facharzt gewandt haben, trauen die meisten (96 Prozent) diesem auch die größte Kompetenz bei dieser Thematik zu. Von den Nutzern der Internetsuche halten 46 Prozent „Dr. Google“ für besonders kompetent. Von denjenigen, die sich mit medizinischen oder gesundheitlichen Fragen schon einmal an ihre Familie, Freunde, Kollegen oder Bekannten gewandt haben, sehen 50 Prozent bei diesen die größte Kompetenz. Von den Befragten allerdings, die sich mit einer medizinischen oder gesundheitlichen Frage bereits an ihre Krankenkasse gewandt haben, sehen dort 63 Prozent der Befragten die größte Kompetenz.

Also auch für die Versichertenberatung gilt: Die GKV, die Innungskrankenkassen, können ihre Versicherten sehr wohl beraten. Im Übrigen hat die forsa-Umfrage als Warm-up die gesetzlichen Versicherten einmal befragt, wie zufrieden sie aktuell mit der Gesundheitspolitik der Bundesregierung sind. Die Antwort war für uns nicht überraschend: 57 Prozent der Befragten sind (sehr) unzufrieden mit der jetzigen Politik im Bereich Gesundheit. Die größte Unzufriedenheit herrscht mit 68 Prozent bei den 45- bis 59-Jähren. Vor drei Jahren – in der Corona-Zeit – sah dies noch ganz anders aus. 2020 waren es laut einer Studie der Robert-Bosch-Stiftung nur rund 30 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, die wenig oder kein Vertrauen mehr in die Fähigkeit der Politik hatten, für eine hochwertige, bezahlbare und nachhaltige Gesundheitsversorgung zu sorgen.

Für mich stellt sich insofern dann doch die Frage, wer hier woran zu arbeiten hat. Meiner Meinung nach täte die Politik gut daran, Rahmenbedingungen zu schaffen, um der GKV und ihrer engagierten Selbstverwaltung noch stärkere Handlungsfähigkeit zu ermöglichen. Die Kassen sind gut aufgestellt, um ihren Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern, die Versicherten und Arbeitgeber, eine gute Absicherung sowie den Zugang zu einem modernen, hochwertigen Gesundheitssystem zu gewährleisten.

 

Die forsa-Umfrage des IKK e.V. finden Sie hier.


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