Kein López-Effekt für die Pflege

Über einen Änderungsantrag zum GVWG

Thomas Bublitz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Privatkliniken e.V.

Seine Ära bei VW war kurz und liegt fast 30 Jahre zurück. Doch auch heute noch ist der „Kostenkiller“ José Ignacio López vielen ein Begriff, und der „López-Effekt“ gilt als Synonym für schlechte Qualität aufgrund von hohem Kostendruck. Die derzeitige Auseinandersetzung um das Pflegebudget für Krankenhäuser zeigt verblüffende Parallelen zu den damaligen Vorkommnissen, die dazu führten, dass Zulieferbetriebe reihenweise in die Insolvenz getrieben wurden. Zwar sind Krankenhäuser keine Zulieferer für die Krankenkassen, aber die Beziehungen sind seit der Einführung der Pflegebudgets durchaus vergleichbar, und auch das Verhalten der Kassen ähnelt auffällig dem des damaligen Automanagers. 

Auslöser für die aktuelle Kontroverse zwischen GKV und Krankenhäusern ist das Pflegepersonalstärkungsgesetz, mit dem der Gesetzgeber 2019 die Ausgliederung der Pflegepersonalkosten aus den DRG-Fallpauschalen eingeführt hat, um, wie es der Name des Gesetzes sagt, die Pflege zu stärken. Dazu sollen die Personalkosten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in die direkte Pflege von Patienten („Pflege am Bett“) eingebunden sind, außerhalb der DRG-Fallpauschalen über das Pflegebudget abgerechnet werden. Der Gesetzgeber erhoffte sich dadurch Verbesserungen für die Personalausstattung und die Arbeitsbedingungen. Doch leider funktioniert das nicht so einfach, denn nicht nur die Krankenhäuser, sondern auch Krankenkassen wollen an diesem Ziel mitwirken.

 

Erbitterter Streit zwischen Kassen und Krankenhäuser

Nun, rund anderthalb Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, kommt die Nagelprobe: Nach unendlichen Verhandlungen zwischen DKG und GKV-SV zu Pflegedefinitionen, Kostengruppen, Einordnung von Berufsgruppen, Absenkung von DRG usw. müssen endlich die Budgets für 2020 verhandelt werden. Die Höhe dieser Startbudgets ist sowohl für die Krankenhäuser als auch für die Krankenkassen von grundsätzlicher Bedeutung. Auf den Punkt gebracht geht es darum, dass für die Krankenhäuser auskömmliche Pflegebudgets für die Krankenkassen teuer werden. Damit ist der erbitterte Streit auch über die Medien programmiert. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Krankenkassen als klassische Versicherung immer aus der López-Position heraus agieren – Hauptsache, Kosten sparen! In die Karten spielt den Krankenkassen dabei, dass der Arbeitsmarkt leergefegt ist – woher sollen die zusätzlichen Pflegkräfte kommen?

Im Juni 2019, vor Einführung des Pflegebudgets, waren laut Statistik der Agentur für Arbeit 1,09 Millionen Personen als Krankenpflegekräfte sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das einen Zuwachs um 21.000 bzw. zwei Prozent und gegenüber dem Jahr 2015 ein Plus von 90.000 bzw. neun Prozent. Keine Frage: Das ist angesichts des gestiegenen Bedarfs nicht genug. Aber die Zahlen machen doch deutlich, dass der vielfach behauptete Abbau von Pflegepersonal im Krankenhaus in Wirklichkeit nicht stattgefunden hat. Zudem zeigt ein weiterer Blick in den Bericht der Arbeitsagentur, dass der Anteil ausländischer Krankenpflegekräfte von 2014 bis 2019 um fast zwei Drittel gestiegen ist. Ohne diese Kräfte aus dem Ausland würde die Pflege in vielen Krankenhäusern zusammenbrechen. Deshalb haben die Krankenhäuser schon vor vielen Jahren damit begonnen, Pflegehilfskräfte zur Unterstützung examinierter Pflegekräfte auf den Stationen einzusetzen. Laut AA-Statistik handelt es sich dabei um rund gut 16 Prozent (172.000 Personen) des Pflegepersonals. Genau um diese Pflegehilfskräfte dreht sich die aktuelle Auseinandersetzung.

In den Verhandlungen der Pflegebudgets vor Ort wurde regelhaft die Schiedsstellen angerufen. Diese bestätigten aufgrund der gesetzlichen Formulierungen des Pflege-Personalstärkungsgesetzes den gesetzgeberischen Willen, auch Pflegehilfskräfte über die Pflegebudgets zu finanzieren. Dies wollten die Krankenkassen nicht akzeptieren, und es ist ihnen gelungen, die DKG zu Verhandlungen auf Bundesebene zu einer sogenannten Pflege-Personal-Abgrenzungsvereinbarung zu bewegen. Inhalt dieser Vereinbarung ist, dass Pflegehilfskräfte nicht nach ihrem tatsächlichen Einsatz aktuell auf Station finanziert werden, sondern höchstens auf dem Stand bis zum 31.12.2018.

Alle danach eingestellten Pflegehilfskräfte sollen nur noch unter Abschmelzung des sogenannten Budgets für Pflegeinnovationen vergütet werden, das den Krankenhäusern für Innovationen in Höhe von zusätzlichen 4 % zur Verfügung steht. Zum Abschluss dieses Vertrages stimmte die DKG nur mit einer knappen Mehrheit zu und erhoffte sich, dass die Probleme bei der Verhandlung der Pflegebudgets nun endlich gelöst sind. Die Vereinbarung sieht vor, dass die scharfen Abgrenzungsinstrumentarien für die Pflegebudgets des Jahres 2020 als Empfehlung und ab dem Jahr 2021 verbindlich gelten sollen. Das Ergebnis ist zugegeben weder für die Krankenkassen noch für die Krankenhäuser optimal, hätte aber die nötige Klarheit gegeben. Nun versucht der GKV SV das Ergebnis für sich durch eine zusätzliche gesetzliche Änderung zu optimieren, indem klargestellt werden soll, dass die Vertragsregelungen auch für das Jahr 2020 verbindlich gelten

 

Vereinbarungen ohne Wert

Denn mit dem Änderungsantrag 38 der Fraktionen von CDU/ CSU und SPD zum Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) soll der mühsam erzielte Konsens wieder gekippt werden. Vorausgegangen war dem Antrag eine Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Dort hatte der GKV-SV behauptet, die Krankenhäuser würden berufsfremdes Personal als Pflegefachkräfte deklarieren, um unberechtigt an Mittel aus dem Pflegebudget zu kommen. Deshalb seien eindeutige und gesetzliche Festlegungen der Berufsgruppen für die Pflege am Bett erforderlich. Mit anderen Worten: Die ausgehandelte Vereinbarung zwischen GKV und DKG wäre hinfällig.

Flankiert wurde die GKV-Strategie, den Gesetzgeber zum GVWG-Änderungsantrag zu motivieren, vergangene Woche von öffentlichen Verunglimpfungen durch die AOK, die den Krankenhäusern Doppelabrechnung oder Doppelfinanzierung unterstellte. Sollte der Gesetzgeber dem Änderungsantrag folgen, würden Pflegehilfskräfte, die nach dem 31.12.20218 eingestellt wurden, definitiv nicht mehr finanziert. Dann würde die López-Taktik der Kassen aufgehen: Verhandlungen auf die lange Bank schieben, die andere Seite diffamieren, Vereinbarungen treffen, diese dann aber durch die Hintertür wieder aushebeln. Alles mit dem Ziel, Pflegekosten zu senken.

Beleg dafür ist auch, dass die Krankenkassen die Verhandlungen vor Ort möglichst lange hinauszögern, im Mai 2021 haben nur die wenigsten Krankenhäuser deutschlandweit geltende Pflegebudgets für das Jahr 2020 mit den Kassen vereinbart. Fast immer war es notwendig, wegen mangelnder Einigungsbereitschaft der Kassen die Schiedsstellen anzurufen. Die haben dann fast immer die von den Krankenhäusern aufgestellten Pflegebudgets für rechtens erachtet, was wiederum zu großem Unmut bei den Krankenkassen führt und sie darin bestärkt, die getroffene Vereinbarung wieder auszuhebeln.

 

Fazit

Mit ihrer Absicht, die Pflegebudgets möglichst klein zu halten und ihren ständigen Vorwürfen von vermeintlich zu viel erbrachten Krankenhausleistungen versuchen die Krankenkassen, ihre Forderung nach Krankenhausschließungen zu flankieren. Sie wollen Versorgungsstrukturen mit der Brechstange verändern. Ob dabei immer die Qualität und die Patienteninteressen im Fokus stehen, bezweifle ich doch eher. Wer Pflegehilfskräfte, die aktuell auf Station eingesetzt werden, um examinierte Pflegehilfskräfte zu unterstützen und Patienten zu versorgen, nicht finanzieren will, hat wohl eher finanzielle Interessen im Blick.

Diesen López-Effekt würde die Pflege nicht verkraften. Ganz unschuldig daran ist allerdings auch die Politik nicht. Es war zu erwarten, dass Krankenhäuser und Krankenkassen sich niemals auf die Finanzierung einer bedarfsgerechten Personalausstattung in Krankenhäusern werden verständigen können. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen zu den Kosten, die Pflege in den Krankenhäusern verursachen darf. Diese Bewertung teilt offensichtlich auch die AOK Rheinland Hamburg in ihrem Schreiben vom 07.05.2021 an Gesundheitsminister Spahn. Zumindest in diesem Punkt scheinen sich AOK und privat geführte Krankenhäuser einig sein.


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