15.03.2018
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:
(Welche) Weichenstellung für die Gesundheitspolitik?
Prof. Dr. Nils C. Bandelow, Dr. Florian Eckert, Robin Rüsenberg
Inhalt
- Einleitung.
- Wille zur Macht und Provokation als Methode.
- Gesundheitspolitische Grundüberzeugungen.
- Der Koalitionsvertrag als Basis.
- Digitalisierung als Chance zur Profilierung.
- Fazit.
1. Einleitung
Am 14. März 2018 wurde Jens Spahn (CDU) zum Bundesminister für Gesundheit ernannt. Welche politischen Initiativen sind vom neuen Minister zu erwarten? Einer Faustregel folgend ist politische Gestaltung nicht zuletzt das Produkt aus einerseits machtpolitischen Möglichkeiten und dem Willen, diese zu nutzen, wie auch andererseits inhaltlicher Ideen und politischer Überzeugungen – wobei das Mischungsverhältnis variieren kann.
2. Wille zur Macht und Provokation als Methode
Noch kurz vor seiner Vereidigung stand Spahn im Zentrum eines politischen „Shitstorms“, nachdem er in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe betont hatte: „Hartz IV bedeutet nicht Armut“ (Spahn 2018b). Das Gesamtzitat war ausführlicher. Dennoch: Ungeachtet dessen, dass es in Deutschland eine Grundsicherung gibt, hat eine solche Einlassung Sprengkraft (die hier nicht weiter ausgeführt werden soll), wie Guido Westerwelle – fast genau acht Jahre zuvor – erlebte, als er in der Hartz IV-Debatte vor „spätrömischer Dekadenz“ warnte (zitiert nach Spiegel Online 2010).
Eine wohldosierte Zuspitzung der Zustände hat die politische Karriere Spahn bisher begleitet. Der jüngste Minister in Merkels viertem Kabinett ist einer der Aufsteiger der Partei, auf dem Weg nach oben hat er sich immer als willensstark erwiesen und keine (innerparteiliche) Konfrontation gescheut. Gespür für Machtpolitik und Ehrgeiz wird Spahn deshalb niemand abstreiten. Dies ergibt sich schon durch sein Profil als scharfer innerparteilicher Kritiker von Bundeskanzlerin Merkel, die ihn gleichwohl in ihr Kabinett berufen musste, um parteiinterne Wogen zu glätten. Durchsetzungskraft hat er in seiner Karriere mehrfach gezeigt, etwa bei der Kampfabstimmung um das Amt des gesundheitspolitischen Sprechers gegen Rolf Koschorrek 2009 oder beim Einzug in das CDU-Präsidium 2014, bei dem – wie bei der „GroKo“-Regierungsbildung 2018 – Hermann Gröhe das Nachsehen hatte (Staeck 2018). Als gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (2009-2015) hatte Spahn das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vor allem unter den Ministern Rösler und Bahr von außen mit Initiativen und Prüfanfragen angetrieben, eine Praxis, die es teilweise auch in der letzten Legislaturperiode gab (z. B. Innovationsfonds, 2014). Spahn bringt zudem sehr fundiertes inhaltliches Knowhow mit. Seit seinem erstmaligen Einzug in den Bundestag ist er mit gesundheitspolitischen Fragen befasst: Als ehemaliger Obmann im Gesundheitsausschuss (2005-2009), gesundheitspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion und aktueller Vorsitzender des Bundesfachausschusses Gesundheit und Pflege der CDU (seit 2014). Erfahrungen in der Exekutive sammelte er als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium (2015-2018).
3. Gesundheitspolitische Grundüberzeugungen
Gefragt was er „politisch-persönlich“ wolle, antwortete Jens Spahn (CDU) im Jahr 2012: „Gesundheitspolitik gestalten, noch viele, viele Jahre“ (Spahn 2012c). Doch bei aller gesundheitspolitischen Leidenschaft wird im Rückblick schnell deutlich: Jens Spahn möchte nicht nur Gesundheitsminister bleiben, es ist ein weiterer Schritt auf dem Weg nach oben einer bislang gradlinigen Karriere. Jedoch kein ungefährlicher: „Der Gesundheitsminister hat immer die Torte im Gesicht – egal was Sie machen“, wie die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) Jens Spahn bei einer Podiumsdiskussion 2010 in dessen Wahlkreis warnte (zitiert nach Grothues 2010). Denn: Wohl kaum ein anderes Politikfeld verzeichnet ein vergleichbares Aufeinandertreffen gut organisierter und zugleich widerstreitender Interessen wie die Gesundheitsbranche, was auch im Bonmot vom „Spitzentanz im Haifischbecken“ (Knieps 1999) seinen sinnbildlichen Ausdruck findet.
Seine gesundheitspolitischen Prioritäten liegen finanzierungsseitig eindeutig auf Seiten einer stärker lohnunabhängigen GKV-Finanzierung über pauschale Zusatzbeiträge mit Steuerzuschüssen, einer Festschreibung des Arbeitgeberbeitrages sowie einer Ergänzung des Umlageverfahrens durch Kapitaldeckungsinstrumente (vgl. auch zum Folgenden Spahn 2009, 2012a, 2012b, 2012c, 2013a, 2013b, 2015, 2018a, Spahn et al. 2010). Der im Koalitionsvertrag 2013 vereinbarte Pflegevorsorgefonds war ein persönlicher Erfolg für Spahn. Bezogen auf die Wettbewerbsebenen favorisiert der neue Minister einen verstärkten Krankenkassenwettbewerb, gerne auch zwischen den AOKen, vor allem über den Zusatzbeitrag als Preissignal. Auf dem Leistungsmarkt hingegen sollen Selektivverträge das Kollektivvertragssystem ergänzen und integriert werden, wenn sie sich als gut erwiesen haben – Selektivverträge, für die konsequent Kartellecht gelten soll, sollen den Kollektivvertrag gleichwohl nicht ersetzen. Auch den stationären Bereich hält Spahn hierfür geeignet. Bei der PKV identifizierte er massiven Reformbedarf, etwa bei „Billigtarifen“, der Tarifkalkulation, dem Mindestversicherungsschutz oder der Vertriebsorientierung, wobei er die Kritik abmilderte, nachdem sie 2012 auch in den eigenen Reihen für Aufruhr gesorgt hatte. Eine weitere Annäherung der Versicherungssysteme befürwortet er, freilich nicht als „linke Einheits-AOK“ (Spahn 2012a), sondern im Sinne eines wettbewerblichen Systems, in dem eine große Anzahl von Anbietern im Preis und in der Qualität mit einander im Wettbewerb stehen. Grundlage hierfür ist einerseits ein weiterentwickelter pauschaler Zusatzbeitrag, ergänzend gerne auch die Verbeitragung weiterer Einkommensarten (etwa aus Vermietungen oder Zinsen) – sowie andererseits eine Angleichung der Erstattungs- und Vergütungssysteme bei neuen Arzneimitteln (AMNOG), im Krankenhaus (DRGs) und bei den Niedergelassenen (noch offen). Ausgabenseitig wird grundsätzlich eine Nutzenbewertung angestrebt, bei neuen Arzneimitteln – „das AMNOG ist zu einem nicht geringen Umfang auch ein Baby der Union“ (Spahn 2012c) – sowie bei NUBs, Medizinprodukten zur Anwendung im Körper und teilweise technischen Geräten.
Steuerungspolitisch erlebt die Gesundheitspolitik seit einigen Jahren eine Akzentverschiebung zu mehr staatlicher Steuerung und Einflussnahme im Gesundheitswesen (Bandelow et al. 2018). Diesen Trend hat Spahn aktiv befördert, so geht das Vetorecht des Bundestagsauschusses für Gesundheit bei der Bestellung der unparteiischen Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) auf Spahnsche Vorstellungen zurück. Dies ist Ergebnis zum einen von Sorgen über die Legitimation der Selbstverwaltung, vor allem des G-BA, aber vornehmlich von Frust: „Mitunter wird mehr blockiert als gestaltet. Wir müssen immer wieder Fristen setzen, und oft werden auch diese nicht eingehalten. Das führt die Idee der Selbstverwaltung ad absurdum“ (Spahn 2015). Nicht zuletzt der GKV-Spitzenverband hat sich den Unmut Spahns zugezogen. Nicht zu vergessen: Vorgänger Gröhe hatte Anfang 2017 drei Gutachten in Auftrag gegeben, die sich mit nichts geringerem als der verfassungsrechtlichen Legitimation des G-BA beschäftigen. Die Gutachten haben bisher aber noch nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Und: In den Koalitionsverhandlungen wurde die Thematik auch andiskutiert, wenngleich nicht abschließend geklärt.
4. Der Koalitionsvertrag als Basis
Da wenig Zweifel besteht, dass Spahn auch Ambitionen über sein neues Amt hinaus hegt, wird er seine Rolle als Bundesminister nicht nur daran ausrichten, gesundheitspolitische Ziele durchzusetzen, sondern auch daran, sich für „höhere“ Aufgaben zu profilieren, was aber zugleich Erfolge – und nicht nur das Vermeiden von Stolperfallen – im als schwierig geltenden Politikfeld Gesundheit voraussetzt. Wichtigstes Kriterium bei der Wahl eines solchen öffentlichen Themenfelds wird sein, dass es politisch (nicht unbedingt sachbezogen) erfolgversprechend ist. Er muss also nicht zwingend das drängendste Problem der gesundheitspolitischen Akteure aufgreifen. Vor allem die Zustimmung des Koalitionspartners SPD ist unverzichtbar, um politisch erfolgreich zu sein.
Für einen inhaltlich profilierten, aber auch polarisierenden Politiker wie Jens Spahn ist die Zustimmung der SPD auf zwei Wegen zu erreichen: Erstens kann er sich auf den Koalitionsvertrag stützen. Das würde allerdings seine eigene Profilierung begrenzen, zumal er an der Formulierung der gesundheitspolitischen Teile des Koalitionsvertrags 2018 – anders als 2013 – nicht entscheidend beteiligt war. Karl Lauterbach (2018) hat bereits eine „saubere“ Umsetzung des Koalitionsvertrages „eins zu eins“ angemahnt. Bei der einzigen mit einem sehr konkreten Datum versehenen Maßnahme – Parität zum 1. Januar 2019 – besitzt der neue Minister keinen Spielraum und muss damit eine Agenda umsetzen, die seinen eigenen gesundheitspolitischen Vorstellungen – nämlich der strikten Entkoppelung der Ausgabensteigerungen von den Lohnkosten – diametral entgegensteht. Gleichwohl lässt sich die Parität öffentlichkeitswirksam und spürbar als gerechte Politik verkaufen (ein Gegensatz zur Hartz IV-Thematik). Eine Umsetzung, die unmittelbar bei den Wählern ankommt, sollte Spahn im Blick haben, will er im Amt des Gesundheitsministers reüssieren. Insofern ist die ihm aufgezwungene Parität durchaus ein guter Start – zugleich schnell umsetzbar und ohne komplexe Sachverhalte, die schwer zu erklären und vermitteln wären.
Spahn hat sich bisher grundsätzlich zum DRG-System bekannt und vielmehr unzureichende Investitionen durch die Länder bemängelt (z. B. Spahn 2013a). Zu seinen unmittelbaren Aufgaben als Gesundheitsminister zählt qua Koalitionsvertrag dennoch die Herausnahme der Pflegepersonalaufwendungen aus den Fallpauschalen, was das DRG-System theoretisch aus den Angeln heben kann. Allerdings haben die Koalitionsverhandlungen die genaue Technik noch nicht geklärt, vielmehr kommt es auf das spätere Gesetzgebungsverfahren an. Nicht nur hier gilt: Als vorteilhaft kann sich erweisen, dass das Kapitel Gesundheit und Pflege des Koalitionsvertrages – auch hier: anders als 2013 – öfter Absichts- und Zielerklärungen und nicht immer konkrete Maßnahmen formuliert, was auch der Abneigung des neuen Ministers gegen Vorfestlegungen durch andere entgegenkommt. Spielraum bietet etwa die geplante Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Einbeziehung der Regierungsfraktionen zur sektorenübergreifenden Versorgung. Die Erfahrungen der Vergangenheit sind gleichwohl gemischt, das Interesse der Bundesländer, planerische Kompetenzen im Gegenzug für eine stärkere finanzielle Beteiligung der GKV oder des Bundes aufzugeben, ist (noch) gering. Der von Spahn geleitete Bundesfachausschuss der CDU (2016) hat hierzu bereits Vorschläge vorgelegt, inkl. einheitlicher Vergütung für ambulante und stationäre Leistungserbringung. Der Koalitionsvertrag sieht auch (weitere) Maßnahmen im Pflegebereich vor. Allerdings ist die Erfüllung dieses Allparteienziels, die Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen zu erhöhen, eher Pflicht als Kür, was auch Spahn (2018a) erkannt hat. Größte Herausforderung wird sein, dass der Arbeitsmarkt leergefegt ist und Maßnahmen erst langfristig greifen.
Zweitens ist eine „Nixon goes to China“-Strategie erfolgversprechend, also das Aufgreifen eines eher sozialdemokratischen Ziels durch einen konservativen Politiker (wie es etwa bei Themen wie der Frauenquote und der Abschaffung der Wehrpflicht durch die jeweils zuständigen Unionsminister verfolgt wurde): Dies könnte perspektivisch vor allem Fragen des Krankenversicherungsmarktes umfassen. Langfristig besteht in einer Weiterentwicklung eines einheitlichen, wettbewerbsorientierten Kassenmarktes bei ausreichender sozialer Flankierung grundsätzlich das Potential für eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten, wenngleich die Klärung der Details anforderungsreich genug ist. Kurzfristig besteht die Möglichkeit, mit den im Koalitionsvertrag genannten Maßnahmen zur Bekämpfung der sog. „Zwei-Klassen-Medizin“ auch zur eigenen Profilierung beizutragen. Erste Äußerungen zeigen, dass der neue Minister das Thema ambulante Arzttermine aufgreifen will: Ausbau der Terminservicestellen, Mindestsprechstundenangebot, vertragsärztliche Vergütung (Spahn 2018a). Auch die wissenschaftliche Kommission zur Reform der ambulanten Vergütungssysteme könnte dergestalt mehr als nur ein Feigenblatt sein – zumal der neue Minister schon vor Jahren Sympathien für eine Angleichung geäußert hat (Spahn 2012a). Hilfreich ist die bereits 2013 bewährte Zusammenarbeit mit Karl Lauterbach, dem auch in der 19. Wahlperiode zuständigen stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion.
5. Digitalisierung als Chance zur Profilierung
Spielraum biete auch das Thema Digitalisierung. Hier könnte Spahn ein von ihm bereits besetztes Zukunftsthema glaubwürdig mit eigenen Strategien ausfüllen, auch abseits des Politikfelds Gesundheit. Taktischer Vorteil für den CDU-Politiker Spahn: Das Thema Digitalisierung wird künftig öffentlichkeitswirksam von der CSU betreut (Staatsministerin für Digitales Dorothee Bär). CDU-seitig könnte Spahn sich dem facettenreichen Thema vielschichtig annehmen. Als Parlamentarischer Staatssekretär hat er regelmäßig seinen Facebook-Kontakten (im März 2018: über 114.000, Twitter: fast 70.000 Follower) über Videos Botschaften – auch zur allgemeinen – Politik zukommen lassen.
Ein Schnittstellenthema wie die Digitalisierung würde zusätzliche inhaltliche Handlungsfreiheit geben. Gesundheitspolitisches Kernstück könnte die elektronische Patientenakte, die alle Gesundheitsdaten des Patienten in strukturierter Form zusammenführt, werden. Auch programmatisch liegt eine Streitschrift vor (Spahn et al. 2016), die für die Chance der Digitalisierung und „Big Data“ im Gesundheitswesen wirbt. Zugleich ist die Thematik weicher als die anderen gesundheitspolitischen Themen und nicht direkt mit materiellen Einbußen bestimmter Gruppen versehen, da Zielkonflikte wie Solidarität und Finanzierbarkeit nicht unmittelbar im Fokus stehen (potenziell allerdings sehr wohl betroffen sein können), wohingegen gleichsam Wachstumsinteressen bedient und Qualitätsinteressen betont werden können. Die Versicherten bzw. Patienten selbst könnten eine Erleichterung und keine Verschärfung erfahren und die Versorgung mittelfristig durch neue digitale Lösungen verbessert werden. Allerdings sind auch die Widerstände und Beharrungskräfte groß. Zudem darf die Datenschutzsensibilität der Öffentlichkeit nicht auf die leichte Schulter genommen werden.
Bei der Digitalisierungsdebatte könnte sich auch das im Koalitionsvertrag vorgesehene Versandhandelsverbot von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln als lästig erweisen, welches für Spahn – anders als für Gröhe und offenbar die neue AG Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – keine Herzensangelegenheit ist. Die im Koalitionsvertrag gewählte Formulierung lässt allerdings bewusst offen, in welcher Form sich die Koalition für ein Verbot einsetzen wird. Verschiedene Optionen sind denkbar, auch abseits eines gesetzlichen Verbots, zumal in der SPD über die Verfassungs- und Europarechtskonformität spekuliert wird. Einem auch zukünftig CDU-geführtem BMG kommt also ein gewisser Spielraum zu – zumal auch das mittels Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) so wichtige Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) wieder eine CDU-Hausleitung hat. Auch dabei steht Spahn – und dem neuen Hausherrn im BMWi, Peter Altmaier – ein Gutachten zur Verfügung: Das schon länger vorliegende, aber erst Ende Dezember 2017 veröffentlichte Gutachten zur künftigen Apothekenhonorierung, welches das BMWi 2015 beauftragt hatte, ist bisher durch die Bundesregierung noch politisch ungenutzt. Allerdings: Die Gutachter argumentieren pro Versandhandel.
6. Fazit
Gesundheitspolitisch ist der „GroKo“-Koalitionsvertrag 2018 – entgegen der makropolitischen Ankündigung – eher ein „Weiter so“, welches die Politik der vergangenen Jahre fortsetzt und wenig fundamental Neues bietet. Insgesamt übernimmt Spahn das Zepter bei gefüllten Kassen. Die Gesundheitspolitik der vergangenen Legislaturperiode war allerdings ausgabenträchtig, auch der Koalitionsvertrag 2018 scheint „teuer“ zu werden. Schmerzhafte Kostendämpfung und unpopuläre Strukturreformen könnten schneller als gedacht auf der Agenda stehen. Der Koalitionsvertrag macht hierfür kaum Vorgaben.
Viel hängt dann von der politischen Strategiefähigkeit im Alltag wie auch in Krisen ab – und damit nicht zuletzt von der Person des Ministers. Ein bedeutsamer Unterschied zwischen Jens Spahn und Hermann Gröhe liegt in den persönlichen Karrierestrategien. Jens Spahn macht keinen Hehl daraus, dass er eine führende Rolle in der deutschen Politik anstrebt. Um als Gesundheitsminister sichtbar zu sein, braucht Jens Spahn wahrnehmbare Erfolge, die nicht allein im einfachen Abarbeiten eines Koalitionsvertrags liegen können. Die konkrete Wahl von Themen wird von situativen Faktoren mitbeeinflusst werden. Besonderes Potenzial bringt Spahn aber vor allem im Bereich der Digitalisierung mit – wie auch ein überraschender Strategiewechsel im Bereich GKV/PKV gewisse Spielräume bietet. Einer Umarmungsstrategie könnte sich die SPD kaum verweigern. Auf sozialdemokratische Unterstützung ist Spahn zudem angewiesen bei der zwar beabsichtigen, aber sich noch nicht in trockenen Tüchern befindlichen Aufstockung der ALG II-Pauschalen, für die der neue Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) Spielräume im Haushalt finden kann – oder eben nicht. Angenehmer Nebeneffekt für den Bundesgesundheitsminister: Unpopuläre Zusatzbeitragserhöhungen könnten dann zumindest etwas abgemildert werden.
Literaturverzeichnis
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Autoren
- Prof. Dr. Nils C. Bandelow, Professor für Politikwissenschaft und Leiter des Chair of Comparative Politics and Public Policy, Institut für Sozialwissenschaften, TU Braunschweig
- Dr. Florian Eckert, Director Public Affairs, fischerAppelt relations, Berlin
- Dipl.-Pol. Robin Rüsenberg, Geschäftsführer, Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä) e.V., Berlin
Die Autoren vertreten ihre private Meinung.
Berlin/Braunschweig, 15. März 2018
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