Bei erhöhter Transparenz ändern Ärzte Arzneimittelverschreibungen

US-Studienergebnisse: Grund ist Furcht vor Imageschädigung bei Interessenkonflikten



Im US-Bundesstaat Massachusetts trat am 1. Juli 2009 ein neues Gesetz für die Arzneimittelversorgung in Kraft – das so genannte „Sunshine Law“.  Mit der Einführung des „Sunshine Laws“ sind pharmazeutische Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, alle Leistungsauszahlungen an Ärzte personenbezogen zu veröffentlichen (z.B. Spenden, Beratungshonorare, Finanzierung von Fortbildungsveranstaltungen). Eine Studie von Chao und Larkin[1] untersucht, welche Auswirkungen die Einführung des US-Gesetzes auf das ärztliche Verschreibungsverhalten von Arzneimitteln hat und vergleicht hierbei Phasen vor und nach der Verabschiedung des Gesetzes. Die Erkenntnisse der Studie könnten in eingeschränkter Form auch auf Deutschland übertragen werden.

In den USA nehmen die Ausgaben für Arzneimittelverschreibungen fortlaufend zu[2]. Entscheidungsträger und Manager im US-Gesundheitssystem sehen daher die Reduzierung der Arzneimittelkosten als ein zentrales Ziel an. Hierfür ist es sinnvoll, Leistungsauszahlungen (z.B. Beratungshonorar, Spenden) von pharmazeutischen Unternehmen an Ärzte näher zu betrachten. Solche Leistungsauszahlungen können nämlich zu einer vermehrten Verschreibung von neuen und gleichzeitig kostenintensiven Markenarzneimitteln führen (z.B. [3, 4]). Ein vergleichbarer Effekt in der Wirksamkeit ließe sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen jedoch auch mit der Verschreibung von kostengünstigeren und bereits etablierten Arzneimitteln erzielen [5, 6]. Im US-Bundestaat Massachusetts wurde mit dem Inkrafttreten des „Sunshine Laws“ entschieden, dass pharmazeutische Unternehmen getätigte Leistungsauszahlungen (über 50 Dollar) an Ärzte öffentlich bekanntgeben müssen. Hierfür werden die Höhe und Art der Leistungsauszahlungen mit den Angaben des Zahlungsempfängers / Arztes jährlich auf der Internetseite des Bundestaates öffentlich zur Verfügung gestellt. Durch die gesetzliche Verpflichtung zur Offenlegung von Interessenskonflikten zwischen pharmazeutischen Unternehmen und Ärzten sollte eine kostengünstigere Veränderung im ärztlichen Verschreibungsverhalten von Arzneimitteln erzielt werden.

Doch welche Auswirkung hatte die Implementierung dieses Gesetzes tatsächlich? Führte dieses Gesetz zu einer Änderung im ärztlichen Arzneimittelverschreibungsverhalten und damit zu einer Reduzierung der Arzneimittelausgaben in den USA? Wenn ja, durch welche Effekte lassen sich die Verhaltensänderungen der Ärzte erklären? Die Studie von Chao und Larkin[1] untersucht, welchen Effekt die verpflichtende Offenlegung von Leistungsauszahlungen auf das Arzneimittelverschreibungsverhalten von Ärzten hat und betrachtet dabei die Phasen vor und nach der Verabschiedung des Gesetzes.

 

Studiendesign

Für die Studie wurden unterschiedliche Datensätze aus den Jahren 2007 bis 2011 zusammengeführt. Der finale Datensatz umfasst Einzelverschreibungen von 262 Arzneimitteln durch 5.730 Ärzte aus 5 US-Bundesstaaten (Massachusetts, Pennsylvania, California, New York, Illinois).

Ärzte wurden nur in die Studie eingeschlossen, sofern sie Vollzeit für ein akademisches medizinisches Zentrum tätig waren und mehr als 50 Arzneimittelverschreibungen im Rahmen des Studienzeitraums angeordnet hatten.

In der Studie wurde untersucht, ob Ärzte die Arzneimittelverschreibungen mit der Verabschiedung des „Sunshine Laws“ verändern (siehe Abbildung 1). Hierbei liegt der Schwerpunkt auf sogenannten „Me-too“ (Marken-)Arzneimitteln. „Me-too“ Arzneimittel (auch: Analogpräparate) werden von pharmazeutischen Unternehmen oft als neues Markenarzneimittel auf den Markt eingeführt, wenn das Patent für ein Originalpräparat ausgelaufen ist. Mit dem Auslauf des Patentschutzes für ein Originalpräparat dürfen andere pharmazeutische Unternehmen kostengünstigere Generika (auch: generische Arzneimittel) anbieten. Generika haben den gleichen Wirkstoff und die gleiche Darreichungsform wie das Originalpräparat. Viele Versicherungen ordnen dann den verpflichtenden Austausch zu einem kostengünstigeren Generikum an, sofern ein entsprechendes Originalpräparat verschrieben wurde.

Mit der Einführung eines neuen patentierten Markenarzneimittels, das durch minimale Molekularvariationen von dem Originalpräparat abweicht – ein sogenanntes „Me-too“ Arzneimittel –, entfällt der verpflichtende Austausch zu kostengünstigeren Generika, da diese durch den Patentschutz für das „Me-too“ Arzneimittel noch nicht verfügbar sind. Durch die minimalen Molekularvariationen erzielen das Originalpräparat (einschließlich dessen verfügbare Generika) und das „Me-too“ Arzneimittel vergleichbare Effekte in der Wirksamkeit innerhalb des therapeutischen Anwendungsgebietes. Bedingt durch eine therapeutische Gleichwertigkeit kann ein Arzt also entscheiden, ob er ein Generikum oder das neue „Me-too“ Arzneimittel verschreibt. Der Unterschied liegt hier oftmals im Preis. Chao und Larkin[1] untersuchen, ob mit der verpflichtenden Offenlegung von Interessenskonflikten Ärzte kostengünstigere Generika vor (oft) kostenintensiveren Markenarzneimitteln verschreiben (siehe Abbildung 1). In dem Kontext stehen vor allem „Me-too“ Arzneimittel mit Vordergrund, die in Gegenüberstellung mit der kostengünstigeren Generikaalternative (zurückzuführen auf Originalpräparat ohne Patentschutz) als therapeutisch vergleichbar anzusehen sind. 

 

Abbildung 1: Beispielhafte Entscheidungsoptionen bei ärztlichen Arzneimittelverschreibungen – Originalpräparat vs. „Me-too“ Arzneimittel

 

Quelle: Eigene vereinfachte Darstellung

 

In der Studie wurden nur solche Arzneimittel betrachtet, die zu den vorab definierten neun Arzneimittelgruppen zählten (z.B. Statine oder Antihypoglykämika). Markenarzneimittel wurden von der Analyse ausgeschlossen, sofern für sie zwischen 2007 und 2011 Generika neu eingeführt wurden. Auch die entsprechend neu eingeführten Generika innerhalb des Studienzeitraums wurden für die Datenanalyse nicht betrachtet. Diese Ausschlusskriterien wurden angewendet, um eine Verzerrung der Ergebnisse zu vermeiden. Werden für ein Originalpräparat bedingt durch Patentauslauf generische Arzneimittel angeboten, führt dies zwangsläufig zu einer Änderung der ärztlichen Arzneimittelverschreibungen, da die meisten Versicherungen den verpflichtenden Austausch zu einem kostengünstigeren Generikum anordnen, sofern ein entsprechendes Originalpräparat verschrieben wurde (siehe Abbildung 1). Um diese Form der Verhaltensänderung im ärztlichen Arzneimittelverschreibungsverhalten nicht fälschlicherweise auf das „Sunshine Law“ zurückzuführen, war der Ausschluss des Originalpräparats und dessen neu eingeführter Generika (2007-2011) erforderlich.

Daten zu den getätigten Auszahlungen von pharmazeutischen Unternehmen an Ärzte lagen von Juli 2009 bis Dezember 2011 für den US-Bundesstaat Massachusetts vor. Es wurden ausschließlich ausgezahlte Beratungshonorare und Verpflegungsauszahlungen für Mahlzeiten betrachtet. Diese beiden Komponenten umfassen ca. 70% aller getätigten Auszahlungen. Somit wurden beispielsweise Finanzierungen von Fortbildungen in der Analyse nicht berücksichtigt, da diese nicht als direktes „Geschenk“ an den Arzt anzusehen sind.

Basierend auf dem zusammengeführten Datensatz konnten Chao und Larkin[1] die Auswirkungen des „Sunshine Laws“ im US-Bundesstaat Massachusetts genauer untersuchen. Hierfür wurden unter anderem die Daten aus den anderen vier eingeschlossenen US-Bundesstaaten, wo keine Offenlegungspflicht von Interessenskonflikten besteht, als Vergleichskomponente herangezogen. Dadurch ließen sich Veränderungen im ärztlichen Arzneimittelverschreibungsverhalten auf das „Sunshine Law“ zurückführen.

 

Ergebnis 1: Vom patentierten „Me-too“ Markenarzneimittel zur generischen Alternative – Ärzte ändern ihr Verschreibungsverhalten, wenn Interessenskonflikte offengelegt werden müssen.

Die zentralen Ergebnisse der Studie von Chao und Larkin[1] sind der Abbildung 2 zu entnehmen und werden im folgenden nähergehend beschrieben.

424 von 2897 Ärzte aus Massachusetts haben zwischen Juli 2009 und Dezember 2011 Leistungsauszahlungen von pharmazeutischen Unternehmen erhalten. Der durchschnittliche Wert für ausgezahlte Beratungshonorare betrug $20.354,86 und für Mahlzeiten $335,58.

Die Studienergebnisse zeigen, dass mit der Verabschiedung des „Sunshine Laws“ ein Substitutionseffekt erkennbar ist. Anstatt Markenarzneimitteln werden nun teilweise alternative generische Arzneimittel verschrieben. Dies ist möglich, da es sich bei den entsprechenden Markenarzneimitteln oftmals um sogenannte „Me-too“ Arzneimittel handelt (siehe Abbildung 1).

Chao und Larkin[1] betonen, dass der festgestellte Substitutionseffekt auf solche Ärzte zurückzuführen ist, die vor der Implementierung des Gesetzes vermehrt Markenarzneimittel verschrieben haben und damit sehr wahrscheinlich in einem intensiven Austausch mit pharmazeutischen Unternehmen standen (z.B. durch Marketingaktivitäten oder Leistungsauszahlungen). Ärzte, die im Vergleich weniger Markenarzneimittel verschrieben haben, änderten ihr Arzneimittelverschreibungsverhalten mit der Implementierung des Gesetzes nicht.

 

Abbildung 2: Ärztliches Arzneimittelverschreibungsverhalten vor und nach der Verabschiedung eines Gesetzes zur verpflichtenden Offenlegung von personenbezogenen Interessenskonflikten

 

Quelle: Eigene vereinfachte Darstellung basierend auf den Studienergebnissen von Chao und Larkin[1]

 

Ergebnis 2: Ärzte wollen eine Imageschädigung vermeiden.

Aus der Abbildung 2 wird deutlich, dass die Anzahl an verschriebenen Markenarzneimitteln mit der Verabschiedung des Gesetzes deutlich zurückgeht und die Anzahl an generischen Arzneimittelverschreibungen zunimmt (d.h. Substitutionseffekt). Ein erstes Anzeichen für den Substitutionseffekt ist jedoch schon kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes erkennbar. Die Tatsache, dass eine Veränderung im Arzneimittelverschreibungsverhalten mit bzw. kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes (10. August 2008) und nicht erst ab der Implementierung des Gesetzes (1. Juli 2009) einsetzt, begründen Chao und Larkin[1] mit der ärztlichen Befürchtung einen Imageschaden zu erleiden, sobald Interessenskonflikte öffentlich bekanntgegeben werden. Des Weiteren wird theoretisch argumentiert, dass solche Ärzte die Annahme von Leistungsauszahlungen von pharmazeutischen Unternehmen reduzieren oder stoppen, sobald sie von der (bevorstehenden) Verabschiedung des Gesetzes erfahren. Dies führt im Umkehrschluss zu einer reduzierten Verschreibung von Markenarzneimitteln und zu einer ansteigenden Verschreibung von alternativen generischen Arzneimitteln.

Chao und Larkin[1] erklären, dass der vorliegende Substitutionseffekt nicht durch patienten-getriebene Faktoren zu begründen ist. Wenn Patienten sehen, welche Leistungsauszahlungen ihr Arzt von pharmazeutischen Unternehmen angenommen hat, könnten Patienten den Arzt dazu auffordern, alternative (generische) Arzneimittel zu verschreiben. Hätten solche Reaktionen von Patienten oder anderen Akteuren (z.B. ärztlichen Kollegen) einen Einfluss auf das Arzneimittelverschreibungsverhalten, müssten nachweisbare und stärkere Effekte nach der Veröffentlichung der Interessenskonflikte ab November 2010 sichtbar sein.

 

Was bedeuten die Studienergebnisse für die Praxis?

Eine personenbezogene Offenlegung von Interessenskonflikten in der Arzneimittelversorgung ändert das ärztliche Arzneimittelverschreibungsverhalten. Für Entscheidungsträger und Manager im Gesundheitswesen kann es daher sinnvoll sein, den Umfang von Offenlegungsmaßnahmen zu erhöhen oder entsprechende Informationen weitreichender bekannt zu machen. Wenn sich für die Einführung einer solche Maßnahme entschieden wird, sollten sich Entscheidungsträger jedoch darüber im Klaren sein, dass die Veränderung im Arzneimittelverschreibungsverhalten nicht durch die Reaktionen von Patienten ausgelöst werden. Wenn Ärzte durch die Offenlegung von Interessenskonflikten einen Imageschaden befürchten (z.B. Befangenheit oder unethisches Handeln), beginnen sie bereits vor der Implementierung der verpflichtenden Offenlegung, andere Arzneimittel zu verschreiben.

In dem US-Bundesstaat Massachusetts führte die verpflichtende Offenlegung von Leitungsauszahlungen durch pharmazeutische Unternehmen an Ärzte zu einer Veränderung der Arzneimittelausgaben. Die Veränderung erfolgte dadurch, dass teilweise vermehrt kostengünstigere generische Alternativen verschrieben wurden anstatt kostenintensiverer Markenarzneimittel (d.h. Substitutionseffekt siehe Abbildung 1).

Ob eine verpflichtende Offenlegung von Interessenskonflikten in der Arzneimittelversorgung auch zu einer wirtschaftlich positiven Veränderung der Arzneimittelausgaben in anderen Ländern führt, muss kritisch überprüft werden.

 

Was heißt die Studie für Deutschland?

Abbildung 3: Prozentuale Verteilung der Leistungsausgaben in der GKV im Jahr 2020

 

Quelle: Basierend auf Zahlen des Bundesministeriums für Gesundheit[7]

 

Die Leistungsausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung sind in den letzten Jahren zunehmend angestiegen. Von 2007 bis 2020 haben sich Leistungsausgaben für Arzneimittel um 60% erhöht. Neben den Kosten für Krankenhausleistungen und ärztliche Behandlungen nimmt die Arzneimittelversorgung mit einem Anteil von 17% der GKV-Leistungsausgaben im Jahr 2020 eine dominante Position ein (siehe Abbildung 3).[7]

Sollte man hier also auch wie im US-Bundesstaat Massachusetts über eine verpflichtende Offenlegung von Interessenskonflikten nachdenken, um eine Veränderung der Arzneimittelausgaben zu bewirken?

In Deutschland veröffentlichen Mitgliedsunternehmen des FSA (Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V.) seit der Einführung des Transparenzkodex im Jahr 2013 jährlich Leistungen, die u.a. an Ärzte ausgezahlt wurden. Hierbei handelt es sich z.B. um Beratungshonorare, Spenden oder um die Finanzierung von Fortbildungsveranstaltungen[8]. Eine personenbezogene Veröffentlichung der ausgezahlten Leistungen erfolgt jedoch nur, wenn die entsprechenden Ärzte zustimmen. Diese Entscheidungsfreiheit haben Ärzte aus Massachusetts mit der Einführung des Sunshine Laws nicht mehr. Die Zustimmungsquote in Deutschland liegt derzeit bei ca. 20%[9].

Für Markenarzneimittel (d.h. Original- und Analogpräparate) gilt in Deutschland im ersten Jahr ab Markteinführung die freie Preiswahl durch die entsprechenden pharmazeutischen Unternehmen. Kann ein Zusatznutzen für das Arzneimittel nicht nachgewiesen werden, werden diese Arzneimittel nach Ablauf des Jahres der freien Preiswahl in sogenannte Festbetragsgruppen einsortiert, sofern eine solche vorhanden ist. Der Festbetrag ist der maximale Betrag, den die GKV für ein Arzneimittel erstattet.

Regulär muss ein Patient pro Packung eine Zuzahlung leisten (d.h. max. 10 € mind. 5 €). Ist das Arzneimittel jedoch teurer als der Festbetrag, muss der Patient eine weitere Zuzahlung leisten. Zusätzliche Regelungen (z.B. Rabattverträge) können Zuzahlungen für den Patienten senken. Würden sich angesichts der geltenden Preisregelungen Arzneimittelausgaben reduzieren lassen, wenn man eine verpflichtende personenbezogene Offenlegung von Interessenskonflikten in Deutschland einführen würde? Erste Überlegungen hierzu sollen nun beispielhaft anhand des folgenden vereinfachten Szenarios geschildert werden:

Kommt ein neues „Me-too“ Arzneimittel auf den Markt, so wird es nach Ablauf des ersten Markteinführungsjahres in eine Festbetragsgruppe einsortiert, wo Arzneimittel mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen enthalten sind. Durch den Patentschutz existieren für ein „Me-too“ Arzneimittel keine entsprechenden Generika. Verschreibt der Arzt das „Me-too“ Arzneimittel, was in diesem Beispiel teurer als der Festbetrag ist, führt dies zu einer höheren Zuzahlung für den Patienten, da er keine kostengünstigere Generikaalternative angeboten bekommen kann.

Eine Alternative wäre, dass der Arzt anstelle des „Me-too“ Arzneimittels ein anderes Arzneimittel aus der Festbetragsgruppe verschreibt, für das bereits kostengünstigere Generika verfügbar sind. Dies würde bedeuten, dass die Zuzahlung für den Patienten geringer ausfällt oder ggf. gänzlich entfällt. Mit einer verpflichtenden personenbezogenen Offenlegung von Interessenskonflikten in der Arzneimittelversorgung könnten Ärzte dazu bewegt werden, alternative kostengünstigere Generika gegenüber einem patentierten „Me-too“ Arzneimittel bei der Verschreibung vorzuziehen, sofern sie durch entsprechend angenommene Leistungsauszahlungen einen Imageschaden befürchten (siehe Abbildung 1).

Die Reduzierung der Arzneimittelausgaben käme in diesem Fall vor allem der GKV im ersten Markteinführungsjahr des „Me-too“ Arzneimittels zugute, da bedingt durch die freie Preiswahlregelung eine generische Alternative günstiger ausfallen kann. Nach dem ersten Markteinführungsjahr können Patienten profitieren, da Zuzahlungen für die generische Alternative geringer seien können oder gänzlich entfallen. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Therapiekosten für ein „Me-too“ Arzneimittel auch günstiger ausfallen können als im Vergleich zu den verfügbaren Arzneimitteltherapien[10]. Ferner fällt der Anteil an Fertigarzneimitteln mit einem Preis über den Festbetrag in Deutschland gering aus.

Nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit beträgt der Anteil an aufzahlungspflichtigen Arzneimittelpackungen am gesamten Festbetragsmarkt 17,3 %. Außerdem waren im Jahr 2021 7 % aller Festbetragsarzneimittelverordnungen aufzahlungspflichtig.[11] Um den tatsächlichen Umfang einer möglichen Reduzierung von Arzneimittelausgaben für Deutschland durch Gesetze wie z.B. das „Sunshine Law“ beurteilen zu können, sind weitere Analysen erforderlich. Angesichts der vorherrschenden Anreiz- und Kontrollstrukturen im Rahmen der deutschen Arzneimittelpreisregulierung ist zu vermuten, dass die Wirtschaftlichkeitseffekte durch Interventionen wie das „Sunshine Law“ gering ausfallen. Es wäre dennoch überlegenswert, ob man die Ergebnisse aus den USA nutzt, um das (trotz allem) verbleibende Potenzial auch für die GKV zu nutzen. Des Weiteren wäre eine weitere Maßnahme für mehr Transparenz in der Gesundheitsversorgung ein Schritt nach vorne.

Vom Markenarzneimittel zur generischen Alternative: Eine verpflichtende Offenlegung von personenbezogenen Interessenskonflikten führt zu einer Veränderung im ärztlichen Arzneimittelverschreibungsverhalten. Die Verhaltensänderung ist jedoch nicht mit den Reaktionen von Patienten zu begründen. Ärzte ändern aus Furcht vor Imageschädigungen ihr Verschreibungsverhalten, schon bevor eine verpflichtende Offenlegung stattfinden muss. Die Einführung einer verpflichtenden Offenlegung von personenbezogenen Interessenskonflikten kann eine gute Möglichkeit bieten, um Arzneimittelausgaben zu reduzieren. Die Art und der Umfang solch einer Maßnahme ist jedoch länderspezifisch auf Eignung zu überprüfen.

 

  1. Chao, M. and Larkin, I., Regulating Conflicts of Interest in Medicine Through Public Disclosure: Evidence from a Physician Payments Sunshine Law. Management Science, 2022. 68(2): p. 1078-1094.
  2. American Academy of Actuaries. Prescription drug spending in the U.S. healthcare system: An actuarial perspective. 2018; Available from: https://www.actuary.org/sites/default/files/files/publications/PrescriptionDrugs.030718.pdf.
  3. Larkin, I., Ang, D., Steinhart, J., Chao, M., Patterson, M., Sah, S., Wu, T., Schoenbaum, M., Hutchins, D., Brennan, T., and Loewenstein, G., Association between academic medical center pharmaceutical detailing policies and physician prescribing. JAMA, 2017. 317(17): p. 1785-1795.
  4. Warzana, A., Physicians and the pharmaceutical industry: Is a gift ever just a gift? JAMA, 2000. 283(3): p. 373-380.
  5. Sacks, C., Lee, C., Kesselheim, A., and Avorn, J., Medicare spending on brand-name combination medications vs their generic constituents. JAMA, 2018. 320(7): p. 650-656.
  6. Régnier, S., What is the value of ‘me-too’ drugs? Health Care Manage. Sci., 2013. 16(4): p. 89-116.
  7. Bundesministerium für Gesundheit. Gesetzliche Krankenversicherung: Kennzahlen und Faustformeln. 2021; Available from: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Statistiken/GKV/Kennzahlen_Daten/KF2021Bund_Juli_2021.pdf.
  8. Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V. FSA-Kodex. 2020; Available from: https://www.fsa-pharma.de/site/assets/files/62526/fsa_kodex_transparenzkodex_2020.pdf.
  9. Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V. Transparenzveröffentlichungen 2021: Die wichtigsten Inhalte auf einen Blick. 2022; Available from: https://www.fsa-pharma.de/de/mitteilungen/presse/archiv/transparenzveroffentlichungen-2021/.
  10. Herausgeber: Glaeske, G. Innovationsreport 2020 – Auswertungsergebnisse von Routinedaten der Techniker Krankenkasse aus den Jahren 2017 bis 2018. 2020; Available from: https://www.tk.de/resource/blob/2090758/5ac8576caa08700487e8116b4e08d1fc/innovationsreport-2020-data.pdf.
  11. Bundesministerium für Gesundheit. Zuzahlung und Erstattung von Arzneimitteln. 2021; Available from: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/zuzahlung-und-erstattung-arzneimittel.html.

 

Redaktion / Ines Niehaus


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