Corona-Pandemie: Präventionserfolge 2020 und Ausblick auf 2021

Rudolf Henke MdB, Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Infektionskrankheiten

Am 20. November fand – in digitaler Form – die 32. Konferenz der Fachberufe im Gesundheitswesen statt. Vor den 42 beteiligten Organisationen hat das Mitglied des Präsidiums des 3. Ökumenischen Kirchentages 2021 in Frankfurt, Prof. Dr. Eckhard Nagel, daran erinnert, was Gesundheit eigentlich ist. Gesundheit ist wie Frieden, Sicherheit und Freiheit ein besonderes, ein transzendentales, ein konditionales Gut. Konditionale Güter sind die Bedingung der Möglichkeit zum Genuss aller anderen Güter. Der Einzelne kann selbst zum Erhalt seiner Gesundheit beitragen, allerdings nur bedingt und nur in dem Umfang, in dem auch andere auf den Erhalt seiner Gesundheit Rücksicht nehmen. Und eine Gesellschaft ohne ausreichende Versorgung mit konditionalen Grundgütern ist keine gerechte Gesellschaft. Deshalb bedarf es gesellschaftlicher Regelungen. Mit diesem Gedankengang des Gesundheitswissenschaftlers der Universität Bayreuth möchte ich auf die Pandemie-Bekämpfung in diesem Jahr zurückblicken und einen Ausblick auf 2021 wagen.

Mit Beginn der Herbst- und Wintermonate ist die Zahl der COVID-19-Infektionsfälle in ganz Europa exponentiell angestiegen. Deutschland konnte die Dynamik der Neuinfektionen durch die weitgehenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens vor allem im kulturellen, freizeitgestaltenden und touristischen Bereich seit dem 2. November bremsen. Es ist gelungen, dass bisher das Gesundheitssystem trotz vereinzelter Engpässe jederzeit leistungsfähig gehalten werden konnte. Der Anstieg der letzten Wochen hat zugleich gezeigt, dass höhere Infektionszahlen trotz des erheblich ausgeweiteten Schutzes von vulnerablen Gruppen zu einer Zunahme der schweren Verläufe und der Todesfälle führen. Darüber hinaus gibt es immer wieder Erkenntnisse, die auch bei genesenen COVID-19-Fällen auf mögliche langfristige Folgeschäden hindeuten. Deshalb ist eine möglichst geringe Neuinfiziertenzahl aus gesundheitlichen Gründen dringend anzustreben.

 

Solidarität und Subsidiarität – Grundprinzipien im Kampf gegen Corona

Ein unkontrolliertes Laufenlassen der Corona-Pandemie, wie es Befürworter einer Durchseuchung der Bevölkerung vorschlagen, wäre ein Verstoß gegen den Gedanken von Gesundheit als konditionales, altruistisches Gut. Solidarität und Subsidiarität sind nicht nur die Grundprinzipien des deutschen Gesundheitswesens, sondern im Besonderen auch die unseres Kampfes gegen die Corona-Pandemie. In den USA sind bisher rund 268.000 Corona-Tote bei 328 Millionen Einwohnern zu verzeichnen. Unter der Annahme, die dortigen Verhältnisse auf Deutschland zu übertragen, hätten wir bei 83 Millionen Einwohnern circa 65.000 Tote zu beklagen. Deswegen haben wir dank der Schutzmaßnahmen und dank gesamtgesellschaftlicher Solidarität bisher mindestens diese Differenz von 50.000 Menschenleben gerettet.

Was ist unsere wichtigste Erfahrung aus dem Frühjahr 2020? Das Infektionsgeschehen muss unterhalb einer Größenordnung bleiben, in der Kontaktnachverfolgung und Testkapazitäten überfordert werden. Steigt die Zahl der Neuinfektionen über die Schwelle, bei der eine Kontaktnachverfolgung möglich ist,  beschleunigt sich das Infektionsgeschehen, da Ansteckungsverdächtige nicht mehr informiert und frühzeitig abgesondert werden können. Fehlende Testkapazitäten führen ebenso zu nicht erkannten Infektionen. Beides führt zu einer erhöhten Dunkelziffer an Infektionen und in der Folge zu einer Beschleunigung der Infektionsdynamik, die anschließend nur noch durch zunehmende Beschränkungen durchbrochen werden kann. Diesen Maßstab legt auch der neue Paragraf 28a des Infektionsschutzgesetzes an, der am 18. November in Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden ist. Übergeordnetes Ziel aller Maßnahmen bleibt weiterhin, eine Überforderung der Medikamentenversorgung, der Pflegekräfte sowie Ärztinnen und Ärzte, der intensivmedizinischen Infrastrukturen sowie aller damit im Gesundheitssystem verbundenen Faktoren zu vermeiden.

 

Datengestützter Corona-Index notwendig

Am 25. November haben sich die Bundeskanzlerin sowie die Regierungschefinnen und -chefs der Länder in einer erneuten Konferenz auf Schutzmaßnahmen in der Adventszeit und zum Jahreswechsel verständigt. Im Ausblick auf 2021 stellen sich zwei zentrale Fragen: Welche dauerhafte Perspektive gibt es im föderalen Miteinander, um mit als verhältnismäßig empfundenen Maßnahmen die gesellschaftliche Akzeptanz zu erhalten? Wie beziehen wir Impfkampagnen und die zunehmende Immunisierung besonders schutzbedürftiger bzw. exponierter Personengruppen ein?

Ich trete dafür ein, dass wir möglichst noch in diesem Jahr einen neuen, datengestützten „Corona-Index“ zur regionalen Lagebeurteilung und regelhaften Umsetzung bundeseinheitlicher Schutzmaßnahmen im öffentlichen Leben entwickeln. Zudem sollte Deutschland ähnlich wie Irland ein „Nationales Stufen-System“ mit fünf einheitlichen Schutzstufen aufbauen, deren Eintritt bzw. Fortbestehen je nach aktuellem „Corona-Index“ pro Landkreis bzw. kreisfreier Stadt zu jeweils in den folgenden zwei Wochen angewendeten Maßnahmen führt.

Geeignet erscheint beim Index eine Differenzierung und Gewichtung von festen und variablen Parametern, im ersten Fall beispielsweise der Altersdurchschnitt der jeweiligen Bevölkerung. Zu den variablen Parametern soll insbesondere der Anteil der vulnerablen und beruflich besonders exponierten Bevölkerungsgruppen zählen, die über eine vollständige COVID-19-Schutzimpfung verfügen. Weitere Kriterien, die in der Multiplikation zu einem lagebezogenen Index führen sollen, könnten weiterhin die 7-Tage-Inzidenz, der Anteil positiver Testergebnisse, die Auslastung des öffentlichen Gesundheitsdienstes bzw. der umliegenden Intensivstationen und der R-Wert sein.


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