Krankenhausreform: Entscheidend ist, ob es besser wird

Thomas Bublitz, Hauptgeschäftsführer Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK)

Sind die Empfehlungen der Reform-Kommission eine geeignete Grundlage für die Neustrukturierung der deutschen Krankenhauslandschaft und der Vergütung? Der Bundesgesundheitsminister ist davon sehr überzeugt und will die Vorschläge anscheinend weitgehend unverändert zu gesetzlichen Regelungen machen. Und nach seinem eigenen Bekunden wird er sich davon wegen des vermeintlich schädlichen Einflusses des Lobbyismus nicht von Ärzte-, Kliniken- und Krankenkassen-Verbänden abbringen lassen.

Die Autoren des Papiers haben offenbar aber eine andere Intention und bezeichnen ihre Arbeit als Empfehlungen und Vorschläge, nicht als Masterplan oder fertige Lösung. Auch nach meinem Verständnis sind die Kommissionsempfehlungen als Diskussionsgrundlage für einen konstruktiven Dialog zu verstehen, um bestmögliche Lösungen zu finden und sowohl politische als auch gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen.

 

Potenzial für Verbesserungen bewerten

Letztlich muss die Wirksamkeit der Kommissionsempfehlungen mit einer zentralen Frage überprüft werden: Machen sie die Gesundheitsversorgung im Krankenhaus besser und tragen sie zur Lösung der beschriebenen Probleme bei? Für einige dieser Ansatzpunkte möchten wir bewerten, ob die Vorschläge Potential für Verbesserungen haben:

Unterfinanzierung bei den Betriebskosten (ökonomischen Druck ablassen): Der ökonomische Druck führt mittlerweile bei mehr als 60 Prozent der Krankenhäuser zu negativen Jahresabschlüssen, viele sind insolvenzgefährdet. Daran haben übrigens die bisherigen Bundesregierungen erhebliche Mitschuld. Noch immer wird mit selbstverständlicher Alltagsroutine politisch in die Finanzierungs- und Kalkulationsgrundlagen der DRG-Finanzierung eingegriffen. Zum Beispiel Fixkostendegressionsabschläge, normative Absenkung und Abstufung von DRGs mit hohen Sachkosten, Ausgliederung von Pflegepersonalkosten am Bett in separate Pflegebudgets, nicht ausreichende Kostenfortschreibung bei den Landesbasisfallwerten und erst Mitte Dezember mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz die Festlegung, dass sinkenden Fallzahlen nicht mehr zur vorgesehenen Anhebung der Landesbasisfallwerte führen soll. Dann hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach den Krankenhäusern 400 Millionen Euro aus dem DRG-Katalog gestrichen, um vermeintliche Doppelfinanzierung bei den Pflegebudgets für Personal zu verhindern. Kein Beitrag zur Stärkung der Pflege. Trotz Energiepreisbremse und Härtefallfonds müssen die Krankenhäuser bis jetzt die inflationär steigenden Preise allein tragen, ohne dass sie selbst die Preise anheben könnten. Alle diese politischen Entscheidungen haben sicher nicht dazu geführt, den ökonomischen Druck zu verringern, sondern verstärken im Gegenteil den wirtschaftlichen Druck auf die Krankenhäuser. Die Bundesregierung könnte viele dieser Probleme lösen und bräuchte dafür keine umfassende Reform.

Unterfinanzierung bei den Investitionskosten: Noch immer finanzieren die Bundesländer nur rund 50 Prozent der notwendigen Investitionen in eine leistungsfähige und auch nachhaltige Krankenhausstruktur. Daraus ergibt sich die Antwort auf die Frage, warum die Krankenhäuser Gewinne machen müssen: Weil sie sonst die Kredite für Investitionen nicht zurückzahlen können, und das gilt für Krankenhäuser jeder Trägerschaft. Auch hier befindet sich der Ball im Feld der Politik. Aus diesem – staatlich verursachten – Dilemma der Unterfinanzierung kommen die Krankenhäuser nur heraus, wenn sie mehr Patienten behandeln. Diese Rechnung geht allerdings schon seit Jahren wegen sinkender Fallzahlen nicht mehr auf. Zur Frage, wie der Investitionsstau gelöst werden soll, macht die Kommission keine Vorschläge.

Fallpauschalensicht: Den von Herrn Prof. Lauterbach eingeführten DRGs wirft der Gesundheitsminister Lauterbach vor, sie hätten zu einer Billigmedizin geführt. Das darf man nicht so stehen lassen: Die Qualität der medizinischen Versorgung und der medizinische Fortschritt haben sich auch während der DRG-Phase in den letzten 20 Jahren im Krankenhaus rasant entwickelt. Diagnostik, bildgebende Befundung, minimalinvasive Chirurgie, Roboterunterstützung, Labortechnik, neue Arzneimittel- und Strahlentherapien, Senkung vermeidbarer Infektionen und Zwischenfälle, Spezialisierung und Zentrenbildung haben zu einer deutlichen Verbesserung der Behandlungsqualität geführt. Profitiert haben Patienten durch höhere Überlebenschancen und eine verbesserte Lebensqualität. Von Billigmedizin sollte man deshalb nicht sprechen. Das ist falsch und populistisch.

Qualitätsmängel: Experten zufolge werden zu viele Patienten in nicht dafür ausgestatteten Krankenhäusern behandelt. Aktuell hat dies gerade die AOK mit ihrem wissenschaftlichen Institut Wido nachgewiesen. Demnach werden zum Beispiel Herzinfarktpatienten in 93 % aller Fälle in ein sachgerecht ausgestattetes Krankenhaus mit Herzkatheter-Messplatz ersteingewiesen. Es mag jeder für sich beurteilen, ob das ein gutes oder ein schlechtes Ergebnis ist.

Fachkräftemangel: Die Mär von Personalentlassungen im Krankenhaus stimmt schon lange nicht mehr. Schon seit vielen Jahren suchen die Krankenhäuser händeringend neues Personal sogar im europäischen Ausland und in Übersee. Infolge des demografischen Wandels sinkt die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte nämlich in allen Branchen in Deutschland auch im Krankenhaus. Zudem legen junge Menschen heute mehr Wert auf die „Work-Life-Balance“. Das Motto lautet „arbeiten, um zu leben“ und nicht mehr „leben, um zu arbeiten“. Viele ärztliche und pflegerische Mitarbeitende arbeiten nur noch in Teilzeit, um mehr Freizeit zu haben. Beachtlich ist, dass sie auch mit einem reduzierten Gehalt ihren Lebensstandard halten können. Dies ist keine Situation, die durch die DRGs ausgelöst wurde. Fordernd ist und bleibt der Schichtdienst an 365 Tagen im Jahr. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beklagen ihn als Verlust von Lebensqualität und wollen sehnlichst aus ihm heraus und hängen ihren Job an den Nagel. Warum eigentlich schafft die Bundesregierung für die Schichtarbeit bei Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst und Krankenhaus keine Steuererleichterungen und schafft so wenigstens eine finanziell interessante gesellschaftliche Anerkennung?

Anspruchsdenken: Hinterfragen müssen wir auch unser Verhalten als Patientin und Patient im Krankenhaus: Viele von uns meinen, sie wären im Hotel. So behandeln viele auch die Mitarbeitenden im ärztlichen und pflegerischen Dienst. Die Patienten tun gerade so, als sei es für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein Geschenk, unsere maladen Körper pflegen und waschen dürfen. Von der Gewalt gegen Ärzte, Pflegekräfte und Rettungssanitäter ganz zu schweigen.

Bürokratie: Die Bürokratisierung hat im Krankenhausbereich mittlerweile ein abschreckendes Niveau erreicht. Mitarbeitende im ärztlichen und pflegerischen Dienst klagen darüber, dass sie mittlerweile rund 40 Prozent ihrer Arbeitszeit mit sinnlos erscheinenden Dokumentationsarbeiten befasst sind, die anschließend in streitigen Auseinandersetzungen durch den Medizinischen Dienst im Auftrag der Krankenkassen überprüft werden. Ziel ist dabei, Dokumentationslücken und -fehler zu finden, um die Rechnungen kürzen zu können. Darauf haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirklich keine Lust mehr. Bisher greifen weder die Reformkommission noch die Bundesregierung dieses Thema auf.

Krankenhausschließungen: Möglicherweise haben wir zu viele Krankenhäuser, und es müssen welche geschlossen oder in Ambulatorien umgewandelt werden. Wo aber soll geschlossen werden, und wie gehen wir mit Krankenhäusern um, die z. B. im ländlichen Raum bedarfsnotwendig sind, auch wenn sie nicht alle der Kriterien des Krankenhauslevels und der Leistungsgruppen erfüllen können? Die Anforderungen für die von der Regierungskommission genannten relevante Level für die Krankenhäuser „I n“ sind mindestens sechs rund um die Uhr betreibbare Intensivbetten, die wiederum täglich mindestens 18 weitergebildete Intensivpflegekräfte erfordern. Ansonsten verlieren diese ihren Krankenhausstatus und auch ihre Existenzperspektive. Sie sollen stattdessen in pflegerisch geleitete Beobachtungszentren umgewandelt werden. Das ist aus meiner Sicht die berüchtigte Rasenmähermethode, die in ländlichen Regionen nicht funktionieren kann.

 

Sicht der Bürger berücksichtigen

Wie werden eigentlich die Bürgerinnen und Bürger sowie Wählerinnen und Wähler reagieren, wenn ihnen die Reform vor allem ein deutlich ausgedünntes Angebot an Krankenhäusern beschert und ansonsten wenig besser wird? Gerade während der Corona-Pandemie waren wir froh, die Patientinnen und Patienten nicht in Turnhallen versorgen zu müssen. Die für die Einordnung der Krankenhäuser vorgesehenen Strukturkriterien berücksichtigen nämlich nicht die ansonsten bestehenden und Angebote der Gesundheitsversorgung.

In welchen Zeiträumen muss man denken, wenn man Krankenhäuser an einigen Standorten schließt und die Kapazitäten an anderen Standorten erweitern will? Welche Investitionen sind dafür notwendig, und sind auch die Mitarbeiter bereit, im Zweifel weitere Fahrten zur Arbeit zurückzulegen? Erleben sie in den neuen Strukturen größerer Krankenhäuser dann verbesserte Arbeitsbedingungen, oder ist das Hamsterrad nur ein wenig größer?

Jede Vergütungsform hat ihre systemimmanenten Schwachstellen. Fallpauschalensysteme motivieren, möglichst viele Patienten zu behandeln. Selbstkostendeckungssysteme ermuntern zu Kostensteigerungen. In Systemen der Vorhaltefinanzierung wird Angebotsvorhaltung bezahlt, ohne dass es die Notwendigkeit gibt, Patienten versorgen zu müssen. Selbst wenn wir bei den Vorschlägen der Reformkommission ein Mischsystem aus Fallpauschale und Vorhaltepauschale finden, ist die Gefahr von Wartezeiten in weniger Krankenhäusern nicht auszuschließen. Erstaunlich finde ich in diesem Zusammenhang die Reaktion des Ministers, wenn solche Wartezeiten zum Beispiel in Kinderkliniken und Kinderarztpraxen auftreten und Medikamente fehlen. Plötzlich werden medienwirksam alle vorher beschlossenen Kriterien über Bord geworfen.

 

Ein Programm zur Schließung von Krankenhäusern

Es ist immer leicht, Vorschläge zu Weiterentwicklungen und Reformen zu kritisieren. Die Reformkommission hat ehrenamtlich einen guten Job gemacht und einen Bericht vorgelegt. Auch wenn viele tatsächlich bestehende Probleme ungelöst bleiben und noch diskutiert werden müssen. Für die Phase der gesetzgeberischen Umsetzung wünsche ich mir solche Diskussionen. In der jetzigen Form ist der Kommissionsbericht ein Programm zur Schließung von Krankenhäusern durch die Definition von Strukturmerkmalen. Diese Herangehensweise ist recht unflexibel, weil das Element der Bedarfsnotwendigkeit vor Ort fehlt.  Reform und Revolution ist nämlich, wenn man sicher ist, dass es nachher besser ist!


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