Abrechnung mit der Politik und viele Vorschläge für die GKV bei der Verabschiedung von Volker Hansen beim GKV-Spitzenverband

Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende beim GKV-Spitzenverband, bei ihrer Begrüßung
Zum Schluss gibt es für Volker Hansen einen guten Tropfen von Uwe Klemens (GKV-Spitzenverband).
Ein Blick auf das Publikum bei der Veranstaltung des GKV-Spitzenverbandes
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hält seine Abschiedsworte.
Freuen sich beide über die Begegnung: Volker Hansen (l.) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
Rainer Schlegel, Präsident des BSG, bei seiner beeindruckenden Rede
Der MD Bund unter sich: Verwaltungsratsvorsitzende Sandra Goldschmidt mit der frisch gebackenen stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Carola Engler sowie dem stellvertretenden Verwaltungsratsvorsitzenden Detlef Stange (v.l.n.r.)
Ein gut gelaunter Volker Hansen
Die eine ist bereits im Ruhestand, der andere nun auch: Rita Pawelski (ehemalige MdB) und Volker Hansen.
Und tschüss! Volker Hansen bei seiner Verabschiedung beim GKV-Spitzenverband


Seit Ende des vergangenen Jahres ist Dr. Volker Hansen nicht mehr alternierender Vorsitzender des Verwaltungsrates des GKV-Spitzenverbandes (GKV-SV). Wegen Corona muss die Verabschiedung warten – bis zum 21. Juni. Volker Hansen macht sich nochmal kräftig Luft über die vergangenen Jahre mit der Politik. Bundesgesundheitsminister Lauterbach lobt den GKV-SV als international beachtet. Und Gastredner Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichtes (BSG), gibt der Selbstverwaltung der GKV diverse Ratschläge für politische Auseinandersetzungen: klar positionieren, Haltung zeigen und proaktiv Diskussionen anstoßen. Der Ruf nach Steuermitteln und Beitragssatzerhöhungen ist für Schlegel der einfachere, aber falsche Weg. Eine Rede, die es in sich hat.

Zuerst lobt Gastgeberin Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-SV, den bis Ende 2021 umtriebigen Hansen. Mehr als 14 Jahre ist er alternierender Verwaltungsratsvorsitzender gewesen, hat den Verband mit aufgebaut. Rollenkonflikte habe es immer wieder gegeben mit dem Arbeitgeber-Vertreter und BDA-Angestellten Hansen. Unterschiedlich seien die Positionen beim Wettbewerbskartellrecht gewesen oder beim RSA – „ein immer schönes Diskussionsthema“. Eine Lösung sei jedoch immer gefunden worden.

 

Größtes Problem: Auseinandersetzungen mit dem BMG

Der alternierende Verwaltungsratsvorsitzende, Gewerkschafter, und dafür für die Arbeitnehmerseite im GKV-SV, Uwe Klemens, verweist auf das gute Miteinander des ungleichen Paares seit 2016. Das Ziel ist klar: „Dieser Laden muss funktionieren und zusammengehalten werden – im Interesse der Versicherten, Beitragszahler und Arbeitgeber.“ Das größte Problem der Auseinandersetzungen habe dabei „in der Friedrichstraße“ gesessen, dem Sitz des BMG. Harte Debatten hätte man „aushalten und durchziehen müssen“. Nicht immer angenehm, wie Klemens süffisant bemerkt.

Zuverlässig sei Hansen. Aber: Die Stellungnahmen habe er „meistens semantisch seziert“. In der Pfalz würde man sagen: „Dibbelschisser“, so Klemens. Ein Männerwochenende kündigt er mit Hansen an, wenn Corona vorbei ist; in den Hunsrück soll es dann gehen.

Die Ansprache von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach – launig; das kann er, wenn er will. Hansen hätte fast so viel Amtsjahre wie Angela Merkel, weil der GKV-SV erst 2007 gegründet worden sei. Eine Bundesgesundheitsministerin, fünf Bundesgesundheitsminister, drei Parteien, die das Amt innehatten – Hansen hätte dabei dem GKV-SV Beständigkeit gegeben; ihn mitgeformt und begleitet, so Lauterbach. Der Dachverband sei international geachtet, trage „wesentlich zum sozialen Frieden in der Gesellschaft bei.“

Nicht immer hätte Hansen eine dankbare Rolle eingenommen. Die Bürgerversicherung nennt der Minister. Er hätte immer den Verdacht, dass Hansen ein Befürworter dieser sei. Das Publikum lacht schallend. Ab heute wäre die Gelegenheit dafür. Nur wenig später sagt Hansen, dass er ein „extremer Feind“ hinsichtlich des Ansinnens sei.

Bei der Herauslösung des MDS aus dem GKV-SV habe Lauterbach nicht recht gewusst, ob Hansen nun dafür oder dagegen gewesen sei. Hansen kontert, dass er nur deshalb agiert habe, weil es im Gesetz gestanden habe. Er hoffe, dass er „das Schlimmste verhindert hat.“ Lauterbach lobt, dass sich Hansen mit öffentlichen Aussagen zurückgehalten habe. „Sie gehören nicht zu denen, die ich morgens mit Ratschlägen im Deutschlandfunk im Ohr habe“, sagt Lauterbach. Ob der Politiker wohl gern dort auch einmal mehr zu Worte kommen will?

Und dann folgt wohl die interessanteste Rede des Abends. Rainer Schlegel, BSG-Präsident, nimmt für knapp eine halbe Stunde kein Blatt vor dem Mund: „Ich muss keine Wahl gewinnen und nehme mir die Freiheit, offen zu sein.“

 

Selbstverwaltung in der GKV gehört ins Grundgesetz

Ein „Weiter so“ gilt nicht mehr für die sozialen Sicherungssysteme. Mit einem „kräftigen Schluck aus der Steuerpulle“ könnten die Probleme nicht gelöst werden. Ursache seien die Kassen selbst, aber auch der Bundesgesetzgeber: Beide würden ihre Strukturprinzipien nicht mehr in gewohnter Weise ernst nehmen, mahnt Schlegel.

Der Begriff der Selbstverwaltung im Zusammenhang mit der GKV müsse im Grundgesetz vermerkt werden, formuliert er seinen persönlichen Wunsch. Drei Erwähnungen gebe es zur Sozialversicherung im Grundgesetz. 17 Artikel seien es demgegenüber allein zum System des Steuerwesens; „eine gewisse Diskrepanz“, wie Schlegel anmerkt.

Er hoffe, dass GKV und Selbstverwaltung „Prinzipientreue“ beim Gesetzgeber einfordern und auch diese selbst ausüben. So müssten die Vorstandsvorsitzenden der Kassen beim Bundesgesundheitsminister nicht ständig „um Geld betteln“, sondern selbst für weitestgehend ausgeglichene Haushalte ihrer Kassen sorgen können – in Wahrnehmung ihres Selbstverwaltungsrechts und als Verhandlungspartner mit den Leistungserbringern.

 

Mehr Respekt vor den Körperschaften der GKV

Mehr Respekt vor den Körperschaften der GKV verlangt Schlegel vom Gesetzgeber und präsentiert einige Beispiele:

  • Kostendeckende Pauschalen für ALG-II-Bezieher: Diese müssten vom System der Grundsicherung getragen werden.
  • Das Einspannen der GKV als „Verwaltungshelfer“ müsse aufhören. Krankengeld bei Krankheit des Kindes könne man noch als originäre Angelegenheit der GKV begreifen. Dies sei aber nicht mehr so, wenn Schulen oder Kitas geschlossen seien. Mit Hilfe der GKV seien Defizite seitens des Staates ausgebügelt worden, die in den genannten Bereichen angefallen seien.
  • Im SGB V sollte dargestellt werden, was versicherungsfremde Leistungen seien. Schlegel bezweifelt, dass bestimmte Aufgaben der GKV zufallen: Ausbildungsvergütung für Notfallsanitäter, Begleitung von Modellvorhaben, Finanzierung der schulischen und praktischen Ausbildung gemäß Pflegeberufegesetz oder Berufshaftpflicht für freiberufliche Hebammen. Das Grundgesetz stehe hier an der Seite der Sozialversicherung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum Aussteuerungsbetrag dürften Beitragsmittel das Versicherungssystem nicht verlassen. Im Ergebnis werde es nach Aussage von Schlegel keinen Unterschied machen, ob der GKV durch Transfermittel Geld entzogen werde oder ob der GKV von vornherein keine kostendeckenden Pauschalen bzw. Steuerzuschüsse zugewiesen werden. Verfassungsrechtlich angreifbar würde dies, wenn die Kosten zu einer Beitragsrelevanz führen würden.

Grundsätzlich müsse sich gefragt werden mit Blick auf den Leistungskatalog der GKV: „Was brauchen wir, was können wir uns noch leisten, was ist Sache der Solidargemeinschaft? Was müssen, können und sollten wir in die Einzelverantwortung des Einzelnen zurückgeben?“ Für diese Diskussion gebe es keinen besseren Ort als die Selbstverwaltung; „ideologiefrei und losgelöst von parteipolitischen Interessen“, richtet er sich an die Gäste – viele Selbstverwalter von Krankenkassen. Auch die Arbeitgeberseite habe hinsichtlich steigender Zusatzbeiträge „ein vitales Interesse“ mitzuwirken. „Herr Hansen, gut gemacht“, sagt Schlegel.

Er ging dann auf das BZgA-Urteil ein, „dass ich mitgeschrieben habe“. Hier hätten die Kassen viel Selbstbewusstsein bewiesen, dass sie sich gegen die Aufforderung des BMG rechtlich gewehrt hätten, Beitragsmittel der BZgA für deren Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Das BSG habe der Klage stattgegeben.

 

Bereinigung nur über Krankenhausstrukturreform

Eine ähnliche Vorgehensweise würde sich Schlegel bei der Diskussion um die Strukturreform der Krankenhäuser wünschen. Die Länder würden zwar über die Aufnahme von Krankenhäusern in den Krankenhausplan entscheiden, aber ihrer Verpflichtung zur Investitionsfinanzierung nicht nachkommen.

Eine Bereinigung könne nur über eine Krankenhausstrukturreform erfolgen, mahnt der Jurist. Die Selbstverwaltung der GKV müsse sich klar positionieren und „proaktiv“ die Diskussion anstoßen. Nicht immer werde sie sich beliebt machen und Haltung zeigen müssen. Schlegel: „Der Ruf nach Steuermitteln und Beitragssatzerhöhungen ist der einfachere, aber der falsche Weg.“

 

Ziel: einnahmenorientierte Ausgabenpolitik

Hansen erinnert noch einmal an die Anfänge des GKV-SV. Mit 100 Mitarbeitern sei man gestartet; zu wenig. Das BMG habe damals von 300 bis 400 Mitarbeitern gesprochen, die zum Aufbau des Verbandes notwendig sind. Die Politik kommt bei Hansen nicht gut weg: „In meiner Zeit war keiner gut – weder Ulla Schmidt (SPD), noch Philipp Rösler oder Daniel Bahr (beide FDP).“ Die Krönung sei Jens Spahn (CDU) gewesen, mit seinen täuschenden Egotrips, wie es Hansen nennt. Mit Unterstützung von Sozialpartnern und Politik habe man „fast alles“ abwenden können. Politische Attacken und Dummheiten abzuwehren – das sei die Hauptaufgabe des GKV-SV gewesen. GKV-Beitragszahler seien gemolken, Leistungserbringer verwöhnt worden, so die Einschätzung über seine Zeit. Er hoffe auf eine „gewisse Lernfähigkeit der Politik und der Regierung“. Pessimistisch sehe er dennoch in die Zukunft. Es würde noch mehr Geld in das System gepumpt werden, die Ausgaben laufengelassen. Eine einnahmeorientierte Ausgabenpolitik – das sei das Ziel.

Nachdenkliche Gäste, ein nicht mehr vorhandener Minister und genug Gesprächsstoff bleiben für die kommenden Stunden.

 

Fina Geschonneck


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