Lehren aus der Pandemie: Unser Gesundheitswesen muss uns mehr wert sein!

Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Gesundheitsministerin des Landes Rheinland-Pfalz

Gemeinsam ist es gelungen, die Corona-Infektionswelle vom Frühjahr weitgehend einzudämmen und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Aber wir sehen auch, was wir gesundheitspolitisch aus den Erfahrungen lernen können. Allem voran: Unser Gesundheitssystem und insbesondere die Arbeit in Gesundheits- und Pflegeberufen müssen uns mehr wert sein.

In Rheinland-Pfalz und in Deutschland insgesamt ist es uns bisher gelungen, die Ausweitung des Corona-Virus zu bremsen und die Erkrankten gut zu versorgen. Dabei ist die zentrale Bedeutung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖG) für den gesundheitlichen Schutz der Bürgerinnen und Bürger sehr deutlich geworden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesundheitsämter sorgen mit der systematischen Testung, der Begleitung und Beratung von Infizierten und deren Kontaktpersonen sowie mit der Nachverfolgung von Infektionsketten dafür, Neuinfektionen zu bremsen und unser Gesundheitssystem vor Überforderung zu schützen. Rheinland-Pfalz ist sich dieser besonderen Bedeutung des ÖGD bewusst und hat deshalb bereits vor zwei Jahren eine Initiative zur Stärkung des ÖGD gestartet. Dazu gehört auch, dass ab dem kommenden Semester im Rahmen einer ÖGD-Quote ein Teil der Medizinstudienplätze vorab an Studierende vergeben wird, die sich zu einer Tätigkeit im ÖGD verpflichten.

 

Anlassbezogene Testung in Rheinland-Pfalz

Mit der anlassbezogenen Populationstestung verfolgen wir in Rheinland-Pfalz eine effektive Teststrategie, um Infektionsketten frühzeitig zu unterbrechen. Das sind gute Bedingungen für ein schnelles Erkennen und schnellstmögliches Eindämmen der Infektionen.

Auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie die Krankenhausträger haben schnell reagiert. In Rheinland-Pfalz haben wir gemeinsam mit den Krankenhäusern sehr kurzfristig ein Konzept zur stationären Versorgung Covid-19-Kranker erstellt, das auf Vernetzung und Kooperation setzt: Die Kliniken stimmen sich in der Versorgung der Patienten ebenso ab wie bei der Qualifizierung des Personals und der Beschaffung von Material. So haben sie in kürzester Zeit – mit großer finanzieller und organisatorischer Unterstützung der Landesregierung und der Landespflegekammer – ihre Intensiv- und Beatmungskapazitäten um etwa 50 Prozent auf fast 1.500 Beatmungsplätze erhöht und durch kurzfristige Qualifizierung die Zahl der für die Intensivpflege zur Verfügung stehenden Personen um 2.000 ausgebaut.

Ebenso essentiell war es, dass auch die Versorgung anderer Patientinnen und Patienten im notwenigen Rahmen aufrechterhalten werden konnte und dass Arztpraxen und Krankenhäuser schnell wieder zu einem neuen „Normalbetrieb“ fanden. Anfang Mai haben die Kliniken neue Organisationskonzepte entwickelt, welche die Wiederaufnahme von planbaren Behandlungen ermöglichten. Es werden weiterhin Intensivkapazitäten für die Behandlung von COVID-19 Patienten vorgehalten, und binnen 72 Stunden können weitere Betten bereitgestellt werden.

 

Versorgungssituation regional und lokal unterschiedlich

Bei alledem macht die Corona-Krise die Stärken des Föderalismus sichtbar: Infektionsgeschehen und Versorgungssituationen sind regional und lokal unterschiedlich. Nicht nur in Rheinland-Pfalz hat sich gezeigt, dass die Länder hier gut steuern können, weil sie nah dran sind und in Zusammenarbeit mit den relevanten Partnerinnen und Partnern vor Ort schnell und agil handeln können.

Wir setzen darauf, dass auch im Falle eines erneuten Anstiegs bei den Corona-Infektionen die sonstigen Behandlungs- und Vorsorgeangebote des Gesundheitssystems lückenlos weiter zugänglich sind und von den Bürgerinnen und Bürgern normal genutzt werden. Wir wissen heute mehr darüber, wie die einzelnen Schutzmaßnahmen wirken und dass die Kontaktnachverfolgung ebenso gut funktioniert wie die Hygienekonzepte. Einzelne Lockerungen können bei Bedarf gezielt zurückgenommen werden. Auch auf die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger können wir bauen: Die weitreichende Akzeptanz von Schutzmaßnahmen hat dazu geführt, dass wir aktuell eine stabile Lage mit wenigen Neuinfektionen in Rheinland-Pfalz haben.

 

Weiterentwicklung des Fallpauschalen-Systems erforderlich

Darüber hinaus gilt es auch grundsätzlich die Lehre zu ziehen, dass ein leistungsfähiges Gesundheitssystem eine angemessene und gerechte Finanzierung braucht. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig etwa das Vorhalten stationärer Kapazitäten ist. Die Kosten müssen – über die aktuellen Ausgleichszahlungen hinaus – künftig adäquat finanziert werden. Der Bund muss das Fallpauschalen-System weiterentwickeln. Insgesamt muss die Finanzierung des Gesundheitssystems gerechter und solidarischer gestaltet werden. Die Bürgerversicherung ist ein gutes Konzept dafür.

Und schließlich konnten wir alle intensiv erleben, wie sehr die gesundheitliche Versorgung von qualifizierten und engagierten Fachkräften anhängt. Deshalb müssen wir ihre Arbeit stärker unterstützen und wertschätzen und die Attraktivität der Gesundheitsfachberufe für den Nachwuchs steigern. Die Zahlung von Prämien oder die im Krisenbewältigungspaket vorgesehene Stärkung des ÖGD sind wichtige Signale, denen aber weitere nachhaltige Schritte folgen müssen. Rheinland-Pfalz setzt sich seit Jahren dafür ein, die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen zu verbessern und macht sich seit langem stark für einen flächendeckenden Tarifvertrag in der Pflege. Auf Bundesebene muss das „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“ die Gesundheitsfachberufe modernisieren und beispielsweise die Ausbildung schulgeldfrei stellen.

Mein Fazit: Die Coronakrise zeigt, wie stark unser Gesundheitssystem ist. Sie zeigt aber auch, wie wichtig es ist, qualifizierte und engagierte Menschen für die Arbeit im Gesundheitswesen zu haben. Die Alltagshelden der Pandemie brauchen bessere Arbeitsbedingungen und eine faire Bezahlung. Gesundheitseinrichtungen dürfen nicht nur nach betriebswirtschaftlichen Kalkulationen für den Normalfall ausgerichtet werden, sondern müssen auch für Bedarfsspitzen und Notfälle vorsorgen können – sowohl bei Infrastruktur und Material als auch bei gut ausgebildetem Personal. Unser Gesundheitswesen muss uns mehr wert sein!


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