06.10.2022
Festveranstaltung zum 75-jährigen Jubiläum der Bundesärztekammer
Das edle Ritz Carlton am Potsdamer Platz wählt sich die Bundesärztekammer (BÄK) für ihre Jubiläumsveranstaltung. Das Programm kann nicht illustrer sein: Die „BERLINs Finest Jazz Band“ präsentiert eine musikalische Zeitreise durch 75 Jahre. BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt verweist auf die große Bedeutung der ärztlichen Selbstverwaltung. Gastrednerin Prof. Dr. Alena Buyx mahnt zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Datenschutz. Und die Präsidentin des Weltärztebundes, Dr. Heidi Stensmyren, beglückwünscht die BÄK zu den Gestaltungsmöglichkeiten, die die Freiberuflichkeit bietet.
„Mister Sandmann“ – damit eröffnet die Band die Veranstaltung. Ein Traum muss nicht mehr gebracht werden, wie es in der ersten Textzeile heißt, denn der ist bereits in Erfüllung gegangen – mit dem 75-jährigen Bestehen der BÄK, die rund 550.000 Ärzte vertritt. Am 18. und 19. Oktober 1947 ist die „Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern“ von Ärztekammern der westlichen Besatzungszonen in Bad Nauheim aus der Taufe gehoben, acht Jahre später ist sie in Bundesärztekammer umbenannt worden. Seit 1990 gehören auch die neu gegründeten ostdeutschen Landesärztekammern dieser Arbeitsgemeinschaft an.
Klaus Reinhardt: ein Hoch auf die ärztliche Freiberuflichkeit
„Die ärztliche Selbstverwaltung ist ein konstitutives Merkmal des deutschen Gesundheitssystems“, lobt Reinhardt. Nur noch in Österreich gibt es weltweit eine solche Form. Und sie regele vieles besser und effizienter, als es die Politik je könne. Mehrwert schaffe vor allem die ärztliche Freiberuflichkeit: „Basis für das Vertrauen der Menschen in die Ärzteschaft.“ Professionelle Autonomie sei ein Patientenrecht und dürfe nicht beschnitten werden von betriebswirtschaftlicher Denke und dem Handeln nach kommerziellen Vorgaben, sagt Reinhardt. Strukturierte Therapieabläufe seien berechtigt. Jedoch Behandlungen nach Schema F. funktionieren nicht. Mit Blick auf die derzeitige Gesundheitspolitik stellt Reinhardt klar, dass die Fallpauschalen im Krankenhaus gescheitert seien. „Es ist höchste Zeit, dass die Krankenhausfinanzierung wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird“, fordert der BÄK-Präsident und stellt sich damit gegen die DKG, die daran festhalten will. Die sehen zwar auch Defizite, jedoch keine „grundlegende Fehlsteuerung“.
Einig sind sich BÄK mit DKG und Kassenverbänden über das Agieren der Krankenhauskommission des BMG. Reinhardt habe „wenig Hoffnung“ für eine Reform. Grund: Im Wesentlichen sei die Kommission mit Theoretikern besetzt, „von denen einige schon lange keine Patienten mehr im Krankenhaus behandelt haben“ und die die Reform am grünen Tisch konzipieren würden.
Reinhardt nimmt sich sodann den Äußerungen des Bundesgesundheitsministers an, der „resilient gegenüber Lobbyinteressen“ sei. Damit würden sich ein „grundsätzliches Missverständnis der Selbstverwaltung eines freien Berufes und ein vorurteilsgetragenes Misstrauen gegenüber den Selbstverwaltungseinrichtungen“ auftun. Und dabei habe der Minister selbst einmal auf die Kompetenz der BÄK hingewiesen, die „sich kenntnisreich mit Vorschlägen“ einbringe.
Alena Buyx: grotesk verschobenes Verhältnis von Chancen und Risiken bei der Datennutzung
Den Festvortrag hält Prof. Dr. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Sie habe eine enge Beziehung zur BÄK, erzählt sie. Die BÄK habe sie – frisch aus England zurück, wo sie beim englischen Ethikrat schnuppert – in ihr erstes Gremium berufen: die zentrale Ethikkommission der BÄK. Mit absoluter Sicherheit könne sie sagen, wäre sie nicht in diesem Gremium, wäre sie nicht im Deutschen Ethikrat, ganz sicher auch nicht Vorsitzende des Deutschen Ethikrates.
Ihr Herz sei schon sehr lange mit der berufspolitischen Vertretung verbunden. In Münster, wo Buyx studiert hat, besucht sie an der medizinischen Fakultät einen Kurs zur Struktur des Gesundheitswesens. „Bei uns allen hat es ein Feuer angezündet“, sagt sie mit Blick auf den Lehrenden Ingo Flenker, damaliger Chef der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Von den sechs Studenten seien übrigens vier heute Lehrstuhlinhaber an den großen medizinischen Fakultäten. Zwei seien Chefärzte.
Buyx zeichnet dann das Zukunftsbild des Arztes in 20 Jahren. Der eine: abgehetzt, ein zu geringes Budget für Arzneimittel, zu wenig Zeit für die Patienten. Der andere: ein Digitalallgemeinarzt, viel Zeit für Team und Kranke, Patienten mit einer funktionierenden ePA, Digitalisierung rund um. Die Frage sei: Werde Deutschland eine zugewandte, entspannte, digitaloptimalunterstützte, personalisierte Therapie anbieten mit der Nutzung der Datenschätze. Oder werde Deutschland abgehetzte Medizinverwalter sehen, wo Patientensicherheit kaum mehr zu erkennen sei.
Wichtigste Thema für sie ist die Digitalisierung und der Umgang mit Daten auf dem Weg zur künstlichen Intelligenz. „Fast nichts davon werden wir sehen, obwohl alles schon vorhanden ist“, prophezeit Buyx.
Der Datenschutz sei ein sehr hohes Gut. Doch ihre derzeitige Einschätzung: „Mit Blick auf Datennutzung haben wir ein grotesk verschobenes Verhältnis von Chancen und Risiken.“ Das sei nicht nur dem Datenschutz anzulasten. Viel schlimmer sei die restriktive, ängstliche, zurückhaltende und zum Teil inkompetente Praxis der Auslegung und damit der Datennutzung. Verluste am Leib und Leben würden sich ergeben; man müsse die Chancen mehr in den Blick nehmen. Ein Bewusstseinswandel sei erforderlich: Daten seien nicht nur Bedrohung, sondern eine ganz wichtige Chance für die eigene Gesundheit und die der Gesellschaft. Die Politik müsse Rahmenbedingungen schaffen – zügig. Das dokumentiert werde, sei richtig. „Das wie ist ein Desaster.“ Die Ethikerin stellt die Frage, was mit dem Gesundheitssystem gewollt sei, was könne man lassen. Buyx: „Wir müssen uns neuen Konzepten, neuen Ansprüchen öffnen und viel Offenheit und Abstimmung mit den anderen Professionen wagen.“ Applaus.
Heidi Stensmyren: enge Verbundenheit von Weltärztebund und BÄK
Weltärztebund und BÄK – eine enge Verbundenheit gebe es zwischen den beiden Organisationen, betont die Präsidentin des Weltärztebundes, Dr. Heidi Stensmyren. Der Weltärztebund, der zeitgleich tagt, feiert ebenfalls sein 75-jähriges Bestehen. Die Schwedin, die sechs Jahre in Deutschland gelebt hat, lobt die Freiberuflichkeit, die gefeiert werden muss. Die Bundesärztekammer sei mit der Entwicklung der Gesellschaft gewachsen und zunehmend stark durch die selbstverwaltenden Landesärztekammern geworden. Eine Herausforderung für die Zukunft seien jetzt die Investitionen in neue Technologien. Das sei das Wichtigste. Die Ärzte müssten daran teilnehmen. Und wiederum verweist die Schwedin auf die Bedeutung der Daten, die geteilt werden müssten. Nie mehr werde es so viele Mitarbeiter im Gesundheitswesen geben. Neue Wege müssten begangen werden, um das Gesundheitssystem aufrecht zu erhalten.
Der letzte Titel der musikalischen Zeitreise – als Zugabe – ist denn auch „Happy“ von Pharell Williams. Glücklich über 75 Jahre BÄK und noch mehr Glück mit Blick auf die Zukunft. Die Jubiläumsveranstaltung – inspirierend, kritisch und zum Schluss klatschende Gäste mit wippenden Füßen und sich bewegenden Oberkörpern. Herzlichen Glückwunsch Bundesärztekammer!
Fina Geschonneck
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