Erfolgsabhängige Erstattungsmodelle für Einmaltherapien in der Hämophilie umsetzbar gestalten

Dr. Anja Tebinka-Olbrich, Leiterin Referat AMNOG-Erstattungsbetragsverhandlungen beim GKV-Spitzenverband

Der Trend zu neuartigen Arzneimitteltherapien mit Kosten teilweise in Millionenhöhe nimmt immer weiter zu. Hieraus ergeben sich für die gesetzliche Krankenversicherung offene Fragen insbesondere mit Blick auf die Finanzierbarkeit. Es liegen auch von der Pharmaindustrie unterschiedliche Vorschläge auf dem Tisch, die allein schon hinsichtlich Rechtssicherheit und Umsetzbarkeit auf den Prüfstand gestellt werden müssen.

Aktuell hat die Zulassung der Gentherapien Roctavian® und Hemgenix® für die Behandlung von Patienten mit schwerer Hämophilie die Debatte über die Bezahlbarkeit und Erstattungsmodelle für einmalig anzuwendende Therapien erneut angestoßen.

Gentherapien sollen bei der Bluterkrankheit (Hämophilie) die Gabe von Gerinnungsfaktoren dauerhaft überflüssig machen, da der Körper bei erfolgreicher Therapie die Gerinnungsfaktoren selbst bildet. Aber aktuell besteht aufgrund einer sehr begrenzten Studienlage eine große Unsicherheit, ob ein verlässlicher Therapieerfolg eintritt und wie lange er anhält.

 

Risiken im Vertrag und Preis für Gentherapie berücksichtigen

Der Charakter der Gentherapien als Einmaltherapien, der grundsätzlich auch eine Einmalzahlung mit sich bringt, bedeutet für die Krankenkassen ein erhebliches Risiko in der Finanzierung dieser Behandlungen. Denn sollte die Gentherapie nicht, nur teilweise oder nicht anhaltend wirken, muss trotz durchgeführter und finanzierter Gentherapie die Dauerbehandlung mit den Gerinnungsfaktor-Arzneimitteln fortgesetzt bzw. wieder eingesetzt werden. Die Krankenkasse muss also einmal die sehr hohen Kosten für die Gentherapie und zusätzlich die ebenfalls hohen Kosten für die nachfolgend wieder anzuwendenden Faktor-Präparate aufbringen. Genau dieses Risiko soll im Vertrag und Preis berücksichtigt werden.

Für Roctavian® in der Hämophilie A ist ein Preis von ca. zwei Millionen Euro für die Behandlung eines Patienten gemeldet worden. Für Hemgenix® zur Therapie der Hämophilie B hat der Hersteller CSL Behring bewusst keinen Preis für Deutschland gemeldet. In den USA wurde hierfür ein Preis von ca. 3,5 Millionen US-Dollar aufgerufen. Eine Dauerbehandlung mit Gerinnungsfaktor-Arzneimitteln kostet in Deutschland durchschnittlich ca. 250.000 Euro im Jahr.

Wie das finanzielle Risiko für die Krankenkassen verringert werden kann, ist derzeit Inhalt einer breiten Diskussion. Vor dem Hintergrund einer Vielzahl erwarteter Neueinführungen im Bereich der Gentherapien ist eine breite Debatte wünschenswert und notwendig. Im Raum stehen dabei unterschiedliche Vertragsmodelle optional auf kollektiver und selektiver Ebene, wie zum Beispiel eine Ratenzahlung, eine Rückzahlung oder ein sich an den Behandlungserfolg der bislang Behandelten anpassender Erstattungsbetrag für das Folgejahr, ein sogenanntes prospektives Kohortenmodell.

 

Notwendige Anpassungen in wenigen Monaten nicht umsetzbar

Für die Hämophilie-Gentherapie Hemgenix® zum Beispiel legt der Hersteller CSL Behring den Fokus auf die Vorteile eines erfolgsbasierten Ratenmodells. Auf den ersten Blick vermittelt dieses Modell für die Krankenkassen, die Behandelnden und natürlich für das Unternehmen Vorteile. Allerdings ist eine kurzfristige Umsetzung gar nicht möglich. Sowohl die technische Machbarkeit, die rechtssichere und aufwandsarme Durchführung als auch die transparente Abbildung des Erstattungsbetrages sind derzeitig nicht gegeben. Notwendige gesetzliche und untergesetzliche Anpassungen sowie technische Lösungen sind komplex und nicht binnen weniger Monate erreichbar.

Offene rechtliche und technische Fragen sind beispielsweise:

  • Wie lang ist die Vertragslaufzeit angelegt? Was ist also der Zeitraum, für den Raten zu zahlen sind, wenn der Patient einen vollen Behandlungserfolg erlebt? Welche Kriterien definieren ein Therapieversagen?
  • Wie erfolgt die jährliche Ratenabrechnung ohne ärztliche Neuverordnung? Was wird im BAS akzeptiert?
  • Wie erfolgt die Versorgung von nicht teilnehmenden Krankenkassen oder außerhalb der GKV? Die Verhandlung eines Ratenmodells UND eines einmalig zu zahlenden Erstattungsbetrages ist nicht möglich.
  • Jede einzelne Krankenkasse muss im Ratenzahlungsvertrag ein aufwändiges patientenindividuelles Nachweis- und Erstattungsverfahren durchführen. Können Krankenkassen im Zuge der AMNOG-Verhandlungen hierzu verpflichtet werden?
  • Es ist nicht geregelt, welcher Preis zur Abrechnung in der Apotheke gelistet werden soll – die Jahresrate oder ein „Gesamtpreis“ im Erfolgsfall? Worauf werden Handelsaufschläge für die Apotheke berechnet? Es handelt sich hier um ambulant durchführbare Therapien.
  • Wie können die behandelnden Ärzte die Wirtschaftlichkeit der Verordnung der Gentherapie im Vergleich zur Faktorsubstitution einschätzen?
  • MorbiRSA und Hochrisikopool müssten auf Ratenmodelle angepasst werden. Das Gutachten des Bundesamtes für Soziale Sicherheit (BAS) aus dem März 2022 beschreibt Lösungen.

 

Rechtssicheres Erstattungsmodell ist entwickelt

Der GKV-Spitzenverband sieht den Bedarf an erfolgsbasierten Vertragsmodellen zum Erstattungsbetrag und hat zusammen mit einem pharmazeutischen Unternehmen ein rechtssicheres Erstattungsmodell für Gentherapien entwickelt. Dies ist bereits heute im existierenden Rechts- und Regelungsrahmen aufwandsarm und transparent umsetzbar. Es handelt sich um ein prospektives Kohortenmodell. Ziel dieses Modells ist es, den Erstattungsbetrag erfolgsbasiert an das Therapieergebnis der Behandelten anzupassen. Es handelt sich dabei weiterhin um einen einmalig bei Behandlung des Patienten zu zahlenden Preis. Bezüglich des jeweiligen Arzneimittels ist hierbei jeweils vertraglich zu vereinbaren, welche geeignete Datengrundlage, wie GKV-Abrechnungsdaten oder ein Register, zugänglich ist, anhand derer die Therapieergebnisse für die Behandelten erfasst werden.

Für Einmaltherapien in der Hämophilie besteht damit eine durchführbare Möglichkeit, diese erfolgsabhängig zu bezahlen. Das bietet die Chance auch für den zukünftigen Umgang mit neuen und hochpreisigen Arzneimitteltherapien in der gesetzlichen Krankenversicherung vorbereitet zu sein.


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