Von der Idee ins Gesetz

Ein Lösungsvorschlag der Bertelsmann Stiftung zur integrierten ambulant-stationären Versorgung

Dr. Matthias Gruhl, Arzt für öffentliches Gesundheitswesen, Staatsrat a.D.

Kritische Anmerkungen oder Schwachstellenanalysen über das deutsche Gesundheitswesen erzeugen schnell Konsens und Zustimmung, visionäre Zielbilder („Gesundheit neu denken“, „Wir brauchen eine Komplettreform des SGB V!“) garantieren Applaus aus jedem Auditorium. Was (fast) immer fehlt, ist eine Vorstellung über den notwendigen Transformationsprozess.

Wie kommen wir von den erkannten Mängeln zu einer neuen Struktur? Für eine integrierte ambulant-stationäre Versorgung liefert die Bertelsmann Stiftung dies jetzt ab. Der dritte Teil einer Expertise zur kurzstationären Grund- und Übergangsversorgung zeigt den Weg einer rechtlichen Implementierung für diese neue Versorgungsform auf.

 

Ergänzung hausärztlicher Versorgung durch kurzstationäres Angebot

In einer dreiteiligen Expertise befasst sich die Bertelsmann Stiftung seit Mitte 2022 mit der Frage, ob und wie gerade in ländlichen Regionen mit ausgedünnter stationärer Versorgung die hausärztliche Versorgung durch ein kurzstationäres Angebot ergänzt werden kann.

Im ersten Schritt wurde im September 2022 eine Bestandsaufnahme von 17 Modellen dieser Form einer sektorenübergreifenden Versorgung in Deutschland vorgestellt. Das Ergebnis: Eine solche intermediäre Versorgung war vielfach regional erwünscht, aber unter den Bedingungen der Regelversorgung bisher kaum umsetzbar.

Unter Einbeziehung zahlreicher Expertinnen und Experten aus der Versorgungspraxis wurde im Januar 2023 in einer zweiten Expertise ein struktureller, personeller und organisatorischer Vorschlag für diese neue Versorgungsform veröffentlicht (Observer Gesundheit, „Ambulant/stationäre Intermediär-Versorgung – eine Einordnung“). Der Vorschlag der Regierungskommission zur Versorgungsstufe Level Ii weist viele Ähnlichkeiten zu diesem Vorschlag auf.

Der jetzt vorgelegte abschließende dritte Teil ordnet die Möglichkeiten zur rechtlichen Implementierung in die Struktur des deutschen Gesundheitswesens ein.[1] Erneut unter Einbeziehung von relevanten Gesprächspartnerinnen und -partnern aus dem institutionellen wissenschaftlichen Bereich werden konkrete Aussagen zur rechtstechnischen Ausgestaltung präsentiert.

Dabei wird ein pragmatischer Ansatz gewählt, der keine grundlegenden rechtlichen Änderungen voraussetzt und der das bestehende (Macht-) Gefüge zwischen den Gewährleistungsträgern (Land, KV und Kassen) nicht verschiebt, sondern zusammenführt.

 

Sektorenverbindender Planungs- und Zulassungsausschuss vorgeschlagen

Diese neue Versorgungsform soll keine Spielwiese der Überversorgung werden, sondern zielgenau Regionen unterstützen, die nur noch ein reduziertes gesundheitliches Versorgungsangebot vorhalten. Für diese Versorgungsform wird von daher eine gezielte Bedarfsplanung, Sicherstellung und Zulassung in einem gemeinsamen Gremium der dafür zuständigen Institutionen vorgeschlagen. Es geht nicht um etwas Neues, sondern um etwas Gemeinsames und kann als sektorübergreifende Einübung für eine spätere „große“ Bedarfsplanung genutzt werden.

 

Aufgaben des sektorenverbindenden Planungs- und Zulassungsausschusses

 

Veröffentlichung beider Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Bertelsmann Stiftung

 

Auch bei der Finanzierung verbleibt der Vorschlag innerhalb der bisherigen rechtlichen Systematik. Die Investitionsfinanzierung für die Interimskliniken erfolgt entsprechend der sonstigen stationären Vorhaltungen durch das Land, wobei die Erst-Investitionen aus einem Strukturfonds in Anlehnung an § 12 Krankenhausgesetz aufgebracht werden. Die Betriebskosten-Finanzierung für die stationäre Leistung erbringen wie gehabt die Krankenkassen. Dabei wird Wert darauf gelegt, dass diese kleinen Einrichtungen möglichst aufwandarm und ohne Zwang zur Fallzahlvermehrung abgesichert sind. Budgetverhandlungen entfallen, indem Wirtschaftsprüfer das jeweilige Jahresbudget aufgrund der bundeseinheitlich definierten Standards unter Berücksichtigung der regionalen Bedingungen berechnen. Mehr- und Minderkosten sind später auszugleichen. Die zusätzlichen vertragsärztlichen Leistungen werden extrabudgetär, teilweise leistungsbezogen, teilweise aber auch vorhalteorientiert aus dem EBM beglichen.

 

Finanzierungssystematik der kGÜv

 

Dahinter steht der Leitgedanke, dass für eine neue Versorgungsform, die sich erst im System etablieren muss, eine simple, bürokratiearme und attraktive Vergütung entwickelt werden muss.

 

Einordung der bettenführenden Einheiten in Krankenhausplanung

Solche integrierten ambulant-stationären Versorgungsmodelle kann man nicht über eine Blaupause in ganz Deutschland ausrollen. Sie müssen sich an die unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten anpassen. Gerade bei dem stationären Versorgungsteil sind nicht mehr in allen relevanten Regionen kleine Krankenhäuser vorhanden, die dafür genutzt werden können. Hier muss überlegt werden, ob eine geeignete vertragsärztliche Struktur wie ein MVZ, ein Ärztehaus oder ein Primärversorgungszentrum in der Lage ist, die notwendigen Akutpflege- und Überwachungsbetten in ihre Immobilie zu integrieren. In anderen Regionen mag es hilfreich sein, auf die Mithilfe von Pflegeeinrichtungen nach SGB XI für die stationäre Versorgung zurückgreifen zu können.

Unabhängig davon, wo diese bettenführenden Einheiten lokalisiert sind, es sind im rechtlichen Sinn bedarfsnotwendige „Quasi“-Krankenhäuser nach § 108 SGB V – auf der Grundlage einer Bedarfsplanung und mit eigenen Spielregeln. In der Systematik des Krankenhausplans werden sie gesondert, z.B. im Anhang, ausgewiesen. Damit verbleiben diese „Interimskliniken“ von der rechtlichen Systematik im dualen System der Krankenhausfinanzierung.

Weitere Flexibilisierungsmöglichkeiten müssen den Ländern eingeräumt werden. So gibt es eine temporäre Vorschaltlösung für die Länder, bis alle (bundes-) rechtlichen Vorgaben umgesetzt sind, um akuten regionalen Handlungsbedarf bei einer anstehenden Krankenhausschließung abzufedern. Soweit keine finanziellen Auswirkungen entstehen, können die Länder ebenso bundeseinheitliche Vorgaben modifizieren. Beispielsweise sollen andere Voraussetzungen für die pflegerische Leitung landesrechtlich möglich sein, wenn bestimmte Qualifikationen nicht im genügenden Maße vorhanden sind.

Mit der rechtlichen Implementierung eröffnet die Expertise einen machbaren Weg, wie dieses neue Angebot in die Fläche kommen kann: flexibel, schnell, unbürokratisch und attraktiv und ohne jemandem „auf die Füße zu treten“. Neben diesen in Leitsätzen ausformulierten Prinzipien werden in der Studie in Eckpunkten rechtstechnische Empfehlungen entwickelt, wie einzelne Paragraphen des SGB V, des KHG oder des KHEntgG angepasst werden müssten.

Die Ausformulierung für eine rechtliche Implementierung mag für das gesundheitspolitische Berlin nicht so aufregend klingen wie große Ankündigungen oder starke Worte, aber es ist der entscheidende Schritt, um Veränderungen machbar umzusetzen. Es wird damit greifbar, dass eine solche notwendige neue Versorgungsform, die einen der gravierendsten Schnittstellen überwindet, ohne großen gesetzestechnischen Aufwand herstellbar ist, wenn man es nur politisch will.

Auch wenn die avisierte Krankenhausreform im Augenblick in einer sehr schwierigen Phase ist, besteht bisher ein Konsens zwischen Bund und Ländern, bei der kurzstationären Grund- und Übergangsversorgung zu einer Lösung zu kommen. Gesetzgeberische Gelegenheiten gäbe es auch außerhalb einer Krankenhausreform. Die Veröffentlichung der Bertelsmann Stiftung bietet hierzu einen weiterführenden Beitrag an.

 

[1] Die drei Teile der Expertise sind abrufbar unter:

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/neuordnung-versorgungslandschaft/projektnachrichten/kurzstationaere-grund-und-uebergangsversorgung

 

 

Lesen Sie zur ambulant-stationären Versorgung weitere Beiträge des Autors:

„Kein Wumms für die Notfallversorgung“, Observer Gesundheit, 20. März 2023,

„Ambulant/stationäre Intermediär-Versorgung – eine Einordnung“, Observer Gesundheit, 27. Januar 2023,

„Sektorenübergreifende Versorgung – eine Einordnung“, Observer Gesundheit, 19. Juli 2021.


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