Vom Koalitionsvertrag zur Spahn-Bilanz

Fina Geschonneck, Redaktionsleiterin Observer Gesundheit, Redakteurin Observer Datenbank

Selten zuvor hat ein Bundesgesundheitsminister das Amt so zur eigenen Profilierung genutzt, wie Jens Spahn. Schnellere Termine beim Arzt, längere Öffnungszeiten in der Praxis, mehr Pflegekräfte, Digitalisierung überall im Gesundheitswesen. Dank gut gefüllter Schatullen der Krankenkassen kann Spahn die Vorgaben des Koalitionsvertrags ohne Probleme umsetzen; packt gern einige Geschenke für Bürger, Pflegekräfte oder Krankenhäuser dazu. Geschickt verbindet er dies mit mehr Kompetenz für sein Ministerium. Und das im Eiltempo. Dafür greift Spahn – emotional und persönlich – vor allem populäre Themen auf; verbunden mit einer ausgeklügelten Kommunikationsstrategie. Die Bilanz der Großen Koalition im Bereich Gesundheit und Pflege ist weniger eine der Bundesregierung, als vielmehr eine von Jens Spahn. Dabei hat er den Gesundheits- und Pflegeteil in den Koalitionsgesprächen nicht einmal verhandelt.

Der CDU-Politiker beherrscht die Klaviatur der Emotionen. Pflegekräfte leisten „Großartiges“. Ärzten wird „Wertschätzung, Anerkennung und Dank“ gezollt. Kassenpatienten dürfen keine Behandlung „zweiter Klasse“ bekommen. Und im nächsten Augenblick ist klar, wer die Probleme lösen kann: Spahn. „Ich will, dass Patienten schneller einen Arzttermin bekommen. Ich arbeite an einem Gesamtpaket, um Pflege wieder attraktiver zu machen.“

 

Steckenpferd ist Digitalisierung

Und um sich mehr Gehör zu verschaffen, ist der Minister auf allen sozialen Kanälen präsent. Stellt sich regelmäßig den Fragen von Ärzten, Pflegern, Psychotherapeuten und Bürgern in Videoformaten, gibt Antworten locker, leicht über das Smartphone. Digitalisierung ist sein Steckenpferd, das ist spätestens seit seinem 2016 erschienen Buch „App vom Arzt“ mit den Co-Autoren Markus Müschenich und Jörg F. Debatin bekannt. Superlative scheut er dabei nicht. „Digitalweltmeister“ will er werden. Gestalten oder erleiden? Für Spahn ist das eine rein rhetorische Frage.

Als im Februar 2018 die CDU auf ihrem Parteitag über den Koalitionsvertrag abstimmt, spekuliert Amtsvorgänger Hermann Gröhe vergeblich auf eine zweite Legislatur als Bundesgesundheitsminister. Umfangreiche Verbesserungen im Bereich Pflege hat Gröhe bei den Koalitionsverhandlungen im Bereich Gesundheit und Pflege als Leiter des Verhandlungsteams der CDU eingebracht. Spahn wird der neue Bundesgesundheitsminister, Hermann Gröhe, der Parteisoldat, ist nur noch MdB und wird einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden – so hat es die Bundeskanzlerin einen Tag vor dem Parteitag bekanntgegeben.

Und Spahn verkündet schon bei der Amtsübergabe im BMG seinen neuen Arbeitsschwerpunkt an: Digitalisierung und E-Health. Nur wenige Wochen später installiert er dafür eine eigene Abteilung.

 

Ziel: Gesundheitspolitik mit Leben füllen

Bereits bei seiner ersten Rede – vor dem Nationalen DRG-Forum – wird klar, dass Spahn das Thema „Gesundheitspolitik“ mit Leben füllen, offensiver agieren will. Täglich gebe es Millionen Berührungspunkte der Deutschen mit dem Gesundheitswesen, sagt er. Besser machen wolle er es. Patienten, Ärzte, Pflegekräfte müssten einen „Mehrwert“ spüren. Als Beispiel nennt er die Notfallversorgung, die reformiert werden müsse – und hat sogleich eine eigene Geschichte dazu parat. In seinem Landkreis seien die 112er-Einsätze massiv gestiegen. Oft sei unklar, wer, wofür zuständig sei. Das meine er nicht vorwurfsvoll, relativiert er seine Kritik sogleich. Strukturen seien schuld und vielleicht auch die Patienten. Mit denen müsse man „manches ernsthafte Gespräch“ führen, ob wirklich ein Notfall vorliege. „Hochsensibel“ sei das Thema. Deshalb sei Spahn dankbar, dass das Thema im Koalitionsvertrag stehe. Und auch den Medizinischen Diensten werde er sich widmen, kündigt er in seiner Rede an. Abschaffen? Nein, das wolle er nicht, da müsse er nochmal schauen. Im Koalitionsvertrag steht davon auch kein Wort, eine Reform ist das Ziel.

Noch liegt kein Gesetzentwurf auf dem Tisch, doch Spahn bereitet die Akteure des Gesundheitssystems darauf vor – Schwerpunktthemen Pflege und Versorgung. Bereits Mitte März – vor der ersten Sitzung im Bundestag nach der GroKo-Bildung mit der Regierungserklärung von Angela Merkel – verkündet er in einem Interview, wie „wir die Versorgung noch besser machen können“. Es sei für Spahn „einfach ärgerlich, dass ein Privatpatient zu oft viel schneller einen Arzttermin bekomme als ein gesetzlich Versicherter.“ Sprechstundenzeiten sollen ausgeweitet, ländliche Regionen attraktiver gestaltet werden. Sein Lieblingsprojekt „Digitalisierung“ darf dabei nicht fehlen. „Mit digitalen Angeboten lassen sich kleine Fragen innerhalb weniger Minuten unkompliziert online klären“, sagt Spahn und ist sich sicher, dass „Wartezimmer deutlich leerer“ sein würden und mehr Zeit für „aufwändigere Fälle“ wäre.

Und auch die Pflege ist ein Thema für den Bundesgesundheitsminister. „Immer nur zu skandalisieren“, damit müsse Schluss sein. Denn „Millionen Pflegekräfte kümmern sich jeden Tag mit viel Leidenschaft“ um hilfsbedürftige Menschen.

 

Eigener Stempel des Ministers schon im GKV-VEG

Bereits dem ersten unter Spahns Führung erarbeiteten Gesetz – dem GKV-Versichertenentlastungsgesetz (GKV-VEG) – setzt der CDU-Politiker seinen eigenen Stempel auf. Nicht mit der im Koalitionsvertrag auf Druck der SPD verabredeten Parität des Zusatzbeitrages der GKV und auch nicht mit der Absenkung der Beiträge für kleine Selbstständige. Spahn überrascht mit der gesetzlichen Festlegung, dass die Finanzreserven einer Krankenkasse den Umfang einer Monatsausgabe nicht mehr überschreiten dürfen. Überschüssige Mittel müssen ab dem Jahr 2020 über einen Zeitraum von drei Jahren abgebaut werden. Dass dafür eine Reform des Morbi-RSA notwendig sei, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, wird wohl nur von den Kassen wahrgenommen.

Und Spahn wirbt für seinen Vorschlag – sehr anschaulich, versteht sich. Finanzreserven seien kein Problem – aber bitte gesetzlich vorgeschrieben, sagt er in einem Interview Ende April 2018. Einige Kassen würden sich aber nicht daranhalten und übermäßig Rücklagen horten, spricht er: „Das kann ich als Gesundheitsminister nicht akzeptieren – schon aus Prinzip nicht.“ Denn es sei doch das Geld der Beitragszahler und nicht der Kassen. Und wenn Gesetze nicht eingehalten würden, so seine Argumentation, müsse man darüber nachdenken, „wie wir dem Recht wieder Geltung verschaffen.“ Das Gesetz wird Mitte Oktober 2018 im Bundestag verabschiedet. Und Spahn setzt noch eins drauf: Ab sofort dürfen Krankenkassen, die über mehr als eine Monatsausgabe an Finanzreserven verfügen, ihren Zusatzbeitragssatz nicht mehr anheben.

 

Bei Pflegekräften verlorenes Vertrauen wiederaufbauen

Beim Pflegepersonal-Stärkungsgesetz ist Spahn in seinem Element. Der Koalitionsvertrag – er kommt in seiner Kommunikation nicht mehr vor. Jens Spahn ist der Retter der Pflegekräfte, so scheint es. Großartiges leisteten sie, 365 Tage, bräuchten Entlastung. Wie ein Mantra spricht er von verlorenem Vertrauen der Pflegekräfte, „die nicht daran glauben, dass wir Politiker wissen, was los ist und dass wir die Kraft haben, etwas zu ändern.“ Dafür besucht er Krankenhäuser, schüttelt Hände, streitet per Twitter oder Facebook.

Und wieder kommt mehr ins Gesetz zum Thema Pflege, als die Bundesregierung im Koalitionsvertrag verabredet. Statt 8.000 Pflegekräfte mehr verspricht er 13.000 für Altenpflegeinrichtungen – bezahlt von den Kassen. Nicht genug, sagen Kritiker, ein Anfang, hält der Minister entgegen. Dabei fragt sich jeder, woher die Gesuchten kommen. Und die Frage scheint berechtigt. Etwa 2.800 Anträge für zusätzliche Stellen würden bei den Kassen vorliegen, berichtet Ende August 2019 Gernot Kiefer, Vizevorstand des GKV-Spitzenverbandes. 1.720 Anträge seien unvollständig und könnten nicht beschieden werden. Etwa 320 seien Anfang August genehmigt, 24 abgelehnt worden. Zögerlich sei die Beantragung.

Spahn sagt während seiner Rede zur Haushaltsdebatte im Bundestag: „Das geht nicht von heute auf morgen.“ Entscheidend sei, dass man einen „Unterschied im Alltag“ merke, um Vertrauen, besonders in der Pflege zurückzugewinnen.

 

Das BSG-Urteil? Schall und Rauch!

Der Minister lässt sich bei seinen gesetzlichen Regelungen auch nicht von höchstrichterlichen Urteilen abschrecken; wie die zur Schlaganfall- und Geriatrie-Versorgung – erlassen im Juni 2018 vom Bundessozialgericht. Im Kern müssen die Krankenhäuser laut dem Urteil strengere Vorgaben erfüllen, wenn sie bestimmte Leistungen abrechnen. Demnach darf die maximale Transportzeit zu einer Spezialbehandlung 30 Minuten nicht unterschreiten. Ausschlaggebend ist der Zeitpunkt, zu dem der Arzt die Einweisung veranlasst.

Mit einem kurz vor der Verabschiedung des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes noch eingefügten Paragrafen werden die Verjährungsfristen für Nachforderungen der Kassen und die Einspruchsfristen der Krankenhäuser kurzerhand verändert. Die Kassen dürfen Rechnungen der Krankenhäuser nur noch zwei Jahre nach Erhalt korrigieren, statt wie bisher vier. Sie reagieren mit Klagen bei den Sozialgerichten, Länder protestieren, Kliniken schließen sich an. Beide rufen nach Spahn und der lädt zum Schlichtungsgespräch mit den Kassen ein. „Eine Klagewelle hilft am Ende niemandem, insbesondere den Patienten nicht“, sagt er. Vertrauensvoll müsse die Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und Kassen sein. Schnell wird noch ins Gesetz gedrückt, dass das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ermächtigt wird, die ICD-Codierung sowie den Operations- und Prozedurenschlüssel, nach dem solche Vorgänge wie der Transport von Schlaganfallpatienten berechnet werden, nachträglich auch für die Vergangenheit klarzustellen. Das BSG-Urteil? Schall und Rauch!

Überhaupt die Kassen und die soziale sowie gemeinsame Selbstverwaltung – die nimmt der Bundesgesundheitsminister gern aufs Korn. Zwar steht im Koalitionsvertrag, dass die Selbstverwaltung gestärkt werden solle. Aber recht glauben will es derzeit niemand. Der „Fan der Selbstverwaltung“, aber einer funktionierenden, wie Spahn gern sagt, zieht sich derzeit den Ärger selbiger zu. Sie sei gut, so lange sie entscheide, gibt der Minister wiederholt zum Besten.

 

Methodenbewertung – zu langsam 

Beim G-BA sieht er Handlungsbedarf in der Methodenbewertung. Die ist ihm zu langsam, zu schwerfällig und nennt als Beispiel die Therapie beim Lipödem. Da habe sich die Selbstverwaltung selbst blockiert, habe dieses Thema fast zehn Jahre vor sich hergeschoben, erklärt er im Interview im Januar 2018. „Das geht nicht“, sagt er. „Zehntausende Patientinnen“ würden hingehalten. Und wenn die Selbstverwaltung nicht entscheide, „dann muss der Gesundheitsminister den konkreten Konflikt lösen können.“ Dafür habe er die Rechtsaufsicht und die demokratische Legitimation. Diese Behandlung müsse Kassenleistung werden. Und wieder geht Spahn über den Koalitionsvertrag hinaus. Dort steht lediglich, dass die Verfahren des G-BA beschleunigt werden sollen, indem der „Aufgabenkatalog und die Ablaufstrukturen gestrafft werden. Über neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden soll zukünftig schneller entschieden werden.“

Für das TSVG wagt Spahn einen ersten Versuch, die Methodenbewertung zu beschleunigen – auf Art des Ministers. Eine Ermächtigung plant das BMG, um per Ministerverordnung Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog der GKV zu bekommen. Die SPD – damals noch (verhältnismäßig) stark – schmettert das ab. Doch Spahn wäre nicht Spahn, wenn er sich geschlagen gibt. Im Entwurf des Implantateregister-Errichtungsgesetzes taucht das Thema wieder auf. Dieses Mal noch schärfer. Das BMG will danach nicht nur Rechts-, sondern auch Fachaufsicht bei der Methodenbewertung übernehmen, wenn Fristen nicht eingehalten werden. Auch will das Ministerium die Beratungsdauer der G-BA-Verfahren deutlich verkürzen. Für Spahn ist Aufgeben keine Option – koste es, was es wolle.

Die Kritik lässt nicht lange auf sich warten: Staatlicher Eingriff in die Selbstverwaltung, Patientensicherheit bleibe auf der Strecke. Selbst Koalitionspartner SPD kündigt in Person ihrer gesundheitspolitischen Sprecherin Sabine Dittmar jetzt Widerstand an. Ende offen.

 

Beschneidung der Selbstverwaltung – der sozialen und gemeinsamen

Tatsachen schafft Spahn mit dem TSVG bei der gematik. 51 Prozent der Anteile übernimmt das BMG, abgesegnet vom Koalitionspartner – nicht Inhalt des Koalitionsvertrages. Den staatlichen Einfluss rechtfertigt Spahn damit, dass beim Thema „elektronischer Gesundheitskarte“ (eGK) „seit 14 Jahren nichts passiert ist – zumindest nichts, was die Versicherten merken würden“, so der Minister in einem Interview. Der Vergleich scheint schlüssig: Mit der gematik sei es „wie mit dem Berliner Flughafen“: Ein „trauriges Kapitel“. Und wieder greift Spahn zu wohlbekannten Begriffen, darunter „Verlust des Vertrauens in die Politik“ und „seine Verantwortung als Minister“. Spahn: „Die Leute kommen ja mit ihren Beschwerden nicht zu den Kassen, sondern zu uns, zur Politik.“

Der Reigen an Beschneidungen der Selbstverwaltung, jetzt vor allem der sozialen, scheint nicht zu enden: Da sollen die Verwaltungsräte, ehrenamtlich von Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzt, aus dem Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes fliegen und mit Vorständen ersetzt werden, so im Referentenentwurf des GKV-FKG. Und bei den Medizinischen Diensten sind nach dem Kabinettsentwurf des MDK-Reformgesetzes aktive Selbstverwalter in den Verwaltungsräten nicht erwünscht. Dazu keine Silbe im Koalitionsvertrag.

Apropos GKV-FKG: Hier schießt Spahn nicht nur über den Koalitionsvertrag, sondern auch über sein eigenes gestecktes Ziel mit seinem Vorschlag zu Umstrukturierung der Kassenlandschaft hinaus. Deutlich bekommt Spahn den Widerstand der Länder zu spüren und die eigene Inszenierung Risse. Alle 16 Ministerpräsidenten lehnen unisono die Pläne zur Öffnung der AOKen ab. Ein halbes Jahr wartet die Bundespolitik schon auf einen mit der SPD und den Ländern konsentierten kabinettsreifen Gesetzentwurf. Ob das Spahn am Ende schaden wird? Zumindest die Neuordnung des Morbi-RSA interessiert allenfalls den gesundheitspolitischen Feinschmecker, und da im Wesentlichen die Vorstände der Krankenkassen. Mit mehr Pflegepersonal und schnelleren Arztterminen lässt sich bei den Wählern halt mehr punkten.

 

Eigene Wege auch bei der Organspende

Bei der Organspende geht der Macher Spahn wieder einmal eigene Wege – und versucht mit weichen Faktoren zu überzeugen. Festgelegt haben sich SPD und CDU/CSU im Koalitionsvertrag ausschließlich auf eine verbindliche Freistellungsregelung für Transplantationsbeauftragte und eine Finanzierung dieser. Auch die Organentnahme soll höher vergütet werden. Spahn reicht das nicht und erarbeitet mit dem damaligen SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach einen Gesetzesentwurf zur Organspende – die doppelte Widerspruchslösung. Die Parteien sind alarmiert, man verabredet sich auf zwei Varianten. Eigentlich sollte der Gesetzentwurf von Jens Spahn, Karl Lauterbach und weiteren Abgeordneten zeitgleich mit einem konkurrierenden Konzept unter anderem von Grünen-Chefin Annalena Baerbock, Ex-Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Ulla Schmidt (SPD) vorgestellt werden. Doch Spahn will schneller sein und verlegt die Pressekonferenz vor – am 1. April 2019.

Mit dem neuen Gesetz von Spahn & Co. soll unterstellt werden, dass jeder grundsätzlich bereit zur Spende ist – außer man widerspricht. Und bei der Vorstellung zeigt sich Spahn wieder emotional und verständnisvoll. „Die Argumente, die heute gegen die Widerspruchslösung geäußert werden, habe ich damals auch vorgebracht“, sagt er. Es habe nicht gefruchtet. Alles, was man bisher versucht habe, um die Versorgungssituation zu verbessern, „hat nicht funktioniert“. „Schädlich“ nennt diesen Regelungsvorschlag Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und im Übrigen „unnötig“, weil sich die Zahl der gespendeten Organe durch Strukturreformen in den Krankenhäusern, nicht aber durch eine Widerspruchslösung steigern lasse, wie ein Blick ins Ausland zeigt.

Baerbock, Schmidt und Gröhe wollen ebenso die Organspende-Zahlen erhöhen, freiwillig mit verbindlichen Abfragen, beispielsweise im Bürgeramt bei der Führerschein- oder Passbeantragung, mit individueller Aufklärung beim Hausarzt und Informationskampagnen.

Um das Thema zu forcieren, schlägt Spahn medienträchtig außerdem vor, das Thema bereits im Schulunterricht zu erörtern: Ein kleiner, aber öffentlichkeitswirksamer Punkt eines „Gemeinschaftlichen Initiativplanes Organspende“, der unter Federführung der Deutschen Stiftung Organspende und Mitwirkung der Länder, Bundesärztekammer, GKV-Spitzenverband und PKV, DKG sowie zahlreichen Verbänden erstellt worden ist. Das Thema ist gesetzt, bis Ende des Jahres soll es eine Entscheidung im Bundestag geben – Ziel erreicht.

Bei seiner Rede im Bundestag zur Haushaltsdebatte zeigt sich Spahn, wie man ihn kennt: lösungsorientiert, auf der Suche nach Vertrauen und mit Ergebnissen, die sich sehen lassen können. Vier Berufegesetze hat Spahn auf den Weg gebracht, „die seit 40/50 Jahren nicht überarbeitet wurden“, wie er sagt. Für Psychotherapeuten werde ein eigenständiges Studium geschaffen, für die Hebammen ein duales Studium eingeführt. Für Anästhesie- und Operationstechnische Assistenten werde es erstmalig bundeseinheitliche Ausbildungsvorschriften geben. Für Pharmazeutisch-technische Assistenten in den Apotheken würden mehr Kompetenzen für eine bessere Beratung vorgesehen. Viele Betroffenen sind voll des Lobes. Die Heilmittererbringer feiern ihn wegen besserer Vergütungen und Verhandlungsstrukturen – im TSVG festgelegt.

Spannend werden auch die kommenden Wochen und Monaten mit Spahn – da sind sich die Akteure der Branche einig. Wachsamkeit sei gefordert, denn in jedem Gesetz versteckten sich zahlreiche Themen, die nicht zum eigentlichen Problem gehören. Ist dem Minister etwas noch wichtig, fließt es mit ein.

 

Arbeit geprägt von Ehrgeiz

Neu auf dem Weg ist der Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung von Rehabilitation und intensiv-pflegerischer Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung – Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz (RISG)“. Die Vertreter der Reha sind begeistert, Angehörige von intensiv-beatmeten Patienten auf den Barrikaden.

Die Arbeit des Bundesgesundheitsministers ist geprägt von seinem Ehrgeiz. Spahn schafft Tatsachen. „Ich bin ein Entscheider. Ich möchte, dass wir zu Ergebnissen kommen“, sagt er über sein Handeln. Akteure – ob Freund oder Feind – schätzen ihn als durchsetzungsstark und Macher. Da ist es auch egal, dass der Koalitionsvertrag nur am Rande eine Rolle spielt, und Spahn die Erfolge als seine eigene in der Öffentlichkeit verkauft.

Aus dem unscheinbaren Bereich Gesundheit und Pflege ist ein wichtiger geworden. Ob fehlende Ärzte auf dem Land, zu wenig Pflegekräfte in Krankenhäusern und in Heimen, Defizite in der Digitalisierung im Gesundheitsweisen – darüber wird in Deutschland diskutiert. Und das ist ein Verdienst von Jens Spahn. Seine Arbeit kommt trotz aller Kritik an – auch bei den Bürgern. Spahn ist im aktuellen Ranking des ZDF-Politbarometers unter den ersten zehn.

Und der CDU-Politiker will mehr in seiner Partei. Gesundheits- und Pflegepolitik profitieren davon.

 

Die politische Analyse beruht u.a. auf einem systematischen Abgleich des Koalitionsvertrags mit den verschiedenen Gesetzgebungen, die in der bisherigen Amtszeit Jens Spahns realisiert oder auf den Weg gebracht wurden. Die Dokumentation finden die Kunden der Observer Datenbank 4.0 im Monitor Bundesregierung, Halbzeitbilanz .


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