08.04.2025
Versorgen statt Verwalten
Betriebe von Bürokratie befreien und zugleich den Beitragssatz der GKV stabilisieren
Alf Reuter, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT)
Wenn heute über Entbürokratisierung im Gesundheitswesen gesprochen wird, geht es oft um „Effizienz“ oder „Arbeitsentlastung“. Beides ist wichtig – doch das greift zu kurz. Denn Entbürokratisierung ist vor allem eines: eine konkrete, sofort wirksame Maßnahme zur Kostenentlastung des GKV-Systems. Und genau das brauchen wir angesichts der demografischen Entwicklung und der steigenden Ausgaben dringender denn je.
Die von uns vertretenen rund 4.500 orthopädietechnischen Betriebe und Sanitätshäuser erzielen etwa 90 Prozent ihres Umsatzes mit gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Statt sich der ärztlich verordneten Versorgung des Versicherten zu widmen, binden Verwaltungsgaben des GKV-Systems einen erheblichen Teil der Betriebsressourcen – ohne Mehrwert für die ärztlich veranlasste Versorgung, aber mit enormem Preis für die Versichertengemeinschaft.
Bürokratie kostet – und zwar Millionen Arbeitsstunden
Unsere jüngste Branchenumfrage vom Frühjahr 2025 zeigt erneut: Über 30 Prozent der Arbeitszeit in unseren Betrieben entfallen auf Verwaltung. Rechnet man das auf unsere etwa 48.000 Beschäftigte hoch, sprechen wir von einer Größenordnung von etwa 24 Millionen Stunden jährlich, die mit Genehmigungsprozessen, Dokumentationspflichten, Vertragspflege und Abrechnungen verbracht werden. Hoch ausgebildete medizinische Fachkräfte werden so blockiert.
Zwei Beispiele verdeutlichen die strukturelle Schieflage: Für die Versorgung mit einer konfektionierten Kniebandage fallen 22 Minuten an – für Beweglichkeitsprüfung, Maßnahmen und Beratung. Die GKV-Verwaltung drumherum? 31 Minuten. Bei der Versorgung mit einem konfektionierten Kompressionswadenstrumpf stehen 44 Minuten für eine fachkundige Beurteilung des Krankheitsbildes und entsprechendem Maßnahmen 42 Minuten GKV-Verwaltung gegenüber. Dabei werden diese Fachkräfte dringend am Patienten gebraucht – Studien zeigen eine Unterversorgung von teils 40 Prozent.
Allein für diese beiden Versorgungen entstehen so jährlich über 585.000 Stunden GKV-Verwaltungstätigkeit – und das in Papierform, nicht digital, nicht automatisierbar. Diese Zeit fehlt an anderer Stelle. Sie kostet hochqualifizierte Fachkräfte, Patientenzufriedenheit und – ja – bares Geld.
Vertragsvielfalt: der teuerste Umweg im System
In Deutschland existieren rund 1.000 Rahmenverträge zur Versorgung mit Hilfsmitteln. Der BIV-OT allein verwaltet ca. 380.000 Vertragsbeitritte seiner Mitglieder, führt jährlich über 600 Verhandlungsstunden mit Kassen, die sich pro Vertrag oft über mehrere Jahre ziehen. Diese Fragmentierung zieht sich bis zum einzelnen Betrieb: Jeder dieser oft hunderte Seiten umfassende Vertrag muss geprüft, korrekt umgesetzt und die Umsetzung exakt dokumentiert werden – sonst drohen Ablehnungen oder Retaxationen. Diese Komplexität kostet – und sie zahlt die Versichertengemeinschaft.
Dabei sind die verhandelte Regelversorgung und der Stand der Technik eigentlich für jeden Versicherten gleich. Das Hilfsmittelverzeichnis (HMV) des GKV-Spitzenverbandes legt den Mindeststandard und damit die Regelversorgung für alle Versicherten gleichermaßen verbindlich fest. Als normiertes Produktverzeichnis, das Verweise zu Indikationen, Rechtsgrundlagen, dem Stand der Technik als auch den geltenden Versorgungsverträgen enthält, regelt es den Rahmen jeder Verhandlung. Damit haben wir einen Standard, auf dem wir aufsetzen könnten. Jede Kasse regelt daher in Verhandlungen dasselbe – aber jede möchte diesen Rahmen für sich anders und in anderen Formblättern und Prozessen fixieren und dokumentieren. Das ist krank.
Wir fordern: Qualitätswettbewerb statt Preiskrieg. Wenn die Rahmenbedingungen für alle gleich wären, würde nicht der günstigste Anbieter, sondern der Beste die Gunst der Versicherten gewinnen. Dann hätten Versicherte die freie Wahl des Sanitätshauses. Sie könnten vergleichen, wer für sie der beste Versorger ist. Das entscheidet sich sicher nicht am Motto „Hauptsache billig”. Das schützt die Versorgungsqualität und die wirtschaftliche Substanz leistungsfähiger Betriebe in der Fläche. Es sichert die Versorgung in Stadt und Land, in Struktur starken wie schwachen Gebieten. Es sichert die Regelversorgung von Versicherten bei kleinen BKKen und großen Ersatzkassen. Es sichert die Effizienz über alle Versicherten – und das spart enorm.
Fazit
Bürokratieabbau senkt Kosten – sofort und ohne Versorgungsrisiko. Wir brauchen:
- einheitliche Verträge und Prozesse
- digitale, entlastende Lösungen
- Vertrauen statt Kontrolle.
Die Politik muss jetzt handeln – für eine starke, bezahlbare Versorgung nach dem Motto „Versorgen statt verwalten”.
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