Überlegungen zu den Wahlprogrammen 2025

Dr. Robert Paquet

Am Ausgangspunkt steht die Frage: Lohnt sich die sorgfältige Lektüre der Wahlprogramme überhaupt? Auch die Fleißarbeit, die Inhalte der gesundheits- und pflegepolitischen Kapitel sortiert nach Themen gegenüberzustellen (siehe Synopse I und II), bringt keine wirklich neuen Erkenntnisse[1].

Wie erwartet zeigt sich: Im Großen und Ganzen versprechen und fordern die Parteien das, was man auch ohne die Lektüre von ihnen erwartet hätte. Trotzdem: Es gibt zarte Ansätze zu Strukturveränderungen, interessante Übereinstimmungen bestimmter Positionen und einzelne, bemerkenswerte Profilierungsversuche.

Nach der Diskussion der zentralen Aspekte wird auf die einzelnen Parteien eingegangen. Im Anschluss werden zielgruppenorientierte Positionen kommentiert und ein Fazit gezogen. Für die Koalitionsverhandlungen könnte doch noch relevant werden, was in den Programmen aufgeschrieben ist.

 

Einstieg – Relevanz für die Bundestagswahl

Mit Gesundheitspolitik kann man bekanntlich keine Wahlen gewinnen, man kann aber damit Wahlen verlieren. Das wissen alle Parteien und ergehen sich daher in möglichst allgemeinen Versprechungen und halten sich mit Zumutungen für größere Gruppen zurück. Selbst die Bürgerversicherung (bei SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der Linken und dem Bündnis Sahra Wagenknecht, BSW) wird so verpackt, dass die Privilegien der PKV-Versicherten verallgemeinert werden; niemand soll etwas verlieren. Insoweit gibt es nur wenige Forderungen, die überhaupt zur Allgemeinheit durchdringen. Das dürfte z.B. für die SPD-Forderung gelten, die Eigenanteile in der stationären Pflege auf maximal 1000 Euro pro Monat zu begrenzen. (Wobei von der Partei selbstverständlich nicht erwähnt wird, welche Beitragssatzerhöhung das in der sozialen Pflegeversicherung, SPV, auslösen würde.).

Wie das Wartezeiten-Problem, das die Menschen wirklich bewegt[2], durch eine Entbudgetierung der Hausärzte (SPD, FDP, AfD, BSW) gelöst werden soll, ist schon komplizierter zu verstehen. Da muss man schon ziemlich um die Ecke denken. Wie angesichts dieser und anderer Versprechungen der Gesamtsozialversicherungsbeitrag wieder in Richtung auf das Niveau von 40 Prozent gesenkt werden soll, wie es die FDP verspricht und auch die CDU in ihrer „Agenda 2030“ angekündigt hat, bleibt ein Geheimnis.

Übrigens ist bei der FDP die Entbudgetierung der Ärzte sicher ernst gemeint. Aber gleichzeitig steht zur GKV-Finanzierung auch der Satz im FDP-Text: „In Zukunft (sollen) die Ausgaben nicht stärker wachsen als die Einnahmen.“ – Die geradezu klassische Formulierung für eine Globalbudgetierung. Was gilt dann eigentlich? Aber die Frage ist vielleicht zu kleinlich gedacht, denn bei den Programmen geht’s ums Große und Ganze.

Ansonsten versprechen alle Programme, dass die Versorgung auf dem Lande (FDP: „überall“) gesichert werden soll, tendenziell dass alle Krankenhaus-„Standorte“ irgendwie erhalten bleiben und so weiter. Alle Programme sind insoweit strukturkonservativ. Letztlich soll alles so bleiben wie es ist, nur das Bestehende soll immer besser werden bzw. endlich wunschgemäß funktionieren (z.B. die Arzneimittel-Versorgung). Konzentrieren wir uns also auf die zwei zentralen Punkte.

 

1. Finanzierung

Die Finanzierung von GKV und Pflegeversicherung ist das drängendste Problem der Gesundheitspolitik. Es wurde vor allem in der auslaufenden Wahlperiode in verantwortungsloser Weise ignoriert. Angesichts der aktuellen Beitragssatzerhöhungen zum Jahresanfang hat es jedoch höchste Aktualität und erreicht die Breite der Bevölkerung[3]. Hierzu gibt es in den Wahlprogrammen außer Allgemeinplätzen die Dominanz der alten Polarisierung: Beibehaltung des Status Quo (mit dem „dualen System von GKV und PKV“) versus dem Konzept der Bürgerversicherung. Kapitalgedeckte Ergänzungen des „dualen Systems“, wie sie die Union und die FDP vorschlagen, haben in der Pflegeversicherung bisher nicht überzeugend funktioniert (Stichwort: „Pflege-Bahr“).

Die Verfechter der Bürgerversicherung bei SPD und Grünen haben jedoch dazugelernt. Durch die Idee einer Einbeziehung der PKV in einen Risikostrukturausgleich mit der GKV wird ein möglicherweise handhabbares Verfahren vorgeschlagen. Die Grünen haben überdies mit der Stärkung der „Wahlfreiheit der Beamt*innen“ den verletzbarsten Punkt der PKV angesprochen. Linke und BSW bleiben mit ihren Forderungen zur Bürgerversicherung dagegen plump und plakativ. Die AfD sitzt bei der Bekämpfung der angeblich viel zu hohen Verwaltungskosten der Kassen (und KVen) falschen Fakten auf und knüpft mit Begeisterung an offensichtlich unausrottbare Vorurteile an („aufgesplitterte Selbstverwaltungsstrukturen“). In den Programmen zeigen sich in puncto Finanzierung jedoch auch weitere problematische Entwicklungen.

In allen Programmen werden viele Institutionen und Leistungen verbessert, gestärkt und weiterentwickelt, besser integriert, koordiniert und vernetzt. Jedem Kenner des Systems ist dabei klar, dass das alles nicht zum Null-Tarif zu haben ist. Die SPD postuliert sogar, dass die versicherungsfremden Leistungen im Gesundheitswesen künftig verstärkt aus Steuermitteln bezahlt werden sollen. Woher rührt der Optimismus, in der kommenden Wahlperiode ein Versprechen des Koalitionsvertrags von 2021 umsetzen zu können, das schon zu (wirtschaftlich) besseren Zeiten nicht eingelöst werden konnte?

Im Grunde gibt es bei keiner Partei ein Konzept zur Stabilisierung der Beitragssätze. Der Elefant im Raum heißt Kostendämpfung, egal ob über Zuzahlungen, Leistungskürzungen oder auch Budgets etc. Der ständige Verbesserungsdiskurs ist wie das Singen eines Kindes im dunklen Keller, um die eigene Angst in Schach zu halten. Über (Mehr-)Kosten darf partout nicht geredet werden.

Außerdem macht die Einführung einer Vorhalte-Vergütung durch die aktuelle Krankenhausreform (KHVVG) leider Schule. Die bereits geltende Selbstkostendeckung bei den Pflegekräften soll mit diesem Gesetz in Zukunft auch auf das ärztliche Personal erweitert werden (mit § 137m SGB V). SPD, AfD und Linke fordern allgemeine gesetzliche Personalvorgaben. Die SPD strebt generell an, dass „Vorhaltekosten der Leistungserbringer“ in einem „einheitlichen Vergütungssystem“ berücksichtigt werden sollen.

Damit feiert das Selbstkostendeckungsprinzip – nicht nur programmatisch – fröhliche Urständ. Ignoriert wird dabei die Tatsache, dass bisher die Gesundheitseinrichtungen von Krankenhäusern bis zu den Arztpraxen und MVZ selbständige Wirtschaftseinheiten sind. Der nicht genug zu schätzende Vorteil daran ist, dass sie eine unternehmerische Verantwortung für einen effizienten Mitteleinsatz wahrnehmen (müssen). Schon dieser Grundgedanke wird links (und ganz rechts) von der Mitte nicht (mehr) geteilt bzw. abgelehnt.

Letztlich wird damit geleugnet, dass die Mittel, die unsere Gesellschaft für das Gesundheitswesen aufbringen kann, begrenzt sind. Stattdessen dominiert bei diesen Parteien der Glaube, der Staat könne die Versorgung besser organisieren und sei der bessere Manager. Dem korrespondieren die Verstaatlichungsideen für die Krankenhäuser (und weitere Gesundheitseinrichtungen) bei der Linken und dem BSW sowie bei der AfD.

 

2. Strukturveränderungen in der ambulanten Versorgung

Die einzige tatsächliche Strukturveränderung, die angesprochen wird, findet sich in der ambulanten Versorgung. Die Union spricht von Patientensteuerung, Grüne und FDP wollen die Einführung eines „Primärarztsystems“. Was das heißt, ist unausgegoren. Womit geht das über die hausarztzentrierte Versorgung hinaus? Muss das nicht als Wahltarifmodell konzipiert werden? Gibt es dann noch andere Tarife, mit welchen finanziellen Konsequenzen etc.?

Jedenfalls ist dafür kein Konzept bekannt, keines, das den Versicherten/Patienten nicht Wahlentscheidungen mit Beitragswirkung abverlangen würde. Auch die SPD zielt auf dieses Problem ab, geht aber den umgekehrten Weg. Kassen und KVen sollen für eine „Termingarantie“ sorgen, die bei Nicht-Einhaltung zu Beitragsreduzierzungen bei den Versicherten führen soll. (Auch die Grünen sprechen sich für schnellere Termine durch einen höheren „Sprechstundenanteil“ der GKV-Patienten aus.) Wenn das nicht nur eine Wahlkampfidee ist, könnte ein Vorschlag des GKV-Spitzenverbandes dahinter stehen: Danach sollen die Vertragsärzte verpflichtet werden, freie Termine an eine zentrale Stelle zu melden, die dann von dort aus an die Versicherten vergeben werden, die einen (Fach-)Arzt suchen. Ein System, das sich jedoch mit der „Neupatientenregelung“ und den Terminservicestellen schon als wenig überzeugend erwiesen hat. Man sieht: Bei beiden Ansätzen sind viele Fragen offen.

Auch Wahltarife wären eine Zumutung an die Versicherten, denn sie funktionieren nur, wenn man auch Leistungsklassen definiert, die mit den niedrigeren oder höheren Beitragszahlungen korrespondieren. Bei den Parteien links von der Mitte wurde das stets als Entsolidarisierung abgelehnt und stattdessen die Bürgerversicherung als Lösung präferiert. In die alle Bürger nach ihrem Einkommen einzahlen und „grundsätzlich gleiche Leistungen auf dem Niveau der höchsten medizinischen Standards erhalten“, wie es beim BSW so schön heißt.

Wenn die Union dann „mehr Effizienz beim Einsatz von Beitragsmitteln“ beschwört, weiß man nicht, was sie sich dabei vorstellt. Auch die „Stärkung des Wettbewerbs der Krankenkassen“ (Union) ist eine Worthülse. Ein Konzept der Union, das über den Status Quo hinausweist, ist nicht bekannt; es müsste dabei um Leistungsunterschiede oder Wahltarife gehen (siehe oben).

Darüber hinaus fordern (fast) alle Parteien mehr Ärzte, Pflegekräfte und entsprechende Studien- bzw. Ausbildungsplätze. Das löst jedoch die heutigen Probleme nicht, denn bis der Medizin-Studienanfänger von 2025 als Arzt arbeiten kann, vergehen mindestens acht Jahre. Außerdem geht die Forderung nach ständig „mehr“ am Problem vorbei: Der deutsche Personalbestand ist im internationalen Vergleich eher überdurchschnittlich gut; die Leute werden nur nicht dort und in der Weise eingesetzt, wie es effizient wäre. Die Forderung hat schließlich für die Gesundheitspolitiker im Bund den Charme, dass man Verantwortung auf die Länderfinanzierung abschieben kann.

Explizit wird bei FDP und AfD auf die Bewahrung der freiberuflichen Inhaberpraxis („als Rückgrat der ambulanten Versorgung“, so die AfD) hingewiesen. Dem korrespondiert bei der Linken und beim BSW das Stopp-Signal an MVZ, die von externem Kapital betrieben werden. (Entsprechende Skepsis gibt es explizit auch bei den Grünen). Dahinter verbirgt sich eine rückwärts gewandte Utopie, die dem Leitbild der Ärztefunktionäre von KBV und BÄK entspricht. Bei ihnen gibt es kein Bild einer zukunftsfähigen ambulanten Versorgungsstruktur; während die nachrückenden Ärztegenerationen längst den Angestellten-Status bevorzugen oder selbst in die Gründung von MVZs einsteigen. Ihre veränderte Orientierung in die berufsständischen Organisationen einzubringen, haben sie (leider) keine Zeit und vor allem keine Lust; damit kommt für die Wahrnehmung in der Politik, die auf die Institutionen und ihre Repräsentanten hört, ein verzerrtes Bild zustande. Nur SPD und Grüne haben eine Ahnung, dass sich hier die Strukturen schon grundlegend ändern und ändern müssen. Bei ihnen geht es immerhin um die Förderung kommunaler MVZs (SPD) oder die Einführung „gemeinsamer Versorgungszentren“ (Grüne) etc. Auch wenn man nicht so richtig weiß, wie man sich das alles vorstellen soll (das gilt auch für die „Gesundheitsregionen“ (Grüne) und die „regionalen Netzwerke“ (SPD), gibt es hier jedenfalls ein Bewusstsein für den Veränderungsbedarf und die Notwendigkeit der Suche nach neuen Lösungen. Und das wird auch ausgesprochen.

 

3. Die Parteien

 

3.1      Die SPD nutzt ihren Vorteil

Zum Wahlprogramm der SPD gehört natürlich auch, den Fundus des Gesundheitsministeriums zu aktivieren. So hat Minister Lauterbach schon am 18.12. des vergangenen Jahres in einem Brief[4] den Mitgliedern der zwei verbliebenen Koalitionsfraktionen Sprachregelungen zum „viel erreicht – und viel vor“ mit in die Weihnachtsferien gegeben. Dabei schlägt die ganz spezielle Selbstwahrnehmung des Ministers voll durch. Gefeiert wird vor allem die Einhaltung des Versprechens, dass es in dieser Wahlperiode keine Leistungseinschränkungen geben sollte. Dann wird das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz und die Erhöhung der Pflegebeiträge durch Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz als solide finanzielle Grundlage für die überfälligen Strukturreformen dargestellt.

Auch das Krankenhaus-Transparenzgesetz mit seinem „Krankenhaus-Atlas“, den aus guten Gründen fast keiner nutzt, und das nahezu wirkungslose Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungsgesetz werden als große Erfolge gepriesen. Wer so argumentiert, muss schon in einer ganz eigenen Welt leben.

Sicher der wichtigste echte „Erfolg“ des Ministers ist das Krankenhausversorgungs-Verbesserungsgesetz (KHVVG). Es wird die Länder erstmals dazu zwingen, tatsächlich Krankenhausplanung zu betreiben, dazu einheitliche Begriffe zu benutzen und dabei Verantwortung zu übernehmen. Das ist zweifellos positiv. Die damit einhergehende Hypothek ist die Vorhaltefinanzierung, die als weiteres Virus der Selbstkostendeckung auch schon andere Sektoren des Gesundheitswesens infiziert. Zum Beispiel die Ärzte fordern das inzwischen auch für die ambulanten Praxen[5]. Interessant ist jedoch der Wandel im Narrativ: Im ersten Aufschlag der wissenschaftlichen Kommission zur Krankenhausreform wurde fast die Hälfte der Häuser (vor allem die kleinen) für überflüssig erklärt. Im Brief von Lauterbach erhalten jetzt vor allem „kleine und bedarfsnotwendige Krankenhäuser…eine echte Perspektive“. Aha!

Außerdem im BMG-Warenkorb: Es wurden zwar punktuell Maßnahmen ergriffen, um die Arbeitsbedingungen und die Vergütung der Beschäftigten in den Krankenhäusern zu verbessern (etwa die Pflegepersonalbemessung „PPR 2.0“), aber insgesamt zu Lasten der GKV und mit der Wirkung, dass ein effizienter Personaleinsatz im Krankenhaus erschwert wurde. Faktisch haben sie zur Verschärfung des Fachkräftemangels beigetragen, und nicht zur Lösung des Problems. Die Digitalisierungsgesetze sind in der Sache nur die logische Fortsetzung aus der vorigen Wahlperiode. Fortgesetzt bei diesem Thema wurde leider auch die eigentümliche Mischung aus vollmundigen Versprechungen und ambitionierten Terminen und darauf folgenden Verzögerungen wegen technischer Probleme und mangelnder Vorbereitung, also der ständige Wechsel von Kavalierstart und Vollbremsung. Das hat z.B. der Akzeptanz der elektronischen Patientenakte nicht gut getan.

Für die Zukunft wird in einer Überschrift „finanzielle Stabilität und Leistungsfähigkeit von GKV und SPV“ versprochen. Die Rede im Text ist allerdings leider nur von der SPV. Dazu heißt es: „Daher ist ein Gesamtpaket zur stabilen und dauerhaften Finanzierung der SPV erarbeitet worden. Es sieht Maßnahmen zur Schließung der Finanzlücke vor. Zugleich sollen mehr Kapazitäten beim Pflegepersonal geschaffen und bessere Präventionsmaßnahmen vorgesehen werden, um den Eintritt von Pflegebedürftigkeit zu verzögern oder gar zu vermeiden.“ Man ist erstaunt: Von diesem Konzept hat bisher noch niemand außerhalb des BMG (oder außerhalb von Lauterbachs Schreibbüro) etwas gesehen.

Ansonsten werden die gescheiterten Gesetzesvorhaben wieder ins Schaufenster gestellt: Das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz mit der Hausärzte-Entbudgetierung, aber auch dem Recycling der drei Wundertüten „Gesundheitskioske, Gesundheitsregionen und Primärversorgungszentren“, unter denen sich jeder vorstellen kann, was er sich gerade wünscht. Die notwendige Reform von Notfallmedizin und Rettungsdienst, die Apothekenreform, das „Gesundes-Herz-Gesetz“, das Gesetz zur Stärkung der öffentlichen Gesundheit (BIÖG-ErrichtungsG), das Pflegefachassistenzeinführungsgesetz und das Pflegekompetenzgesetz etc.

Für diese Projekte gilt, dass sie mehr oder weniger vernünftig und konsensfähig sind. Im Brief klingt das abschließend so: „…verfügen wir über gute und ausgereifte Regelungsvorschläge, auf deren Grundlage die Modernisierung unseres Gesundheitswesens in der nächsten Legislaturperiode fortgeführt werden kann.“ Bei manchen Vorhaben ist die Wiederaufnahme bzw. Weiterentwicklung in der nächsten Wahlperiode zwingend (sicher kontrovers die Reform von Notfall- und Rettungsdienst, eher konsensuell die Vereinheitlichung der Pflegefachassistenz-Ausbildung). Bei anderen, die nur der Lauterbach‘schen Sonder-Wissenschaft entspringen, wie dem Gesundes-Herz-Gesetz oder dem Gesetz zur Errichtung eines neuen Instituts zur Bekämpfung der nicht-infektiösen Erkrankungen, wäre es jedoch nicht schade, wenn sie endgültig untergingen.

Der Brief richtet sich an die Abgeordneten und damit nur indirekt an die Wähler. Ob die Mitglieder der zwei verbliebenen Koalitionsfraktionen mit dem Lauterbach‘schen Spruchgut etwas anfangen können und wollen bzw. sich das Nachbeten dieses Eigenlobs zutrauen, bleibt abzuwarten. Im Zweifel steht ihnen immer die Ausflucht zur Verfügung, an allen uneingelösten Versprechungen (auch schon des Koalitionsvertrages) wäre die böse FDP mit ihrer Schuldenbremse schuld.

 

3.2      CDU/CSU hält sich eher bedeckt

Im Wahlprogramm der CDU/CSU fällt auf, dass das Thema Gesundheit und Pflege weit nach hinten gerückt ist. Auch im Entwurf des Sofortprogramms der CSU-Landesgruppe[6] kam sie außer bei den Lieferengpässen für Kinderarzneimittel und der Wiederabschaffung der Cannabis-Gesetze überhaupt nicht vor („wichtige Medikamente insbesondere für Kinder [sollen] wieder verstärkt in Europa produziert werden“, Seite 22). Auch hieran zeigt sich, dass Gesundheits- und Pflegepolitik keine besondere Priorität genießen. Die CSU hat allerdings in der beschlossenen Fassung bei der Pflege („streben wir eine Strukturreform für die Langzeitpflege mit sektorenübergreifender Infrastruktur an“) und beim Krankenhaus („hochwertige Versorgung in der Stadt und auf dem Land sicherstellen“) etwas nachgebessert (ebenda).

Die angesprochenen Vorhaben sind denn auch entweder konservativ (z.B. „kalten Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft verhindern“, Präsenzapotheken erhalten etc.) oder diffus (mehr Effizienz beim Einsatz der Beitragsgelder von GKV und SPV). Einen bescheidenen Hinweis auf Änderungen gibt allerdings die zweimalige Erwähnung der „Eigenverantwortung“. Dahinter steht zwar kein erkennbares Konzept, es könnte aber um die Einführung von Wahltarifen gehen, so wie es (der nach wie vor in Sachen Gesundheitspolitik in der Union einflussreiche) Josef Hecken in seiner Neuerfindung der „solidarischen Wettbewerbsordnung“ in einem Papier für die Konrad-Adenauer-Stiftung[7] kürzlich ausgeführt hat. Dazu würde dann auch passen, dass die Union die GKV-Finanzen durch eine Stärkung des „Wettbewerbs der Krankenkassen“ stabilisieren will (was andernfalls recht kryptisch bliebe).

Auch die versprochene „Stärkung der ambulanten Versorgung“ könnte so gedeutet werden. Hier sollen die Haus- und Kinderarztpraxen weiterentwickelt werden, was nach Lage der Dinge nur auf deren Entbudgetierung hinauslaufen kann. So hat es jedenfalls der Vorsitzende der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, Klaus Holetschek dem Hausärzteverband versprochen (neben der Eindämmung der „investorengetragenen MVZ“)[8]. Im Gegenzug sollen die Praxen – das ist das einzig innovative Element in diesem Kapitel – „eine stärkere Steuerungsfunktion der Patienten übernehmen, um zu einer besseren Koordination der Behandlungsabläufe beizutragen und die Wartezeiten auf Arzttermine zu senken“ (S. 68). Wie man sich das genauer vorzustellen hat, bleibt unausgesprochen. Es könnten aber die entsprechenden Wahltarif-Skizzen von Bundesärztekammer oder der KBV gemeint sein.

Auch bei der Pflegeversicherung hält sich das Programm – trotz der drängenden Finanzierungsprobleme – sehr bedeckt. Man brauche hier „einen umfassenden gesellschaftlichen Dialog über das zentrale Zukunftsthema Pflege und müsse neue Wege gehen, damit die Versorgung von Pflegebedürftigen verlässlich und bezahlbar bleibt“. Das klingt sehr vorsichtig und passt eigentlich nicht zu der „klaren Finanzierungsstruktur“, die von der Union angestrebt bzw. behauptet wird. Die wird dann nämlich mit dem altbekannten „Finanzierungsmix“ (bestehend aus der gesetzlichen Pflegeversicherung, der betrieblichen Mitfinanzierung, Steuermitteln sowie einer eigenverantwortlichen Vorsorge) beschrieben, also faktisch mit dem Status quo. Die weiteren Vorschläge (Einführung eines Pflegebudgets, Vorrang für Prävention und Reha, neue Wohn- und Betreuungsformen etc.) sind alte Hüte und lösen nicht die zentralen Probleme.

An allererster Stelle steht für die Union aber die Aufrechterhaltung des dualen Systems von GKV und PKV. Dass diese Position in Koalitionsverhandlungen mit der SPD und/oder den Grünen geschleift wird, ist weniger wahrscheinlich wie die Lockerung der Schuldenbremse und würde den Markenkern der Union beschädigen.

Ausgesprochen wohltuend ist allerdings, dass im Kapitel Gesundheit und Pflege keine Finanzierungsversprechen gemacht werden, deren Finanzierung nicht gedeckt ist. Solche Luftschlösser werden bei der Union an anderer Stelle umso liebvoller aufgetürmt (vor allem bei der Steuerpolitik), was ja in der allgemeinen Kommentierung schon zu genüge kritisiert worden ist.

 

3.3 Die anderen Parteien

Bündnis 90/Die Grünen haben das entsprechende Kapitel eher kurzgehalten und bewegen sich weitgehend im Schulterschluss mit der SPD. Sie stehen loyal zum Kurs der Ampel, etwa zur Vernetzung von ambulanter und stationärer Versorgung, und sehen sich nicht unter Druck, zu jedem Thema etwas aufzuschreiben. Immerhin ringen sie sich dazu durch, die Krankenhausreform „zusammen mit den Ländern … nachbessern“ zu wollen. Bemerkenswert ist noch der „Bund-Länder-Pakt für mentale Gesundheit“, der „insbesondere Kindern und Jugendlichen, …im Bedarfsfall niedrigschwellige Zugänge zu passgenauen psychosozialen und therapeutischen Angeboten“ eröffnen soll. Schließlich setzen sie sich für eine bessere Vorbereitung auf den Ernstfall ein: „Wir wollen unser Gesundheitswesen auf Epidemien, große Katastrophen und militärische Bedrohungen besser vorbereiten.“ Das ist nur konsequent angesichts ihrer enthusiastischen Unterstützung der Ukraine.

Bei der FDP ist das Gesundheitskapitel am kürzesten (im insgesamt kurzen Wahlprogramm). Der Text ist noch weitgehend von der gemeinsamen Zeit der Ampel geprägt. Allerdings will die Partei „alle Leistungsausweitungen der letzten zehn Jahre einem Evidenz-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitscheck unterziehen“ und dann die Leistungen, „die sich nicht bewährt haben, … aus dem GKV-Leistungskatalog“ wieder streichen. Im Hinblick auf den Wahlkampf versucht die Partei jedoch, die eigenen Akzente herauszustreichen. Das explizite Bekenntnis zum „dualen System von GKV und PKV“ ist charakteristisch. Mit der klaren Forderung nach zusätzlichen „kapitalgedeckten“ Elementen in der Pflegeversicherung geht die FDP noch etwas über die Union hinaus.

Die Betonung der „Eigenverantwortung“ gehört bekanntlich zur DNA der FDP. So wird für gesundheitsgerechtes Verhalten und aktive Präventionsanstrengungen ein reduzierter Zusatzbeitrag für die Versicherten in Aussicht gestellt. Industriepolitischer Akzent ist das Versprechen an die Pharmabranche, die „Zulassungsverfahren (zu) beschleunigen, di e Regeln der Nutzenbewertung und der Preisverhandlungen (zu) überprüfen“. Zur Profilierung gegen die Ampel dienen die Feststellung zur Corona-Pandemie: „Defizite, fehlende Vorbereitungen sowie übermäßige Grundrechtseingriffe haben das Vertrauen in unsere Institutionen enorm beschädigt“, und die Forderung nach der Aufarbeitung durch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Die Forderung nach „Selbstbestimmung am Lebensende“ („Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben“) ist ein Alleinstellungsmerkmal der FDP. Die bei der FDP besonders beliebten Forderungen nach Bürokratie-Abbau gehören inzwischen fast überall zur Programm-Folklore.

Wie „table.media“ berichtet, versucht die FDP – nicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte – eine zweite Stufe zur Erhöhung der Aufmerksamkeit für ihr Wahlprogramm zu zünden[9]. Am 13.1.2025 hat ihr Bundesvorstandes ein Ergänzungspapier zum Wahlprogramm beschlossen. Es enthält keine Richtungsänderungen, aber einige bemerkenswerte Ergänzungen. So soll der Wettbewerb der Kassen um Qualität und Service dadurch gestärkt werden, dass sie vom Leistungskatalog abweichen können. „Den Spielraum für Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern wollen wir ausweiten, um innovative Versorgungsformen zu ermöglichen.“ Außerdem soll die „Beitragsrückerstattung als Standard für alle“ als „Anreiz zu kostenbewusstem Verhalten“ ermöglicht werden (S. 56f). Die Forderung nach einem Primärarztsystem wird im Sinne von Wahltarifen präzisiert und ergänzt: „Versicherte, die an der Primärarztversorgung nicht teilnehmen möchten, können für einen einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag im bisherigen System bleiben“ (S. 58).

Nach dem Ergänzungspapier soll den Pflegeeinrichtungen der Rücken gestärkt werden, „indem die Pflegesatzverhandlungen schneller und einfacher werden. Wir bauen Bürokratie entschieden ab. … Prüfungen, wie die Begutachtung des Medizinischen Dienstes und der Heimaufsicht, stimmen wir aufeinander ab.“ Man bekennt sich zur Vielfalt der Versorgungslandschaft und vor allem zu den privaten Anbietern. In der Pflegeversicherung soll langfristig „ein größerer Anteil der Beiträge … renditeorientiert und vor politischen Eingriffen geschützt angelegt werden. … Versicherungsfremde Leistungen sollen sukzessive aus dem Bundeshaushalt finanziert werden“ (S. 60). Betriebliche und private Pflegezusatzversicherungen sollen steuerlich begünstigt werde (S. 61). Es soll „liberale Pflegebudgets“ geben. „Bestehende Regelungen [für pflegende Angehörige] wie das Pflegeunterstützungsgeld für Arbeitnehmer sollen auch für Selbstständige gelten.“ Generell will man die „Misstrauenskultur gegenüber pflegenden Angehörigen, Pflegefachkräften und Pflegeeinrichtungen beenden“ (ebenda).

Im familienpolitischen Teil des Papiers will die FDP eine „bessere finanzielle Förderung von Kinderwunschbehandlungen“ und eine bessere Zugänglichkeit zu Schwangerschaftsabbrüchen für ungewollt Schwangere“ (S. 46).

Mit 85 Seiten liefert die AfD das längste Wahlprogramm ab. Auch das Gesundheitskapitel ist mit vier Seiten relativ lang. Es fällt auf, dass der Komplex der Pflege(versicherung) nur ganz unterordnet erwähnt wird. In Finanzierungsfragen ist die AfD schlichtweg inkompetent und folgt lieber ihren Ressentiments (die Bürokraten da oben …). Ansonsten könnten fast alle Forderungen (verstreut) so auch in den Wahlprogrammen der anderen Parteien stehen. Es gibt eine krude Mischung aus staatsdirigistischen und libertären Elementen („bundeseinheitliche, gesetzliche Personalbemessung für alle pflegesensitiven Bereiche“ und Ablehnung privater Krankenhäuser versus Ablehnung der „Widerspruchsregelung“ bei der Organspende, jedweder Impfpflichten und vermeintlich „zentraler Datenbanken“ wie der Telematik-Infrastruktur). Schluss mit der Selbstbestimmung ist dann aber bei der Ablehnung jeder Art von Sterbehilfe und der Freigabe von Cannabis. Hier folgt die Partei ihrem Hass auf alles, was in ihren Augen „woke“ ist und fordert die Rücknahme des Selbstbestimmungsgesetzes („Geschlechtsidentität“) und der Cannabisgesetze.

Dann will man andererseits das esoterische Heilpraktikerwesen aufrechterhalten, im Namen des Selbstbestimmungsrechts der Bürger über die Art ihrer Heilbehandlung. Etwas deutschtümelnd ist die Forderung nach einem Vorrang deutscher Studienplatzbewerber für das Fach Medizin/Zahnmedizin (und die generelle Skepsis gegenüber ausländischem Personal im Gesundheitswesen), obwohl wir nicht nur in diesem Bereich Zuwanderung brauchen.

Ausweislich des Antragsbuches zum Riesaer Parteitag gibt es durchaus inhaltlichen Streit in der AfD um bestimmte Punkte des Programms. So wird z.B. die Ablehnung der Privatisierung von Akutkrankenhäusern kritisiert: Nicht der Träger sei entscheidend, sondern die Qualität der Behandlung (Antrag 20). Auch die Ablehnung des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Medikamenten wird in Frage gestellt. Damit unterstützte man die Profitinteressen der Apotheker (Antrag 21). Es gibt sogar Befürworter der Cannabisgesetze in der AfD (Antrag 25). Auch der Einsatz für den Heilpraktiker wird im Interesse der evidenzbasierten Medizin kritisiert (Antrag 26).

Linke und BSW: Auch die Linke behandelt das Gesundheits- und Pflegethema recht ausführlich (auf vier Seiten von 62). Das BSW jedoch – nach einem langen Lamento (alles wird immer schlimmer…) nur kurz auf anderthalb von 39 Seiten. Trotzdem zeigt sich bei den wesentlichen Fragen die gemeinsame Herkunft beiden Parteien. Zum antikapitalistischen Erbe gehören nicht nur die Bürgerversicherung/Pflegevollversicherung und der generelle Wunsch nach öffentlicher/staatlicher Regie der Leistungserbringung (auch in der Pflege), die Opposition gegen die „Pharmakonzerne“ (Linke) etc. Die Schließung und Privatisierung von Krankenhäusern wird abgelehnt. Die Kliniken sollen auch nicht im Wettbewerb stehen, sondern staatlich aus einer Hand koordiniert werden. Das gilt auch für die Pflegeeinrichtungen. Unterschiede gibt es denn doch bei den spezifischen Zielgruppen.

 

4. Ansprache einzelner Zielgruppen

Die wenigen Forderungen der Programme, die die Allgemeinheit der Bürger erreichen (Wartezeitenproblematik, steigende Eigenanteile in der Pflege, flächendeckende Krankenhausversorgung und Lieferengpässe bei Arzneimitteln etc.), erweisen sich bei näherer Betrachtung als ungedeckte Wechsel oder leere Versprechungen. Eine ordnungspolitische Konzeption ist nirgends erkennbar, außer bei der Linken und dem BSW das sozialistische (und staatsgläubige) Erbe. Selbst für Teilbereiche wie die ambulante ärztliche Versorgung gibt es keine Blaupausen für ein zukunftsfähiges System. – Insoweit könnte man die gesundheitspolitischen Kapitel der Wahlprogramme auf sich beruhen lassen, wenn es nicht noch einen anderen, mittelbaren Weg der Wirkung gäbe.

Die Programme sind im Einzelnen wohl vor allem geschrieben für die große Gruppe der Beschäftigten im Gesundheitswesen, immerhin mehr als fünf Millionen Menschen. Nur sie werden verfolgen, genauer hinsehen, was die Parteien sich für bestimmte Zielgruppen einfallen lassen; mutmaßlich in der Vorstellung, dass die entsprechenden Forderungen bzw. Positionen in der jeweiligen Szene und ihren Fach-Verbänden transportiert und damit für die Wahlentscheidung der jeweiligen Interessengruppe wirksam werden. Dabei wird manchen Gruppen wohl auch eine Multiplikatorwirkung für die „normalen“ Wähler, die nicht im Gesundheitswesen arbeiten, zugeschrieben. Das gilt sicher für die Hausärzte und Apotheker, mit denen es sich keine Partei verderben will.

 

4.1      Arbeitnehmer und Berufe im Gesundheitswesen

Alle Parteien wollen Verbesserungen für die Gesundheitsberufe, vor allem für die Arbeits- und Vergütungsbedingungen der Pflegekräfte. Das ist ja auch die größte Gruppe der im Krankenhaus Beschäftigten. Fast alle (außer der AfD) wollen auch eine Ausweitung der Kompetenzen der nicht-ärztlichen Berufsgruppen. Mehr Personal (außer AfD) soll im In- und Ausland angeworben und ausgebildet werden. Dabei folgen SPD und Linke (aber auch die AfD) vor allem der gewerkschaftlichen Forderung nach staatlichen Personal-Bemessungsvorgaben mit nachfolgender Selbstkostenfinanzierung.

 

4.2      Kritiker der Corona-Politik und Impfgegner

Die staatlich verordneten Maßnahmen während der Corona-Pandemie waren hochumstritten. Zur Aufarbeitung gab es in der Sommerpause 2024 eine kontroverse Diskussion in der Koalition. Danach stand fest: Im Bundestag werde es in der laufenden Legislaturperiode nicht dazu kommen. Hintergrund waren die unterschiedlichen Auffassungen vor allem von SPD und FDP über die Ausgestaltung dieses Vorhabens. Dabei ging es insbesondere um die Einbeziehung der Länder, die über die Ministerpräsidenten-Konferenzen wesentlich an den maßgeblichen Beschlüssen in der Pandemie beteiligt waren[10]. Da die Kritiker der Regierungspolitik vor allem ein Interesse an der Schuldfrage haben, ist es naheliegend, dass sich die Union nicht besonders vehement für die „Aufarbeitung“ stark macht (und sich im Wahlprogramm gar nicht dazu äußert). Ähnlich ergeht es der SPD, die ja nicht nur an der damaligen (gar nicht mehr so) „großen Koalition“ beteiligt war, über die Landesregierungen mitgewirkt hat und dann beim Beginn der Ampel-Regierung keine besonders glückliche Figur gemacht hat. Insoweit belassen es die beiden verbliebenen Ampel-Parteien dabei, dass das Gesundheitswesen besser auf künftige Pandemien vorbereitet werden muss.

Das ist die Chance der FDP, der neu-rechten AfD und des BSW. Die FDP kritisiert die „übermäßigen Grundrechtseingriffe“ und fordert einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Bundestag. Die AfD dient sich den Impfgegnern und Querdenkern an und legt noch einen drauf: Sie fordert, dass „nach Veröffentlichung der RKI-Protokolle“ „alle Entscheidungsträger von interessensgesteuerten, entgegen der Wissenschaft herbeigeführten Maßnahmen … zur Verantwortung gezogen werden [müssen]. Dementsprechend müssen die zu Unrecht Verurteilten wieder vollständig rehabilitiert und entschädigt werden. Die im Zusammenhang mit der Corona-Krise geänderten Gesetze und Richtlinien sind zu überprüfen und gegebenenfalls zu streichen.“ Auch das BSW fordert (in einem eigenen Abschnitt des Programms, Seite 35f.) einen Untersuchungsausschuss im Bundestag und dass die „Erfassung und Entschädigung von Impfschäden … entbürokratisiert und enttabuisiert werden“ muss. „Wir fordern ein Corona-Amnestiegesetz: Alle noch laufenden Verfahren sind einzustellen, Bußgelder, die damals aufgrund willkürlicher Regelungen erhoben wurden, müssen zurückerstattet werden.“

Einmütig warnen AfD und BSW vor zu viel Macht der WHO, deren „unrühmliche Rolle in der Corona-Zeit“ aufgearbeitet werden müsse (beim BSW, S. 36). Die Warnung richtet sich insbesondere gegen die beabsichtigte Kompetenz-Ausweitung im WHO-Pandemievertrag. Die Verantwortung der nationalen Parlamente müsse erhalten bleiben (AfD).

 

4.3  Die Linke: Die ganze Menschheit wird umarmt

Schon in der Einleitung des Gesundheitskapitels heißt es bei der Linken: „Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus müssen bundesweit Zugang zur regulären Gesundheitsversorgung erhalten. Gesundheit darf keine Klassenfrage mehr sein – und deshalb auch keine Frage der Krankenkasse.“ Das ist schön formuliert (Seite 17), aber die Frage drängt sich auf: Wozu braucht man dann noch Krankenkassen?

Auch in der Drogenpolitik zeigt sich diese besonders „progressive“ Haltung: „Ein Verbot von Drogen reduziert weder den Drogenhandel noch senkt es wirksam den Konsum. Viele Probleme entstehen erst durch die Kriminalisierung“ (etwa Gesundheitsschäden durch Verunreinigungen etc.). „Wir wollen die Kriminalisierung von Drogenkonsumierenden beenden und dafür den Kampf gegen die organisierte Kriminalität stärken. Für häufig gebrauchte Drogen braucht es hierfür bundeseinheitliche Höchstmengen, bei deren Besitz keine Strafverfolgung erfolgt. Wir wollen eine vollständige Legalisierung von Cannabis und die dafür notwendigen Änderungen auf EU- und UN-Ebene.“ Die Linke will auch „einen flächendeckenden Zugang zu Drogenkonsumräumen, sterilen Konsumutensilien und Medikamenten gegen Überdosierung“. Umgekehrt will sie ein „Werbe- und Sponsoring-Verbot für Tabak, Alkohol, andere Drogen sowie Glücksspielangebote einführen. … Wir wollen Spielautomaten in Gaststätten verbieten.“ Hier zeigt sich einmal mehr, warum das BSW gegründet wurde und was es inzwischen von den Linken unterscheidet.

 

5. Schluss und Fazit

Gesundheitspolitik dürfte bei der Wahlentscheidung der Bürger keine wesentliche Rolle spielen. Nur die Problematik der steigenden Eigenbeiträge in der Pflege könnte in die Reihe der zehn wichtigsten Themen aufsteigen. Hier hat die SPD einen wichtigen Punkt gesetzt. Die Union könnte allerdings darauf verweisen, dass die Stützung der Eigenbeiträge aus Mitteln der Pflegeversicherung von der Vorgängerregierung unter ihrem Gesundheitsminister Spahn eingeführt wurde. Die Ampel hat – zur Kompensation der Inflation – nur die Beträge angepasst. Dieser Hinweis auf das Urheberrecht wäre allerdings ambivalent. Denn die hier vorgesehene Entlastung wird durch eine der am wenigsten zielgenauen Maßnahmen der Sozialpolitik überhaupt erreicht (was der Union inzwischen dämmert). Um die Inanspruchnahme der (angeblich unwürdigen) Sozialhilfe (Hilfe zur Pflege) zu vermeiden, müsste in der SPV nämlich die dreifache Summe für die Entlastung der Eigenbeiträge aufgewandt bzw. eingenommen werden. Ohne damit die Zahl der Bezieher von Hilfe zur Pflege in großem Maßstab zu reduzieren. Und das, um eine Sozialleistung durch eine andere zu ersetzen[11].

Aber lassen wir solche Kleinigkeiten: Was ist das Fazit? Die gesundheits- und pflegepolitischen Kapitel der Wahlprogramme sind weniger detailliert als bei früheren Bundestagswahlen. Das ist auch kein Wunder, weil die Parteien zu ihrer Abfassung in kürzester Zeit aus dem Vorhandenen schöpfen mussten. Die Ergebnisse bewegen sich folglich weitgehend im Erwartungshorizont. Jedenfalls liefern sie keinen guten Grund, die bereits vorhandenen Parteienpräferenzen zu überdenken. Man kann getrost so wählen, wie man es auch ohne das Studium dieser Texte getan hätte. – Für die möglichen (und erst recht die wahrscheinlichen) Koalitionsverhandlungen geben die Programme allerdings einige Hinweise.

Nachzudenken lohnt sich nach Lage der Umfrageergebnisse im Moment nur über die Konstellationen Union-SPD, Union-Grüne, oder wenn die eine oder andere Zweier-Kombination nicht reicht: Union mit SPD und Grünen. Alles andere ist z.Z. nicht realistisch und würde zu einem kaum vorhersehbaren Koalitionsvertrag führen.

Bei den Konstellationen unter Führung der Union ist natürlich das Kräfteverhältnis der Partner wichtig. Es wird bestimmen, wie viel von jeder Seite – über die ohnehin konsensuellen Themen (wie etwa die Förderung der Digitalisierung) hinaus – im Koalitionsvertrag stehen wird. Dabei gibt es zwei zentrale Themen bzw. Kontroversen: Die wichtigere dreht sich um das Finanzierungskonzept von GKV und Pflegeversicherung. Die zweite – sehr viel weniger konfliktive – um die künftige Steuerung in der ambulanten Versorgung. Über alle anderen Themen gibt es keine so scharfen Auseinandersetzungen; sie scheinen fast alle kompromissfähig.

Dabei könnte die Frage nach der Bürgerversicherung wieder stillgestellt bzw. ausgeklammert werden, so wie das z.B. FDP und Grüne schon vor dem Beginn der offiziellen Ampel-Verhandlungen vorgemacht haben. Bei einer Dreier-Konstellation wäre das Gewicht der Bürgerversicherungs-Befürworter jedoch so stark, dass es einen ersten Einstieg geben könnte, z.B. in eine Ausgleichsfinanzierung der PKV für die Pflegeversicherung. Da sind sich SPD und Grüne schon sehr nahe.

Für die Neuorganisation der ambulanten Versorgung sind dagegen Kompromisse denkbar, die Elemente aus beiden Konzepten kombinieren: z.B. eine Stärkung der hausarztzentrierten Versorgung durch einen Wahltarif mit finanziellen Anreizen für die Versicherten (Bonus) und eine Termingarantie, die von den Kassenärztlichen Vereinigungen gesichert werden müsste. Wenn man das dringliche Effizienzproblem in unserem Gesundheitswesen aber angehen wollte, müsste man den Patienten und Versicherten ebenso wie den Leistungserbringern im Gesundheitswesen (und den dort Beschäftigten) dabei Verhaltensänderungen zumuten. Das könnte vielleicht mit dem „Mentalitätswandel“ gemeint sein, den die Union angeblich in der Gesundheitspolitik herbeiführen will. Ob die Krise dafür groß genug ist und der Mut schon ausreicht, ist und bleibt eine offene Frage.

In der Gesundheits- und Pflegepolitik ist somit eher mit ein großen „Weiter so“ zu rechnen, als mit Revolutionen irgendwelcher Art. Aufregend ist das nicht. Warten wir also das Wahlergebnis in aller Gelassenheit ab.

 

 

Zentrale Aussagen der Wahlprogramme für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 (Synopse I)

Thema

CDU/CSU1

SPD2

Bündnis 90/Die Grünen3

Durch die Bundesvorstände beider Parteien am 17.12.2024 verabschiedet.

Das „Regierungsprogramm“ wurde beim Parteitag am 11.1.2025 mit wenigen (redaktionellen) Änderungen beschlossen.

Der Entwurf des „Regierungsprogramms“ vom 16.12.2024 soll bei der a.o. Bundesdelegiertenkonferenz am 26.01. in Berlin beschlossen werden.

Allgemeines

Wir stärken die Strukturen in der Gesund-heits- und Pflegeversorgung in Stadt und Land.

Uns geht es … um Daseinsvorsorge, Eigenverantwortung und Prävention. Wir stehen dabei zu den Grundpfeilern des deutschen Gesundheitssystems mit seiner bewährten Selbstverwaltung, zur Dualität von GKV und PKV, zu unserem Bekenntnis zum Grundsatz der Freiberuflichkeit … Wir führen einen Mentalitätswandel in der Gesundheitspolitik herbei: Miteinander und nicht gegeneinander …

Überschrift: Wir kämpfen für eine gute Gesundheitsversorgung in Stadt und Land. – Versorgung in strukturschwachen Regionen sichern. Ziel ist eine passgenaue Zusammenarbeit vom Notfall bis zur planbaren Operation und Nachsorge. Mehr Regionalisierung.

Gerechtes Gesundheitssystem“ für alle. Versorgungssystem, das nicht auf Gewinnorientierung, sondern auf Gemeinwohl und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist.

Überschrift: „In jeder Lebensphase abgesichert – Für eine gute Gesundheitsversorgung überall.“

Wir wollen den Einfluss von Finanzinvestoren auf unsere Gesundheits- und Pflegeversorgung begrenzen.

Die bestehende Trennung der Finanzierungssysteme von ambulanter und stationärer Versorgung wollen wir überwinden.

Ambulante Versorgung

Wartezeiten

Arzttermine

Wartezeiten für Arzttermine sollen durch verbesserte Patientensteuerung sinken.

Die Unterschiede bei Wartezeiten und Behandlungsmöglichkeiten zwischen privat und gesetzlich Versicherten müssen dringend beseitigt werden: Termingarantie der Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen. Bei Nichteinhaltung: Anspruch auf Beitragsreduzierung.

Für schnellere Behandlungstermine … wollen wir die Primärversorgung insbesondere durch Hausärzte stärken. – Wir wollen den Sprechstundenanteil für gesetzlich Versicherte erhöhen, damit Patient*innen schneller Termine erhalten.

Struktur und Vergütung

Wir entwickeln die Haus- und Kinderarztpraxen innovativ weiter. Sie sollen eine stärkere Steuerungsfunktion der Patienten übernehmen, um zu einer besseren Koordination der Behandlungsabläufe beizutragen und die Wartezeiten auf Arzttermine zu senken. Alle Berufsgruppen von Bürokratie entlasten.

Entbudgetierung der Hausärzte, Erleichterung der Gründung von kommunalen MVZ, Einführung der Advanced Practice Nurse und Gemeindeschwestern. Regionale Versorgungsnetze.

Unterversorgte Gebiete: Die Verteilung von niedergelassenen Ärzten muss enger mit der Krankenhausplanung der Länder verknüpft werden. – Einführung von Gesundheitsregionen und gemeinsamen Versorgungszentren. – In den ländlichen Regionen (gerade in Ostdeutschland) … schaffen wir zusätzliche Programme für Gemeindegesundheitspfleger* (Gemeindeschwester) und „Medizin auf Rädern“.

Arzneimittel

Engpässe bei Arzneimitteln und Medizinprodukten abbauen. Entwicklung von Reserveantibiotika etc. verbessern.

Liefersicherheit von Arzneimitteln schnell für alle Arzneimittel weiter verbessern.

Pharmaindustrie

Pharma- und Gesundheitswirtschaft zu einer echten Leitökonomie machen. Standort- und Wettbewerbsbedingungen verbessern und die Entwicklung neuer Produkte erleichtern, zum Beispiel durch schnellere Zulassungsverfahren.

Für eine stärkere Produktion von Arzneimitteln in Deutschland und Europa sorgen: Krankenkassen sollen zusammen mit anderen nationalen und europäischen Akteuren größere Mengen an Therapien über längere Zeiträume einkaufen dürfen, wenn diese bei uns hergestellt werden.

Apotheken

Apothekenreform soll Präsenz-Apotheken stärken.

Die Finanzierung der Apotheken wollen wir im Hinblick auf eine flächendeckende und effiziente Versorgung reformieren.

Stationäre Versorgung

Krankenhäuser

Konzentration von spezialisierten Leistungen denken wir zusammen mit der ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung. … Ziel muss sein, einen kalten Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft zu verhindern. Fehlsteuerungen in Folge der Krankenhausreform werden wir korrigieren.

Die Krankenhausreform werden wir nachbessern, zusammen mit den Ländern umsetzen und auch die PKV an den Kosten beteiligen. – Oberste Priorität: Für alle Menschen sollen Krankenhäuser und bestmögliche Grundversorgung schnell erreichbar sein.

Notfallversorgung

Wir entwickeln die Notfallversorgung weiter und stärken die Arbeit der Rettungsdienste – … unter Beteiligung der Kommunen.

Notfallversorgung und den Rettungsdienst stärken

Notfallversorgung und Rettungsdienst wollen wir im Hinblick auf eine flächen-deckende und effiziente Versorgung reformieren.

Finanzierung

GKV

Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung zukunftsfest aufstellen: Dazu streben wir mehr Effizienz beim Einsatz von Beitragsgeldern an und stärken den Wettbewerb der Krankenkassen.

Der Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen soll gerechter aus-gestaltet werden, und auch die privaten Versicherungen sollen zum Risikostrukturausgleich beitragen: Ziel ist die solidarische Bürgerversicherung. Die Beiträge der Versicherten sollen sich noch stärker als jetzt an ihrer wirtschaft-lichen Leistungsfähigkeit orientieren. Unser Ziel ist zudem ein einheitliches und einfaches Vergütungssystem, das zugleich die Vorhaltekosten der Leistungserbringer absichert. Versicherungsfremde Aufgaben im Gesundheitswesen wollen wir zukünftig verstärkt aus Steuermitteln finanzieren.

Auf dem Weg hin zu einer Bürgerversicherung werden wir neben den gesetzlich Krankenversicherten auch die Privatversicherten in den solidarischen Finanz-ausgleich des Gesundheitssystems einbeziehen. Die Beitragsbemessung werden wir reformieren und beispielsweise auch Kapitaleinnahmen zur Finanzierung unseres Gesundheits- und Pflegesystems heranziehen. – Für freiwillig versicherte, geringverdienende Selbstständige werden wir die Mindestbemessungsgrenze in der GKV reformieren. – Für die Beamt*innen werden wir die Wahlfreiheit stärken.

Pflege

Pflege darf kein Armutsrisiko sein. Die SPV braucht … ein Update. Dazu brau-chen wir einen umfassenden gesellschaft-lichen Dialog über das zentrale Zukunfts-thema Pflege. – Klare Finanzierungsstruk-tur: Finanzierungsmix aus der gesetzli-chen Pflegeversicherung, der betriebli-chen Mitfinanzierung, Steuermitteln sowie einer eigenverantwortlichen Vorsorge. Bezahlbare Pflegezusatzversicherungen können die Finanzierungslücke in der Pflege schließen. – Mittel der SPV bedarfsgerechter einsetzen.

Wir schaffen ein solidarisches Pflege-system: So schnell wie möglich die privaten Pflegeversicherungen in den Risikostrukturausgleich zwischen allen Pflegekassen einbeziehen.

Es ist eines Sozialstaates unwürdig, wenn Menschen am Ende eines langen Arbeits-lebens aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit auf Sozialhilfe angewiesen sind. – Auch in der Pflege wollen wir auf dem Weg hin zu einer Pflegebürgerversicherung mit einem Ausgleich zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung dafür sorgen, dass sich alle gerecht an der Finanzierung des Pflegerisikos beteiligen.

Pflegeversorgung

Leistungen

Verbesserung der häuslichen Pflege und der Situation der Angehörigen. Pflegeri-sche Leistungen sollen flexibler werden. Vereinfachung mit einem Pflegebudget. Prävention und Rehabilitation vor Pflege. – Pflege ganzheitlich denken. Stationäre und ambulante Einrichtungen sollen mehr Gestaltungsmöglichkeiten erhalten. Neue Wohn- und Betreuungsformen, in denen Pflege- und Betreuungskräfte sowie Angehörige die Versorgung gemeinsam übernehmen. Starre Sektorengrenzen abbauen.

Die hohen Eigenanteile in der stationären Langzeitpflege durch eine Begrenzung auf 1.000 Euro pro Monat (sogenannter „Pflege-Deckel“) maß-geblich reduzieren. Für die häusliche Pflege werden wir … eine entsprechen-de Begrenzung einführen. Außerdem sollen die Investitionsaufwendungen der Heime zukünftig nicht mehr vollständig auf die Bewohner umgelegt werden dürfen. Mehr Zeitsouveränität für alle pflegenden Angehörigen und naheste-henden Personen durch die Familien-pflegezeit und das Familienpflegegeld.

Pflegebudget.

Fachkräfte, die aufgrund von Überlastung den Job verlassen haben, wollen wir mit einer Rückkehroffensive zurückgewinnen (durch verbesserte Arbeitsbedingungen, höhere Personalschlüssel, mehr Kompetenzen für den Pflegeberuf und bessere Aufstiegschancen). –

Wer die eigene Arbeitszeit für die Pflege reduziert, braucht finanzielle Unterstützung in Form eines zeitlich begrenzten Ausgleichs der entgangenen Einkünfte.

Pflegeinfrastruktur

Wir streben die enge Verzahnung von Medizinischem Dienst und Heimaufsicht zur Vermeidung von Doppelstrukturen an und prüfen deren Zusammenlegung.

Kommunen (sollen) mehr Möglichkeiten erhalten, darüber zu entscheiden, wo und in welcher Trägerschaft die Einrich-tungen und Pflegedienste sich ansie-deln. Pflegebedürftige und ihre Angehö-rigen sollen bei der Vergabe von sozia-lem Wohnraum bevorzugt werden.

Prävention

Prävention in den Mittelpunkt stellen. Die Menschen in ihrer Eigenverantwortung und Gesundheitskompetenz stärken.

Prävention und Früherkennung stehen für uns im Mittelpunkt: Vermeidung nicht übertragbarer Erkrankungen wie Herz-infarkt oder Schlaganfall. Zudem Sucht und psychische Erkrankungen.

Prävention und Gesundheitsförderung wollen wir grundsätzlich als Querschnitts-aufgabe in allen Politikbereichen verfolgen. – Bund-Länder-Pakt für mentale Gesund-heit.

Rehabilitation

Reha-Verfahren vereinfachen: einheit-liches Antragsverfahren. Medizinische und berufliche Reha besser verzahnen.

Wir verbessern Rehabilitation und Teilhabe für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen (im gegliederten System der Reha) (S. 37).

Digitalisierung

Digitalisierung im Gesundheitsbereich voranbringen. Einsatz von KI im Einklang mit Datenschutz. Die Digitalisierung in den Arztpraxen und der ambulanten Versorgung wollen wir gezielt unterstützen.

Telemedizin und Telepharmazie. Erleichterung der Dokumentation und Diagnostik durch KI. Für die Krebsbe-handlung und Demenz wird KI Heilun-gen ermöglichen. Die ePA zu einem persönlichen Gesundheitsberater für die Versicherten weiterentwickeln.

Auch bei der Digitalisierung wollen wir weiter vorankommen. Unnötige Bürokratie abbauen und KI nutzen.

Gesundheits-berufe

Wir gehen den Personalnotstand an, indem wir den Pflegeberuf attraktiver machen: z.B. durch planbare Einsatz-zeiten und Springerpools. Aufstiegsmög-lichkeiten, neue Berufsbilder und Anwerbungen im Ausland.

Wir wollen, dass die bedarfsgerechte Personalausstattung bundeseinheitlich für alle Beschäftigtengruppen im Gesundheitswesen eingeführt wird. Befugnisse von Pflegefachpersonen erweitern. Tarifgebundene Gehälter refinanzieren. Kostenfreie Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen. Weltweite Anwerbung und Integration von Fachkräften ausbauen.

Für die Gesundheitsberufe wollen wir mehr Kompetenzen.

Pandemie

Das Gesundheitswesen besser auf zukünftige Ereignisse, wie zum Beispiel eine erneute Pandemie, vorbereiten und das staatliche Krisenmanagement in der Corona-Pandemie umfassend aufar-beiten.

Wir wollen unser Gesundheitswesen auf Epidemien, große Katastrophen und militärische Bedrohungen besser vorbe-reiten. Das betrifft zum Beispiel Vorrat an Arzneimitteln und Medizinprodukten, regelmäßige Katastrophen-Schutzübungen. Stärkung des ÖGD.

Sonstiges

Gesundheit von Frauen stärker in den Blick nehmen: Geschlechtergerechtes Vorgehen in Forschung und Versorgung.

Wir bauen die Angebote der Hospiz- und Palliativversorgung aus. Die aktive Sterbehilfe lehnen wir ab. Wir beschließen ein umfassendes Suizidpräventions-gesetz.

Gesundheitskioske etc.

An dem Ziel des Verkaufs von Cannabis in lizenzierten Fachgeschäften halten wir weiter fest …

2 Zitiert nach dem Entwurf: SPD-Regierungsprogramm zur Bundestagswahl 2025 vom 18.12.2024. https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Programm/Entwurf_Regierungsprogramm_2025.pdf

3 Entwurf des Bundesvorstands: „ZUSAMMEN WACHSEN Regierungsprogramm 2025“ vom 16.12.2024: https://cms.gruene.de/uploads/assets/20241216_BTW25_Programmentwurf_DINA4_digital.pdf

Kursive Hervorhebungen: Robert Paquet

 

Zentrale Aussagen der Wahlprogramme für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 (Synopse II)

Thema

FDP1

AfD2

Die Linke3

BSW4

Über das Wahlprogramm „Alles lässt sich ändern“ entscheidet aller Voraussicht nach der Parteitag am 9.2.2025 in Potsdam.

Das Wahlprogramm hat der 16. Bundesparteitag der AfD am 11./12. Januar 2025 in Riesa beschlossen.

Die a.o. 2. Tagung des 9. Parteitages zur Beschlussfassung des Bundestagswahlprogramms 2025 findet am 18. Januar 2025 in Berlin statt.

Das Wahlprogramm wurde am 12. Januar 2025 beim Bundesparteitag in Bonn beschlossen.

Allgemeines

Wir wollen ausschließen, dass die Sozialabgaben über das Niveau von 40 Prozent immer weiter steigen. – Um die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen, braucht es deutlich mehr kapitalgedeckte Elemente in der GRV und der SPV (S. 20).

Ob Land oder Stadt – Gesundheitsversorgung überall sichern. – Wir wollen künstliche Sektorenbarrieren zwischen dem ambulanten und dem stationären Versorgungsbereich konsequent abbauen und die Verzahnung und Vernetzung aller Versorgungsbereiche weiterentwickeln. – Wir bekennen uns zur Selbstverwaltung und stärken die Freien Berufe. Die Therapiefreiheit der Behandlung ohne Budgetierungszwang kommt den Patientinnen und Patienten zugute.

Versicherungsfremde Leistungen sind … aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Dennoch wurde die Sanierung des (Bundes)-Haushalts 2024 zum Teil aus den Sozialversicherungen finanziert, wie die Finanzierung von Corona-Maßnahmen aus der Pflegekasse.

Die Bürokratie im Gesundheitswesen … ist Ausdruck eines Misstrauens der Politik gegenüber den Leistungserbringern. Die bisherige Regulierungsintensität ist Begleiterscheinung eines übergriffigen und überbordenden Staatswesens. Die AfD setzt auf Deregulierung, Bürokratieabbau, Selbstverwaltung und auf Eigenverantwortung.

Eine gute gesundheitliche Versorgung für alle ist keine Utopie, sondern eine Verteilungs-frage. Wir können eine gute Gesundheitsversorgung für alle erreichen, wenn wir mit der Profitorientierung brechen und die Gesundheitsversorgung nach sozialen und medizinischen Kriterien ausrichten.

Wir wollen den Kahlschlag bei den Krankenhäusern stoppen! Krankenhäuser sollen nicht profitorientiert wirtschaften, sondern gehören in die öffentliche Hand.

Das BSW will mit der Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege ein Ende der Zweiklassenmedizin, die Kassenpatienten schon bei der Terminvergabe systematisch benachteiligt und ihnen immer mehr Kosten aufbürdet, die eigentlich von der Allgemeinheit zu tragen wären.

Schluss mit Renditejagd und Zwei-Klassen-Medizin! Betriebswirtschaftliches Ertragskalkül und Renditeorientierung … führen zwangsläufig zu Fehlanreizen und einem dysfunktionalen System mit dem Fokus auf teure Apparatemedizin, überflüssige Operationen und Mehrfachuntersuchungen.

Ambulante Versorgung

Wartezeiten

Arzttermine

In der ambulanten Versorgung setzen wir uns für ein Primärarztsystem ein: Haus- und Kinderärzte sollten die erste Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten sein.

Gegen die Budgetierung ärztlicher Leistungen und Terminengpässe: Die Rationierung ärztlicher Leistungen durch den Zwang, Behandlungen ohne Vergütungsanspruch zu erbringen, muss beendet werden. Um einer ungesteuerten Leistungsausweitung durch Bagatellbehandlungen zu begegnen, sind gestaffelte Bonus- bzw. Rückvergütungssysteme sinnvoll. Die freiberuflich geführte Inhaberpraxis soll weiterhin das Rückgrat der ambulanten Versorgung bilden.

Wir wollen kommunale Versorgungszentren als Rückgrat der wohnortnahen Gesundheitsversorgung fördern! Sie sollen zentrale Anlaufstelle für Patient*innen sein und die ambulante Versorgung mit akutstationären, notfallmedizinischen, psychotherapeutischen, (gemeinde-)pflegerischen und weiteren therapeutischen Behandlungen verbinden. Wir wollen, dass stationäre und ambulante Versorgung gemein-sam im Interesse des Gemeinwohls geplant und gestaltet wird.

Besonders Hausärzte als Ansprechpartner der Patienten müssen höher vergütet werden. Generell darf der Wegfall der Privatversicherung nicht zu Einkommenseinbußen für niedergelassene Ärzte und Zahnärzte führen.

Struktur und Vergütung

Dazu gehört auch die ungekürzte Vergütung aller Gesundheitsberufe (leistungsgerecht). D.h. Entbudgetierung der Hausärzte (BT-Drs. 20/14267).

Solange nicht genügend zugelassene Psychotherapeut*innen zur Verfügung stehen, müssen Therapien über das Kostenerstattungsverfahren unbürokratisch möglich sein.

Private Kapitalgesellschaften (u.a. Private Equity) investieren in großem Stil in Pflegeeinrichtungen und MVZ. Das wollen wir stoppen!

Das Vordringen von Finanzinvestoren in Arztpraxen und MVZ muss gestoppt werden.

Arzneimittel

Frühzeitiger Zugang zu nutzbringenden und innovativen Arznei-mitteln: Zulassungsverfahren beschleunigen, die Regeln der Nutzenbewertung und der Preisverhandlungen überprüfen und bürokratische Hürden abbauen. Therapieerfolge wollen wir besonders vergüten.

Den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten lassen wir nicht mehr zu.

Der Arzneimittelgroßhandel in Deutschland wird verpflichtet, mindestens die Menge der durchschnittlichen zwei Monatsbedarfe bei versorgungs-relevanten Arzneimitteln vorzuhalten.

Notwendig ist außerdem eine viel strengere Regulierung der Arzneimittelpreise, auch und gerade für neue Medikamente mit Patentschutz.

Pharmaindustrie

Wir setzen uns für eine Rückverlagerung der Produktion wichtiger Arzneimittel nach Deutschland und Europa ein.

Die weitgehende Rückverlagerung der pharmazeutischen Produktion nach Deutschland und in sichere Herkunftsländer ist ein Gebot für Versorgungssicherheit und gleichbleibende Qualität.

Wir wollen den Einfluss der Pharmakonzerne zurückdrängen. Es braucht öffentliche Kontrolle über die Arzneimittelforschung. Preise müssen in der EU einheitlich festgelegt werden. Wir wollen gezielt Gelder bereitstellen, um die … die nichtkommerzielle klinische Forschung zu stärken.

Die Kungelei zwischen Pharmalobby und Politik muss beendet und weit größere Transparenz über Kosten und Nutzen hergestellt werden.

Apotheken

Für eine gute Versorgung mit Arzneimitteln braucht es starke Apotheken. Sie benötigen Voraussetzungen, unter denen sie wirtschaftlich arbeiten können.

Stationäre Versorgung

Krankenhäuser

In der Krankenhausversorgung wollen wir spezialisierte und damit bessere Angebote vorhalten, die Kostenentwicklung bremsen und zugleich Ärzte und Pflegekräfte entlasten.

Die anstehende Krankenhausreform ist nicht geeignet, die Probleme zu lösen. Notwendig ist die vollständige Abschaffung der Fallpauschalen und mittelfristig die Rückkehr zu individuellen Budgetvereinbarungen zwischen den Krankenhäusern und den Spitzenverbänden der GKV auf Landesebene. Daneben lehnen wir eine weitere Privatisierung von Akutkrankenhäusern ab.

Gegen den Wettbewerb zwischen den Kliniken und die Schließung von Krankenhäusern.

Wir wollen, dass die notwendigen Betriebskosten der Krankenhäuser von den Krankenkassen vollständig finanziert werden, die Fallpauschalen müssen vollständig abgeschafft werden. Dadurch sind Gewinne und Verluste weitgehend unmöglich. Wir wollen private Krankenhäuser … in die öffentliche Hand überführen (mit Hilfe des Rekommunalisierungsfonds).

Bund und Länder müssen nachhaltig in die Krankenhäuser investieren! Die Vermögensteuer kann ihnen dabei helfen.

Krankenhausprivatisierungen müssen gestoppt und Lauterbachs Krankenhausreform rückgängig gemacht werden. Krankenhausschließungen und das System der Fallpauschalen lehnen wir ab.

Die Bundesländer kommen ihren Investitionsverpflichtungen nicht nach. Wir fordern einen Erhalt und bessere Integration der Krankenhäuser in die Gesundheitsversorgung vor Ort und die Kooperation von ambulanter und stationärer Krankenversorgung anstelle ihrer heutigen Konkurrenz, die zulasten der Patienten geht.

Geburtskliniken und Hebammen-geführte Kreißsäle müssen wohnortnah zur Verfügung stehen.

Notfall-
Versorgung

Auch müssen Krankenhäuser, Ärzte und der Rettungsdienst mit einer Notfallreform besser vernetzt, integriert und koordiniert werden.

Finanzierung

GKV

Wir bekennen uns zum dualen System aus GKV und PKV. Daher lehnen wir eine Einheitskasse (sog. Bürgersversicherung) ab. In beiden Versicherungssystemen wollen wir Wechsel- und Wahlfreiheit der Versicherten stärken. In Zukunft (sollen) die Ausgaben nicht stärker wachsen als die Einnahmen. Zusätzlich werden wir alle Leistungsausweitungen der letzten zehn Jahre einem Evidenz-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitscheck unterziehen.

Gegen weitere Beitragssatzerhöhungen: vollständige Refinanzierung der GKV-Versicherung der Bürgergeldempfänger aus dem Bundeshaushalt. Senkung der exorbitant hohen Verwaltungskosten durch eine Zusammenführung von Kranken- und Pflegeversicherung, sowie durch die Vereinfachung der enorm aufgesplitterten Selbstverwaltungsstrukturen bei Kassenärzten, Krankenhaus-, Reha- und Pflegedienstleistungen.

Wir streiten für eine solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung. Alle zahlen ein, Beiträge werden auf alle Einkommen erhoben. Die Beitragsbemessungsgrenze fällt weg. Privat-versicherte werden in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen.

Wir fordern die Abschaffung der Zusatzbeiträge und die Einführung einer Bürgerversicherung, in die alle Bürger nach ihrem Einkommen einzahlen und grundsätzlich gleiche Leistungen auf dem Niveau der höchsten medizinischen Standards erhalten.

Pflege

Die Finanzierung der Pflege muss diversifiziert werden. Die umlagefinanzierte SPV wollen wir als Teilleistung beibehalten. Zur Stabilisierung der Beitragssätze wollen wir sie um eine kapitalgedeckte Komponente ergänzen. Zudem setzen wir uns für mehr Anreize für private und betriebliche Pflegevorsorge ein.

Unsere solidarische Pflegevollversicherung soll alle pflegerischen Leistungen abdecken. Menschen mit Pflegebedarf und ihre Familien müssen keinen Eigenanteil zahlen.

Deshalb fordern wir eine Pflegevollversicherung, die überwiegend aus Steuermitteln finanziert wird. Eine würdige Pflege im Alter darf keine Frage des Geldes sein.

Pflege-versorgung

Leistungen

Wir befreien Pflegeanbieter von doppelten Prüfungen ohne Mehrwert, unnötigen Nachweis- und Dokumentationspflichten und überbordenden Vorgaben. Pflegende Angehörige entlasten wir, indem Pflege und Beruf vereinbarer werden.

Die Situation der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen wollen wir erleichtern, indem wir die häusliche Pflege deutlich höher finanziell honorieren. – Die Unterstützung bei Krankheit oder Urlaubswunsch der pflegenden Angehörigen soll durch verbesserte ambulante und befristete stationäre Angebote ausgeweitet werden.

Die Kostenspirale der Eigenanteile muss gebrochen werden: Wir wollen sie kurzfristig senken und deckeln. Mit unserer Pflegevollversicherung werden sie abgeschafft.

Pflegende Angehörige müssen viel besser unterstützt werden! Wir wollen für alle Beschäftigten sechs Wochen Freistellung bei vollem arbeitgeberfinanziertem Lohnausgleich beim ersten Auftreten eines familiären Pflegefalls.

Größte Entlastung durch wohnortnahe, nichtkommerzielle und von der Pflegevollversicherung abgedeckte professionelle Tages- und Kurzzeitpflege etc.

Das Pflegeheim darf nicht Armutsfalle sein! Die Eigenanteile für Pflegeheimbewohner müssen deutlich sinken.

Pflege-
Infrastruktur

Wir wollen Pflegekonzerne aus der stationären Pflege herausdrängen. Die Finanzierung muss auf Kostendeckung ausgerichtet werden. Wir wollen private Pflegeeinrichtungen in öffentliche Hand überführen.

Prävention

Wir wollen eine aktive Präventionsstrategie starten. Die Digitalisierung bietet hierbei große Chancen, zum Beispiel durch Gesundheits-Apps, Telemedizin und Wearables. Wer Vorsorge betreibt, verursacht dadurch weniger Ausgaben für seine Krankenkasse. Deshalb wollen wir den Krankenkassen ermöglichen, für diese Versicherten einen reduzierten Zusatzbeitrag einzuführen. – Im Bereich psychische Gesundheit und Mental Health wollen wir Entstigmatisierung.

Rehabilitation

Digitalisierung

Wir wollen Bürokratie abbauen und die Digitalisierung weiter vorantreiben.

Die Schaffung einer zentralen Datenbank mit der Anbindung von Kliniken, Praxen, Psychotherapeuten und Apotheken zur Speicherung vertraulicher Patientendaten (Telematik-Infrastruktur – TI) ist abzulehnen.

Wir wollen verhindern, dass durch die elektronische Patientenakte riesige Datenmengen ohne Wissen der Patient*innen auch für kommerzielle Player freigegeben werden.

Für digitale Gesundheitsanwendungen brauchen wir wissenschaftliche Bewertungsverfahren. Wir wollen Open-Source-Anwendungen öffentlich fördern!

Gesundheits-berufe

Wir wollen im Inland und Ausland mehr Pflegefachkräfte gewinnen. Dafür wollen wir Anerkennungsverfahren für ausländische Pflegekräfte drastisch vereinfachen. Durch digitale Anwendungen, Automatisierung und Robotik wollen wir maßgeblich zur Entlastung des Pflegepersonals beitragen.

Eine bundeseinheitliche, gesetzliche Personalbemessung für alle pflegesensitiven Bereiche ist zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung unerlässlich.

Pflegekammern lehnen wir ab.

Wir wollen, dass jeder Bürger selbst entscheiden kann, von wem er sich behandeln lässt und lehnen eine Abschaffung des Heilpraktikers ab.

Bei medizinischem Fachpersonal aus dem Ausland: Sowohl die fachliche als auch sprachliche Qualifikation (Niveau C1) müssen uneingeschränkt dem deutschen Standard genügen. Vorrang für Studienplatzbewerber mit deutscher Staatsangehörigkeit für das Fach Medizin/Zahnmedizin. Ausweitung des Angebots an diesen Studienplätzen.

Solidarität mit den Beschäftigten, die für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen! Wir fordern flächen-deckende Entlastungstarifverträge, bessere Arbeitsbedingungen und eine bundesweite Offensive zur Rückanwerbung für Pflegekräften. – Ausbildungs-offensive und allgemeinverbindliche Tarifverträge.

Für eine gesetzlich vorgeschriebene Personalbemessung.

Kein Outsourcing, um Löhne zu drücken oder Tarifverträge zu umgehen! Rücknahme von Ausgliederungen und Privatisierungen.

Wir wollen die Befugnisse der Heilberufe (Apotheker*innen, Pflegekräfte etc.) ausweiten.

Keine Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte in der Pflege! Endlich Regulierung der „24-Stunden-Betreuung“ mit Sozialversicherungsschutz, gesetzlicher Arbeitszeit, Urlaub und Mindestlohn.

Ausbildung zur Kinderkrankenpflege wieder aufnehmen.

Wir wollen mehr Medizinstudienplätze schaffen, mehr Pflegepersonal ausbilden und eine bessere Bezahlung. Junge Leute mit einem harten Numerus clausus vom Medizin-Studium abzuhalten und dann die Ärzte aus ärmeren Ländern anzuwerben, ist eine zynische Politik.

Statt primär auf die Anwerbung ausländischer Fachkräfte zu setzen und damit die Abwanderung qualifizierten Personals aus ihren Heimatländern zu fördern, wollen wir in erster Linie junge Menschen in Deutschland qualifizieren und ausbilden und ihnen damit echte Chancen auf dem Arbeitsmarkt bieten. (S. 17)

Pandemie

Defizite, fehlende Vorbereitungen sowie übermäßige Grund-rechtseingriffe haben das Vertrauen in unsere Institutionen enorm beschädigt. All dies muss gründlich aufgearbeitet werden. Wir fordern einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

Abgelehnt wird staatlich erzeugter Impfdruck wie in der Coronapandemie. Viele Berufs-gruppen wurden zu Impfungen genötigt. Die Versorgung der vermehrt auftretenden Impfschäden soll zukünftig auf die Berufsgenossenschaften über-gehen. Für den Nachweis von Impfschäden sind Beweislasterleichterungen vorzusehen.

Die Corona-Maßnahmen haben enorm vielen Menschen gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Nach Veröffentlichung der RKI-Protokolle müssen die Maßnahmen auf allen Ebenen aufgearbeitet werden. – Die zu Unrecht Verurteilten müssen wieder vollständig rehabilitiert und entschädigt werden. Die im Zusammenhang mit der Corona-Krise geänderten Gesetze und Richtlinien sind zu überprüfen und gegebenenfalls zu streichen.

Das Unrecht der Corona-Zeit wollen wir aufarbeiten (S. 3).

Wir fordern eine Aufarbeitung der Corona-Zeit durch einen Untersuchungsausschuss im Bundestag. Politische Entscheidungsträger und deren Experten müssen im Untersuchungsausschuss Verantwortung übernehmen. – Die Erfassung und Entschädigung von Impfschäden muss entbürokratisiert und enttabuisiert werden. – Wir fordern ein Corona-Amnestiegesetz: Alle noch laufenden Verfahren sind einzustellen, Bußgelder, die damals aufgrund willkürlicher Regelungen erhoben wurden, müssen zurückerstattet werden. – Das RKI muss reformiert und seine Unabhängigkeit gesichert werden. – Wir fordern, dass die Bundesregierung einem WHO-Pandemievertrag mit erweiterten Kompetenzen für die WHO nicht zustimmt. Die unrühmliche Rolle der WHO in der Corona-Zeit muss aufgearbeitet werden. (alle S.35f).

Sonstiges

Wir halten … an der Cannabis-Legalisierung fest. Wir wollen die Prävention auch bei Sucht-mitteln in den Fokus rücken, statt das Konsumverhalten zu kriminalisieren.

Wir stehen fest zum Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Dazu gehört auch die Möglichkeit, Sterbehilfe rechtssicher in Anspruch zu nehmen. Zugleich muss der Staat jedem, der Suizidgedanken hat, die helfende Hand reichen.

Organspende: Die „Widerspruchsregelung“ und jede Form eines direkten oder indirekten Zwanges lehnen wir entschieden ab.

Geschlechtsidentität: Wir werden Pubertätsblocker und nicht medizinisch indizierte Eingriffe zur Änderung des Geschlechts verbieten.

Die Sterbehilfe in der Form der „Tötung auf Verlangen“ ist in Deutschland aus gutem Grunde verboten. Stattdessen sind alle Möglichkeiten der Palliativ-Behandlung zu nutzen.

Die Freigabe des Cannabiskonsums außerhalb bestimmter medizinischer Indikationen halten wir für einen Fehler, der umgehend korrigiert werden muss.

WHO – Reform oder Austritt (insbesondere wegen der Abhängigkeit von privaten Geldgebern): Die WHO hat zu große Rechte. Erhaltung der Verantwortung der nationalen Parlamente.

Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus müssen bundesweit Zugang zur regulären Gesundheitsversorgung erhalten. Gesundheit darf keine Klassenfrage mehr sein – und deshalb auch keine Frage der Krankenkasse.

Ein Verbot von Drogen reduziert weder den Drogenhandel noch senkt es wirksam den Konsum. Viele Probleme entstehen erst durch die Kriminalisierung. Wir wollen die Kriminalisierung von Drogenkonsumierenden beenden. Dafür braucht es bundeseinheitliche Höchstmengen, bei deren Besitz keine Strafverfolgung erfolgt. – Wir wollen eine voll-ständige Legalisierung von Cannabis. – Wir wollen einen flächendeckenden Zugang zu Drogenkonsumräumen, sterilen Konsumutensilien und Medikamenten gegen Überdosierung.

Wir wollen ein Werbe- und Sponsoring-Verbot für Tabak, Alkohol, andere Drogen sowie Glücksspielangebote einführen. … Wir wollen Spielautomaten in Gaststätten verbieten.

Palliativmedizin, die Versorgung mit Hospizen und die stationäre Pflege (sind) so zu fördern, dass diese Phase des menschlichen Lebens in Würde verbracht werden kann.

Wir wollen notwendigen Zahnersatz und Sehhilfen vollständig in den Leistungskatalog der gesetzlichen Gesundheitsabsicherung zurückholen.

1 Zitiert nach dem Entwurf – Beschluss des Bundesvorstandes der FDP vom 17.12.2024: https://www.bundestagswahl-bw.de/fileadmin/bundestagswahl-bw/2025/Wahlprogramme/BTW_2025_Wahlprogramm_FDP_Entwurf.pdf

3 Zitiert nach dem Antrag L.1: Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2025 (Stand 9. Dezember 2024). https://www.die-linke.de/fileadmin/1_Partei/parteitage/Au%C3%9Ferordentlicher_Parteitag_25/Wahlprogramm_Entwurf.pdf

4 Zitiert nach dem am 2. Januar vom Parteivorstand beschlossenen Entwurf, im Wesentlichen ab Seite 20f: https://www.bundestagswahl-bw.de/fileadmin/bundestagswahl-bw/2025/Wahlprogramme/BSW_Wahlprogramm_2025__Entwurf_.pdf

Kursive Hervorhebungen: Robert Paquet

 

 

[1] Zu tagespolitischen Topics wie unbezahlten Karenztagen im Krankheitsfall oder der Abschaffung der telefonischen Krankschreibung steht übrigens (bisher) in den Wahlprogrammen nichts.

[2] Vgl. die FORSA-Umfrage des AOK-Bundesverbandes. Pressemitteilung vom 10.01.2025: https://www.aok.de/pp/bv/pm/meinungen-zur-gesundheitspolitik/

[3] Leider wurde der Stellenwert der Finanzierung in der FORSA-Umfrage des AOK Bundesverbandes nicht abgefragt.

[4] Brief Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an die Abgeordneten der Regierungsfraktionen: „Bilanz der 20. Legislaturperiode: viel erreicht – viel vor“, in OBSERVER MIS vom 18.12.2024. https://www.observer-mis.de/appDE/index.php?adminMode=0

[5] Positionspapier der KBV zur Bundestagswahl 2025 (Beschluss der VV vom 6.12.2024): „Unsere Gesundheit erlaubt keinen Stillstand“: https://www.kbv.de/html/73034.php

[6] Klausur der CSU im Bundestag 6./7. Januar 2025: Aufbruch 25 #Seeon: „Agenda für den Politikwechsel“. Beschlossene Fassung: https://www.csu-landesgruppe.de/sites/default/files/2025-01/BESCHLUSS_Seeon_2025.pdf

[7] Josef Hecken/Jochen Pimpertz: „Mut zu neuen Ideen“, Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., Oktober 2024. https://www.kas.de/documents/252038/29391852/Mut+zu+neuen+Ideen.pdf/1ccefae7-2eb3-b2b4-e04d-215d0fa6b416?version=1.0&t=1728311825596

[8] https://www.haev.de/presse-medien/pressemitteilungen/nachrichten-detailansicht/csu-fraktionsvorsitzender-klaus-holetschek-und-hausaerztinnen-und-hausaerzteverband-fordern-sofortprogramm-zur-staerkung-der-hausaerztlichen-versorgung

[9] https://table.media/wp-content/uploads/2025/01/12164316/250111-Antraege-FDP-BuVo.pdf

[10] Siehe SZ vom 09.10.2024, „Corona-Aufarbeitung durch Bundestag vorerst vom Tisch“. https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/corona-aufarbeitung-durch-bundestag-vorerst-vom-tisch,UQhegZx

[11] Um auf diesem Wege eine Reduktion der Ausgaben für Hilfe zur Pflege um 1,23 Mrd. Euro zu erreichen, wären 3,64 Mrd. Euro zusätzliche Beitragsfinanzierung in der SPV erforderlich. Quelle: Martin Albrecht: „Finanzlage und Reformoptionen in der Sozialen Pflegeversicherung“, Vortrag bei der vdek Mitgliederversammlung, Berlin, 4. Juli 2024. Grundlage ist der „Bericht der Bundesregierung – Zukunftssichere Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung“ von Mai 2024.


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