Parlamentarischer Abend des BAH

BAH-Vorstandsvorsitzender Jörg Wieczorek bei seiner Rede
Die Diskussionsrunde: Andrew Ullmann MdB (FDP), Martina Stamm-Fibich MdB (SPD), Tino Sorge MdB (CDU), Paula Piechotta MdB (Grüne), Hubertus Cranz (BAH) (v.l.n.r.)
Paula Piechotta MdB (Grüne) mit Hubertus Cranz (BAH)
Tino Sorge MdB (CDU)
Mitdiskutant Tobias Boldt (BAH)
Günter Auerbach (BAH) bei seinem Statement
Teilnehmer des Panel: Andrew Ullmann MdB (FDP), Martina Stamm-Fibich MdB (SPD), Tino Sorge MdB (CDU) und Hubertus Cranz (BAH) (v.l.n.r.)
Ralf Mayr-Stein (BAH) meldet sich zu Wort.
Sabine Landes (Sanofi CHC Deutschland)
Robert Bergdorf (Orion Pharma), Stefan Brinkmann, Aldo Ammendola (beide Weleda), Tasja Klahn, Stefan Hahn (beide Orion Pharma) (v.l.n.r.)
Katja Pütter-Ammer, Michael Karus, Peter-Carsten Kilian (alle Medice) und Nils Ole Wolcke (Schaper & Brümmer) (v.l.n.r.)
Andrew Ullmann MdB (FDP) (M.) im Gespräch mit Hermann Kortland (BAH) (l.) und Georg Kippels MdB (CDU)
Eine gut gelaunte Martina Stamm-Fibich MdB (SPD)
Der parlamentarische Abend des BAH im AXICA am Potsdamer Platz


Ein Scharnier zu sein zwischen Politik und dem wahren Leben, das ist die vornehmste Aufgabe der Verbände. Da traf es sich gut, dass der parlamentarische Abend des BAH auf den Vorabend einer Anhörung im Bundestag fiel. Die Pharma-Industrie, die zu einem Teil im BAH organisiert ist, soll mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz wieder einmal kräftig rasiert werden. Da Unternehmen ihren Ärger über die Politik gerne beim Verband abladen, bot die jährliche Vollversammlung des BAH eine gute Gelegenheit, den Mitgliedern die Politik wieder einmal live und in Farbe zu präsentieren.

Frei nach dem Motto: Seht her, so fruchtbar ist der Acker, auf dem unsere Argumente keimen sollen. Der Acker fand sich auf dem Podium im AXICA wieder. Dort saßen zwei gesundheitspolitische Sprecher, Tino Sorge von der Union und Andrew Ullmann von der FDP, sowie die Berichterstatterinnen für Arzneimittelpolitik, Martina Stamm-Fibich von der SPD und Paula Piechotta von den Grünen. An sich die besten Voraussetzungen für einen erbaulichen Diskurs.

Zunächst eröffnete der BAH-Vorsitzende den Abend. Jörg Wieczorek zog als Sprachrohr der Branche ordentlich vom Leder und gab den Abgeordneten ein emotionales Briefing mit auf den Weg. Aus seiner Sicht läuft so ziemlich alles falsch in der Arzneimittelpolitik. Der Applaus war deutlich. Die Moderation im Podium übernahm dann BAH-Hauptgeschäftsführer Hubertus Cranz, dessen Aufgabe es ist, die Kanäle in die Politik offenzuhalten. Gestählt durch viele Jahre auf dem Brüsseler Parkett, meistert Cranz diese Aufgabe souverän und verbindlich. Die klassische Aufgabenteilung des Verbandes – der eine zieht vom Leder, der andere bindet ein – schien perfekt zu funktionieren. Nun fehlte nur noch der erbauliche Diskurs.

Das Problem: Die Abgeordneten waren entweder nicht so richtig vorbereitet. Gelegentlich fragte man fragte sich, ob denn alle den Gesetzentwurf schon ganz gelesen und verstanden hatten. Oder es wollte noch keiner so richtig aus der Deckung kommen. Wer einen Gesetzentwurf aus dem Ministerium im Parlament ändern will, muss sich mächtig auf die Hinterbeine stellen. Von den Ampelleuten ist dazu offensichtlich keiner wirklich bereit. Das Motto: 17 Mrd. Euro GKV-Defizit sind halt ein dickes Brett. Woher nehmen und nicht stehlen? Das Podium beim BAH geriet damit weniger zum Schaufenster für Inhalte, bot aber interessante Eindrücke zu den Protagonisten. Deren Rolle, Charaktere und nicht zuletzt die Performance wirkten recht unterschiedlich. Der Blick auf die vier Politiker lohnte sich:

Paula Piechotta, Bündnis 90/Die Grünen: Der erste Auftritt der sächsischen Ärztin bei Pharma war von vielen mit Spannung erwartet worden. Bei Auftritten vor Kameras schien die frisch gebackene Abgeordnete bisher vor Selbstbewusstsein nur so zu strotzen. Im Podium beim BAH agierte sie dagegen eher defensiv und verkniff sich jede Äußerung zur Arzneimittelpolitik. Diese Zurückhaltung wirkte schlicht, war aber vermutlich schlau. Angesichts einer absurden Anhäufung von Zuständigkeiten dürfte Piechotta zu den anspruchsvollen Fragen der Arzneimittelpolitik noch nicht sprechfähig sein. Sie ist zwar in der grünen Fraktion alleine zuständig für die Pharma-Industrie, Arzneimittel und Medizinprodukte. Dafür hat sie aber vermutlich wenig Zeit, auch weil sie nur stellvertretendes Mitglied im Gesundheitsausschuss ist. Ihre Domäne ist der Haushaltsausschuss, wo sie (als Vollmitglied) für das Gesundheitswesen und den Bundeszuschuss zuständig ist. Nebenbei prüft sie im Rechnungsprüfungsausschuss auch noch die Rüstungsprojekte (!) der Bundesregierung. Wer auch immer auf die Idee kam, einer neuen, unerfahrenen Abgeordneten ein solches Pensum zuzumuten, muss nun verantworten: Detailfragen der Arzneimittelversorgung dürften in der grünen Fraktion auf absehbare Zeit hinten runterfallen. Da verwunderte es auch nicht, dass Piechotta mit ihrem einzigen Statement zu Pharma auf der sicheren Seite blieb: Die Grünen würden die Mitarbeiter im Gesundheitswesen und in den „angeschlossenen Industrien“ nicht im Regen stehen lassen. Das klingt schlicht, ist aber schlau – und irgendwie auch schön.

Martina Stamm-Fibich, SPD: Die fränkische Abgeordnete aus Erlangen hat seit 2013 eine Metamorphose durchlebt. Zu Beginn ihrer parlamentarischen Laufbahn erlebte man sie stets mit der Entschuldigung: „Ich bin hier neu und ich sehe das kritisch.“ Inzwischen hat sie im Bundestag 1.700 (!) Petitionen bearbeitet, sich – neben ihrer Arbeit im Gesundheitsausschuss – zur Vorsitzenden des Petitionsausschusses hochgearbeitet und ist in dieser Funktion Mitglied im SPD-Fraktionsvorstand. Die neue Rolle prägt offensichtlich auch die Außendarstellung. Von ihrer Homepage lacht Stamm-Fibich den Besucher an – selbstbewusst, mit einem Hauch wilder Lebensfreude. Beim BAH wirkt sie dann zwar weniger wild, aber nicht minder selbstbewusst. Ihren ehemaligen GroKo-Kollegen Tino Sorge weist sie souverän in die Schranken: „Wir haben uns nie um die Einnahmeseite der GKV gekümmert“. Dem Publikum spendet sie Trost zu den Zumutungen der AMNOG-Reform: Das Gesetz sei ja „noch nicht in der Welt“. Tiefer ins Thema will aber auch sie nicht einsteigen. Stamm-Fibich hat zwar immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Industrie, konnte sich aber schon in der GroKo nie gegen Karl Lauterbach durchsetzen. Das hat Spuren hinterlassen. Raffiniert verlegt sich die erfahrene Politikerin daher auf einen Bereich, der gar nichts kostet: Die Menschen im Gesundheitswesen bräuchten Wertschätzung und die könne man nicht teilen. Die Industrie ist bei Stamm-Fibich also ungeteilt dabei – nicht nur beim Sparen, sondern auch bei der Wertschätzung. Auch das ist schön.

Prof. Dr. Andrew Ullmann, FDP: Als Liberaler im Podium hatte Andrew Ullmann die undankbarste Rolle: Er sitzt zwischen allen Stühlen. Einerseits ist ihm die Idee der anderen „mehr Geld vom Lindner“ schon aus Parteiräson verwehrt. Die Schuldenbremse verteidigt Ullmann tapfer als sinnvoll zum Schutz der kommenden Generationen. Das ist leicht zu vermitteln (und war vor 20 Jahren als „nachhaltige Haushaltspolitik“ auch die Position der Grünen). Schwieriger ist für ihn der ordnungspolitische Spagat. Dem Medizinprofessor mit US-amerikanischen Wurzeln geht die gesetzliche Detail-Regelung des GKV-Systems offensichtlich schwer gegen den liberalen Strich. Die Regulierungswerke zur Finanzierung von Krankenhäusern (DRG) und neuen Arzneimitteln (AMNOG) sind ihm viel zu kompliziert und voller falscher Anreize. Stattdessen will er neu denken und signalisiert auf seiner Homepage politisches Selbstbewusstsein: „Ich weiß, welche Therapie unser Gesundheitssystem braucht.“ Beim BAH lässt Andrew Ullmann das Publikum an diesem Wissen jedoch noch nicht teilhaben. Stattdessen kündigt er an, den Schulterschluss der 15 Ärzte im Bundestag befördern zu wollen. Ähnlich wie Bundesgesundheitsminister Lauterbach, der lieber mit der Wissenschaft, als mit den Betroffenen redet, scheint Ullmann den ärztlichen Diskurs statt der Detaildiskussion zum SGB V zu suchen. Beides könnte realpolitisch schwierig werden. Dass Ullmann dabei neu denken will, liegt nahe. Schließlich ist man als Liberaler traditionell frei in Denken und Tun. DRGs und AMNOG sind allerdings die schnöde Realität der Gesundheitspolitik. Das klingt wahrlich nach einer großen Herausforderung.

Tino Sorge, CDU: Der Jurist aus Magdeburg ist jetzt der Oppositionsführer in der Gesundheitspolitik. Wie die Union sich das vorstellt, konnte man schon bei der ersten Lesung des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes im Bundestag erleben. Als Maria Klein-Schmeink von den Grünen ansetzte „SIE haben in 16 Jahren…“ brach die Unionsfraktion in lautes Gejohle aus. Ob das Tino Sorges Idee war, ist unbekannt. Das Motto der Union scheint aber zu lauten: „Holzen statt Fachdiskurs“ – auch um von eigenen Versäumnissen abzulenken. Das dürfte Sorge einerseits ganz gelegen kommen. Durch konzeptionellen Diskurs ist er auch in der Vergangenheit nicht aufgefallen. Andererseits wirkt Sorge eher wie ein zugänglicher netter Kerl. Als wortgewaltigen Wadenbeißer kann man sich ihn nur schwer vorstellen. Stattdessen zitiert Sorge beim BAH wieder einmal den G-BA-Vorsitzenden Josef Hecken, der das Gesetz als „völlig sinnfreies Sammelsurium“ von Maßnahmen bezeichnet haben soll, und ergänzt seine eigene Einschätzung: die AMNOG-Reform sei schlecht für den Standort Deutschland, und die Deckung des Defizites wirke nur kurzfristig; die fehlende Planbarkeit sei „grenzwertig“. Das ist zwar alles richtig, wirkt aber doch ein bisschen dürftig. Wenigstens einen fachlichen Kalauer hätte man erwarten können. Schließlich macht die Ampel aus dem ehemals großen Wurf AMNOG ein krampfhaftes Sparregime, das nicht den Hauch einer Logik atmet, und die Förderung der heimischen Generikaproduktion lässt auch auf sich warten. Stoff für Kalauer gäbe es also genug. Als Hubertus Cranz das Ende der Debatte einläutete, musste Sorge stattdessen noch etwas loswerden: Er wolle doch noch darauf hinweisen, dass die Digitalisierung wichtig sei.

Nach dieser Podiumsdiskussion ist klar: Den Verbänden wird die Arbeit nicht ausgehen. Aufklären, aufklären, aufklären. Abgeordneten muss man Gesetze erklären. Das Ministerium hat kein Interesse an aufgeklärten Abgeordneten, die Entwürfe verändern. Das muss die Lobby übernehmen. Der BAH rüstet diesbezüglich auf. Im Februar 2023 gibt Michael Hennrich, lange Jahre der Arzneimittelexperte der Union, sein Mandat auf und wechselt im März 2023 in die Geschäftsführung des Verbandes. Er bringt wichtiges Know-how mit: Hennrich kennt die Denke von Abgeordneten aus eigener Erfahrung. Vielleicht wird es ihm gelingen, das ein oder andere fachliche Argument in der Denke unserer Volksvertreter zu verankern. Abgeordnete mögen entscheiden, wie sie wollen. Sie sollten aber zumindest wissen, was sie entscheiden. Für das anstehende Gesetz scheint die Messe bereits gelesen. Aber die Legislatur ist ja noch lang. Lang genug für einen erbaulichen Diskurs. Vielleicht im nächsten Jahr – zu Gast beim BAH.

 

Sebastian Hofmann


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