27.09.2022
Parlamentarischer Abend der Frauen
Der Abend ist hochkarätig besetzt mit Staatsekretärinnen, Politikerinnen und weiblichen Vorständen und Geschäftsführern. Zwölf Organisationen, die sich für mehr Chefinnen in Führungspositionen einsetzen, laden zum Parlamentarischen Abend der Frauen in die Landesvertretung des Saarlandes. Ein Zeichen wollen sie setzen – mit kraftvollem Schwung, mehr Einfluss und Parität, wie es Antje Kapinsky, Co-Vorsitzende Spitzenfrauen Gesundheit, bei der Eröffnung formuliert. Frauen an die Macht! An diesem Abend haben die Männer wahrlich nichts zu sagen.
Sabine Dittmar, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, verweist auf die bedeutende Rolle von Frauen und Mütter während der Corona-Pandemie. Sie seien besonders gefordert gewesen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei schon in normalen Zeiten eine Herausforderung. Und gleichberechtigt seien die Frauen schon lange. Erst vor wenigen Tagen – am 16. September – habe der Tag der berufstätigen Eltern stattgefunden. Sie habe nicht gewusst, dass es den gebe.
Gesetzlich seien die Frauen gleichgestellt, zahlenmäßig seien sie in der Überzahl. 70 Prozent der Sozialversicherungspflichtigen seien Frauen. In Führungspositionen könne man Frauen jedoch immer noch suchen. Dabei gehe es nicht um die ausgewogene Quote, sondern auch um die geschlechterspezifische Sicht auf Erkrankungen, politische Prozesse und Entscheidungsfindungen.
Gesetzlich sei einiges auf den Weg gebracht; beispielsweise bei der Geschlechteraufteilung in Verwaltungsräten, bei den Rentenkassen oder den Verwaltungsräten der Medizinischen Dienste – festgelegt durch das MDK-Reformgesetz.
Dittmar sei auch sehr erfreut, dass jetzt zwei Frauen im Vorstand des GKV-Spitzenverbandes seien. Explizit verweist sie auf die Besetzung des Lenkungsausschusses im GKV-Spitzenverband. Je ein weiblicher und männlicher Vorstand aus Betriebs-, Ersatz- und Innungs-, Ortskrankenkassen sowie Knappschaft und Landwirtschaftlichen Krankenkasse sollten dort besetzt sein. Ist dem nicht so, bleibe er frei, der entsprechende Stimmenanteil falle weg. Diese Erfahrung haben übrigens die Innungskrankenkassen gemacht. Vom 1. Oktober an ändert sich dies, eine Frau zieht ein, die neue Vorständin der IKK gesund plus.
Mit dem zweiten Führungspositionengesetz sei auch die paritätische Besetzung der Kassenvorstände erreicht worden, sagt die Staatssekretärin. Mit dem Koalitionsvertrag der Ampel sei nun vereinbart, dass auch in Kassenärztlichen und Kassenzahnärztliche Vereinigungen eine solche Regelung greifen müsse. Hier befinde man sich in Vorprüfungen beim BMG, dass auch die Vertreterversammlungen davon betroffen seien. Ab 2029 werde dies allerdings erst greifen. Dittmar hoffe, dass es vorher passiere.
Andere Rahmenbedingungen seien aber jedoch erforderlich; wie familiengerechte Arbeitszeiten und Arbeitsorte, Jobsharing sowie mobiles Arbeiten. Doch es gibt Unternehmen, die nicht so fix sind. „Mein Haus muss sich hier an die eigene Nase fassen“, meint Dittmar. Selbstkritisch teilt sie mit, dass von acht Abteilungsleitern nur zwei Frauen seien. Eine Unterabteilungsleitung sei mittlerweile paritätisch besetzt. Da sei ist noch viel zu tun.
Lange Zeit sei die medizinische Forschung von Männern geprägt. Frauen würden sich nicht nur im Gesundheitsverhalten unterscheiden, sondern auch in Krankheitsverläufen. Der Herzinfarkt äußere sich bei der Frau völlig anders als beim Mann. Auch hier sollen laut Koalitionsvertrag die verschiedenen Geschlechter bei Forschung und Prävention berücksichtigt werden.
In der Diskussion wird denn auch klar, dass noch einiges im Argen ist. Prof. Dr. Mandy Mangler, Chefärztin der Gynäkologie am Berliner Auguste-Viktoria-Klinikum und Trägerin des Berliner Frauenpreises, sagt, dass Hierarchien von Männer geschaffen worden seien. Die gelte es aufzubrechen. Für sie sei gute Führung etwas Partizipatives.
Chantal Friebertshäuser, Senior Vice President und Geschäftsführerin von MSD Deutschland, meint, gute Führung werde gelebt, wenn Diversität vorhanden sei und sie gefördert werde. Sie sei unabhängig vom Geschlecht: Feed-Back-Kultur müsse gelebt werden. Das Wichtigste sei jedoch Flexibilität. Jeder habe andere Muster. Bei MSD gebe es flexible Arbeitszeiten. Als Französin sei es für sie selbstverständlich, Job und Kinder zu vereinen. MSD habe es Friebertshäuser auch einfach gemacht. Es habe eine Tageskrippe gegeben bis 18 Uhr. So konnte sie während der Arbeitszeit stillen. Aktuell seien 14 Monate Elternzeit eingeführt, gleichwertig, ob Vater oder Mutter – weltweit.
Josephine Ortleb MdB, SPD, berichtet, dass sie sich schon beim zweiten Führungspositionengesetz viel mehr hätte vorstellen können – Ausweitung auf mehr Unternehmen, wie auf die Körperschaften des öffentlichen Rechts. Ortleb setzt auf die jährliche Berichterstattung über das Führungspositionengesetz. Und dann wolle man auch nachschärfen, wenn es nicht reiche. Schon jetzt wisse sie: „Da geht noch einiges.“
Saskia Weishaupt MdB von den Grünen kritisiert, dass Frauen immer noch als Anhängsel des Mannes betrachtet werden. Die Quote sei Mittel zum Zweck, die Frauen seien eigenständige Individuen. Dem müsse Rechnung getragen werden.
Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerates, ereifert sich, dass die Pflege hinsichtlich der Anerkennung im Zustand von 1900 sei. Es gebe keine Autonomie, kein Mitspracherecht im Selbstverwaltungssystem. Die Pflege werde nicht in die Selbstverantwortung gebracht. Das müsse geändert werden, dafür sei sie angetreten. Ein Pflegesprachrohr sei notwendig für die Wertschätzung. Vogler wünsche sich eine Überarbeitung des Heilberufegesetzes.
Ute Wiedemann, Vorstandsmitglied der DAK-Gesundheit, berichtet, dass die Kassen bereits die Pflege unterstützen – mit dem Pflegebudget. Und Simone Schwering, Vorstandsmitglied Barmer, bekräftigt, dass Frauen eine Vorbildrolle einnehmen müssten. 50 Prozent der Führungskräfte sollen bei der Barmer mit Frauen besetzt sein, so ein Verwaltungsratsbeschluss von 2012. Jetzt sei man bei 30 Prozent. Da sei noch Luft nach oben.
Die Frauen, nicht zuletzt Alexandra Zykunov, Autorin des Buches „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt! 25 Bullshitsätze und wie wir sie endlich zerlegen“, zeigen an diesem Abend, dass sie für mehr Macht antreten. Und von vielen von ihnen wird man sicher noch hören – in Führungspositionen.
Fina Geschonneck
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