Parlamentarischer Abend der Frauen im Gesundheitswesen

Begrüßen als Gastgeberinnen: Cornelia Wanke (l.) und Rebecca Otto (beide Healthcare Frauen).
Ehrengast ist Bundesfamilienministerin Lisa Paus.
Das Publikum des Abends
Kirsten Kappert-Gonther MdB (Grüne) spricht zur Gendermedizin.
Eine ausgewiesene Digitalexpertin: Sylvia Thun (Charité)
Maria-Liisa Bruckert (SQIN) (r.) diskutiert engagiert, mit auf dem Podium Anne Sophie Geier (Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung).
Christiane Groß (Deutscher Ärztinnenbund)
Sind bei der Gesprächsrunde dabei: Anne Sophie Geier (Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung) und Matthias Mieves MdB (SPD)
Ute Seeland (Charité) (r.) bei ihrem Statement, daneben Christiane Groß (Deutscher Ärztinnenbund)
Madlen Bürge (Avoxa) im Gespräch
Kerstin Macherey (MD Bund) ist sichtlich erfreut.
Christine Vogler (Deutscher Pflegerat)
Sabine Skwara (GSK) (l.) begrüßt Simone Ahlvers (Daiichi Sankyo)
Antje Kapinsky (vdek) hört aufmerksam zu.
Clarissa Kurscheid (figus), Ulrike Elsner (vdek), Rebecca Otto (Dentista) (v.l.n.r.)
Vanessa Conin-Ohnsorge (IDV)
Geballte Kraft: der Healthcare Frauen e.V. beim Parlamentarischen Abend
Blick in die Landesvertretung Saarland


„Spannende Einblicke und Gelegenheit zur Berichterstattung“ versprechen zwölf Organisationen, die zum zweiten Mal zum Parlamentarischen Abend der Frauen im Gesundheitswesen eingeladen haben. Politikerinnen, Vorständinnen, Geschäftsführerinnen und weitere Führungsfrauen kommen zusammen in der Landesvertretung Saarland, und Lisa Paus, die grüne Bundesfamilienministerin. Sie greift das Abendthema „Gender Bias bei Algorithmen und künstlicher Intelligenz (KI)“ auf.

Dafür hätten die Organisatorinnen keinen besseren Zeitpunkt wählen können, lobt Paus: Gerade sei die Koalition mittendrin bei Digital-Gesetz und Gesundheitsdatennutzungsgesetz: „Von daher können Sie mich direkt anlobbyieren.“ Daten bildeten geschlechtsspezifische Unterschiede häufig unzureichend ab. Das wiege im Gesundheitswesen besonders schwer: „Der Gender Data Gap gefährdet Frauen in ihrer Gesundheit und kostet Leben.“ Wenn Daten erhoben und genutzt würden, dann müsse es dafür eine geschlechtergerechte Auswahl geben. Man werde als Ministerium die Entwicklung über die Strategie Künstliche Intelligenz mitgestalten. Denn: „Wir wollen im Blick behalten, wie KI in der Gesundheitsversorgung und in der Pflege genutzt wird.“

Für die Organisatorinnen hatte zuvor Cornelia Wanke, Co-Vorsitzende bei Spitzenfrauen Gesundheit, betont, es gehe ihnen um Chancengerechtigkeit: „Wissenslücken aus der analogen Welt wollen wir nicht ins digitale Gesundheitswesen übertragen.“ Dr. Rebecca Otto, Präsidentin von Dentista, ergänzte, es brauche große Sensibiliät für den Aufbau und die Wirkweise von Algorithmen. Frauen seien derzeit „in IT-Berufen und somit in der Gestaltung der Digitalisierung im Gesundheitswesen unterrepräsentiert“. Das berge die Gefahr eines Genderbias. Der Runde Tisch „Frauen im Gesundheitswesen“ hat deshalb ein Positionspapier vorgelegt, das vier Forderungen enthält: Höhere Repräsentanz von Frauen in der Datengrundlage schaffen. Gendergerechten Einsatz von KI umsetzen. Geschlechtsspezifische Interpretationen durch KI gewährleisten. Parität in Lehre, Forschung und Führung im digitalen Bereich fördern.

Geschlechtergerechte Medizin, Digitalisierung in der Medizin – das seien Querschnittsthemen, betonte die Grüne Dr. Kirsten Kappert-Gonther, stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses: „Hier muss man sehr aufpassen, dass das Thema nicht unter den Radar fällt.“ In der Digitalisierung des Gesundheitswesens „liegt viel positive Kraft“. Aber man müsse „die Bewegung Richtung Geschlechtergerechtigkeit voranschalten“. Denn „wenn wir falsch Daten oben reingeben, zementiert sich Ungleichheit noch mehr“.

Das macht auch die dritte Gastrednerin klar, Prof. Dr. Sylvia Thun, Direktorin der Core Unit eHealth und Interoperabilität am Berlin Institute of Health in der Charité. Genauso wie ihr inhaltlicher Input scheint aber viele zu interessieren, ob sie gern Nachfolgerin von Markus Leyck Dieken bei der gematik bzw. deren Nachfolgeorganisation werden möchte. Thun betont: Sie vertrete #SheHealth, da gebe es 960 weibliche Mitglieder. „Soll mir einer erklären, warum man keine Nachfolgerin findet.“ Der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Mieves nimmt die Vorlage bei der Podiumsdiskussion auf. Eine Frau als Nachfolgerin oder gar zwei Frauen? „Lassen Sie uns das machen. Frau Thun, bewerben Sie sich! Alle in diesem Saal!“ Man brauche qualifiziertes Führungspersonal dort, auch auf Ebenen weiter unter.

Was Mieves nicht mochte an Thuns Statement, sagt er auch: Dass sie beim Bezug auf die beiden Digitalgesetze vom Durchwinken im Bundestag gesprochen habe. So laufe es nicht im Gesundheitsausschuss, beteuert er: „Das sind Arbeitsmeetings. Jeder sinnvolle Vorschlag, der hier kommt, den nehme ich mit.“ Moderatorin Prof. Dr. Clarissa Kurscheid hat sofort einen parat: In den Gesetzentwürfen komme das Wort „Gender“ nicht vor: „Sie wissen, woran Sie noch arbeiten müssen.“

Die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, Dr. Christiane Groß, überblickt, was sich im Bereich Gender und Medizin schon getan und verbessert hat, aber: „Solange diejenigen in Spitzenpositionen bei dem Wort Gender oder Geschlechtergerechtigkeit stöhnen, haben wir noch ein Riesenproblem.“ Thun warnt wiederum vor einer geplanten Neuregelung im SGB V, einem Paragrafen 25b im Datennutzungsgesetz. Danach sollen Krankenkassen „zum Gesundheitsschutz“ auf Daten zugreifen und Kunden kontaktieren dürfen. „Ich habe nichts dagegen, dass Kassen mit Daten Prävention betreiben. Aber wenn sie eine Empfehlung abgeben, muss der behandelnde Arzt oder Psychotherapeut wissen, warum die Kasse einen Kunden angerufen hat.“ Und die verwendeten Algorithmen gehörten überprüft, am besten von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich-Medizinischen Fachgesellschaften.

Maria-Liisa Bruckert, Mitgründerin der App SQIN (Hautgesundheit), und Dr. Anne Sophie Geier, Geschäftsführerin des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung, ergänzen und kommentieren aus ihrer fachlichen Sicht. Geier reagiert auf Einschätzungen zum Thema Gender und Digitale Gesundheitsanwendungen (DIGA): Ihrer Erfahrung nach achte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sehr genau darauf, dass Daten der Hersteller bei DIGA geschlechterspezifisch aufgeführt würden. Im Übrigen seien rund 70 Prozent der DIGA-Anwender Frauen. Bruckert kann viele Forderungen nachvollziehen, verweist aber auf die Grenzen junger Unternehmen: „Man kann nicht alles gleichzeitig machen als Startup.“ Eine Lösung ist für sie, offene Aspekte auf die Agenda zu nehmen und nach und nach abzuarbeiten.

PD Dr. med. Ute Seeland, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin, hat am Ende einiges für eine Digitalwunschliste der Zukunft parat. Für Pharmaunternehmen sei ein Problem die Fallzahl, die für Studien erreicht werden müsse. Hierin liege eben ein Zeit- und Kostentreiber. Gut wären zukünftig Algorithmen, mit denen man Studien so optimieren könne, „dass wir nicht so viele Fälle brauchen“. Hilfreicher Einsatz von Avataren. Die Möglichkeit, grundlegende Stoffwechselprozesse so nachbauen zu können, dass man für klinische Forschung nicht mehr derart viele Tiere und Menschen brauche. Genug Stoff für den anschließenden Austausch bei Getränken und Fingerfood in der Landesvertretung.

 

Sabine Rieser


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