24.01.2024
Neujahrsempfang der deutschen Ärzteschaft
Das wohl wichtigste Event eines jeden Jahres ist der Neujahrsempfang der deutschen Ärzteschaft im Berliner Kaufhaus des Westens, kurz KaDeWe. Da stellen sich Geschäftsführer, Minister, Vorstandsvorsitzende oder Bundestags- und Landtagsabgeordnete ohne Murren bei minus 1 Grad in die Reihe vor das Warenhaus am Berliner Tauentzien – in Erwartung, dass sich um 20.30 Uhr die Türen öffnen. Und wer nur den leisesten Versuch macht, vorher reinzukommen: Vergeblich, die zwei Türsteher kennen kein Pardon. Ausharren ist angesagt, um dabei zu sein.
Bereits im Juni eines jeden Jahres fragen die ersten nach: Bekomme ich eine Einladung für den Neujahrsempfang von Bundesärztekammer, Ärztekammer Berlin, KBV und KV Berlin? Da geht es nicht um das Büffet. Dabei sein ist alles – und wer es geschafft hat, ist stolz wie Bolle, wie der Berliner so schön sagt. Auch, wenn die wichtigen Damen und Herren sich natürlich dann im KaDeWe nichts anmerken lassen. Man gehört doch dazu.
Die Hauptreden bestreiten Präsident der Bundesärztekammer und Vorstandsvorsitzender der KBV im jährlichen Wechsel. Wer nicht dran ist, eröffnet das Büffet. In diesem Jahr spricht Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt. Er verweist auf den zuvor stattgefundenen Krisengipfel mit Entbudgetierung, Vorhaltepauschalen etc. für die Hausärzte. Sein Wunsch sei, dass dies auch für die fachärztliche Versorgung gelten solle; „zumindest in Teilen“. Das Thema GOÄ darf natürlich bei Reinhardt nicht fehlen. Im vergangenen Jahr habe er bereits das Problem geübt. Der Bundesgesundheitsminister hat kürzlich eine Prüfung der Reform angekündigt. Reinhardt nimmt es ernst.
Pluralismus, Toleranz und Kompromissfähigkeit seien Wesenselemente einer freiheitlichen Demokratie, betont dann der Bundesärztekammerpräsident. Die deutschen Ärzte würden alle extremistischen Bestrebungen verurteilen, die diese Wesenselemente nur ansatzweise infrage stellen. Auch, wenn man in einem relativ feudalen Ambiente des KaDeWe feiere, seien dennoch dem ärztlichen Beruf caritative Aspekte eigen. Zu den ärztlichen Tugenden gehörten laut Reinhardt Rücksichtnahme und bedingungsfreie Hilfsbereitschaft gegenüber Kranken und Hilfsbedürftigen.
Den Bundesgesundheitsminister freut das Bekenntnis der deutschen Ärzteschaft zur Demokratie: „eine großartige Aussage“. Man dürfe nicht vergessen, unter welchen Umständen das KaDeWe 1933 den Besitzer gewechselt habe, der jüdischer Herkunft gewesen ist. „Das muss eine Mahnung sein – ein historischer Ort – so etwas darf sich nie wieder wiederholen“, sagt Lauterbach.
Seit 22 Jahren sei er bei diesem Neujahrsempfang dabei. Normalerweise sei es der Beginn der gesundheitspolitischen Saison, jetzt sei man schon „mitten im Geschäft“. Es sei nicht sein Interesse, Fach- und Hausarzt gegeneinander auszuspielen, betont der SPD-Politiker mit Blick auf die Regelungen für die Hausärzte.
2024 sei das Reformjahr der Gesundheitspolitik, setzt Lauterbach an und widmet sich dann der Babyboomer-Generation – ein neuer Aspekt bei seinen Reden. Diese Generation würde davon ausgehen, dass sie mindestens so gut versorgt würde, wie jetzt ihre Eltern. Das sei aber keine Selbstverständlichkeit. „Wenn wir jetzt keine großen Reformen machen, dann werden wir für die Babyboomer-Generation eine Mangelmedizin bieten.“ Als Beweis nennt er Fakten: Bis 2040 werde die Zahl der an Demenz Erkrankten auf 2,4 Millionen ansteigen. Jetzt habe man 500.000 Pflegekräfte mehr als 2040 zur Verfügung haben. Bis 2050 gebe es sieben Millionen Pflegebedürftige. Bis 2030 gehe eine Unternehmensberatung davon aus, dass 165.000 Ärzte fehlen und 800.000 Pflegekräfte.
Die Situation sei dramatisch, so das Fazit. Aufgabe ist es für Lauterbach, dass die Versorgung der Babyboomer-Generation vorbereitet werde: „Dafür brauche ich ihr Verständnis und ihre Zusammenarbeit.“ Und dann bittet der Minister noch um einen Gefallen. Wenn es Kritik gebe, angemessen, wie er betont, dann wende man sich doch zuerst an ihn oder sein Haus. Wenn man nicht zusammenkomme, gebe es immer noch die Möglichkeit, über die Öffentlichkeit zu gehen. „Lassen Sie uns so umgehen, wie es dem Bundeskabinett guttäte“, die Lacher hat er auf seiner Seite und fügt gleich hinzu, dass dies nicht für seinen Bereich gelte.
Dr. Andreas Gassen, KBV-Vorstandsvorsitzender, sagt anschließend, dass die Gesundheitsversorgung wichtiger denn je sei, der soziale Kitt einer Gesellschaft. „Und wenn das nicht funktioniert, dann fliegt uns die demokratische Gesellschaft um die Ohren.“ Gemeinsam schaffe man es, ruft er in die Menge, um dann gleich anzufügen, dass nach der hausärztlichen Versorgung auch die Fachärzte Entlastungen benötigen.
Noch bei der Rede von Lauterbach schwärmt eine Gesundheitspolitikerin, sie sei schockverliebt in den Minister. Keine Chance: Lauterbach hat jetzt eine Freundin, die Wirtschaftsjournalistin Elisabeth Niejahr.
Der Abend ist lang, mit intensiven Gesprächen. Es wird gelacht und diskutiert. Wer im nächsten Jahr dabei ist; mal sehen. Zuerst trifft man sich wieder in der Schlange vor dem KaDeWe.
Fina Geschonneck
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