06.02.2023
Nachhaltigkeit? Auch für die Sozialversicherung unabdingbar!
Dr. Susanne Wagenmann, Leiterin der Abteilung Soziale Sicherung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
Auch in der Sozialversicherung brauchen wir ein Bewusstsein für langfristiges Denken und nachhaltige Entscheidungen. Schon heute belasten die Sozialversicherungsbeiträge den Faktor Arbeit stark. In kaum einem anderen Land bleibt den Beschäftigten so wenig von ihrem erwirtschafteten Einkommen wie in Deutschland. Aufgrund der demografischen Entwicklung droht der Gesamtsozialversicherungsbeitrag bis 2040 auf bis zu 50 Prozent zu steigen.
Um das zu verhindern, brauchen wir dringend nachhaltige und ausgabensenkende Strukturreformen – insbesondere auch in der Krankenversicherung als einem der großen Treiber der Sozialbeiträge.
Schwelle von 40 Prozent überschritten
Zum 1. Januar 2023 hat der Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz die Schwelle von 40 Prozent überschritten – und summiert sich auf 40,45 Prozent. Und ein Ende des Anstiegs ist nicht in Sicht: Alleine in diesem Jahr ist mit einer weiteren Anhebung des Beitrags zur Pflegeversicherung um möglicherweise bis zu 0,33 Prozentpunkte zu rechnen. Ein Anstieg der gesamten Beitragssätze auf 43 Prozent bis Ende der kommenden Legislaturperiode ist kein Worst-Case-Szenario, sondern wahrscheinlich. Danach wird der Druck auf unsere Sozialversicherungssysteme immer stärker. Aufgrund der demografischen Entwicklung droht der Gesamtsozialversicherungsbeitrag bis 2040 auf bis zu 50 Prozent steigen.
Damit verschlechtert sich die Position Deutschlands im internationalen Vergleich weiter. Der weit überwiegende Teil des deutschen Sozialstaats wird über lohnbezogene Sozialbeiträge finanziert. Höhere Lohnzusatzkosten aber schwächen einerseits die Wettbewerbsposition des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Andererseits werden Investitionen im Ausland attraktiver, wenn dort die Standortbedingungen eine vorteilhaftere Ausgangslage versprechen. Wer Beschäftigung in Deutschland erhalten will und die Jobs der Zukunft hier schaffen möchte, muss einen weiteren Anstieg der Belastung des Faktors Arbeit unbedingt verhindern.
Auch die Freiheitschancen der jungen und nachfolgenden Generationen werden durch immer umfangreichere finanzielle Lasten mittels Beiträge und Steuern gefährdet. Auf sie kommen absehbar deutlich höhere Lasten zu als auf die heutigen Beitragszahlenden. In Bezug auf den Klimaschutz hat das Bundesverfassungsgericht in seinem sog. Klimabeschluss festgestellt, dass die grundrechtsgeschützte Freiheit über die Zeit sichergestellt werden muss – und die Freiheitschancen verhältnismäßig über die Generationen verteilt werden müssen. Das 1,5 Grad Ziel beim Klima ist einer breiten Öffentlichkeit bekannt, und es gibt ein Bewusstsein für langfristiges Denken und nachhaltige Entscheidungen. Dieses Denken und ein griffiges Nachhaltigkeitsziel brauchen wir auch für die Sozialversicherung! Ein Stoppschild in Form einer Obergrenze bei den Sozialbeiträgen kann hierzu wesentlich beitragen.
Die wesentlichen Treiber des Anstiegs des Gesamtsozialversicherungsbeitrags sind die Kranken- aber auch die Pflegeversicherung. Ohne ein massives Gegensteuern durch nachhaltige und effizienzsteigernde Strukturreformen in diesen Zweigen ist eine Begrenzung der Sozialbeiträge nicht denkbar. Dabei besteht bezüglich der notwendigen Maßnahmen kein Erkenntnisproblem. Wissenschaftler und der Sachverständigenrat Gesundheit machen seit Jahrzehnten Vorschläge für mehr Wettbewerb in der Versorgung, für eine Krankenhausreform, für die Überwindung der Sektorengrenzen sowie für die Digitalisierung im Gesundheitswesen.
GKV hat Ausgabeproblem
Die GKV-Ausgaben wachsen überproportional stark. Während seit 1991 die Ausgaben je Versicherten jedes Jahr um durchschnittlich rund einen Prozentpunkt stärker gestiegen sind als die beitragspflichtigen Einkommen pro Kopf, haben sich die beitragspflichtigen Einkommen mit annähernd gleicher Dynamik entwickelt wie die durchschnittlichen Arbeitnehmerentgelte. Weder die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze noch die Einführung einer sog. Bürgerversicherung würden also die Probleme in der GKV lösen. Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze triebe die Sozialbeiträge und damit auch die Arbeitskosten der Arbeitgeber noch weiter nach oben – und wäre in der Wirkung quasi eine Strafabgabe für besonders qualifizierte Facharbeitskräfte und Arbeitsplätze. Eine sog. Bürgerversicherung leistete keinen substanziellen Beitrag, den überproportional starken Ausgabenanstieg zu begrenzen. Auch die Solidarität würde durch eine sog. Bürgerversicherung nicht gestärkt. Denn selbst wenn eine kurzfristige Entlastung der GKV-Bestandsversicherten möglich wäre, ist dieser Effekt nur zulasten der Solidarität zwischen den Generationen zu organisieren und schränkt die Freiheitschancen der jüngeren und nachwachsenden Generationen deutlich ein.
Echte Nachhaltigkeit lässt sich also nur durch ausgabensenkende Strukturreformen erreichen. Diese muss die Regierung nun endlich zügig angehen.
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