Klima und Gesundheit – Änderung der Sozialgesetzbücher erforderlich

Für Nachhaltigkeit muss die Politik handeln

Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg

Auch im Gesundheitssektor ist der Klimawandel längst angekommen. Wichtig ist, über dessen Auswirkungen und Risiken zu sprechen und daraus konkrete Handlungsoptionen abzuleiten und umzusetzen. Als entscheidende Ansprechpartner für ihre Versicherten sind hier auch die gesetzlichen Kranken-bzw. Pflegekassen gefragt. Allerdings ist deren Handlungsspielraum derzeit begrenzt. Für verstärktes nachhaltiges Handeln der Kranken- und Pflegekassen bedarf es einer besseren rechtlichen Grundlage – in Form einer Anpassung des Sozialgesetzbuchs.

Der Klimawandel macht sich in Deutschland bemerkbar: Zunehmende Wetterextreme wie Überschwemmungen, Starkregen, Trockenheit und Hitze treten deutlich zu Tage. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) war das Jahr 2022 hierzulande das zwölfte zu warme Jahr in Folge und brach sogar den Allzeitrekord aus dem Jahre 2018. Im Jahresdurchschnitt lag die Temperatur in Deutschland mit 10,5 Grad Celsius 2,3 Grad über dem Durchschnittswert der Referenzperiode 1961-1990. Gemeinsam mit dem Jahr 2018 war 2022 das wärmste Jahr seit Messbeginn. Das zeigt: Wir sind nicht mehr an dem Punkt, an dem wir uns allein die Frage stellen, wie man den Klimawandel eindämmt. Wir müssen auch der Realität ins Auge blicken und den Umgang mit dem veränderten Klima in den Fokus nehmen.

Der akute Handlungsbedarf beim Klimaschutz scheint längst in der Politik angekommen, der Klimawandel ist eines der bedeutendsten Themen auf der politischen Agenda. Nicht nur die Ressorts Umwelt, Verkehr oder Wirtschaft beschäftigt das Thema. Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat das Thema „Klimawandel und seine Auswirkung auf die Arbeitswelt“ zu einem der vier zentralen Themen seines Programms „Arbeit: Sicher + Gesund“ gemacht. Und das aus gutem Grund: Denn neben dem Versagen bei der Eindämmung des Klimawandels ist das Versagen bei der Anpassung an den Klimawandel laut dem Global Risk Report des World Economic Forum das größte Risiko für unseren wirtschaftlichen Wohlstand.

Klimaanpassung ist neben dem Klimaschutz also ein wichtiges Handlungsfeld. Das gilt insbesondere mit Blick auf die menschliche Gesundheit. So kann Hitze körperliche Symptome wie Übelkeit und Schwäche auslösen, aber auch psychische Reaktionen wie Aggressivität oder Lethargie hervorrufen. Vor allem Menschen mit Vorerkrankungen und ältere Menschen gehören zu den Risikogruppen. Bei Menschen mit Herzerkrankungen kann durch die hohe Belastung durch die Hitze das Herz aus dem Takt geraten, und das Risiko für einen Herzinfarkt steigt.

 

Gesundheit als Cluster im Bundes-Klimaanpassungsgesetz

Aber auch junge und gesunde Menschen können z. B. einen Hitzschlag erleiden. Zusätzlich begünstigt der Klimawandel Allergien, Krankheitserreger und deren Überträger. Sonnenreiche Jahre erhöhen zudem das Risiko UV-bedingter Gesundheitsschäden, um nur einige Beispiele zu nennen. Klimaanpassung und Gesundheit sind also Themen, die zusammengedacht werden müssen. Deshalb ist es richtig, dass in dem Entwurf zum Bundes-Klimaanpassungsgesetz des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz das Thema Gesundheit als Cluster aufgenommen wurde.

„Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“, das sagt auch Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach und macht klar, dass er das Thema auf dem Schirm hat. Grund dazu hat er: Die Weltgesundheitsorganisation schätzt den Klimawandel als die größte Bedrohung der Gesundheit aller Menschen weltweit ein. Aber nicht nur die Auswirkungen des Klimawandels betreffen unsere Gesundheit – der Gesundheitssektor selbst schädigt das Klima. Er ist für 5,2 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Das ist mehr als der Flugverkehr (3,6 Prozent). Diese Zahl belegt eindrucksvoll, dass ganzheitlich gedacht werden muss. Der „Health in all Policies“-Ansatz“ sollte hier konsequent verfolgt werden.

Wichtig ist es, alle Akteure im Gesundheitswesen mitzunehmen. Dabei sollte es nicht allein um die – durchaus wichtigen – energetischen Sanierungen in Krankenhäusern gehen. Auch die Krankenkassen sollten hier einen bestmöglichen Handlungsspielraum haben um nachhaltig zu handeln. Das sehen beispielsweise auch die Aufsichtsbehörden der Länder und des Bundes so, die im Mai 2023 befunden haben, dass die Krankenkassen bei Haushaltsfragen auch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen können sollten.

 

Klimaresiliente Versorgung in HZV verankert

Eine gesunde Umwelt ist eine wichtige Voraussetzung für eine gesunde Menschheit – und andersherum. Dieser Zusammenhang ist uns bewusst und ermutigt uns in unserem Einsatz für Nachhaltigkeit. Als größte Kranken- und Pflegekasse in Baden-Württemberg möchten wir nicht nur auf die Bedeutung dieses Zusammenhangs aufmerksam machen, wir möchten unseren Versicherten hier bestmöglich zu Seite stehen. Heute zählen ca. 45 Prozent unserer Versicherten zur Risikogruppe des Klimawandels, daraus ergibt sich für uns ein klarer Handlungsauftrag, dem wir unter anderem mit Informationen zu präventiven Maßnahmen und zum Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels nachkommen. So haben wir jetzt in der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) mit Blick auf chronisch kranke Menschen eine klimaresiliente Versorgung verankert, die vorsieht, dass besonders gefährdete Menschen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Erkrankung und den Umgang damit beraten werden. Zusätzlich haben wir Umweltschutzaspekte in den Ausschreibungen unserer Arzneimittelrabattverträge verankert. Wir haben den Anspruch, mehr als nur ein Ansprechpartner und Ratgeber beim Thema Klima und Gesundheit für unsere Versicherten zu sein. Wir sehen uns zudem in der Verantwortung, als Vorbild zu wirken und im Sinne unserer Versicherten nachhaltig zu handeln.

Der Spielraum für unser nachhaltiges Handeln ist jedoch eng. In den Sozialgesetzbüchern fehlt bislang der Aspekt der Nachhaltigkeit. Hier wäre es sinnvoll, Nachhaltigkeit im SGB I, IV, V und XI zu integrieren. Denn Nachhaltigkeit geht mit Wirtschaftlichkeit und Qualität einher – Punkte, die im SGB V bereits stehen, die Nachhaltigkeit jedoch nicht aktiv einschließen. Insbesondere eine Verankerung von Nachhaltigkeit im Rahmen des Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsgebots (§ 12 SGB V) – analog ggf. in anderen Büchern des Sozialgesetzbuchs (etwa § 29 SGB XI) – würde für eine konsequente Herangehensweise aller gesetzlichen Kranken- bzw. Pflegekassen sorgen und die Kassen dazu befähigen, nicht nur dem sparsamen Einsatz der Beitrags- und Steuergelder nachzukommen, sondern auch einem sozialen und umweltbewussten Handeln.

 

Konkrete Normänderungen in den Sozialgesetzbüchern

Um die Kranken- bzw. Pflegekassen zu nachhaltigem Handeln zu befähigen und auch zu verpflichten sind in rechtlicher Hinsicht zwei Wege denkbar: entweder eine Ergänzung des Wirtschaftlichkeits- um ein Nachhaltigkeitsgebot oder eine Präzisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots dahingehend, dass Nachhaltigkeit als ein begriffliches Element von Wirtschaftlichkeit verstanden und entsprechend definiert wird. Entscheidet man sich für die zweite Alternative, könnte man Satz 1 des Wirtschaftlichkeitsgebots sinngemäß wie folgt formulieren: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich, insbesondere ökologisch und sozial nachhaltig sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.“

Auch an anderer Stelle des Fünften Sozialgesetzbuchs (und ggf. weiterer, Bücher) etwa in Zusammenhang mit der Richtlinienkompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses (§ 92 SGB V), sollte es eine entsprechende Ergänzung bzw. Präzisierung geben.

Eine saubere und natürliche Umwelt bildet die wesentliche Voraussetzung dafür, dass Menschen gesund zur Welt kommen, gesund heranwachsen und gesund leben können. Alle Akteure im Gesundheitswesen sollten ihren Teil dazu beitragen und entsprechend ihrer Möglichkeiten ihrer Verantwortung nachkommen. Im Sinne unserer Gesundheit verdient das Thema große politische Aufmerksamkeit.

 


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