GHG – Neues vom Schminktisch

Prof. Dr. med. Jürgen Windeler

Wer glaubt, dass die Bekenntnisse zu EbM aus der Gesundheitspolitik mehr als potemkinsche Dörfer sind, sollte einen Blick in den Regierungsentwurf zum „Gesundes-Herz-Gesetz“ werfen, der am 28. August 2024 vorgestellt wurde. Von der Ärzte Zeitung als „Kehrtwende“ gegenüber dem Referentenentwurf aus dem Juni eingestuft, kann man die Änderungen in der Sache kaum anders als Kosmetik bezeichnen.

Diesmal gibt es „Rouge“ statt weißer Salbe für diejenigen, die meinen, mit einer wissenschaftlichen Basis und sachlich-nüchternem Blick könne man in einem Gesundheitssystem sinnvolle, patienten-orientierte und wirtschaftliche Entscheidungen treffen.

Immerhin: Die skandalöse Relativierung der §§ 2 und 12 SGB V sowie die Ermächtigung zu Rechtsverordnungen für die beabsichtigten Checks sind entfallen. Aber der Schein trügt. Es wurde nur umgeschrieben. Beides wird dadurch kompensiert, dass nun die Leistungen direkt in das Gesetz geschrieben wurden. Damit ist die Relativierung umgesetzt, ohne sie extra erwähnen zu müssen, und Rechtsverordnungen braucht es nicht mehr.

 

G-BA darf wieder mitspielen

Der G-BA darf wieder mitspielen – ein weiterer Griff in den Schminktopf. Denn statt dem G-BA die Prüfung eines Angebots zu übertragen (angeblich, weil alles ganz furchtbar schnell gehen muss, „schnellstmöglich“, „eilbedürftig“), wird in dem neuen § 25c in einer für ein Gesetz vollkommen absurden Detailtiefe vorgegeben, wie die neuen Checks aussehen sollen – es fehlt nur der Hinweis auf den Winkel, mit dem die Nadel bei der Blutentnahme angesetzt werden soll. Der G-BA darf „das Nähere“ bestimmen, vor allem, ob das ohne irgendeine Evidenz „erweiterte“ Angebot „für weitere Versichertengruppen“ noch weiter erweitert werden soll – und immer so weiter …

Im § 26 (Lipiduntersuchungen bei Kindern) werden jetzt ebenfalls Details der Leistungen festgelegt; der G-BA darf dann „die Art der Blutentnahme“ regeln. Gerade zwei Tage vorher, am 26. August, hatte das IQWiG einen vom G-BA beauftragten Rapid Report zum Check auf Familiäre Hyperlipidämie veröffentlicht. Das Institut empfiehlt erwartungsgemäß kein allgemeines Screening, sondern das auch von anderen Ländern verfolgte Kaskaden-Screening.

 

Arbeit des IQWiG offenbar vollkommen irrelevant

Das BMG kannte den Auftrag inkl. des geplanten Fertigstellungstermins. Auch die Empfehlung des IQWiG war dem BMG bekannt. Man darf folgern, dass das Ergebnis und damit die Arbeit dieses wissenschaftlichen Instituts für den Minister vollkommen irrelevant waren. Die Kardiologen hatten ihm ja gesagt, was gemacht werden soll, ein Service, für den dieser Facharztgruppe in der Pressekonferenz ausgiebig gedankt wurde.

Und dann wird noch die Quadratur des Kreises gefordert: Der G-BA „legt Versicherteninformationen über Nutzen und Risiken der … erweiterten Leistungen fest.“ In der Versicherteninformation wird man also wohl den ungesicherten Nutzen und die unklaren, jedenfalls nicht quantifizierbaren Risiken der im Gesetz festgelegten Leistungen beschreiben müssen, eine zweifellos interessante Aufgabe.

Noch ein wenig Lidschatten? Die Pressekonferenz, die den Regierungsentwurf begleitete, strotzte vor Superlativen, „eines der wichtigsten Gesetze für die Gesundheit der Bevölkerung in dieser Legislaturperiode“, es wird „zahlreiche Menschenleben retten“ und auch noch viel Geld sparen. Aber man kann wohl davon ausgehen, dass niemand der Anwesenden dies wirklich ernst nahm. Die Entscheidung, die Ausgestaltung der Statinverordnung dem G-BA zu überlassen (nachdem man einen „Anspruch“ ins Gesetz geschrieben hat), hat denn auch wenig mit Einsicht oder einem Hoch auf die Selbstverwaltung zu tun. Vielmehr müssten bei den Verantwortlichen im G-BA eigentlich alle Alarmglocken läuten, wenn sie diesen Satz aus dem Mund des Ministers zu ihrer Arbeit hören: „.. inhaltlich scheinen die Empfehlungen in die Richtung zu gehen, wie wir es wünschen.“ Interessante, offene Frage: Wer ist wohl „wir“? Und schließlich ist die Begründung dafür, warum man der Empfehlung des IQWiG nicht folgte, denn auch – wie sagt man heute? – „weird“.

Einführend wurde in der Pressekonferenz noch hervorgehoben, dass wir „eine sehr gute … und sehr teure Versorgung“ haben (sprich: eine seit vielen Jahren bekannte massive Überversorgung in der interventionellen Kardiologie). Da fragt man sich natürlich, warum Deutschland bzgl. kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität angeblich so schlecht dasteht. Bei „Pay für Performance“ müsste man wohl über Rückzahlungen sprechen.

Das Ministerium verschickte als „weitere Informationen“ noch eine eigene Zusammenfassung und Bewertung einer Evaluation des englischen NHS-Programms. Dabei wären eine Reihe von unplausiblen Ergebnissen zu erwähnen. Wie kann es z. B. sein, dass es bereits ab dem zweiten Jahr in der Interventionsgruppe weniger Leberzirrhosen gab? Die epidemiologische Expertise hat anscheinend auch nicht gereicht, um die gravierenden Limitationen von Fall-Kontroll-Studien zu kennen und zu kommunizieren. Der lange Absatz „Limitations“ in der Originalpublikation listet eine Reihe (bekannter) Probleme solcher Studien, die auch diese Ergebnisse betreffen – keine Rede davon in den „Informationen“ des Ministeriums. Nimmt man aber die Evaluationsergebnisse für bare Münze, so ist jedenfalls vollkommen offen, ob „Checks“ zu diesem Ergebnis etwas beigetragen haben.

Der Minister hat an Evidenz, die nicht seinen persönlichen Überzeugungen entspricht, an den Empfehlungen des von ihm angeblich so geschätzten Instituts und überhaupt an den von fast allen vorgebrachten vielfältigen Argumenten gegen diesen „Präventionsweg“ keinerlei Interesse. Wer das noch nicht wusste, für den liegt der Nachweis mit diesem Entwurf unübersehbar auf dem Tisch.

 

 

Lesen Sie vom Autor zu diesem Thema auch: 

„Erinnern Sie sich noch an den G-BA?“, Observer Gesundheit, 19. Juni 2024.


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