Gesundheitsämter sehnen sich nach digitalen Lösungen

Theresa Willem, Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit (InÖG)

Während sich die politische Klasse auf Clubhouse tummelt, wird in Gesundheitsämtern fleißig gefaxt. Ein verheerendes so wie falsches Bild von einer Bereitschaft zum Wandel. Viele Gesundheitsämter sehnen sich nach Digitalisierung, wobei Zurückhaltung und Vorbehalte vielmehr Ausdruck eines kulturellen Bruchs sind.

Schon während der ersten Welle dieser Pandemie entstand in vielen Gesundheitsämtern die Sorge, dass die Nachverfolgung von Kontaktketten nicht mehr gewährleistet werden kann. Dabei stellen unter wirksamen Kontaktbeschränkungen die bekannten Inzidenzschwellen keine größeren Probleme dar, da eine Indexperson im Regelfall nur wenige Kontaktpersonen hat. Das ändert sich schlagartig, wenn das offene gesellschaftliche Leben blüht und Indexfälle eine Vielzahl an Kontaktpersonen aufweisen. Die Folge: Die Kontaktketten und der Aufwand bei den Gesundheitsämtern steigen exponentiell an.

 

Bruch zwischen Verwaltungsstruktur und digitaler Realität

Hinzu kommt, dass die Kontakterfassung in vielen Gesundheitsämtern nicht medienbruchfrei verläuft. Es werden Listen mit Kontakten erstellt, ausgedruckt, händisch verschickt und abtelefoniert. Dieser Zustand ist weder ideal, noch will ihn jemand haben. Viele Gesundheitsämter sind auf der Suche nach digitalen Lösungen und stehen dafür im Austausch mit anderen Kreisen und Ländern. In Gesprächen mit den Verantwortlichen wird klar, dass sich viele Gesundheitsämter nach Digitalisierung sehnen. Die oft kritisierte Zurückhaltung und die Vorbehalte offenbaren allerdings einen kulturellen und technologischen Bruch, der sich zwischen den Strukturen der Verwaltung und einer digitalen Realität der immer weiter fortschreitenden Gesellschaft verfestigt.

Die Werkzeuge, die für die Nachverfolgung lokaler Masernfälle noch völlig ausreichend waren, kommen durch die globale Pandemie weit über ihre Grenzen. Mit ihr die Methoden, die Infrastruktur und die Herangehensweise an Problemlösung. Dabei haben viele Gesundheitsämter kreative Konzepte und schlüssige Abläufe für die Umstellung auf neue digitale Lösungen erarbeitet. Das Problem ist: Lokale Insellösungen sind wenig zielführend, nicht zuletzt, weil die Pandemie nicht an der Landesgrenze endet. Dass an manchen Orten für die Inbetriebnahme von digitalen Lösungen gewartet wird, kann aber eben auch daran liegen, dass ein Bewusstsein für die Notwendigkeit digitaler, länderübergreifender Lösungen vorhanden ist. Solange Interoperabilität nicht gewährleistet wird, wirksame Schnittstellen nicht etabliert sind und solange die Voraussetzungen für Datenmigration nicht gegeben ist, hat vielerorts das Tagesgeschäft Priorität. Dass außerdem die technischen Infrastrukturen oft über lange Zeiträume vernachlässigt wurden und jetzt hastig aufgesetzt werden müssen, ist wenig hilfreich, besonders unter der Last einer neu gewonnen und oft ungewohnten Aufmerksamkeit.

 

Effektive Abläufe durch SORMAS

Auch aus diesem Grund hat sich SORMAS als zentraler Baustein der Pandemiebekämpfung etabliert. Der bundesweite Einsatz verspricht effektive Abläufe, ermöglicht eine flexible Nutzung und garantiert die wichtige Vernetzung unter den Gesundheitsämtern. Es reicht dabei allerdings nicht aus, SORMAS bereitzustellen und Schnittstellen zu schaffen. Es muss auch sichergestellt werden, dass ein Verständnis da ist, wie die Software funktioniert und wie sie sich in die Prozesse der Gesundheitsämter integrierten lassen. Dazu gehört die Möglichkeit weitere Lösungsansätze in die Abläufe zu integrieren. Nicht zuletzt, um einen entscheidenden Faktor zu berücksichtigen: die Mitwirkung und Kraft der Zivilbevölkerung. Denn auch wenn sich zahlreiche Gesundheitsämter nach digitalen Lösungen sehnen, braucht es hierfür eine professionell begleiteten Wandel. Nicht nur für die Datenkultur. Menschen müssen abgeholt und unterstützt werden. Vieles ist bereits auf einem guten Weg, um ihn konsequent weiter zu gehen, benötigt es Ressourcen, engere Kooperation und breitere Koordination. So kann es gelingen, nicht nur die Krise zu überstehen, sondern gemeinsam ein gesunde Zukunft zu gestalten.


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