Erinnern Sie sich noch an den G-BA?

Zum BMG-Referentenentwurf des „Gesundes-Herz-Gesetz“

Prof. Dr. med. Jürgen Windeler

Neben allerlei eigentümlichen Regelungen enthält der kursierende Referentenentwurf zum „Gesundes-Herz-Gesetz“ eine radikale Abkehr von fast allen Grundsätzen, die in der Methodenbewertung bisher galten, und treibt die monomane Idee, alles selbst und besser zu können, auf die Spitze.

„Der Gemeinsame Bundesausschuss, allgemein G-BA oder auch kleiner Gesetzgeber genannt, war das zentrale Beschlussgremium im deutschen Gesundheitssystem. Er hatte nach den gesetzlichen Regelungen im früheren SGB V in verschiedensten Aufgabenbereichen weitreichende Gestaltungs- und Entscheidungskompetenzen. Insbesondere hatte er in seinen Richtlinien zu regeln, welche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im GKV-System angewendet und welche Medikamente verordnet werden können. Bei der Bewertung war er den Prinzipien einer evidenz-basierten Medizin verpflichtet. Unter dem Gesundheitsminister Karl Lauterbach wurde der G-BA seiner Aufgaben enthoben.“

So oder so ähnlich wird der Wikipedia-Eintrag 2030 lauten, wenn diese Gesundheitspolitik fortgesetzt wird. Warum also kein Aufschrei? Ist die Haltung eines Politikprofis, der seinen Mitarbeitern schlicht verboten hat, ihre Zeit mit den Entwürfen aus dem BMG zu verschwenden, die klügere? Nimmt das niemand mehr ernst, was da aus dem Ministerium kommt – so wie die „Bild“-Zeitung oder Horoskope?

Liest man den aktuellen Entwurf zum „Gesundes-Herz-Gesetz“ (was für ein albern-anmaßender Titel!), dann kann man nur sprachlos zur Kenntnis nehmen, dass alle Grundlagen, die für Leistungen in der GKV bisher galten und für wichtig erachtet wurden, beseitigt oder – man kann es eigentlich nicht anders ausdrücken – mit Füßen getreten werden.

  • Das IQWIG hat dem Minister gerade aufgeschrieben, „dass ein gesundheitlicher Nutzen der allgemeinen Gesundheitsuntersuchung selbst unklar ist“?
    Egal – wir weiten es trotzdem nach allen Richtungen aus; die Kardiologen haben uns ja gesagt, dass sie das gut finden. Das reicht als Argument.
  • Der G-BA hat gesetzliche Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis?
    Egal – wir streichen die und machen das mit Rechtsverordnungen alles alleine; großzügig „auf Grundlage“ von Unterlagen des G-BA, sind daran aber nicht gebunden und machen das, was uns die „medizinischen Fachgesellschaften“ – die unmittelbaren Nutznießer dieser Leistungsausweitung – ins Pflichtenheft schreiben.
  • Da steht der eherne Grundsatz „allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse“ (§ 2) sowie das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12) ganz am Anfang des SGV V als allgemeine Richtschnur für die GKV und die Sozialgerichte?
    Egal – weg damit; ist nur hinderlich, wird in einem Halbsatz außer Kraft gesetzt.
  • Im Nationalen Krebsplan wurde mit dem BMG konsentiert, dass es bei Früherkennung auf eine informierte Entscheidung und nicht auf eine Steigerung der Teilnahme ankommt – dass also Patientenrechte gelten?
    Egal – Jeder bekommt einen Gutschein, damit „die Inanspruchnahme des Check-up zusätzlich erleichtert und damit gesteigert“ wird. Information und Aufklärung war gestern.
  • Im Problemaufriss wird beschrieben, dass „modifizierbare Lebensstilfaktoren“ eine „Schlüsselrolle“ bei der Prävention spielen?
    Egal – Das ist schwierig; können andere machen. Wir wollen Früherkennung, bringt nicht viel, sieht aber gut aus.
  • Der Minister spricht bei jeder sich bietenden Gelegenheit über das „Team Evidenz“, dem er angeblich angehört?
    Egal – das sind ja nur Grußworte; was kümmern uns fehlende Evidenz und Nutzen; Evidenz stört; wir wissen es besser und machen es einfach trotzdem.
  • Das Gesetz sieht vor, dass Medikamente nur zur Behandlung von Krankheiten verordnet werden dürfen, und dass der G-BA über Ausnahmen entscheidet?
    Egal – ein solches Hindernis steht der tollen Idee und vor allem dem Pharmastandort Deutschland entgegen. Und warum den G-BA fragen? Da schreiben wir einfach einen Freifahrtschein für Statine rein.
  • Die Krankenkassen sollen sich um Primärprävention kümmern, die nach allem, was die wissenschaftliche Welt weiß, erfolgversprechender ist als die Checkerei?
    Egal – Wir wollen checken und irgendwo muss das Geld ja herkommen, da müssen sinnvolle Maßnahmen eben zurückstehen.
  • Das ist teuer?
    Egal – Wir basteln Modellrechnungen, aus denen hervorgeht, dass unter vollkommen unrealistischen Bedingungen irgendwann in ferner Zukunft vielleicht Geld gespart werden „könnte“.

 

Das Bild, das man aus den verschiedenen Versatzstücken zusammensetzen kann, sieht so aus: Die Politik (Zustimmung des Bundesrates!) entscheidet, dass Maßnahmen, die nach eigener, ausdrücklicher Feststellung des Entwurfs keine ausreichende Evidenz haben, unter Missachtung der Grundsätze für die GKV und unter Umgehung aller sorgsam im SGB V installierten Bewertungsschritte den Menschen werbend angeboten werden, ein Blankoscheck für Statinverordnung inklusive. Good News für Leistungserbringer (die KBV applaudiert unverzüglich), Apotheken, Labore, Pharmafirmen. Bad News für den G-BA, das IQWIG, die Kassen, Beitragszahler, Versicherte, denen die Primärprävention gekürzt wird, Patienten, die auf den ganzen Werbezirkus hereinfallen und nun lebenslang Statine futtern, sowie Public Health als Ganzes, denn dies ist nicht Prävention, sondern plumpe Klientelpolitik.

Eigentlich sollte man sich für solch ein Gesetz schämen.

 

Lesen Sie vom Autoren auch diese Beiträge im Observer Gesundheit:

„Der Check heiligt die Mittel – ein Update“, Observer Gesundheit, 16. Dezember 2023,

„Der Check heiligt die Mittel“, Observer Gesundheit, 31. Oktober 2023.


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