25.06.2024
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung vor den Toren der Gesundheitswirtschaft
Umwelt und Krankenhäuser könnten davon profitieren
Prof. Dr. Bertram Häussler
Sebastian Irps
„Ein Gespenst geht um in Europa“ könnte man wieder einmal formulieren: „das Gespenst der Nachhaltigkeitsberichterstattung“. Der Satz kann zwar nicht an die historische Bedeutung seines Vorbildes anschließen, aber die besagte Nachhaltigkeitsberichterstattung (NHB) kann durchaus mit einem Gespenst verglichen werden: Es ist immateriell, erscheint in vielen Gestalten je nach der Position des Beobachters, soll übernatürliche Fähigkeiten haben und wirkt vielfach furchteinflößend.
Seine baldige Erscheinung ist angekündigt, auch in der Gesundheitswirtschaft. Daher soll der Versuch unternommen werden, das Wesen der NHB näher zu erkunden. Zu diesem Zweck haben wir untersucht, welche Bedeutung die deutsche Sprache dem Begriff „Nachhaltigkeit“ heute zuschreibt und welche Bedeutung die Europäische Union diesem Begriff durch ihre Regulierung aufgeladen hat. Wir haben dann die wesentlichen Eigenschaften dieser neuen Art der Berichterstattung herausgearbeitet und anschließend gezeigt, dass die wenigen Spuren, die die NHB in Bezug auf Krankenhäuser bisher hinterlassen hat, ein verwirrendes Bild abgeben. Vor diesem Hintergrund empfehlen wir, in der Zukunft vor allem auf diesen Kern zu fokussieren, damit das große Ziel der Reduzierung von Treibhausgasemissionen unterstützt wird.
Es wird sich etwas ändern in der Gesundheitswirtschaft
Im Juli dieses Jahres soll der Bundestag ein Gesetz beschließen, das die Umsetzung einer Richtlinie der Europäischen Union zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen zum Gegenstand hat[1]. Das Gesetz will die Richtlinie (Directive) 2022/2464 zum Corporate Sustainability Reporting (CSRD) (European Parliament and the Council of the European Union 2022)„im Wesentlichen 1:1“ umsetzen und geht „grundsätzlich inhaltlich nicht darüber hinaus“ (Bundesministerium der Justiz 2024a).[2]
Der Referentenentwurf schätzt, „dass in Deutschland künftig insgesamt rund 13.200 Unternehmen von der Pflicht zur NHB erfasst sein werden.“ (Bundesministerium der Justiz 2024a) Aufgrund der Ausdehnung der nicht-finanziellen Berichtspflichten auf „mittelgroße Unternehmen“ dürften hierzulande knapp tausend Krankenhäuser und geschätzt weitere tausend Unternehmen aus der Gesundheitsbranche betroffen sein.[3] Zudem: „Für die Wirtschaft ist nach derzeitigem Stand der Schätzungen mit einmaligem Erfüllungsaufwand in Höhe von rund 748 Millionen Euro sowie laufendem Erfüllungsaufwand in Höhe von jährlich ca. 1,4 Milliarden Euro zu rechnen.“[4] (Bundesministerium der Justiz 2024a) Damit ist eine Größenordnung erreicht, die einen genaueren Blick auf die dadurch angestoßenen Änderungen rechtfertigt. Was wird sich für die Betroffenen und ggf. darüber hinaus ergeben, welche Einflüsse sind zu erwarten?
Vordergründig wird für die genannte Gruppe von Unternehmen lediglich im Rahmen des jährlichen Jahresabschlusses eine zusätzliche die Berichterstattung um nicht-finanzielle Aspekte der Unternehmenstätigkeit verlangt. Diese beziehen sich auf das Thema „Nachhaltigkeit“: Was hat das Unternehmen im Laufe des vergangenen Jahres diesbezüglich unternommen und welche Risiken gehen von diesem Unternehmen aus? Mittelgroße und natürlich auch große Unternehmen sollen damit nicht nur wirtschaftlich erfolgreich sein, sondern – und das ist die Absicht des europäischen Gesetzgebers – einen zweiten Fokus auf das legen, was mit „sustainability“ bzw. „Nachhaltigkeit“ bezeichnet wird. Und soll durch eine Berichtspflicht eine Erweiterung der Geschäftsstrategie erwirkt werden, deren Auswirkungen voraussichtlich von großer Tragweite sein werden.
Vermutlich haben alle Verantwortlichen eine Vorstellung von „Nachhaltigkeit“, vor deren Hintergrund es auch irgendwie einleuchtet, dass auch Unternehmen ihren Beitrag leisten sollen, den Globus vor Überhitzung zu schützen. Doch was versteht der Gesetzgeber darunter?
Was bedeutet „Nachhaltigkeit“ im deutschen Sprachgebrauch?
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist im üblichen Sinne kein „Fremdwort“ und auch kein Anglizismus, lässt aber zumindest bei älteren Sprechern eine gewisse Fremdheit aufkommen, was seine Herkunft und Bedeutung angeht. Dem entspricht, dass der Begriff quasi erst 1992 in nennenswertem Umfang in deutschen Zeitungen verwendet wird.[5] Demgegenüber ist das Adjektiv „nachhaltig“ durchaus schon seit langem dem deutschen Wortschatz zuzurechnen.
Der sog. „Brundtland Report“[6] [7] forderte 1987 in Kapitel 2 “Towards Sustainable Devolopment” und etablierte damit den Begriff der „sustainability“, der in seiner deutschen Übersetzung als „Nachhaltigkeit“ in Deutschland eingeführt worden war. Der Begriff bekam seinen nächsten Schub im Jahr 2007 durch das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), das in seinem Bericht die entscheidende Aussage traf: „Anthropogenic warming over the last three decades has likely had a discernible influence at the global scale on observed changes in many physical and biological systems.” (Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) 2007, S. 6) Den nächsten Bedeutungszuwachs bekam der Begriff dann 2015 durch die Verabschiedung des Pariser Abkommens, das in Artikel 2 festhielt: “Article 2: (…) to pursue efforts to limit the temperature increase to 1.5 °C above pre-industrial levels, recognizing that this would significantly reduce the risks and impacts of climate change …” (United Nations Framework Convention on Climate Change 2015) Die stärkste Beschleunigung aber bekam der Begriff in den Jahren 2017 und 2018 mit der Bundestagswahl 2017, der Entstehung der „Friday for Future“-Bewegung sowie der Jahrhundertdürre und den Waldbränden in Mitteleuropa im Jahr 2018 (siehe dazu Abbildung 1).
Abbildung 1: Entwicklung der Häufigkeit der Erwähnungen des Wortes „Nachhaltigkeit“ in einer Auswahl deutscher Zeitungen
Quelle: (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS 2024a)
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist also zumindest im deutschen Sprachraum eindeutig und nahezu ausschließlich mit den Begriffen „Umweltschutz“, „Ökologie“, „Ressourcenschonung“, „Klimaschutz“ und „Energieeffizienz“ verknüpft. (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) 2024b)
Der nun folgende Blick in den Themenkanon der NHB wird zeigen, dass sich hier ein enormer Kontrast auftut.
„Nachhaltigkeit“ im Sinne der Europäischen Direktive und ihrer deutschen Umsetzung
Der bereits zitierte Referentenentwurf enthält sich einer eigenen Definition und verweist auf die Vereinten Nationen (United Nations 2015), deren „2030 Agenda“ wiederum Vorlage der Bundesregierung ist. Das „Leitprinzip Nachhaltigkeit“ wird demnach sehr weit definiert: „Dafür bedarf es einer wirtschaftlich leistungsfähigen, sozial ausgewogenen und ökologisch verträglichen Entwicklung, wobei die planetaren Grenzen zusammen mit der Orientierung an einem Leben in Würde für alle (ein Leben ohne Armut und Hunger; ein Leben, in dem alle Menschen ihr Potenzial in Würde und Gleichheit voll entfalten können) die absolute äußere Beschränkung vorgeben.“ (Bundesregierung 2020, S. 14)
Vor diesem Hintergrund ist die deutsche Fassung der CSR Direktive aufschlussreich, weil sie im CSRD UG ja 1:1 umgesetzt werden soll (Europäisches Parlament 2022). Dieser fügt der umgangssprachlichen Bedeutung von „Umweltfaktoren“ zwei weitere Themenfelder hinzu „Sozial- und Menschenrechtsfaktoren“ sowie „Governance-Faktoren“ (S. 51/52) [8].
Diese Begriffs-Trias tauchte erstmals im Jahre 2004 als „Environmental, Social, and Governance“ auf, und ist heute als Akronym „ESG“ geläufig. Grundlage ist ein Bericht, der vom UN Global Compact angestoßen wurde und in Zusammenarbeit mit über 50 Finanzinstitutionen erarbeitet wurde. Ziel des Berichts war es, die Bedeutung der Integration von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren in die Investmententscheidungen hervorzuheben, um nachhaltigere und verantwortungsvollere Geschäftspraktiken zu fördern (Financial Sector Initiative „Who Cares Wins“ 2004).
Die Ausweitung der Thematik ist bereits optisch im Text zu erkennen, weil in dem relevanten Abschnitt die drei Themenblöcke mit 13%, 51% und 36% des Textvolumens repräsentiert sind. Der relative Bedeutungsverlust der klimarelevanten Berichtsthemen verstärkt sich, weil im ersten Teil der Berichtsthemen auch Themen wie „Wasser- und Meeresressourcen; Ressourcennutzung und die Kreislaufwirtschaft; Verschmutzung“ genannt sind, die weit über das Thema „Klimaschutz“ hinausgehen.
Die Stoßrichtung der Ausweitung wird am besten sichtbar, indem Teil 2 der Berichtsthemen wörtlich zitiert wird:
„i) Gleichbehandlung und Chancengleichheit für alle,
- einschließlich Geschlechtergerechtigkeit und
- gleichem Lohn bei gleichwertiger Arbeit,
- Ausbildung und Kompetenzentwicklung,
- Beschäftigung und Inklusion von Menschen mit Behinderungen,
- Maßnahmen gegen Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz sowie Vielfalt.
ii) Arbeitsbedingungen,
- einschließlich sicherer Beschäftigung,
- Arbeitszeit,
- angemessene Löhne,
- sozialer Dialog,
- Vereinigungsfreiheit,
- Existenz von Betriebsräten,
- Tarifverhandlungen, einschließlich des Anteils der Arbeitnehmer, für die Tarifverträge gelten,
- Informations-, Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer,
- Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie
- Gesundheit und Sicherheit;
iii) Achtung der Menschenrechte, Grundfreiheiten, demokratischen Grundsätze und Standards, die in der Internationalen Charta der Menschenrechte und anderen grundlegenden Menschenrechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, einschließlich des
- Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und der
- Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker, sowie in der
- Erklärung der Internationalen Arbeitsorganisation über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit und den grundlegenden Übereinkommen der IAO, der
- Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der
- europäischen Sozialcharta und der
- Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegt sind.“
Diese Übersicht macht deutlich, dass zumindest aus deutscher Sicht ein großer Teil der Themen bereits durch nationalstaatliche Rechtsnormen positiv reguliert ist. Auch für die große Mehrheit der europäischen Länder dürften viele dieser Themen bereits reguliert sein, darunter auch – wie das Thema „Arbeitszeit“ – durch Vorgaben auf europäischer Ebene. Eine Aufnahme dieser Themen ist daher am ehesten durch die Übernahme der bereits zitierten Ausführungen auf der Ebene der UN verständlich. Dennoch ist es möglich, dass zu jedem einzelnen der aufgeführten Begriffe eine Kontroverse allgemeiner bzw. „struktureller“ oder gar betrieblicher Art erfolgen kann. Themen wie „Geschlechtergerechtigkeit“ oder „sichere Beschäftigung“ sind nicht annähernd definiert und können somit auch in einer Berichterstattung über „Nachhaltigkeit“ thematisiert werden, wenn einzelne Gruppen oder Personen Wert darauf legen (siehe unten).
Damit ist nicht gesagt, dass Themen wie „Sozial- und Menschenrechtsfaktoren“ keine Wichtigkeit hätten. Dass sie allerdings unter der Überschrift „Nachhaltigkeit“ stehen, dürfte viele neu berichtspflichtige Unternehmen überraschen, die erwartet hatten, dass der Bezug zum Klimaschutz die zentrale Rolle spielt.
CSRD: Eine völlig neue Form des Reporting
Das Handelsgesetzbuch schreibt praktisch „schon immer“ vor, dass insbesondere Personen- und Kapitalgesellschaften einen Jahresabschluss vorlegen und diesen beim Handelsregister hinterlegen müssen. Die Vorlage des Jahresabschlusses ist vornehmste Aufgabe der Geschäftsleitung. Sehr häufig sind Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer bei der Erstellung beteiligt. Die Inhalte und die Erstellung sind genau vorgegeben und liefern allen, die an der Firma interessiert sind, wichtige Hinweise über deren wirtschaftliche Situation, woraus sich insbesondere deren Kreditwürdigkeit und Liquiditätssituation ableiten. Unrichtige Darstellungen sind strafbar. Damit ist die Hauptaufgabe der Schutz aller potenziellen Geschäftspartner vor Intransparenz und Betrug.
Das Reporting nach CSRD wird zwar als nicht-finanzieller Teil im Jahresabschluss veröffentlicht und muss von einem Wirtschaftsprüfer auditiert werden, weicht jedoch gegenüber dem bisherigen finanziellen Bericht in entscheidenden Punkten deutlich ab:
- Die Inhalte sind zwar in der Direktive vorgegeben, sie sollen oder können allerdings reduziert werden. Hierfür wurde ein Prozessschritt eingeführt, der mit dem an Heidegger erinnernden Begriff der „doppelten Wesentlichkeitsanalyse“[9] belegt ist. Dieser Schritt ist aber nur vage definiert.[10] Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht gewährleistet, dass die subjektiven Entscheidungen der Unternehmen sich an den eigentlichen Klimazielen ausrichtet, die den Begriff der Nachhaltigkeit zentral prägen.
- Eine wesentliche Hilfestellung bei der Konkretisierung der wesentlichen Berichtsthemen soll von den „Stakeholdern“ (Anspruchsgruppen) kommen, die ebenfalls vom Unternehmen ausgewählt werden. Die Gruppe der Mitarbeiter spielt dabei eine wesentliche Rolle.[11] Die Stakeholder sollen befragt werden, damit die Berichterstattung an Gehalt gewinnt. Aus Sicht der Klimaziele bleibt offen, welche Stakeholdergruppe besonders dafür geeignet ist.
- Die CSRD basiert auf der Annahme, dass bereits durch das Reporting bei den Unternehmen eine Veränderung in Bezug auf die Nachhaltigkeit ihrer Geschäftstätigkeit ausgelöst wird. Ein wesentlicher Hebel liegt zunächst in der quantifizierenden Offenlegung von Sachverhalten, die dann einem öffentlichen Benchmarking unterzogen werden können. Ferner liegt ein Hebel in der Aufforderung, Entwicklungsziele zu formulieren und deren Erreichung zu messen oder zu beschreiben. Der mediale Einfluss von Stakeholdergruppen ist dabei ebenso ein Hebel wie die implizite Wirkung von Zielen im Sinne des „Nudging“. Die CSRD hat damit – im Unterschied zu bekannten finanziellen Berichtspflichten – einen edukativen und einen Veränderungsauftrag.
- Ein weiterer Unterschied zur bekannten Berichtspflicht kommt aus dem Zusammentreffen der oben dargelegten Unschärfe der Anforderungen und der Pflicht zur Auditierung. Während das herkömmliche Geschäft von Wirtschaftsprüfern sich aus klaren gesetzlichen Vorschriften ergibt und eine Verabredung über Prüfinhalte nicht erwünscht ist, ist es bei der Auditierung der NHB schwer möglich, zu berichten, ohne vorab den Wirtschaftsprüfer einzubeziehen, um sicherzustellen, dass die umfangreiche Vorbereitung auch akzeptiert wird. Daraus ergeben sich potenzielle Interessenkonflikte von Prüfern auch dergestalt, dass vielfach Auditoren und CSRD-Berater unter einem Dach arbeiten.[12]
Es muss daher konstatiert werden, dass die Umsetzung der CSRD mit massiven Unsicherheiten, erheblichen Aufwendungen und möglicherweise innerbetrieblichen oder gar Konflikten mit externen Gruppen belastet sein kann, die von der Geschäftsführung nicht einfach gelöst werden können. Daraus besteht die Gefahr, dass das wesentliche Ziel einer positiven Einflussnahme auf Umwelt und Klima aus den Augen gerät.
Wie wichtig es ist, dass das Klimareporting belastbar ist
Wenn wir uns auf das Klimaziel von Paris fokussieren, können wir zwar nicht alleine den Planeten retten, weil wir dazu mit unseren deutschlandweiten 2,5% am globalen Ausstoß von Treibhausgasen keine wirkliche Größe sind. Wir sind auch nicht das Land, auf das alle schauen und ihre Strategien daran ausrichten. Aber wir können auch in der Gesundheitswirtschaft etwas einsparen, obwohl sie mit 5,2 % der deutschen THG-Emissionen deutlich hinter ihrem Anteil an der Wertschöpfung (12,7) zurückbleibt (Health Care Without Harm 2019). Insgesamt ist das Gesundheitssystem also kein Top-Emittent an THG, aber auch nicht vernachlässigbar.
Aber derzeit wissen wir so gut wie nicht, was in Bezug auf eine vergleichbare Einrichtung wie ein Krankenhaus sparsam oder verschwenderisch sein könnte. Dies lässt sich auch nicht theoretisch ableiten, sondern nur im Vergleich, im Benchmark. Daher wäre es bereits ein Wert an sich, wenn der große Teil der Krankenhäuser (die CSRD-pflichtig sind) valide und reliabel dokumentieren würden, welche THG-Emissionen sie verursachen. Dass dies offensichtlich große Probleme bereitet, kann man an den Werten der Krankenhäuser sehen, die bereits erste Versuche unternommen haben.
Wir haben daher unter den Universitätskliniken, Krankenhäusern der Maximalversorgung sowie unter Krankenhäusern in der Schweiz nach offiziellen Angaben zu denen Treibhausgas-Bilanzen recherchiert und sechs Einrichtungen gefunden, die zu allen drei Klassen[13] von Emissionsquellen Daten publiziert haben.[14] Um auf vergleichbare Werte zu kommen, wurden die Emissionswerte auf die veröffentlichten bzw. geschätzten Zahlen von Beschäftigten nach Vollzeitäquivalenten (VZÄ) bezogen, um nach der Größe der Häuser normieren zu können.
Im Ergebnis zeigt sich, dass in der Summe der drei Emissionsklassen zwischen den Häusern mit dem höchsten und dem geringsten THG-Ausstoß ein Faktor von 29 besteht. Wenn man nur die Werte für Scope 1 (THG aus eigenen Quellen des Unternehmens) und 2 (THG aus eingekaufter Energie) betrachtet, bleibt der Unterschied immerhin noch beim Faktor 16. Da es sich um sechs ähnliche Betriebe handelt, die mit ähnlichen Technologien arbeiten und auf die Größe der Betriebe normiert sind, erscheint es sehr wenig plausibel zu sein, dass diese Unterschiede tatsächlich auf Unterschiede bei den tatsächlichen Emissionen zurückzuführen sind.
Viel plausibler ist, dass unterschiedliche Erhebungs- oder Umrechnungsmethoden angewendet worden sind. Dies ist ganz sicherlich der Fall bei den Scope 3-Emissionen[15], bei denen erkennbar unterschiedliche Prozesse und Warengruppen in Ansatz gebracht werden. Bei Scope 2 kommt es z. B. zu starken Unterschieden, wenn ein Krankenhaus „grünen Strom“ einkauft und diesen mit „null“ Emissionen bilanziert, während ein anderes Unternehmen die Emissionen nach dem deutschen Strommix bilanziert. Solche Beispiele ließen sich in großer Zahl aufzählen.
Abbildung 2: Auf Vollzeitäquivalente normierte Werte für Treibhausgas-Emissionen von sechs Krankenhäusern
Quelle: Internetquellen für sechs Krankenhäuser. Vollzeitäquivalente teilweise veröffentlicht, teilweise geschätzt aus Angaben der Standardisierten Qualitätsberichte (SQB)
An dieser Stelle soll keine Kritik an der THG-Bilanzierung der sechs Krankenhäuser geübt werden, im Gegenteil: Die berichtenden Krankenhäuser haben als erste die Initiative ergriffen und zeigen, wie komplex die Aufgabe ist. Die scheinbaren enormen Unterschiede sollen aber zeigen, dass es ein weiter Weg ist, bis solche Daten im Sinne eines Benchmarkings eine ausreichende Validität haben, um damit als Basis eines Benchmarkings verwendet werden zu können, auf dessen Basis Hinweise für laufende Verbesserungsprozesse abgeleitet werden können. Im Rahmen einer Untersuchung an 30 verschiedenen Krankenhäusern in der Schweiz konnte auf Basis einer stark vereinheitlichten Erhebung die Unterschiede zwischen den Häusern zumindest auf den Faktor vier reduziert werden (Keller et al. 2021). Nur durch eine weitgehende Harmonisierung der Erhebungs- und Bewertungsmethode kann ein THG-Reporting die angestrebte Wirkung entfalten, dass sich Unternehmen nämlich an der jeweiligen Best Practice orientieren können, die durch ein verlässliches Benchmarking abgebildet werden kann.
Der Sinn von branchenspezifischen Portalen
Die Harmonisierung von Erhebungs- und Bewertungsmethoden ist eine Aufgabe, die umso besser gelingt, wenn die spezifischen Bedingungen einer Branche zugrunde gelegt werden. Dies gilt umso mehr, wenn aus dem Benchmarking ein Plan zur Reduktion von THG-Emissionen erfolgen soll. Beim Krankenhaus fallen auf den ersten Blick die verschiedenen Narkosegase auf, die – wie das Lachgas – ein sog. „Global Warming Potential“ von 298 hat, also 298 mal die Schädlichkeit von CO2 besitzt (Umweltbundesamt 2024). Aufgrund seiner Bedeutung im Rahmen der medizinischen Behandlungen darf es in einer Bilanzierung[16] nicht fehlen. Eine andere spezifische Größe ist die Bilanzierung des Arzneimittel-Einsatzes, dem ein erheblicher Teil der THG-Emissionen eines Krankenhauses zugerechnet wird. Da solche Emissionen nicht unter direkter Kontrolle des Krankenhauses sind, ist es umso wichtiger, dass harmonisiert bilanziert wird.
Mittlerweile gibt es eine Reihe von Bewertungsplattformen kommerzieller und nicht-kommerzieller Art, die sich als Grundlage für eine Erfüllung der Anforderungen nach dem erwarteten CSRD UG anbieten. Hierzu werden auch Leitfäden für Gesundheitseinrichtungen oder Krankenhäuser angeboten (z. B. Maier et al. 2023) oder auch spezialisierte Erhebungsportale (z. B. Deutsche Krankenhaus TrustCenter und Informationsverarbeitung GmbH (DKTIG) 2023).
Schlussbetrachtung
Die bevorstehende Aufgabe wird massiven Mehraufwand bedeuten, auch für die Krankenhäuser in Deutschland. Dies sind nicht nur Beratungskosten, sondern auch massive Mehrarbeit innerhalb der Organisationen. Viele Krankenhäuser werden dieser Anforderung aber durchaus nicht neutral oder enthusiastisch gegenüberstehen, weil sie mit Großprojekten wie der Krankenhausreform schon viele Belastungen und Risiken auf sich nehmen müssen.
Die Umwelt sollte uns dennoch angemessene Anstrengungen wert sein. Wenn das Reporting richtig gemacht wird, kann es auch zu einem „Return on Invest“ in Form reduzierter Ausgaben für Energie und umweltschädliche Gase kommen.
Aber wir müssen sicherstellen, dass präzise Ergebnisse erzielt werden, die die unerwünschten Treibhausgasemissionen genau abbilden. Nur so können wir eine Grundlage für ein nationales oder sogar europäisches Benchmarking schaffen, das ausreichend ist, um wirkungsvolle Maßnahmen zu begründen, und die dafür erforderlichen Aufwendungen begrenzen.
[1] Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen
[2] Das Gesetz wird daher auch oft als „CSRD Umsetzungsgesetz“ (CSRD UG) bezeichnet.
[3] „(2) Mittelgroße Kapitalgesellschaften sind solche, die mindestens zwei der drei in Absatz 1 bezeichneten Merkmale überschreiten und jeweils mindestens zwei der drei nachstehenden Merkmale nicht überschreiten:
1. 25 000 000 Euro Bilanzsumme.
2. 50 000 000 Euro Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlußstichtag.
3. Im Jahresdurchschnitt zweihundertfünfzig Arbeitnehmer.“
(Bundesministerium der Justiz 2024b).
[4] Das sind rechnerisch gut 100.000 Euro pro Unternehmen pro Jahr. In Erinnerung an die Schätzung der Kostenbelastung pro AMNOG-Dossier („für 100 Dossiers im Jahr 125 000 Euro Mehrkosten erwartet“) muss beim Gesetzgeber allerdings von einem gewissen Hang zur Untertreibung der Kosten für die Betroffenen ausgegangen werden.
[5] Eine Auswahl namhafter deutscher Zeitungen bilden den Wortschatz, der dem sog. „Digitale Wörterbuch deutscher Sprache“ (DWDS) zugrundliegt. Erst ab 1992 wird der Begriff „Nachhaltigkeit“ darin mehr als fünfmal pro Jahr verwendet.
[6] “Our Common Future” (United Nations 2015.)
[7] Deutsches Mitglied der Kommission war Volker Hauff.
[8] Der Begriff „Governance“ scheint keiner deutschen Übersetzung zu bedürfen
[9] Das Attribut „doppelt verweist darauf, dass sowohl eine Betrachtung von außen auf das Unternehmen als auch in umgekehrter Richtung gefordert werden.
[10] „Einen allgemeingültigen Prozess zur Bestimmung wesentlicher Themen, der für alle Unternehmen gleichermaßen passend ist, gibt es nicht. Jedes Unternehmen muss daher für sich entscheiden, welche Methode zum eigenen Kerngeschäft passt und die wichtigsten Elemente (Geschäftstätigkeit, Geschäftsbeziehungen und die wichtigsten Produkte oder Dienstleistungen) integriert.“ Rat für Nachhaltige Entwicklung 2020, S. 21
[11] „Im nächsten Schritt werden Stakeholdergruppen identifiziert, die sich mit den (vorausgewählten) Nachhaltigkeitsthemen beschäftigen, und dann auf Grundlage ihrer Relevanz für das Unternehmen ausgewählt. Für externe Stakeholder können Aspekte wie Reputation, Medienpräsenz, Vernetzungsgrad, Themenbesetzung sowie Unterstützungs- und Konfliktpotenzial nützliche Bewertungskriterien sein. Mitarbeitende, sowohl direkt im Unternehmen angestellt als auch durch Arbeitnehmerüberlassung in die Arbeitsprozesse integriert, werden zumeist als zentrale interne Stakeholdergruppe angesehen. Aus Sicht des DNK bilden Mitarbeitende eine wichtige Anspruchsgruppe, die bei der Erarbeitung wesentlicher Themen mit Nachhaltigkeitsbezug vom Unternehmen mit einbezogen werden sollte.“ Rat für Nachhaltige Entwicklung 2020, S. 23.
[12] Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass viele Unternehmensberatungen mit angeschlossenen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften das Nachhaltigkeitsreporting als wichtige Umsatzquelle ausgemacht haben.
[13] Scope 1 bis 3 nach dem weithin anerkannten Standard des Greenhouse Gas Protocol (World Resources Institute and World Business Council for Sustainable Development 2004.
[14] Die THG-Werte werden in CO2-Äquivalenten angegeben, wobei nicht-CO2-Emissionen (wie z. B. Lachgas) in CO2-Äquivalente (CO2e) umgerechnet werden.
[15] Emissionen, die nicht direkt vom Unternehmen kontrollierbar sind und entweder durch den Einkauf („upstream“) oder nachgelagerte Prozesse („downstream“) verursacht werden.
[16] Es wird unter „Scope 1“ bilanziert.
Literatur
- Bundesministerium der Justiz (2024a): Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen. RefE_CSRD_UmsG, vom Referentenentwurf. Online verfügbar unter https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/RefE/RefE_CSRD_UmsG.pdf?__blob=publicationFile&v=3, zuletzt geprüft am 13.05.2024.
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- Bundesregierung (2020): Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie Weiterentwicklung 2021. Online verfügbar unter https://www.bundesregierung.de/resource/blob/998194/1875176/3d3b15cd92d0261e7a0bcdc8f43b7839/deutsche-nachhaltigkeitsstrategie-2021-langfassung-download-bpa-data.pdf, zuletzt geprüft am 14.05.2024.
- Deutsche Krankenhaus TrustCenter und Informationsverarbeitung GmbH (DKTIG) (2023): Mein nachhaltiges Krankenhaus: Nachhaltigkeit im Krankenhaus umsetzen. Website. In: Mein nachhaltiges Krankenhaus, 03.04.2023. Online verfügbar unter https://mein-nachhaltiges-krankenhaus.de/, zuletzt geprüft am 16.06.2024.
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- Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) (2024b): DWDS 02. „Nachhaltigkeit“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache. Online verfügbar unter https://www.dwds.de/wb/Nachhaltigkeit, zuletzt aktualisiert am 20.05.2024.
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- United Nations (2015): Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development. Online verfügbar unter https://sdgs.un.org/2030agenda, zuletzt aktualisiert am 12.05.2024, zuletzt geprüft am 14.05.2024.
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- World Resources Institute and World Business Council for Sustainable Development (2004): The Greenhouse Gas Protocol. A Corporate Accounting and Reporting Standard. Online verfügbar unter https://ghgprotocol.org/sites/default/files/standards/ghg-protocol-revised.pdf, zuletzt geprüft am 16.04.2024.
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