Das ungeliebte Kind: intersektorale Gesundheitszentren

Prof. Dr. Andreas Schmid, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung

2018 hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit dem Konzept der intersektoralen Gesundheitszentren (IGZ) einen Pflock eingeschlagen – der im SGB V nicht existierende Raum zwischen „rein ambulant“ und „rein stationär“ ließe sich gut in die vertragsärztliche Versorgung integrieren. Gerade für kleine Krankenhausstandorte mit Versorgungsrelevanz, aber ohne Perspektive, als klassisches Krankenhaus bestehen zu können, sollte hier eine Tür geöffnet werden.

Zwar gab es 2021 noch ein Folgegutachten, das sich primär dem medizinischen Spektrum einer derartigen Einrichtung widmete, insgesamt aber rutschte das Thema im verbandspolitischen Prioritätenranking auf die Ersatzbank. Wichtige Hürden – hinsichtlich der Vergütung oder regulatorischer Details – blieben unbearbeitet, klar formulierte versorgungspolitische Ziele fehlen.

 

Tragfähige Alternative zu bedrohten Krankenhausstandorten

Das Konzept bleibt aber richtig und wichtig: Es adressiert den Bedarf der Patienten, kann die Qualität der Versorgung erhöhen, einen effizienten Ressourceneinsatz ermöglichen und andere Versorgungsstufen entlasten. Für Ärzte und Pflegekräfte bietet es attraktive Arbeitsbedingungen. Mit am wichtigsten: Es stellt eine tragfähige Alternative zu kleinen, anderweitig nicht mehr überlebensfähigen Krankenhausstandorten dar. Entsprechend tauchte es in leicht verändertem Gewand unter verschiedenen Namen immer wieder auf – sei es als Regionales Gesundheitszentrum im niedersächsischen Krankenhausgesetz, als Überwachungsklinik in einem Gutachten der Stiftung Münch, als Einrichtung der Kurzstationären Grund- und Übergangsversorgung (kGÜv) in der Übersichtsarbeit der Bertelsmann Stiftung. Zuletzt hat die Lauterbachsche Regierungskommission das Modell aufgegriffen und als Level 1i im Krankenhaussektor verortet. Die Überlegung hierfür war, die politischen Hürden für die Umwandlung von Krankenhäusern in andere, zukunftsfähige Versorgungsformen zu reduzieren und den Ländern z.B. über die Möglichkeit der Investitionskostenfinanzierung mehr Einflussmöglichkeiten zu geben.

Damit wäre der Ball eigentlich im Spielfeld der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dieser Organisationsform in ihrem Hoheitsgebiet eine Heimat zu geben. Bisher waren im IGZ-Modell die Versorgungspfade primär aus der ambulanten Versorgung kommend definiert. Warum nicht das Konzept passgenau weiterentwickeln, um es komplementär zu den anderen stationären Versorgungsstufen optimal auszurichten? Dies umso mehr, als die DKG in ihren Positionen für die 20. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags „sektorenübergreifende Gesundheitszentren“ konzeptionell hinterlegt hat.

Doch großer Enthusiasmus ist, gelinde gesagt, nicht zu verspüren. So eine Level 1i-Einrichtung sei ja auch kein richtiges Krankenhaus mehr, ist zwischen den Zeilen mehr oder weniger deutlich zu lesen, und gehört damit eigentlich nicht zum Kerngeschäft. Das Augenmerk geht stark in Richtung der drei Stufen der Notfallversorgung – da beginnt die „ernsthafte Medizin“. Dabei ließen sich bei guter Integration in die Versorgungskette für alle Stufen relevante Vorteile erzielen, nicht zuletzt für die Patienten. Auch wirtschaftlich deutet sich ein durchaus interessantes „Geschäftsmodell“ an, das sicherstellt, dass hier keine strukturell defizitären Einrichtungen entstehen. Im Vergleich zu einem klassischen Krankenhaus sind sowohl die Investitions-, wie auch die Betriebskosten deutlich übersichtlicher, und bei allen bisher diskutierten Vergütungsansätzen (Abschlag zur korrespondierenden DRG oder Vergütungsmix aus EBM und/oder Pauschale) zeichnen sich tragfähige Business-Cases ab.

 

Große Hürden für Etablierung

Was bisher die Etablierung erster Pilotprojekte verhindert hat, waren zumeist Hürden, die zwar grundsätzlich bewältigbar sind, aber in ihrer Überwindung zu großen Aufwand mit sich bringen. Spricht man beispielsweise mit Juristen, dann sind alle rechtlichen Themen (Haftungsfragen, Vergütungsrecht etc.) gut lösbar. Aber dass dies so ist, steht noch nirgends geschrieben, da es – in Deutschland – eine derartige Einrichtung bisher nicht gibt. Das heißt, der Pionier muss nicht nur eine neue Versorgungsform mit aus der Taufe heben, er muss aktuell auch mit jedem betroffenen Stakeholder die rechtliche Diskussion führen und argumentieren, weshalb dies so auch seine Richtigkeit hat. Dies gilt auch für die Verhandlungen mit den Kostenträgern, die je nach Region mal mehr Mal weniger für die eine oder andere Vergütungsvariante Präferenzen zeigen. Dies kostet Zeit, Geld und Nerven.

Gerade in den aus Versorgungssicht eher prekären Regionen, in denen eine Transformation statt einer ersatzlosen Schließung besonders wichtig und richtig ist, führt dieser Aufwand häufig zum schnellen K.O. einer Initiative. Für das Krankenhaus gibt es meist nur noch ein kleines Zeitfenster, eine geordnete Transformation zu durchlaufen. Die verbliebenen niedergelassenen Ärzte sind auch ohne langwierig Verhandlungsprozesse und juristische Debatten gut ausgelastet, und eine gesundheitspolitisch äußerst unklare Gemengelage erfordert noch größeren Unternehmergeist als in weniger turbulenten Zeiten, um sich auf ein solches Unterfangen einzulassen.

Entsprechend wünschenswert wäre es beispielsweise, im Bereich der rechtlichen Voraussetzungen Klarheit zu schaffen, indem ein zitierbares Gutachten die Fakten aufarbeitet sowie die Möglichkeiten und Grenzen dokumentiert. Gleiches gilt für den Bereich der Vergütung. Auch hier signalisieren alle Vertragspartner grundsätzliches Interesse, die Modalitäten sind aber in jedem Einzelfall neu zu diskutieren. Eine Blaupause der GKV, unter welchen Prämissen sie sich hier vertraglich binden würde, hätte die Transaktionskosten in vielen Fällen erheblich reduzieren können. Und da der Ball aktuell eher im Lager der Krankenhausverbände liegt: Die bisherigen – sich am IGZ orientierenden – Ansätze denken die Versorgungspfade primär aus Richtung der ambulanten Versorgung kommend. Für Krankenhäuser – sei es Level 1n, 2 oder 3 – ergeben sich aber ebenfalls spannende Anwendungskontexte, wie ein 1i-Haus gewinnbringend in die Versorgung eingebunden werden kann. Und ein zeitlicher Horizont, der einen Start (!) der Reform im Jahr 2025 realistisch erscheinen lässt, ist für viele kleine Häuser schlicht in zu großer Ferne. Hier braucht es kurzfristig tragfähige Lösungen, sonst bleiben viele der im Sinne der Versorgung erhaltenswerten Gesundheitsstandorte auf der Strecke.

Aktuell zeichnet sich aber eher ab, dass der von allen Stakeholdern eigentlich als sinnvoll erachtete Versorgungsansatz mangels Zuständigkeitsgefühl der relevanten Gruppierungen in der Prioritätenliste wieder nach hinten rutscht. In Anbetracht der Zahl und der Größe der abzuarbeitenden sonstigen Themen ein Fanal, das nichts Gutes erwarten lässt. Das ungeliebte Kind der Versorgung außerhalb der klassisch definierten Sektoren droht wieder durch das Raster zu fallen, wenn nicht endlich einer es „zu seinem Baby“ macht. Letztlich ist die Frage der Verortung sekundär, solange eine zielorientierte Entwicklung vorangetrieben wird, welche die längst bekannten und vielfach beschriebenen Hürden aus dem Weg räumt, sodass nicht jede Initiative aufs Neue aufwendige Pionierarbeit leisten muss. Dann kann dieses Versorgungsinstrument sein Potential als sektorenverbindendes, interprofessionelles und am Bedarf orientiertes Angebot hoffentlich auch in der Praxis bald zum Tragen bringen.


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