Chinesisches Antispionagegesetz: Berlin, haben wir ein Problem?

Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin Pharma Deutschland

Die wesentlichen Gründe für Lieferengpässe bei Arzneimitteln in Deutschland und Europa sind preisdruckbedingte Verlagerungen der Arzneimittelproduktion nach Asien, zu geringe Diversifizierung der Produktionsstandorte und Störungen in den globalen Lieferketten durch jüngste Ereignisse wie die Unruhen in Nahost und den Ukraine-Krieg.

Ebenfalls immer wieder zu hören ist, dass Frühwarnsysteme fehlen, mit denen sich aufkommende Probleme erkennen lassen. Eine wichtige Voraussetzung dafür, möglichst früh vor einem Problem zu warnen, ist, es als solches zu erkennen. Wie schwer das sein kann, zeigt sich seit Monaten in China. Mit ihrem Spionageabwehrgesetz aus dem April 2023 und dem Staatsgeheimnisgesetz von Mai 2024 verschärft die chinesische Regierung ihre Anti-Spionage-Regelungen. Informationen, die zwar keine Staatsgeheimnisse sind, aber bei Bekanntwerden „nachteilige Auswirkungen“ haben könnten, werden stärker geschützt und deren unerlaubte Weitergabe entsprechend verfolgt.

 

Inspektionen aus Sicherheitsbedenken ausgesetzt

Seit spätestens Ende 2023 gibt es deshalb in den 27 GMP-Inspektoraten (GMP: Good Manufacturing Practice) die Befürchtung, dass bei der Überprüfung der GMP-Konformität von Wirkstoffherstellern Informationen aggregiert werden, die aus Sicht der chinesischen Staatssicherheit schützenwert sind. Weil damit die Inspektorinnen und Inspektoren Gefahr laufen könnten, verhört oder sogar verhaftet zu werden, haben sich die Inspektorate kurz nach Weihnachten 2023 an das Bundesgesundheitsministerium gewandt und um Unterstützung gebeten.

Die Befürchtungen der persönlich für ihre Testate haftenden Inspektorinnen und Inspektoren hat für die anstehenden GMP-Zertifizierungen je nach Standort unterschiedliche Auswirkungen. Eine Umfrage der Welt am Sonntag aus dem Mai unter allen Landesgesundheitsministerien ergab ein sehr uneinheitliches Bild. Während man in Schleswig-Holstein, Hessen und Berlin die GMP-Zertifizierungen wegen Sicherheitsbedenken aussetzt, laufen sie in Hamburg, NRW und im Saarland nach Informationen der Welt am Sonntag mehr oder weniger unverändert weiter.

Die Frage „Haben wir ein Problem?“, lässt sich also offensichtlich nicht klar beantworten. Ein knappes halbes Jahr, nachdem sich die GMP-Inspektorate über die Gesundheitsministerien der Länder hilfesuchend an das Bundesgesundheitsministerium gewandt haben, kommt von dort ein „eher nein“. Das zuständige Referat gibt die Einschätzung ab, dass ein „gewisses Restrisiko für unwägbares Handeln der chinesischen Behörden“ bereits bestand und durch die Verschärfung der Spionagegesetze „nur bedingt“ erhöht sei. Ob das die Inspektorinnen und Inspektoren beruhigen oder das Problem der Pharmaunternehmen lösen wird, die ihre Produktion ohne GMP-Zertifikate einstellen oder verlagern müssten, ist fraglich.

Wie groß die Gefahr genau ist, dass fehlende GMP-Inspektionen zum Stillstand in den Lieferketten der betroffenen Unternehmen führt und die Medikamentenversorgung in Deutschland weiter belastet, bleibt damit weiterhin unklar. Zurzeit läuft unter den Mitgliedsunternehmen von Pharma Deutschland eine Umfrage, mit der der Verband zumindest einen ungefähren Eindruck von der Gesamtsituation herstellen will.

Der Teil der deutschen Pharmabranche, der auf die Zertifizierung angewiesen ist, kommt mit jeder weiteren Woche, in der anstehende Zertifizierungen nicht durchgeführt werden können, in eine immer schwierigere Situation. Unternehmen, die in der Lage sind, für die Wirkstoffbeschaffung auf andere europäische Länder auszuweichen, werden das tun. Die Pharmaunternehmen, die diese Möglichkeit nicht haben, werden ihre Produktion – entgegen den Zielen der nationale Pharmastrategie – einstellen müssen. Zudem ist für diese Unternehmen zu hoffen, dass das übriggebliebene Produktionsportfolio groß genug ist, um überleben zu können.

 

Handfeste Maßnahmen zur Lösung sind möglich

Um die schwierige Situation, in der sich nach unseren Schätzungen 20 bis 30 deutsche Pharmaunternehmen befinden, nicht weiter eskalieren zu lassen, braucht es jetzt eine handfeste Lösung. Als es während der pandemiebedingten weltweiten Lockdowns unmöglich war, reguläre GMP-Prüfungen durchzuführen, hatte Pharma Deutschland, damals noch als Bundesverband der Arzneimittelhersteller, Verfahrensvorschläge vorgelegt, um die GMP-Standards erhalten zu können. Kern unserer Überlegungen damals war, dass die Überprüfung der GMP-Standards nicht unbedingt von jedem einzelnen Land durchgeführt werden muss. So könnten auch heute GMP-Zertifizierungsverfahren, die nach dem „Pharmaceutical Inspection Co-operation Scheme“ (PIC/S) durchgeführt worden sind und noch nicht lange zurückliegen, anerkannt werden. Eine noch weitergehende und noch nachhaltigere Lösung könnte entstehen, wenn sich die Behörden der EU-Mitgliedstaaten in Bezug auf das Inspektionsprogramm bei Betrieben in Drittstaaten regelmäßig untereinander abstimmen und ihre Testate gegenseitig anerkennen. Beide Maßnahmen könnten in der aktuellen Situation verhindern, dass aus Sorgen der Pharmaunternehmen Probleme für die Arzneimittelversorgung werden.

Zusammen mit der deutschen Pharmabranche wartet Pharma Deutschland gespannt, ob die Bundesregierung sich den Befürchtungen der GMP-Inspektorate umfassender als bisher annehmen wird. Auch wenn die Frage, ob es überhaupt ein Problem gibt, vielleicht nie eindeutig beantwortet werden kann, sollte die Bundesregierung mehr Problembewusstsein und ein größeres Verständnis für die Sorgen der Pharmabranche zeigen. Es wäre ein starkes, wichtiges und willkommenes Signal, dass die Pharmastrategie tatsächlich gelebt wird.


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