12.03.2025
Braucht das Land mehr Gremien?
Neues vom ExpertInnenrat „Gesundheit und Resilienz“
Dr. Joseph Kuhn
Wir durchleben gerade politische Umbruchzeiten. Guter Rat ist auch in der Gesundheitspolitik gefragt. Gerade hat der ExpertInnenrat „Gesundheit und Resilienz“ seine 14. Stellungnahme veröffentlicht. Ihr Titel: „Resiliente Strukturen und Prozesse für wissenschaftsbasierte Politikberatung im Gesundheitswesen“. Inzwischen nimmt die Fachöffentlichkeit allerdings kaum mehr Notiz von diesen Stellungnahmen.
Es ist unklar, welche wissenschaftlichen Befunde für die Stellungnahmen jeweils aufgearbeitet wurden, mit wem sie abgestimmt wurden, wie sie mit anderen Stellungnahmen anderer Gremien zusammenhängen oder auch nicht und an wen sie sich eigentlich wenden – das Kanzleramt, das Gesundheitsministerium, die Fachöffentlichkeit oder vielleicht auch die Bevölkerung. Die 14. Stellungnahme greift – gewissermaßen ein Stück weit selbstreferentiell – diese Situation politikberatender Unübersichtlichkeit und Unverbindlichkeit auf:
„Das deutsche Gesundheitswesen weist trotz der Vielzahl an Beiräten und der umfassenden Integration wissenschaftsbasierter Kompetenz in Entscheidungsprozesse Schwächen bei der Nutzung dieses Wissens vor allem in Krisenzeiten auf.“
Das ist richtig. Aber ist die vorgeschlagene Lösung auch richtig? Der ExpertInnenrat will das Komplexitätsproblem durch noch mehr Schnittstellen lösen – und noch ein Gremium mehr, nun eines für „Strategic Foresight“:
„Um die Effektivität der krisenvorsorgenden wissenschaftlichen Beratung in Deutschland zu erhöhen und eine bessere Vorausschau und Resilienz zu ermöglichen, wird die Einrichtung eines dauerhaften Gremiums empfohlen, das mit der Aufgabe der Koordination wissenschaftsbasierter Politikberatung zu sektorenübergreifenden Gesundheitsthemen betraut wird.“
Mehr Koordination ist eine Empfehlung, die fast alle bisherigen Stellungnahmen des ExpertInnenrats durchzieht. Durchaus zu Recht. Auch neue Koordinationsgremien wurden schon vorgeschlagen, z.B. in der 4. Stellungnahme:
„Schlüssel für erfolgreiche Prävention und Gesundheitsförderung ist eine zielgruppengerechte Kommunikationsstrategie und ihre Evaluation. Dazu empfehlen wir die Einrichtung eines Runden Tisches Prävention mit ExpertInnen und Betroffenen aus allen beteiligten gesellschaftlichen Bereichen.“
Ob sich der ExperInnenrat in seiner aktuellen Stellungnahme noch daran erinnert hat? Wie in den früheren Stellungnahmen vermisst man auch diesmal eine empirische Bestandsaufnahme und Evaluation der als defizitär markierten Politikberatungs-Infrastruktur. Welche Gremien gibt es, was leisten sie, wo versagen sie, was bräuchte es zusätzlich und wie sollte ein neues Gremium mit den alten zusammenarbeiten? Dazu liest man:
Es sollte „ein regelmäßiger Austausch zwischen den wissenschaftlichen Beiräten und Expertengremien der jeweiligen Ministerien stattfinden.“
Allein damit kann man vermutlich ein neues Gremium auslasten. Offen bleibt auch, wie das neue Gremium mit dem neuen Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit zusammenwirken soll. War das nicht gerade für eine effizientere Koordination in Public Health-Angelegenheiten gedacht, explizit auch in Krisenfällen? Die konkreten Arbeitsformen des neuen Gremiums bleiben ebenfalls offen. Noch mehr Stellungnahmen?
Manche Passagen wirken wie unfreiwillige Evidenz für die Empfehlung des ExpertInnenrats:
„Deutschland gehörte in der letzten Pandemie zu den Ländern, die schnell in der Lage waren, politische Entscheidungen auf einschlägige wissenschaftsbasierte Empfehlungen zu stützen.“
Genau das war nicht der Fall. Die Maskenpflicht im Freien war so wenig „wissenschaftsbasiert“ wie die langen Schulschließungen oder manch andere Maßnahme, die vielleicht Plausibilität beanspruchen konnte, aber kaum „Wissenschaftsbasierung“. Eine bessere wissenschaftliche Politikberatung wäre da wünschenswert gewesen. Ob nur ein Gremium gefehlt hat? Das Ende der Stellungnahme bilden zwei mehr oder weniger konkrete Vorschläge: Digitale Technologien einschließlich KI – die darf heute als Stichwort nie fehlen – zur Wissenssynthese einzusetzen und im Anschluss an das REPOD-Projekt ein „zentrales gesundheitspolitisches Repositorium“ aufzubauen.
Ist das der Kern der Sache? Dann könnte man die14. Stellungnahme vielleicht auch so interpretieren, dass manche politikberatende Stellungnahme der Politik nicht fehlen würde, wenn es sie nicht gäbe. Natürlich: Die Stellungnahme des ExpertInnenrats kann man auch positiver lesen, als Anregung, die politikberatende Infrastruktur im Gesundheitswesen einmal systematisch zu durchleuchten und zu bewerten. Sie enthält auch sonst eine Reihe richtiger Feststellungen, kein Wunder, sie wurde von klugen Leuten geschrieben. Wer will, mag sie also erwartungsvoller lesen und das dort finden, was vielleicht zwischen den Zeilen noch zu finden ist.
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