Zwingende Handlungsfelder: Morbi-RSA und Verbesserung der sektorübergreifenden Versorgung

Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER

Noch vor der Sommerpause will Gesundheitsminister Jens Spahn drei Gesetze auf den Weg bringen. Die zwei wichtigsten Themen aus Sicht der BARMER, nämlich eine rasche Reform des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs, kurz Morbi-RSA, und die Stärkung der sektorenübergreifenden Versorgung, sind noch nicht dabei. Dabei wären dies die dringendsten Handlungsfelder, um einen fairen Wettbewerb und eine exzellente Versorgung von Patientinnen und Patienten dauerhaft zu ermöglichen.

Allein im Jahr 2017 waren die Reserven der Krankenkassen um etwa 3,15 Milliarden Euro auf insgesamt 19,2 Milliarden Euro gestiegen. Deshalb sollen die Kassen nun auf Wunsch des Ministers ihre Finanzpolster reduzieren. Dass er Geld angesichts solch hoher Rücklagen mobilisieren will, erscheint nachvollziehbar. Keineswegs sollte jedoch die aktuelle Überschuss-Situation als Maßstab für die gesamte gesetzliche Krankenversicherung gesehen werden. Denn sie verschleiert nur den Ernst der Lage. Schließlich sind die Rücklagen bei den einzelnen Kassen extrem ungleichmäßig verteilt. Das liegt nicht etwa daran, dass manche Kassen womöglich schlechter wirtschaften als andere. Das Hauptproblem ist, dass es derzeit keinen fairen Wettbewerb in der Gesetzlichen Krankenversicherung gibt. Schuld daran sind Unwuchten im derzeitigen Finanzausgleich. Dadurch werden regional agierende Kassen begünstigt, während bundesweit aufgestellte Kassen nicht genügend Zuweisungen für die Deckung der Kosten ihrer Versicherten erhalten. Abhilfe kann einzig eine rasche Reform des Morbi-RSA schaffen.

Ein Wettbewerb unter den Kassen ist wichtig, denn er führt zu einer hochwertigen und wirtschaftlichen medizinischen Versorgung. Davon profitieren alle Versicherten. Die regional unterschiedlich hohen Kosten für die medizinische Versorgung werden jedoch im Finanzausgleich ignoriert. Regionen mit schwächeren und weniger dichten Versorgungsstrukturen verursachen nun einmal real niedrigere Kosten, da es hier weniger Ärzte, Krankenhäuser und Apotheken gibt. In Regionen mit starken Versorgungsstrukturen sind die Kosten hingegen höher. Bei den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds spielt das allerdings keine Rolle, mit gravierenden Auswirkungen. Regionale Kassen in strukturschwachen Gegenden erhalten höhere Zuweisungen für ihre Versicherten als tatsächlich benötigt, sodass bundesweite Kassen auch durch kluges Management diesen Nachteil nicht kompensieren können. Region schlägt also Management! Dieser Fehler im Morbi-RSA führt dazu, dass einzelne Kassen sehr hohe Rücklagen anhäufen können. Daher ist die Reform des Morbi-RSA eine zentrale Reformbaustelle in dieser Legislaturperiode. Union und SPD haben bereits entsprechende Signale gesendet, den Morbi-RSA reformieren zu wollen. Dazu sollen zwei Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesversicherungsamt berücksichtigt werden, eines wurde bereits Ende 2017 veröffentlicht, das zweite ist für Ende Mai angekündigt. Vermutlich gibt es erste Ergebnisse jedoch erst später. Zukünftig soll zudem eine regelmäßige gutachterliche Überprüfung des Finanzausgleichs erfolgen. Es bleiben jedoch Wermutstropfen, denn leider haben sich SPD und Union nicht auf eine Neuausrichtung der Kassenaufsicht zwischen Bund und Ländern oder die dringend notwendige Einführung von ambulanten Kodier-Richtlinien verständigen können.

Ein weiteres zentrales Thema in dieser Legislatur muss die sektorenübergreifende Versorgung sein. Sie muss deutlich gestärkt werden. Oftmals bestimmt nämlich nicht der medizinische Bedarf die Art der Versorgung von Patienten, sondern die den Sektoren zu Grunde liegenden Regelungen zu Vergütung und Leistungserbringung. So bilden sich Doppelstrukturen, weil Leistungen parallel und damit unwirtschaftlich angeboten werden. Das Nebeneinander von ambulanter und stationärer Versorgungsplanung führt zu Über-, Unter- und Fehlversorgung. Wo es viele Versorgungsangebote gibt, entsteht eine Konkurrenzsituation zwischen niedergelassenen Ärzten und den Kliniken. Diese birgt die Gefahr, dass medizinisch nicht notwendige Leistungen erbracht werden. Die BARMER begrüßt es ausdrücklich, dass Union und SPD entsprechende Signale senden, die sektorenübergreifende Versorgung reformieren zu wollen. Es ist jedoch zu befürchten, dass es zu einer Umsetzung in dieser Legislatur nicht mehr kommt. Umso intensiver sollte in einem ersten Schritt an der Realisierung einer sektorenübergreifenden Lösung für die Notfallversorgung gearbeitet werden. Denn es braucht dringend eine bessere Zusammenarbeit niedergelassener Ärzte und Krankenhäuser. Dies würde die Qualität im Sinne der Patientinnen und Patienten verbessern. Mit einer sektorenübergreifenden Versorgungsplanung, der Angleichung der Vergütungsregelungen im ambulanten und stationären Bereich sowie der Kooperation der Leistungserbringer in regionalen Versorgungsverbünden könnten wichtige strukturelle Veränderungen in Angriff genommen werden, um die Versorgung für die Patienten entscheidend zu verbessern.


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