Zahnarzt-MVZ: Gesetzgeber muss eingreifen

Zur Problematik arztgruppengleicher MVZ in der Hand von Großinvestoren und Private Equity-Fonds

Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV)

Der Dentalmarkt in Deutschland befindet sich in einem gravierenden Umbruch. Arztgruppengleiche Medizinische Versorgungszentren – auch reine Zahnarzt-MVZ genannt – haben sich dabei zur größten Bedrohung für die (derzeit noch) qualitativ hochwertige und flächendeckende zahnärztliche Versorgung entwickelt. Während solche Einrichtungen eine regelrechte Sogwirkung in Ballungsgebiete verursachen, verschärfen sie zugleich die Problematik der Nachfolge in Praxen auf dem Land in einem – bis vor wenigen Jahren – nicht gekannten Ausmaß. 

Verantwortlich für diese Fehlentwicklung sind besonders solche Zahnarzt-MVZ, die sich in der Hand fachfremder Groß- und Finanzinvestoren befinden. In einer Art „Goldgräberstimmung“ strömen diese Spekulanten momentan massenhaft in die Versorgung, getrieben von der Aussicht auf hohe Renditen. Nachdem sich Großinvestoren und Private Equity-Fonds bereits im großen Stil in die Pflege, in Kliniken und in die ambulante, humanmedizinische Versorgung eingekauft haben, ist seit der Möglichkeit zur Gründung arztgruppengleicher MVZ mit entsprechender Kettenbildung zunehmend auch die zahnmedizinische Versorgung in das Visier von Anlagestrategien geraten. Die Vergewerblichung von Versorgung durch Geschäftemacher und Finanzjongleure macht also auch vor der Zahnmedizin nicht halt. Solche, in Hochglanzprospekten beworbenen Investmentmodelle haben mit der Sicherstellung von Versorgung nichts zu tun! Sie dienen dazu, das Kapital der Geldgeber zu vermehren und in kürzester Zeit maximale Profite abzuschöpfen!

 

Versorgung wird Kräften des Kapitalmarktes untergeordnet

Eine qualitativ hochwertige, flächendeckende und wohnortnahe Versorgung, die die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung mit den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZVen) der Länder seit mehr als 60 Jahren sicherstellt und um die wir im Ausland beneidet werden, ist Investoren völlig gleichgültig. Leidtragende dieser „Heuschrecken“-Plage sind letztlich die Patienten. Ihre Versorgung wird den ungezügelten Kräften des Kapitalmarktes untergeordnet. Wir beobachten diese fatale Entwicklung – die in Deutschland erst am Anfang steht – mit wachsender Sorge und appellieren an den Gesetzgeber, schnell und entschlossen gegenzusteuern. Denn für die Sicherstellung der Versorgung der Menschen werden Zahnarzt-MVZ nicht benötigt.

Die Bedrohung der patientenorientierten Versorgung durch solche rein auf Rendite getrimmten Konstrukte wird durch den Entwurf des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) nicht wirksam gebannt. Wenn die Regierung ihr selbstgestecktes Ziel weiterverfolgt, bundesweit gleichwertige Lebensbedingungen zu schaffen, dann darf sie vor dem Ausverkauf der Zahnmedizin nicht die Augen verschließen. Andernfalls drohen dauerhaft schädliche Veränderungen in der Versorgung, deren Anfänge schon heute unumkehrbar sind. Die rasant fortschreitende Übernahme der Versorgung durch Großinvestoren und Private Equity-Fonds sofort zu stoppen, ist also ein Gebot der Vernunft.

 

Folgenschwere Entscheidung mit GKV-VSG

Im Jahr 2015 hat der Gesetzgeber im Zuge des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (GKV-VSG) die Gründung arztgruppengleicher MVZ erlaubt – eine folgenschwere Entscheidung und tiefgreifende Zäsur, wie sich herausstellen sollte. Ziel der Regelung war es, mit Hilfe der MVZ Versorgung in ländlichen und strukturschwachen Gebieten zu verbessern. Im zahnärztlichen Sektor wurde jedoch eine gänzlich gegenteilige Entwicklung eingeleitet, die bis heute anhält: Es entstanden zwar deutlich mehr Zahnarzt-MVZ, allerdings haben sich diese regional stark konzentriert und ungleich verteilt. Vor der Regelung durch das GKV-VSG gab es 28 fachübergreifende MVZ. Seitdem hat eine Flut von MVZ-Gründungen bewährte und verlässliche Versorgungsstrukturen regelrecht umgepflügt. Bis dato gibt es mehr als 600 arztgruppengleiche MVZ – eine Dynamik, die ungebrochen ist.

 

Keine Lösung von Versorgungsengpässen

Diese Entwicklung hat unmittelbare negative Folgen: Reine Zahnarzt-MVZ haben sich vor allem in Großstädten, in Ballungsräumen sowie in einkommensstarken ländlichen Gebieten etabliert. Zur Sicherstellung der Versorgung sind sie nicht erforderlich, dazu reichen tradierte Praxisformen völlig aus. Die Sogwirkung reiner Zahnarzt-MVZ in Ballungsgebieten auf potenziell niederlassungs- und anstellungswillige junge Zahnärztinnen und Zahnärzte lässt in Kombination mit dem demografischen Wandel des Berufsstandes allerdings mittelfristig Engpässe im ländlichen Raum und strukturschwachen Gebieten entstehen. Die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers, Versorgung zu verbessern, wird also klar verfehlt. Dies gilt für die neuen Länder, aber auch für viele strukturschwache Regionen im Westen. Besonders betroffen sind Flächenstaaten. Und anders als die ärztliche kann die zahnärztliche Versorgung auch nicht durch Krankenhäuser aufgefangen werden. Auf Ebene der Planungsbereiche haben wir aktuell noch keine Versorgungsprobleme, in wenigen begrenzten Fällen in Flächenländern lässt sich aber durchaus bereits heute von lokalen Versorgungsengpässen sprechen. Diese Entwicklung wird sich verstärken.

Auch unterliegt der Kauf und Verkauf von Praxen einem tiefgreifenden Wandel: Die Nachfrage nach Praxisübernahmen ist spürbar rückläufig, mittlerweile hat sich ein Angebotsüberhang entwickelt. Schon heute sind Praxen in ländlichen und strukturschwachen Gegenden kaum noch veräußerbar, wenn nicht schon früh eine junge Kollegin oder ein junger Kollege als Nachfolger in die Praxis integriert werden kann. Findet sich kein Nachfolger, entfällt Versorgung in der Regel sofort und unwiderruflich. Das ist Realität auf dem Land und auch auf größeren Ebenen ein wahrscheinliches Szenario, zumal in den nächsten zehn Jahren zahlenmäßig starke Zahnarztjahrgänge in den Ruhestand gehen.

 

Zahnärztlicher Nachwuchs hat das Nachsehen

Hinzu kommt, dass die Zahl angestellter Zahnärzte weiter steigt und die Zahl der Vertragszahnärzte sinkt: Fast jeder fünfte Zahnarzt arbeitet mittlerweile in einem Angestelltenverhältnis. Die so genannte „Generation Y“ legt zum Karrierestart Wert auf eine möglichst positive „Work-Life-Balance“. Gerade junge Zahnärztinnen haben vor dem Hintergrund der Vereinbarkeit von Familie und Beruf andere Vorstellungen von Arbeitszeiten. Die dazu passenden Bedingungen werden eher in einem Angestelltenverhältnis gesehen. Dass sich auch Strukturen vor diesem Hintergrund ändern müssen, ist völlig klar. Schon früher gab es Gemeinschaftspraxen, in denen sich mehrere Zahnärzte zusammengeschlossen haben. Es geht also ausdrücklich nicht um die Frage, ob nicht auch größere Einheiten für die Versorgung sinnvoll sind. Entscheidend ist aber, dass immer die qualitativ hochwertige Betreuung der Patienten im Vordergrund steht und nicht die Renditeziele von Private Equity-Fonds im Ausland! Jungen Zahnärzten muss ein berufliches Umfeld nach ihren Vorstellungen – abseits von Großversorgerstrukturen – ermöglicht werden. Nur so lässt sich die flächendeckende und wohnortnahe Versorgung auf dem Land langfristig sichern.

 

Rendite statt Sicherstellung

Die mit den arztgruppengleichen MVZ etablierten Praxisketten waren der Startschuss für das Engagement internationaler Investoren im deutschen Dentalmarkt. Denn erst mit den Ketten konnte etablierte Marktpräsenz direkt eingekauft werden. Investoren forcieren die Kettenbildung bei MVZ absichtlich. Insgesamt lassen sich sieben Gesellschaften im heimischen Markt identifizieren, davon fünf mit weltweitem Operationsradius. Die Player kommen aus Schweden, Bahrain, der Schweiz, Jersey, den USA aber auch aus Deutschland und haben keinen medizinisch-fachlichen Bezug zur Versorgung. Die Investitionssumme, die diese Gesellschaften verwalten, liegt bei gewaltigen 85,8 Milliarden Euro! Der Ausverkauf eines weiteren Teils der Heilberufe wird also in nicht gekannter Größenordnung vorangetrieben. Unternehmensberatungen bezeichnen den deutschen Gesundheitsmarkt und speziell die zahnmedizinische Versorgung nicht umsonst als wahre „Goldgrube“. Wir stehen demnach wohl erst am Anfang einer groß angelegten Investitionswelle.

Ziel der Fremdinvestoren ist es, im Umfeld eines ungünstigen Kapitalmarktes hohe und vergleichbar risikoarme Gewinne zu erzielen. Ein Hedgefonds aus Bahrain hat in Deutschland ganz offenkundig keine Versorgungsziele. Die Daten einer unlängst von der KZBV vorgelegten Analyse zu Fremdkapitalgebern belegen zweifelsfrei, dass besonders Private Equity-Gesellschaften massiv in den zahnärztlichen Markt investieren, indem sie marode Krankenhäuser aufkaufen, die keinerlei Fachbezug zur Zahnmedizin vorweisen können. Diese Kliniken gründen dann MVZ – oder gleich eine ganze Kette. Der Umweg über den stationären Sektor führt also in die ambulante zahnärztliche Versorgung – „buy-and-build“-Strategie nennt sich das im Finanzjargon.

 

Strukturen werden zerstört

Der Erwerb von Praxen auf dem Land oder in strukturschwachen Gegenden ist für Kapitalgeber natürlich nicht von Interesse. Nach einer gewissen Haltezeit wird das Investment dann an den nächsten Investor abgestoßen und der Ertrag realisiert. Die Zerstörung von Versorgungstrukturen wird dabei billigend in Kauf genommen.

Regional wird zudem die Wahlfreiheit für Patienten massiv eingeschränkt oder komplett gekappt. Auch der Zugang zu einer unabhängigen Zweitmeinung wird erschwert. Für junge Zahnärzte wird es in solchen Regionen zunehmend schwieriger, wenn nicht unmöglich, sich gegen die erdrückende Konkurrenz von Konzernen in eigener Praxis niederzulassen. Denn die Übernahme attraktiver Standorte wird durch Investoren erschwert. Gerade Berufsanfänger können mit den kapitalstarken Gesellschaften finanziell meistens nicht mithalten. Diese „Rosinenpickerei“ bei den Filetstücken der Versorgung muss ein Ende haben! Die Versorgung verändert sich gerade umfassend und nachhaltig – zu Lasten der Qualität, zu Lasten einer wohnortnahen und flächendeckenden und freiberuflichen Versorgung und nicht zuletzt zu Lasten der Patienten.

 

Beschränkung der Zahnarzt-MVZ auf Krankenhäuser mit klaren Vorgaben

Auch wenn wir nach wie vor den Ansatz, MVZ für den zahnärztlichen Versorgungsbereich „fachgruppenübergreifend“ auszugestalten, für zielführend halten, so knüpfen wir mit unserem konkreten Regelungsvorschlag in unserer Stellungnahme an bereits im TSVG vorgesehene Regelungen an: Konkret schlagen wir vor, die Gründungsberechtigung von Krankenhäusern für MVZ auf räumlich-regionale sowie medizinisch-fachliche Bezüge zu beschränken. Wir begrüßen, dass der fehlende medizinisch-fachliche Bezug im Entwurf des TSVG bereits aufgegriffen und eine fachbezogene Einschränkung der Gründungsberechtigung von nichtärztlichen Dialyseeinrichtungen vorgesehen wurde. Dies ist jedoch bei weitem nicht ausreichend. Im vertragszahnärztlichen Bereich gibt es kein einziges Zahnarzt-MVZ, das von einem Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen gegründet wurde. Vielmehr müssen auch für die Gründungsberechtigung von Krankenhäusern räumlich-regionale sowie medizinisch-fachliche Bezüge implementiert werden.

 

Konzern- und Kettenbildung entgegenwirken

Die Gründung von reinen Zahnarzt-MVZ durch Kliniken sollte nur möglich sein, wenn das MVZ seinen Sitz im selben zahnärztlichen Planungsbereich hat, wie das Krankenhaus. Eine Gründungsberechtigung von Krankenhäusern sollte zudem nur noch in unterversorgten Gebieten gegeben sein. Darüber hinaus sollte ein medizinisch-fachlicher Bezug des Gründers zur vertragszahnärztlichen Versorgung verpflichtend für die Gründung rein zahnärztlicher MVZ durch Krankenhäuser vorgesehen werden. Auch wäre mehr Transparenz über Marktentwicklungen und vertragliche Verflechtungen bei reinen Zahnarzt-MVZ sehr wünschenswert.

Um einem anhaltenden Ausverkauf zahnmedizinischer Versorgung und drohenden Versorgungsengpässen in strukturschwachen, ländlichen Gebieten entgegenzuwirken, die vor allem durch fremdinvestorengesteuerte MVZ befeuert werden, muss der Gesetzgeber dringend der Konzern- und Kettenbildung entgegenwirken. Zugleich gilt es, Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass eine qualitativ hochwertige, flächendeckende und wohnortnahe Versorgung auch künftig sichergestellt werden kann.


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