16.04.2021
Verhandeln mit der Rahmenvereinbarung
DiGA-Vergütungsbeträge: nach Ausmaß des positiven Versorgungseffekts
Pia Maier, MBA, Mitglied des Bundesverbandes Internetmedizin
Die Rahmenvereinbarung zu Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) liegt nun vor, und damit sind die Details der Verhandlungen der Vergütung mit den Kassen gesetzt. Der Kern der Vereinbarung ist die Frage, woran der Vergütungsbetrag bemessen wird. Die Rahmenvereinbarung gibt hier wenig vor, die Richtung jedoch ist klar: Es geht um Evidenz.
Fast ein Jahr nach dem Beginn der Verhandlungen wissen die Hersteller von DiGA nun, wie sich die Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband (GKV-SV) über den Vergütungsbetrag gestalten werden. Der Vergütungsbetrag ist der Preis, den die Kassen ab dem 13. Monat dauerhaft für die DiGA erstatten. Die Terminologie der Rahmenvereinbarung unterscheidet zwischen dem „tatsächlichen Preis“ und dem „Vergütungsbetrag“.
Ermittlung des tatsächlichen Preises
Der tatsächliche Preis wird in den ersten 12 Monaten der DiGA von den Kassen bezahlt. Er ist ein Herstellerpreis, der keine Bestandteile enthalten darf, die nicht von den Kassen erstattet werden, also keine Premium-Elemente, die via App-In-Kauf gekauft werden können, keine Hardware, die nicht von den Kassen erstattet wird, keine Coaching- oder Telemedizin-Elemente, die nicht von den Kassen auf diesem Weg erstattet werden dürfen. Der tatsächliche Preis muss auch um solche Rabatte bereinigt werden, die der Hersteller im Selbstzahlermarkt in den drei Monaten vor der Listung der DiGA allen Nutzerinnen und Nutzern gewährt hat – sofern die DiGA dem Produkt im Selbstzahlermarkt entspricht.
Dieser tatsächliche Preis wird im BfArM-Verzeichnis veröffentlicht und ist den Ärzt:innen über die Pharmazentralnummer (PZN), die dem Preis zugeordnet ist, bekannt. Es kann mehrere tatsächliche Preise geben, wenn die DiGA zum Beispiel unterschiedliche Laufzeiten vorsieht, oder in einer Erstverordnung ein Gerät mit eingepreist ist. Jede PZN hat genau einen tatsächlichen Preis und für verschiedene muss es auch nachvollziehbare Gründe geben.
Verhandlungsbeginn
Der tatsächliche Preis wird in den ersten zwölf Monaten nach der Listung im Verzeichnis bezahlt – das gilt sowohl für die dauerhaft aufgenommenen DiGA, wie auch für DiGA in der Erprobung. Dauerhaft aufgenommene DiGA starten nach sechs Monaten in den Verhandlungsprozess, der bis zum Ende des zwölften Monats abgeschlossen sein soll. Einigen sich die Verhandlungsparteien nicht, ruft eine Partei die Schiedsstelle an, die dann drei Monate Zeit hat, eine Entscheidung zu fällen. Während dieser Zeit verordnete DiGA werden zunächst weiter mit dem tatsächlichen Preis in Rechnung gestellt. Sobald der Vergütungsbetrag dann feststeht, werden die Rechnungen korrigiert und die Beträge ausgeglichen.
Bei DiGA, die zur Erprobung aufgenommen wurden, kann dieser Zeitraum auch noch länger sein – Rücklagen bilden ist hier für die Unternehmen buchhalterische Pflicht. Die Erprobungs-DiGA starten nach Abschluss der Erprobung, mit der endgültigen Aufnahme in das Verzeichnis in den Verhandlungsprozess. Mit dem Zugang des positiven Bescheids über die Aufnahme läuft die Sechs-Monats-Frist, und es gelten die gleichen Regeln wie für die dauerhaft aufgenommenen DiGA. Werden die Verhandlungspartner eher einig, müssen die sechs Monate nicht abgewartet werden.
Der Entwurf des Digitale–Versorgung–und–Pflege–Modernisierungsgesetz (DVPMG) sieht Veränderungen bei diesen Fristen vor – die Verhandlungspartner haben die schon antizipiert und die Fristen vorsorglich angepasst. Die neuen Fristen treten automatisch in der Rahmenvereinbarung in Kraft, wenn das DVPMG in diesem Punkt so beschlossen wird. Dann starten die Verhandlungen für dauerhaft aufgenommene DiGA schon nach vier Monaten und dauern noch fünf Monate. Die zur Erprobung aufgenommenen DiGA starten mit dem positiven Bescheid und haben ebenfalls vier Monate Zeit für den Abschluss.
Finden des Vergütungsbetrages
Als Verhandlungsgrundlage dient der tatsächliche Preis. Auch Selbstzahlerpreise und Preise aus dem europäischen Ausland müssen dem GKV-SV gemeldet werden, wenn die DiGA dort gehandelt wird. Dieses Verfahren entspricht den Erfahrungen aus dem Arzneimittelbereich. Einen Länderkorb gibt es hier allerdings nicht – sollte eine DiGA tatsächlich in allen 27 EU-Staaten auf dem Markt sein, müssen auch alle Preise aus diesen Staaten (abzüglich Mehrwertsteuern und gewährter Rabatte) angegeben werden.
Weitere Grundlage für die Verhandlung sind die Dokumente, die auch bei der Listung der DiGA eingereicht wurden: CE-Kennzeichnung, Erklärungen zu Interoperabilität, Datenschutz, Datensicherheit etc. und natürlich die eingereichten Studienberichte zum Nachweis der positiven Versorgungseffekte. Außerdem können weitere preisrelevante Unterlagen eingebracht werden. Hier können vor allem Kosten-Nutzen-Betrachtungen der DiGA eine Rolle spielen, die bei der Aufnahme in das Verzeichnis keine Rolle gespielt haben. Ebenso Real-World-Data aus der Anwendung der App und weitere Veröffentlichungen, die vielleicht in der Zwischenzeit noch erfolgt sind. Die Kassenseite kann Daten aus der Leistungsabrechnung vorlegen. Dabei wird die Kassenseite nicht nur auf den Einsatz der DiGA schauen (davon wird in den vorliegenden Abrechnungsdaten nach nur sechs Monaten noch nicht viel zu sehen sein), sondern auch auf die Leistungen, die Patientinnen und Patienten der Zielgruppe üblicherweise erhalten.
Für die Verhandlung des Vergütungsbetrages macht die Rahmenvereinbarung nicht viele Vorgaben. In freier Würdigung des Einzelfalls sollen die Parteien zu einem Ergebnis kommen und dabei das Ausmaß des positiven Versorgungseffektes berücksichtigen. Nicht von ungefähr erinnert auch diese Formel an den Arzneimittelbereich. Eine Vorentscheidung durch ein Gremium wie den Gemeinsamen Bundesschuss gibt es hier allerdings nicht. Es wird also darauf ankommen, die Studienergebnisse gut darzulegen. Auch hier wird sicherlich darauf geachtet werden, wie „gut“, wie „aussagekräftig“ und „übertragbar“ eine Studie ist. Das Setting sollte also dem Einsatz in der normalen Versorgung sehr vergleichbar sein. Je größer die Kohorte, desto besser, je kontrollierter die randomisierte Studie, desto seriöser wird sie wahrgenommen werden. Es lohnt sich sicherlich – falls noch nie gemacht –, mal einen IQWiG-Bericht zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln anzusehen. Dort werden Studien gern mal verworfen, weil sie nicht die richtige Population ansprachen, weil die Dosierung anders war, weil die Vergleichsgruppe nicht passte.
Ausmaß des positiven Versorgungseffekts
Insbesondere soll der Vergütungsbetrag sich am Ausmaß des positiven Versorgungseffektes orientieren. Der kann einerseits im medizinischen Nutzen liegen und andererseits in patientenrelevanten Struktur- und/der Verfahrensverbesserungen. Viele der schon gelisteten DiGA haben ausweislich des DiGA-Verzeichnisses Nachweise in mehreren der vorgegebenen Kriterien vorgelegt. Sicherlich ist Masse an verschiedenen Bereichen hier nicht alles, aber verschiedene positive Endpunkte nachgewiesen zu haben, wird sich in den Verhandlungen sicherlich positiv auswirken. Beim Ausmaß wird es aber auch um die „Menge“ und die „Relevanz“ des Nachweises gehen. Ist der nachgewiesene Effekt eine kleine Verbesserung oder ist es ein deutlich besserer Outcome? Bezieht sich der gemessene Effekt auf patientenrelevante Endpunkte im klassischen Sinn? Oder auf Parameter, deren Einfluss auf den Krankheitsverlauf nachgewiesen ist? Ist das alles nicht der Fall, müssen die Hersteller so gut wie möglich Analogien bilden.
Wichtig ist dabei vor allem der Blick auf die Kostenseite. Wenn das Gewicht durch eine App gesenkt wird, können Kassen langfristig Kosten sparen, da ein hoher BMI mit vielen Risiken assoziiert ist – allerdings ist das kaum berechenbar. Leichter haben es da Ansätze, die unmittelbar bei der Kasse entstehende Kosten vermeiden – Hospitalisierung, andere ambulante Therapien, Arzneimittel… Der Preis für den Zugang zum Markt der GKV-Versicherten ist, sich auch an die hier geltenden Spielregeln zu halten. Und da geht es eben um die Kosten, die für die GKV unmittelbar entstehen, nicht um gesellschaftliche Folgekosten. Und theoretisch könnte eben jeder Versicherter mit der entsprechenden Indikation die DiGA verordnet bekommen – wir reden hier von Millionen Versicherten. Versicherte, die mit Digitalen Gesundheitsanwendungen versorgt werden können, dürfen Anspruch auf Evidenz haben. Hersteller, die diese Anforderungen erfüllen, haben dann auch Anspruch auf angemessene Vergütung – denn die hohen Anforderungen an die DiGA gibt es nicht zum Nulltarif.
Fazit
Die Festlegungen der Rahmenvereinbarung kommen nicht überraschend. Die Vereinbarungen zum AMNOG haben erkennbar Pate gestanden, und die Grundlogik ist für beide Verfahren gleich: Es wird vergütet, was entsprechende Nachweise erbringt. Da es hier um digitale Produkte geht, unterscheiden sich die Studienformen, nicht aber die Regeln, was eine Studie zu einer guten Studie macht. Langfristig zahlt es sich nicht aus, an den Belegen für ein gutes Produkt zu sparen.
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