Überstundenverbot in Pflegeheimen führt zu Fehlern

US-amerikanische Studie in fünf Bundesstaaten analysiert Daten über acht Jahre



Des einen Freud, des anderen Leid: Ein gesetzliches Verbot, Pflegefachkräfte zu Überstunden zu verpflichten, soll diese entlasten, scheint allerdings negative Folgen für die Bewohner in Pflegeheimen zu haben. Eine Studie[1] mit Daten aus den Jahren 2004 bis 2012 liefert erstmalig empirische Evidenz auf Pflegeheimebene zu den Auswirkungen des in einigen US-Bundesstaaten verabschiedeten Überstundengesetzes, wonach Gesundheitseinrichtungen nicht mehr von ihren Pflegefachkräften verlangen dürfen, über die reguläre, geplante Arbeitszeit hinaus zu arbeiten – ausgenommen ist der Notfall. Ergebnis der Untersuchung ist eine verringerte Servicequalität in Pflegeheimen.

Für die Analyse möglicher Auswirkungen des Gesetzes auf die Qualität wurde ein bundesweiter Paneldatensatz[2] aus den Jahren 2004 bis 2012 bezüglich der Entwicklung von Qualitätsdefiziten in Pflegeheimen analysiert. Die Informationen basieren vorrangig auf den Dokumentationen der Zentren für Medicare und Medicaid Leistungen (US-amerikanische Gesundheitsdienstleistungen für ältere Menschen sowie sozialhilfeartigen Leistungen), die die Qualität von Pflegeheimen jedes Jahr anhand von über 190 Indikatoren überprüfen. Unterschreitet die festgestellte Qualität dabei den definierten Mindeststandard für den entsprechenden Qualitätsindikator, so wird ein spezifisch für diesen Indikator vorliegendes Defizit für das Pflegeheim festgehalten. Die Defizite können drei verschiedenen Bereichen zugeordneten werden: Mängel in der Verwaltung, der Versorgungsqualität und der Lebensqualität. Verwaltungsdefizite umfassen z.B. jene in Bezug auf die Einhaltung von Bundes-, Landes- und Kommunalgesetzen, die Ausbildung und Kompetenz der Pflegefachkräfte, die klinischen Aufzeichnungen, das Qualitätsmanagement sowie die Qualitätssicherung. Der Bereich der Versorgungsqualität deckt die Bandbreite medizinischer Qualitätsindikatoren ab, unter anderem das Auftreten von Dekubitus, die unnötige Medikamentengabe sowie Medikationsfehler. Wohingegen der Bereich der Lebensqualität verschiedene nichtmedizinische Qualitätsindikatoren beinhaltet, die z.B. die Haushaltsführung, das Essen sowie die Hygiene betreffen.

Die heterogene Einführung des gesetzlichen Überstundenverbots innerhalb der USA ermöglicht eine nach Bundesstaaten differenzierte Analyse bezüglich der Qualitätsdefizite. Im Detail werden in der Analyse Qualitätsänderungen nach Gesetzeseinführung in den Staaten Alaska, New Hampshire, New York, Pennsylvania sowie Missouri[3] zu der Qualitätsentwicklung der jeweiligen Kontrollstaaten in Relation zueinander gesetzt. Als Kontrollstaat wird hierbei ein Staat bezeichnet, der bis zum Eintritt des Gesetzes in einem der fünf Studienstaaten eine parallele Personalentwicklung vorweist. Als Kontrollstaat wird jener bezeichnet, der bis zum Eintritt des Gesetzes in einem der fünf Studienstaaten eine gleiche oder ähnliche Personalentwicklung vorweist. So kann im Ergebnis festgestellt werden, dass bei Pflegeheimen in Staaten, in denen das Gesetz in Kraft getreten ist, insgesamt jährlich 1,28 Qualitätsdefizite mehr vermerkt worden sind als bei Pflegeheimen in den Kontrollstaaten (unter sonst gleichbleibenden Faktoren[4]). Ausgehend von der durchschnittlichen Gesamtzahl an Qualitätsdefiziten pro Pflegeheim (5,93) würde dies einem allgemeinen Zuwachs von 21,7 % an festgestellten Qualitätsdefiziten entsprechen. Die Abbildung stellt die allgemeine sowie in Kategorien aufgeschlüsselte große Veränderung an Qualitätsdefiziten graphisch dar.

 

 

Die nach den drei Bereichskategorien aufgeschlüsselte Auswertung verdeutlicht, dass diese Erhöhung vorrangig durch die Steigerung der Defizite in der Verwaltung, die bei 37,1 % liegt, sowie der Versorgungsqualität, die bei 21 % liegt. Üblicherweise sind die fest im Pflegeheim angestellten Pflegefachkräfte für die Belange dieser zwei Bereiche, Verwaltung und Pflegequalität, verantwortlich. Die Veränderung der Anzahl an festgestellten Defiziten in der Lebensqualität ist nicht von statistischer Signifikanz. Kategorisiert man die festgestellten Defizite nach ihrem Schweregrad[5], so zeigt sich, dass die Anzahl festgestellter Defizite von minimalem Schaden in den Staaten mit Inkrafttreten des Gesetzes um 21,8 % ansteigen. Diese Veränderung von 1,24 Defiziten pro Jahr entspricht 96,8 % der Gesamtveränderung, wohingegen die Anzahl festgestellter Defizite von großem Schaden sich nicht statistisch signifikant verändert. Ferner zeigt eine Betrachtung im Zeitverlauf, dass der Qualitätseffekt nicht nur direkt nach Inkraftsetzung des Gesetzes in den entsprechenden US-Staaten eingetreten ist, sondern in den folgenden Jahren[6] anhält.

Doch worauf ist die in der Studie festgestellte Qualitätsverschlechterung zurückzuführen?

Die Wissenschaftler bieten hierzu eine mögliche Erklärung. Die Gesetzesanpassung hatte eine Personalveränderung zur Folge: Das Gesetz reduzierte die Anzahl der geleisteten Arbeitszeit von festangestellten Pflegefachkräften und steigerte die Anzahl der geleisteten Arbeitszeit von Zeitarbeitskräften. In Zahlen ausgedrückt führt die Inkraftsetzung des Gesetzes zu einer durchschnittlichen Reduktion je festangestellter Pflegefachkraft von 1,7 Minuten pro Patiententag. Dies entspricht bei durchschnittlich 43,2 Minuten pro Patiententag demnach einer Reduktion von 3,9 %. Gleichzeitig nimmt die durchschnittliche Minutenzahl pro Patienten je Zeitarbeitskraft um 0,3 Minuten pro Patiententag zu.

In der Studie wird zudem überprüft, ob eine mögliche Lohnerhöhung von Pflegekräften ausschlaggebend für die negativen Qualitätseffekte ist. Nach dieser Alternativhypothese könnte die Arbeitszeitreduktion von festangestellten Kräften, die verantwortlich für den Qualitätsverlust sein könnte, auf eine mit potenziellen Lohnsteigerungen zusammenhängende Personalkostenerhöhung zurückzuführen sein. Da kein signifikanter Unterschied auf die Marktlöhne durch die Gesetzesänderung festgestellt werden kann, wird in der Studie diese Möglichkeit ausgeschlossen.

Die Autoren schlussfolgern, dass sich die Kompensierung einer Arbeitszeitverringerung von festanagestellten Pflegekräften durch eine Arbeitszeitsteigerung von Zeitarbeitskräften in Pflegeheimen aus Qualitätsgesichtspunkten als fraglich erweist. Hierbei gilt es zu betonen, dass die empirischen Resultate in erster Linie zeigen, dass sich ein gesetzliches Überstundenverbot negativ auf die Qualität auswirkt und keine eindeutige Schlussfolgerung, worauf dieser Effekt zurückzuführen ist, zulassen. Es bleibt anzumerken, dass es neben einer gegenläufigen Veränderung der Arbeitszeiten von festangestellten und Zeitarbeitspflegekräften zu einer allgemeinen Verringerung an Arbeitszeit pro Patiententag je Pflegekraft kommt, da kein vollständiger zeitlicher Ausgleich der reduzierten Arbeitszeit der festangestellten Kräfte durch den zusätzlichen Einsatz von Zeitarbeitskräften erfolgte.

Zusammenfassend liefert die Studie zwei insbesondere für die Politik und das Pflegeheimmanagement relevante Erkenntnisse: Erstens, ein Verbot zur Überstundenverpflichtung hängt mit verringerter Servicequalität in Pflegeheimen zusammen. Zweitens kommt es durch das gesetzliche Verbot zu einer teilweisen „Substitution“ der geleisteten Arbeitszeit von festangestellten Pflegefachkräften durch Zeitarbeitskräfte. Anders gesagt, scheint das Pflegeheimmanagement demnach auf den Flexibilitätsverlust im eigenem Haus, im Spezifischen die Möglichkeit, bei Nachfrageschwankungen die Angestellten zu Überstunden zu verpflichten, so zu reagieren, dass es flexible Zeitarbeitskräfte von extern bezieht.

 

[1] Lu, Susan Feng, Lu, Lauren Xiaoyuan (2017): “Do Mandatory Overtime Laws Improve Quality? Staffing Decisions and Operational Flexibility of Nursing Homes”, Management Science.

[2] Der Datensatz basiert hauptsächlich auf den Online Survey Certificate and Reporting (OSCAR) Daten, die alle von Medicare und Medicaid zertifizierten Pflegeheime in den USA (ca. 90 % aller Heime insgesamt) umfassen. Die OSCAR-Daten wurden um zusätzliche, detaillierte Angaben zu Personal als auch Qualität der einzelnen Pflegeleistungen aus weiteren Datenquellen, wie die Daten der Leistungserbringer, die detaillierte Qualitäts- und Personalinformationen einzelner Pflegeheime bereitstellen, die Kostenberichte der Fachpflegeeinrichtung, Daten zu den Gebietsressourcen und den Lohndaten der registrierten Pflegefachkräfte aus der aktuellen Bevölkerungsumfrage ergänzt.

[3] In Missouri wurde nicht das Gesetz zum Überstundenverbot verabschiedet, dafür sind im Jahr 2006 vergleichbare Regulierungen auferlegt wurden. Die Robustheitsanalyse ohne den Einschluss von Missouri zeigt keine auffälligen Unterschiede.

[4] In der Analyse wurde für die folgenden Merkmale kontrolliert: Anteil an Medicaid-Patienten, Auslastungsrate, Gesundheitsstatus der Patienten, Bettenzahl, Wettbewerb auf Gemeindelevel, Einkommen pro Einwohner auf Gemeindelevel und Bevölkerungszahl auf Gemeindelevel.

[5] Die Autoren orientieren sich hierbei an der CMS-Klassifizierung des Schweregrades, wobei sie zum einen Schweregrad Level 1 („Kein unmittelbarer Schaden mit Potenzial zu minimalen Schaden“) und Level 2 („Kein unmittelbarer Schaden mit Potenzial zu mehr als minimalen Schaden“) zu der Kategorie „minimaler Schaden“, zum anderen Schweregrad Level 3 („Tatsächlicher Schaden, der nicht direkt gefährlich ist“) und Level 4 („Direkte Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit des Bewohners“) zu der Kategorie „großer Schaden“ zusammenfassen.

[6] Die Datenbasis lässt eine Analyse bis 3 Jahre nach Eintritt des Gesetzes zu.

 

Redaktion / Mona Groß


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