Triumph des Status quo

Eine kritische Betrachtung des Berichtes des Bundeskartellamtes „Sektoruntersuchung Krankenhäuser“

Dr. Robert Paquet

Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen kommt dem Krankenhaussektor eine besondere Bedeutung zu. Im Sondierungspapier wird in dem dünnen Abschnitt zur Gesundheitspolitik die „sektorenübergreifende Kooperation und Vernetzung zwischen den verschiedenen Gesundheitseinrichtungen“ angestrebt. In allen Wahlprogrammen der Parteien geht es in diesem Zusammenhang vor allem um eine bessere Ordnung der stationären Versorgung. Im September hat nun das Bundeskartellamt seine 2016 begonnene „Sektoruntersuchung Krankenhäuser“ vorgelegt[1]. Vom Bedarf nach einer Neuordnung des Krankenhausbereichs ist darin jedoch nichts zu spüren.

Aus der Sicht der Patienten schütze (nur) ein breites Angebot von Allgemeinkrankenhäusern bei möglichst großer Trägervielfalt vor den Qualitätsverschlechterungen, die unweigerlich bei Fusionen drohten. Das breite Angebot müsse dabei in einem relativ engen räumlichen Markt zur Verfügung stehen. Mit diesen Positionen steht das Amt im Kontra zu allen Bestrebungen nach einer bedarfsgerechteren und qualitätsverbessernden Neuordnung der stationären Angebote. Ohne Eingriffe in das Kartellrecht und die Einschränkung der Zuständigkeiten des Amtes wird es daher keine durchgreifende Krankenhausreform geben.

 

Sektoruntersuchung

Das Bundeskartellamt hat 2016 begonnen, den Wirtschaftsbereich der Akutkrankenhäuser im Rahmen einer sog. Sektoruntersuchung zu analysieren. Es geht um die Erfassung des „tatsächlichen Wettbewerbsgeschehens“, seiner Beeinflussung durch staatliche Regulierungen (z.B. durch Krankenhausplanung) und die Wirkung von Unternehmenszusammenschlüssen. Ziel war nach eigener Aussage des Amtes, „ein vertieftes Verständnis von der Funktionsweise der Krankenhausmärkte zu gewinnen“ (S. 1). Der Bericht wurde im September dieses Jahres veröffentlicht.

Empirische Grundlage war eine Stichprobenerhebung bei „rund 22 Prozent aller Krankenhäuser in Deutschland zur Beantwortung eines ausführlichen Fragebogens mit insgesamt 12 Fragenkomplexen“. Darüber hinaus wurden von den Häusern „anonymisierte Daten zu ihren Behandlungsfällen nach § 21 KHEntgG angefordert. Die Stichprobe erfasst alle Krankenhäuser in einem Korridor quer durch Deutschland vom Saarland im Westen bis nach Sachsen im Osten und damit alle unterschiedlichen Trägergruppen, Versorgungsstufen und Raumordnungstypen. Außerdem wurden 636 niedergelassene Vertragsärzte in der Region Darmstadt als Krankenhaus-Einweiser befragt.“ (S. 1). Die Datenerhebung bezog sich im Wesentlichen auf das Jahr 2015 (S.19).

Auf wenige methodische Aspekte soll schon jetzt hingewiesen werden: Auf Seite 16 wird z.B. erklärt, Repräsentativität der KH-Stichprobe sei angestrebt worden. Zur Plausibilisierung wird jedoch lediglich berichtet, bei den Standorten seien alle „Kreistypen“ vertreten (S. 17). Die Auswahl lässt jedenfalls außer Acht, dass die Länder mit der problematischsten KH-Struktur (Kleinteiligkeit, Insolvenzbedrohung), nämlich NRW, Baden-Württemberg und Bayern, hier nicht einbezogen wurden[2]. Die Ärztebefragung in Darmstadt wird damit begründet, dass die Krankenhausbefragung ergeben habe, dort hätten mehrere Klinik-Zusammenschlüsse stattgefunden (S. 21). Nach Kenntnis des Autors ist dabei eine relativ gut geordnete Krankenhauslandschaft herausgekommen. Welche Wirkungen das ggf. auf das Antwortverhalten der einweisenden Ärzte (im Jahr 2017) gehabt haben könnte, wurde nicht reflektiert (S. 26).

Die Fragebögen wurden nicht veröffentlicht, was dem Standard sozialwissenschaftlicher Studien nicht entspricht. Die Rücklaufquote von 96 Prozent ist in der Krankenhausbefragung – angesichts der Antwortpflicht gegenüber dem Kartellamt – nicht erstaunlich. Einzelne Inhalte des Fragebogens muss man sich anhand der berichteten Antworten mühsam erschließen. Die Antworten selbst werden an keiner Stelle kritisch betrachtet. Dass z.B. das von den Häusern stets bekundete Streben nach besonderer medizinischer Behandlungsqualität (S. 185ff.) etwas mit erwünschtem Antwortverhalten zu tun haben könnte, oder dass die Häuser die von ihnen angegebenen Handlungsspielräume möglicherweise überschätzen, wird vom Kartellamt nicht bedacht. Bei der Lektüre hat man allerdings insgesamt den Eindruck, die „Empirie“ sei für das Amt in Wirklichkeit bedeutungslos. Die für das Vorhaben unterstellten Handlungsmöglichkeiten der Krankenhäuser sieht das Amt bereits nach der „theoretischen“ Bestandaufnahme als gegeben an. Ob die angeführten gesetzlichen Regelungen tatsächlich im intendierten Sinne wirken, wird ebenfalls nicht hinterfragt.

Dementsprechend werden in einem ausführlichen ersten Teil des Berichts die regulatorischen Rahmenbedingungen für den Krankenhaussektor dargelegt (Zulassung, Entgeltregelungen, Vorschriften zur Qualitätssicherung etc.). Dabei betrachtet das Amt die Krankenhäuser als Unternehmen (S. 254), die in einem Markt agieren und hinreichende wettbewerbliche Handlungsspielräume haben. Das begründet die Sektoruntersuchung nach § 32e Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). „Die Untersuchung dient dabei der Anwendung des GWB und umfasst auch die Aufklärung von vermuteten Wettbewerbsbeeinträchtigungen, die insbes. für Verfahren der Zusammenschlusskontrolle relevant sein können.“ (S. 13) Das Amt will prüfen, „welche Spielräume den Krankenhäusern für wettbewerbliche Vorstöße zur Verfügung stehen und tatsächlich genutzt werden.“ Dadurch will es sein Prüfungskonzept optimieren, „um besser beurteilen zu können, welche Zusammenschlussprojekte eine unerwünschte Machtkonzentration erwarten lassen.“ (ebenda). In diesem Zusammenhang beteuert das Amt in einer Art Demutsformel, dass der Anteil der aus wettbewerblichen Gründen untersagten Zusammenschlüsse gering sei (3,6 Prozent von 335 bis Mai 2021 angemeldeten Zusammenschlussvorhaben) (S. 14). Dass ökonomisch und versorgungstechnisch sinnvolle Fusionen wegen des herrschenden Kartellrechts möglicherweise gar nicht erst beantragt wurden, kann hier nur vermutet werden.

 

Handlungsspielräume der Krankenhäuser

Das Amt konstatiert: „Kernvoraussetzung für den Wettbewerb ist die wirtschaftliche Handlungsfreiheit, d.h. die Möglichkeit, selbstständig das eigene Marktverhalten zu bestimmen und unter verschiedenen Optionen auszuwählen. Dies gilt für beide Seiten, die Anbieter und die Nachfrager.“ (S. 100) Diese Voraussetzung – so das Amt – sei „teilweise bezweifelt“ worden. „Die verschiedenen Funktionen des Wettbewerbs (Freiheits-, Kontroll-, Lenkungs- und Verteilungsfunktion) seien durch die verschiedenen staatlichen Regelungen außer Kraft gesetzt.“ (ebenda) Durch die Befragungen sollten nun die tatsächlich vorhandenen Spielräume auf beiden Seiten ausgelotet werden. Gefragt wird, wieweit die Häuser „ihre Freiheit nutzen können, durch selbst gewählte Maßnahmen des Preis- bzw. Leistungswettbewerbs Patienten für eine Behandlung in ihrem Haus zu gewinnen.“ Und: „… wie die Patienten die Freiheit haben, auf diese Parameter zu reagieren und das behandelnde Krankenhaus unter Berücksichtigung dieser Kriterien auszuwählen.“ (ebenda). Bei der letzten Frage begnügt sich das Amt mit einer Ärztebefragung und verzichtet ausdrücklich auf eine Patientenbefragung (S. 15, auch S. 287).

Die Ergebnisse überraschen nicht: Die Preise für die Krankenhausleistungen sind festgelegt und spielen im Wettbewerb keine Rolle. Nur bei Teilnahme an einem Selektivvertrag bzw. einem Integrierten Versorgungsvertrag mit den Krankenkassen gibt es preisliche Vertragsspielräume. Allerdings gibt es „nur wenige solcher Verträge, und der von ihnen erfasste Umsatz macht selbst bei den Krankenhäusern, die an den Verträgen beteiligt sind, im Betrachtungszeitraum 2015 weniger als ein Prozent des Gesamtumsatzes aus.“ Für die Patienten als Nachfrager bei der Auswahl des behandelnden Krankenhauses spielt der Preis daher keine Rolle. Sie haben die Wahlfreiheit unter allen zugelassenen Krankenhäusern. Die meisten Krankenkassen haben auf die Erhebung von Zusatzkosten (wegen der unterschiedlichen Landesbasisfallwerte) verzichtet (S. 100/106).

Andererseits verfügen die Krankenhäuser über einen weiten Spielraum bei der Bestimmung ihres Leistungsspektrums. Zwar bestimmt die „krankenhausplanerische Zuweisung von Fachgebieten bzw. von Subdisziplinen im Feststellungsbescheid den Versorgungsauftrag der einzelnen Krankenhäuser. Mit dem Versorgungsauftrag werden dem Krankenhaus aber nicht zugleich auch bestimmte Behandlungsleistungen zugewiesen. Vielmehr weisen die einzelnen Fachgebiete und Subdisziplinen jeweils verschiedene Behandlungsbündel auf und sind zudem nicht trennscharf voneinander abgrenzbar. Die Krankenhäuser entscheiden daher in erheblichem Umfang selbst, welche Behandlungen (DRG) sie tatsächlich erbringen und welche Schwerpunkte sie aufbauen. Die Bedeutung der stationären Behandlungen, die in mehreren Fachgebieten erbracht werden dürfen, ist erheblich. Die empirische Untersuchung ergab, dass rund 85 Prozent der von den Krankenhäusern tatsächlich erbrachten stationären Behandlungsleistungen in unterschiedlichen Fachabteilungen erbracht werden und nicht eindeutig einer Fachrichtung zuzuordnen sind.“ (S. 140)

Außerdem verfügen die Krankenhäuser über die Möglichkeit, „eigenständig Leistungsschwerpunkte zu entwickeln. … Die Krankenhäuser nutzen ihre Spielräume auch tatsächlich aus. [Zwischen dem] 01. Januar 2012 und 31. Dezember 2015 haben rd. 35 Prozent der befragten Krankenhäuser ein neues Spezialisierungsangebot eingeführt und etwa 5 Prozent ein bereits eingeführtes Spezialisierungsangebot wieder beendet. 14 Prozent der erfassten 405 Krankenhäuser haben geantwortet, in diesem Zeitraum eine neue Fachabteilung eröffnet oder geschlossen zu haben.“ (S. 140) Auch die Ausweisung von Planbetten schränkt die Häuser dabei nur wenig ein (S. 146).

Im Gesamtergebnis kommt das Amt zu dem Schluss, dass die Krankenhäuser trotz der unterschiedlichen Bindungswirkungen der jeweiligen Landes-Krankenhausplanung – „genügend Spielräume“ haben, „ihr Leistungsangebot wirtschaftlich zu optimieren.“ Ein wichtiges Indiz für das Amt sind dabei die erfragten Reaktionen der Häuser auf Leistungsveränderungen ihrer (unmittelbaren) Konkurrenten. „Die Krankenhäuser hatten im Fragebogen 5 Veränderungen in anderen Krankenhäusern anzugeben, die aus ihrer Sicht die Fallzahlentwicklung ihres Hauses am stärksten negativ bzw. positiv beeinflusst haben. Hierzu war die von der jeweiligen Veränderung am stärksten betroffene Fachabteilung sowie das Jahr der Maßnahme anzugeben und anhand voreingestellter Antwortoptionen einzuschätzen, in welchem Umfang sie zu Fallzahlveränderungen im eigenen Haus geführt haben. Außerdem war anzugeben, ob das Krankenhaus darauf reagiert hat, welche Reaktion dies ggf. gewesen ist und ob sie als erfolgreich eingeschätzt wurde.“ (S. 151) Die große Mehrheit der Krankenhäuser habe reagiert. Fallzahlveränderungen seien gezielt herbeigeführt worden, und die Gegenmaßnahmen seien nur in 12 Prozent der Fälle als nicht erfolgreich eingeschätzt worden (ebenda). Die häufigsten Veränderungen seien Erweiterungen des Leistungsangebots gewesen, gefolgt von Personalveränderungen und Verbesserungen der Verbindung zum ambulanten Sektor (Einweiser) (S. 152). Auch mit Sanierungsmaßnahmen und Veränderungen in der Öffentlichkeitsarbeit sei reagiert worden (S. 160).

Auch hier ist wieder festzustellen, dass die Angaben der Krankenhäuser vom Amt für bare Münze genommen werden. Natürlich beobachten die Häuser ihre Nachbarkliniken und müssen auf deren Unternehmensentscheidungen reagieren. Der Geschäftsführer eines Krankenhauses, der das unterließe, müsste sofort entlassen werden. Die Behauptung, dass die ergriffenen Gegenmaßnahmen erfolgreich gewesen seien, ist dagegen kaum zum Nennwert zu nehmen und – im Rahmen einer Befragung – schon gar nicht beweisbar. Es ist eher verwunderlich, dass immerhin 12 Prozent der Häuser den Misserfolg ihrer Reaktionen eingestanden haben.

 

Qualitätsaspekte

Auch die Mindestmengenregelungen des G-BA „scheinen … derzeit allenfalls eine sehr geringe begrenzende Wirkung für die Verhaltensspielräume der Krankenhäuser zu entfalten“, da sie „nur einen sehr kleinen Teil der von den Krankenhäusern erbrachten stationären Krankenhausbehandlungen“ abdecken (S. 180). Auch die gesetzlichen Qualitätsregelungen schränken die Spielräume der Krankenhäuser nicht wesentlich ein, weil sie lediglich als Mindestregelungen wirken (S. 193).

„Die Qualität ihrer Leistungen ist aus Sicht der Krankenhäuser ein sehr bedeutender Wettbewerbsparameter. Er hat einen sehr großen Einfluss auf den Patientenzulauf und führt damit zum Anreiz des Krankenhausträgers, in seinem Haus eine für die Patienten optimale Qualität zu erbringen.“ (S. 185f.) Dabei steht die Behandlungsqualität im Vordergrund, die auch bei den Empfehlungen der niedergelassenen Ärzte zur Krankenhauswahl an erster Stelle steht (S. 186). Darüber hinaus spielt die Qualität der „Hotelleistungen“ eine Rolle, die von vielen beteiligten Krankenhäusern in regelmäßigen Patientenbefragungen nachgefragt wird. Dabei gaben fast alle Häuser an, auf darin geäußerte Kritikpunkte mit Verbesserungsmaßnahmen zu reagieren (S. 192). Auch hier ist festzustellen, dass das Amt solche Aussagen nicht relativiert: Bei einer verpflichtenden und nicht-anonymisierten Befragung wäre es zumindest seltsam, wenn Krankenhäuser z.B. angäben, auf Kritik überhaupt nicht zu reagieren.

Bei den Handlungsmöglichkeiten der Krankenhäuser hat das Amt auch nach „weiteren Wettbewerbsparametern“ gefragt. Dabei ist bemerkenswert, dass ein konzeptionelles „Einweisermanagement“ eher selten betrieben wird, obwohl der größte Teil der Patienten von den niedergelassenen Ärzten ins Krankenhaus geschickt wird. Auch ein systematisches Marketing und die Öffentlichkeitsarbeit haben nur eine geringe Bedeutung (S. 212f).

 

Auswahlmöglichkeiten der Patienten

Den Patienten stehen praktisch alle in Deutschland zugelassenen Krankenhäuser zur Verfügung. Ihre Präferenzen und deren Kriterien wurden in der Sektoruntersuchung nur indirekt erfragt, einmal bei den Krankenhäusern selbst und dann bei den niedergelassenen Ärzten. Die Krankenhäuser meinen, dass die Qualität der medizinischen Behandlung die größte Bedeutung für die Krankenhauswahl der Patienten hat. „Vergleichsweise wenig Bedeutung haben hingegen die Wartezeit bis zur stationären Behandlung, die gute Erreichbarkeit des Krankenhauses sowie Zertifizierungen der allgemeinen Qualität oder spezieller Behandlungen.“ (S. 215). Die niedergelassenen Ärzte gaben an, dass drei Viertel der Patienten ihrem Rat bei der Krankenhauswahl folgen (S. 217). Für diesen Rat sei die medizinische Behandlungsqualität das entscheidende Kriterium (S. 218). Dabei empfehlen die Ärzte „weit überwiegend Krankenhäuser der eigenen Region“ (S. 222).

Worauf sich die Empfehlungen der Ärzte gründen, bzw. welche Informationsmittel dafür genutzt werden, bleibt weitgehend offen. Das Amt teilt nur mit, dass die Ärzte 166 Beobachtungen zur Veränderung von „Qualität und Leistungsspektrum der in ihrer Region (hier Raum Darmstadt) liegenden Krankenhäuser im Hinblick auf die stationäre Behandlung somatischer Erkrankungen angegeben“ haben (S. 223). Die „Beobachtungen“ beziehen sich auf „Veränderungen der Behandlungsqualität, Fusionen bzw. Übernahmen, Schließungen von Fachabteilungen, Veränderungen von Wartezeiten und den Abschluss von Kooperationsvereinbarungen“ sowie auf Veränderungen des Leistungsspektrums, Chefarztwechsel und Zertifizierungen der entsprechenden Fachabteilung“ (S. 226). Wie die Ärzte zu diesen Informationen kommen bzw. wie weit sie über das Hören-Sagen hinausgehen, wird nicht erfragt bzw. berichtet.

Dass die niedergelassenen Ärzte vor allem Krankenhäuser in Wohnortnähe der Patienten empfehlen, muss nicht problematisch sein. Auch Bequemlichkeit ist keine Sünde. Dass darin aber zum Ausdruck käme, dass sie die Qualität aller in Frage kommenden bzw. der bestgeeigneten Krankenhäuser wirklich kennen, dürfte eine Legende sein. Die Transparenz der Krankenhausangebote lässt trotz vieler Bemühungen (z.B. durch die Qualitätsberichte) selbst für Fachleute sehr zu wünschen übrig.

Wegen der Frage der räumlichen Marktabgrenzung hat das Amt „ermittelt, welche Entfernungen die Patienten tatsächlich zum behandelnden Krankenhaus zurücklegen, wie viele konkurrierende Krankenhäuser nach dem jeweiligen Wohnort des Patienten durchschnittlich als Auswahloption in Betracht kommen und wie viele Patienten sich nicht im nächstgelegenen Krankenhaus behandeln lassen, das die jeweils benötigte stationäre Behandlung anbietet.“[3] ( S. 228) Im Ergebnis legen die Patienten „nur eine begrenzte Wegstrecke zum behandelnden Krankenhaus zurück. Rd. 81 Prozent aller Krankenhausfälle kommen nach den Krankenhausdaten des Jahres 2015 aus einer Entfernung von bis zu 35 km. Die Auswahlmöglichkeiten der Patienten unterscheiden sich nach den Siedlungsstrukturtypen ihres Wohnortes. … Die Patienten nutzen ihre Auswahlmöglichkeiten und suchen für die benötigte stationäre Behandlung zu einem großen Teil andere als die jeweils nächstgelegenen Krankenhäuser auf. Weniger als die Hälfte der stationären Fälle wird im nächstgelegenen Krankenhaus behandelt. Hauptausweichoption für die Patienten ist ein Krankenhaus in einer Entfernung von bis zu 10 km vom nächsten Krankenhaus.“ (S. 235) Schon hier deutet das Amt seine Schlussfolgerung im Hinblick auf Zusammenschlüsse an: Fusionen in Städten seien weniger problematisch als in ländlichen Kreisen (S. 236).

 

Wettbewerbliches Verhalten

Das Grundverständnis des Amtes kommt wie folgt zum Ausdruck: „Die Krankenhausträger haben nur im Wettbewerb mit den Einrichtungen anderer Träger einen wirtschaftlichen Anreiz, die im Rahmen der geltenden Regelungen bestehenden Verhaltensspielräume dafür zu nutzen, in ihren Krankenhäusern ein optimales Leistungs- und Qualitätsangebot für die Patienten bereitzustellen und ihre Leistungen möglichst kosteneffizient zu erbringen.“ (S. 236) Entscheidend ist im ersten Halbsatz das „nur“. Problematisch ist auch, dass Konkurrenz zwischen den Häusern eines Trägers nach Auffassung des Amtes ausgeschlossen ist (S. 229)[4]. Ob und wieweit es bei den Häusern eines Trägers eine einheitliche bzw. abgestimmte unternehmerische Führung gibt, hängt jedoch sehr von den konkreten Gegebenheiten ab. Jedenfalls von Seiten der Patienten gibt es eine wettbewerbliche Entscheidung bei der Krankenhauswahl auch zwischen den Einrichtungen desselben Trägers.

Ungeachtet dessen postuliert das Amt: „Wettbewerb sichert effiziente Leistungserbringung“ (S. 247). Ausgeführt wird das u.a. so: „Können die Patienten bei Leistungs- oder Qualitätseinbußen … nicht mehr auf Krankenhäuser anderer Träger ausweichen, gibt es für den Träger keinen Anreiz zu investieren und Innovationen in seinem Haus anzustoßen.“ (S. 248). Ohne Wettbewerb könnte sich ein Krankenhaus „in den Zustand der ‚gemütlichen Ineffizienz‘ (Augurzky) mit geringer Qualität bei niedriger Effizienz zurückziehen. Es genügte, wenn über die Fallpauschalen die laufenden Kosten gedeckt werden.“ (S. 249) Nur durch die Furcht vor Patientenabwanderung würden somit die Krankenhäuser von Qualitätsverschlechterungen abgehalten. Positiv ausgedrückt: „Die Krankenhausträger wissen um dieses Risiko und haben damit einen Anreiz, ihr Haus für Patienten im Wettbewerb attraktiv zu halten und ein optimales Leistungs- und Qualitätsangebot zu bieten. Hierzu sind Investitionen und Innovationen erforderlich, die grundsätzlich nur mit Überschüssen finanziert werden können.“ (S. 253)

Das Amt widerspricht damit der These, dass die Fusionskontrolle den „gesundheitspolitisch gewünschten Konsolidierungsbemühungen und der Krankenhausplanung im Wege“ stünde (S. 254). Vielmehr gebe es ein harmonisches „Ineinandergreifen“. Die Krankenhausplanungsbehörde habe keinen Einfluss darauf, „ob die Standorte von ein und demselben Träger betrieben werden oder von unterschiedlichen Trägern. Befinden sich alle Krankenhausstandorte innerhalb einer Region in einheitlicher Trägerschaft, besteht kein Anreiz zur Optimierung der Ressourcenallokation. Solange die Mindestqualität nach den regulatorischen Vorgaben erreicht wird, gibt es keinen ökonomischen Anlass, in Fortschritt und Innovation zu investieren. Hier setzt die Fusionskontrolle an, denn sie kann die Trägervielfalt erhalten und damit den Wettbewerb schützen.“ (S. 255) Die Fusionskontrolle habe „einen trägerbezogenen Blickwinkel auf die verschiedenen Krankenhaus-Standorte“ und stehe daher einer gesundheitspolitisch erwünschten Reduktion der Krankenhausstandorte nicht entgegen (S. 256). Exemplifiziert wird das am Beispiel Köln: „Insgesamt könnte die Zahl der Allgemeinkrankenhäuser auf der linken Rheinseite in Köln ohne Fusionskontrollprüfung von derzeit 11 auf 4 verringert werden, sofern dies von der Landeskrankenhausplanung genehmigt würde. Dieses Bild entspräche dem Ergebnis der Bertelsmann-Studie, die – je nach Modell – in Köln nur noch 2 bis 6 Krankenhäuser für ausreichend hält.“ (S. 259).

Unter fusionsrechtlichen Gesichtspunkten sind die sachliche und die räumliche Marktabgrenzung entscheidend. Aus der Sicht der Nachfrager stehen in sachlicher Abgrenzung alle Allgemeinkrankenhäuser miteinander im Wettbewerb, unabhängig von Versorgungsstufen und den einzelnen Fachabteilungen (S. 270ff.). Es gehe um das „heterogene Leistungsbündel“ der „akutstationären Krankenhausdienstleistungen“ (S. 278). Ob allerdings für die wettbewerbliche Perspektive der ‚Ganzhaus-Vergleich‘ geeignet ist, muss kritisch hinterfragt werden. Für die Wahlentscheidung eines Patienten und den Ratschlag seines einweisenden Arztes sind doch stets konkrete Behandlungsanlässe ausschlaggebend. Die korrespondieren aber jeweils mit bestimmten Fachabteilungen der konkurrierenden Krankenhäuser. Diese bestehen nicht selten als Ansammlung von mehreren Fachkliniken mit jeweils einem durchaus unterschiedlichen Qualitätsniveau und Ruf. Das Amt sieht dieses Problem (S. 271ff.), entscheidet sich aber (zur Umgehung von Erfassungsschwierigkeiten) für die ‚Ganzhaus-Perspektive‘. In der Ergebnisformulierung eiert man etwas herum: „Soweit sich die Wettbewerbskräfte in einem Teilbereich deutlich vom allgemeinen Sortimentsmarkt für Krankenhausdienstleistungen unterscheiden, könnte im Einzelfall eine spezifischere Betrachtung – auch von sachlichen Teilbereichen – geboten sein.“ (S. 278)

Auch für die räumliche Marktabgrenzung ist die nachfragebezogene Betrachtung das entscheidende Kriterium (S. 279). Hier geht es um die Kritik, „die räumliche Marktabgrenzung des Amtes sei zu eng und führe zur Feststellung wettbewerblicher Probleme, die tatsächlich aber nicht existierten“ (S. 280). Dem bundesweiten Angebot der Krankenhäuser stehe jedoch eine räumlich begrenzte Nachfrage gegenüber: Das zeige die Erhebung zur Krankenhauswahl der Patienten. „Die seit 2008 in der Literatur vertretene Ansicht, die Patienten nähmen zunehmend längere Fahrten in Kauf, um besser behandelt zu werden, wird durch die empirischen Daten so pauschal nicht bestätigt. Die Anfahrtswege der Patienten zum Krankenhaus sind weit überwiegend begrenzt und so können sie dort auch einfacher und kostengünstiger von Familienangehörigen und Freunden besucht werden. Zudem erhalten die Patienten aufschlussreiche Kenntnisse über die Qualität der Krankenhäuser im näheren Umkreis durch Erfahrungsberichte von Bekannten.“ (S. 281/289) Den Wirkungszusammenhang sieht das Amt so: „Erhielte der Krankenhausträger mit dem Zusammenschluss zusätzliche Verhaltensspielräume zu Leistungs- oder Qualitätsreduktionen, könnten diese Patienten im Falle unzureichender Ausweichoptionen nachteilig betroffen sein. Der räumliche Markt bestimmt sich daher durch die Wohnorte dieser Patienten.“ (S. 283)

 

Fusionen

Ziel der Fusionskontrolle ist die Verhinderung einer marktbeherrschenden Stellung. Zu befürchten sei: „Innerhalb oligopolistischer Marktstrukturen kann ein Zusammenschluss allein durch die Ausschaltung des Wettbewerbsdrucks zwischen den zusammenschlussbeteiligten Unternehmen und die Verringerung des Wettbewerbsdrucks durch die verbleibenden Wettbewerber dazu führen, dass die Oligopolisten einseitig, ohne Rücksicht auf das Verhalten der anderen Marktteilnehmer, dazu in der Lage sind, ihr bisheriges Angebot zu verschlechtern und z.B. die Produktqualität zu verringern oder das Leistungsangebot einzuschränken (unilaterale Effekte).“ (S. 290) In den weiteren Ausführungen zur Fusionskontrolle wird dem Amt diese Befürchtung zur Gewissheit. Nur der Wettbewerb zwischen Häusern unterschiedlicher Träger – m.a.W. die „Ausweichoption“ in Wohnortnähe der Patienten – schütze vor Einschränkungen im Leistungsumfang und der Qualität. (S. 304f.)

Die Tatsache, dass die große Mehrheit der Krankenhäuser defizitär ist und die übrigen ihre Gewinne erhöhen wollen, d.h. dass alle Häuser ein Interesse haben (müssen), Patienten zur akquirieren und Abwanderungen zu verhindern (S. 292), d.h. hohe Fallzahlen zu erreichen, interessiert das Amt nicht. Die Mindestmengen, Qualitätsregelungen und die Strukturprüfungen zwingen die Krankenhäuser aber in eine generelle Qualitätskultur. Neben dem internen und vorgeschriebenen Qualitätsmanagement und den Mechanismen des Benchmarkings trägt die intrinsische Motivation der Beschäftigten (in Medizin und Pflege) zur Qualitätssicherung bei. Dass die Auswahlentscheidung der Patienten der zentrale Qualitätssicherungsmechanismus sei, ist eine vielleicht wünschenswerte, aber (heute noch) völlig naive Vorstellung. Dass es z.B. staatliche bzw. monopolistische Krankenhaussysteme gibt (etwa in Dänemark), die mindestens so gut sind wie das deutsche, müsste dem Amt völlig unverständlich sein. In diesem Sinne wird vom Amt der Wert der „Trägervielfalt“ völlig überschätzt.

 

Ergebnis und Fazit

„Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern sichert die hohe Qualität und effiziente Nutzung knapper Ressourcen.“ (S. 6) Das ist die zentrale Botschaft der Sektoruntersuchung des Bundeskartellamts. Es sieht sich als Hüter der Qualität, indem es die wohnortnahe Trägervielfalt garantiert und damit den Patienten Ausweichmöglichkeiten auf andere Träger sichert. Gestützt wird diese Position durch eine Empirie, die die Orientierung der Krankenhäuser auf Qualitätswettbewerb zeigen und die kleinräumige Marktabgrenzung bestätigen soll.

Dabei sind die berichteten (und weitgehend erwartbaren) Antworten in Wirklichkeit wenig erhellend, weil wesentlich andere Ergebnisse einer Selbstbezichtigung der Befragten gleichgekommen wäre. Um die tatsächlichen wettbewerblichen Spielräume der Krankenhäuser auszuloten, sind die vom Kartellamt eingesetzten Instrumente kaum geeignet. Man wird das Gefühl nicht los, dass sie vornehmlich den Status quo und die aktuelle Praxis des Amtes legitimeren sollen. Im Kern zieht sich das Amt auf ein abstraktes Wettbewerbskonzept zurück, das einem Lehrbuch der Ökonomie entstammt, das die Besonderheiten von Dienstleistungen und des Medizinsektors noch nicht kannte.

Die notorischen Qualitätsprobleme der Krankenhäuser liegen gerade darin, dass die Versorgung zu wenig konzentriert und spezialisiert ist, es zu viele (zu) kleine und sowohl personell wie technisch schlecht ausgestattete Häuser gibt: Es geht um die Gleichzeitigkeit fehlender Investitionen und von Überkapazitäten bzw. Unterauslastung. Die Position des Amtes stützt damit die Gesundheitspolitiker, die Krankenhauspolitik als Kirchturmpolitik betreiben wollen. Insoweit fördert das Prüfverfahren gerade die von der Krankenhausszene so wortreich beklagte „kalte Strukturbereinigung“ durch Klinikpleiten bzw. Schließungen[5]. Es behindert Fusionen, die zu einer geordneten Kapazitätsanpassung führen würden[6]. Dabei ist Wettbewerb im Krankenhausbereich sicher sinnvoll, wenn die Leistungsangebote (für Patienten und Ärzte) transparent geordnet sind. Diese Bedingungen müssen aber erst einmal hergestellt werden.

Dafür reicht die im Rahmen der 10. GWB-Novelle neu eingeführte Ausnahmeregelung für Zusammenschlüsse im Krankenhausbereich nach § 186 Abs. 9 nicht aus (vgl. auch S. 254). Auch vermehrte Ministererlaubnisse (vgl. S.306) wären sicher nicht wünschenswert und bringen keine strukturelle Lösung. Andererseits sollte man den Krankenhausbereich auch nicht generell aus dem Kartellrecht herausnehmen. Ein Mittelweg könnten gesetzliche Erweiterungen für die räumliche Marktabgrenzung, die Anhebung der prüfungsrelevanten Umsatzschwellen und weitere Sonderregelungen für Krankenhaus-Unternehmen sein. Die Verhandler für das gesundheitspolitische Kapitel des Koalitionsvertrages sollten jedenfalls das Stichwort „Kartellrecht“ für die Formulierungen zur Krankenhausreform im Kopf behalten.

 

[1]  Bericht des Bundeskartellamtes „Sektoruntersuchung Krankenhäuser“

[2] Wie im Krankenhaus-Rating-Report seit vielen Jahren unverändert nachzulesen ist.

[3] Dazu nur das Zitat: „Ein Krankenhaus wurde bei der Auswertung nur dann als Ausweichoption berücksichtigt, wenn es die dem jeweiligen Patienten zugeordnete DRG im Jahr 2015 mindestens einmal abgerechnet hat.“ (S.231).

[4] Fragwürdig ist auch das Verfahren des Amtes, nur die Zusammenschlüsse bei privaten und freigemeinnützigen Trägern ins Auge zu fassen. Alle kommunalen Häuser haben im Grunde einen einheitlichen Träger, den Staat, mit potentiell sehr weitreichenden unternehmerischen Koordinationsmöglichkeiten. So gibt es z.B. in Hessen eine gemeinsame Strategie der kommunalen Häuser. Müsste das Amt hier nicht aktiv werden?

[5] Zuletzt zum Thema: Wulf-Dietrich Leber: „GKV-Reformkonzept – Wohltemperierte Strukturbereinigung“, in f&w 9/2021, Seite 789ff.

[6] Auf diesen strukturkonservierenden Effekt hat bereits Matthias Gruhl in seinem Kommentar vom 20.10.2021 „Die versteckten Hürden für Krankenhausstrukturreformen“ im Observer Gesundheit hingewiesen.


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