25.06.2024
Sommerfest des GKV-Spitzenverbandes: Schlagabtausch zwischen Doris Pfeiffer und Karl Lauterbach















Die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach: Nein, sie schenken sich bei ihren Reden beim GKV-Sommerfest wahrlich nichts. Scharf, kritisch und mit klaren Worten gibt Pfeiffer die derzeitige Situation der GKV wider. Lauterbach kontert und wirbt eindringlich für seine geplanten Gesetze. Doch er findet auch lobende Worte – für den scheidenden Vizevorstand des GKV-SV, Gernot Kiefer. Der ist übrigens beim Sommerfest nicht anwesend. Verabschiedung: nein danke – so lässt Kiefer Interessierte seit Wochen wissen.
Pfeiffer hat bei der Vorbereitung ihrer Rede die von 2023 rausgeholt, wie sie erzählt: „Nahezu alle politischen Themen, alle drängenden Probleme, die Kritikpunkte, die ich an dieser Stelle im vergangenen Jahr vorgebracht habe, gelten leider fast uneingeschränkt noch heute.“
Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung (SPV): Hier habe sich der Reformdruck nochmals deutlich erhöht. Würden keine gesetzlichen Maßnahmen mehr ergriffen, droht nach Aussage von Pfeiffer zum Jahreswechsel ein Beitragssprung um 0,5 bis 0,6 Prozentpunkte. Weder im Gesundheitsfonds noch bei den Kassen würden relevante Reserven zur Entlastung zur Verfügung stehen.
Die SPV sei derart auf Kante genäht, dass bereits im laufenden Jahr einschneidende zahlungstechnische Maßnahmen ergriffen worden seien, damit das Finanzierungssystem nicht crasht. Pfeiffer: „Inzwischen sind wir jedenfalls am absoluten Tiefpunkt der erforderlichen Liquidität angekommen.“ Für 2024 beziffert sie das Ganzjahresdefizit auf zirka 1,5 Milliarden Euro zu. Für 2025 würden rund 3,5 Milliarden Euro Miese drohen, wenn sich nichts ändere.
Die Worte an den Minister sind deutlich: „Wir hätten uns schon gewünscht, dass Sie nicht in erster Linie Verständnis für das Anliegen des Finanzministers, sondern mehr Engagement für die Interessen der Beitragszahlenden der GKV und SPV zeigen.“
Doris Pfeiffer: „Reformen gehen in die falsche Richtung“
Gebraucht würden dringend strukturellen Reformen, die ein effizienteres Versorgungsgeschehen ermöglichen. Leider gehe es in die falsche Richtung. „Es drohen Reformen, die die Knappheit der finanziellen und personellen Ressourcen negieren, die die Vergütungsniveaus weiter erhöhen und fragwürdige Mengenausweitungen provozieren, die vor echten Veränderungen und die sich von einer evidenzbasierten Medizin ab- und populären Heilsversprechen zuwenden“, kritisiert Pfeiffer.
Besonders ärgerlich sei, dass die Präventionsaktivitäten der Kassen im Entwurf „Gesundes-Herz-Gesetz“ verunglimpft würden. Und Pfeiffer wird deutlich: „Herr Minister, Sie wissen ganz genau, dass mehr als 40 Prozent der Präventionsausgaben auf die betriebliche Gesundheitsförderung, rund 30 Prävention auf die Prävention in Lebenswelten entfällt.“ Mit den verbleibenden 30 Prozent würden Kursangebote finanziert, die alle den Qualitätsanforderungen des Leitfadens Prävention entsprechen müssten. Pfeiffer: „Mit Verlaub: Das sind keine Marketing-Aktionen.“
Persönlich enttäuscht sei Pfeiffer, dass das BMG künftig per Verordnung Gesundheitsuntersuchungen einführen könne, bei denen weder die Wirtschaftlichkeit, noch die Wirksamkeit gegeben ist, vor allem aber die Evidenz noch nicht nachgewiesen sei. Bei den Vorgängern von Lauterbach hätte sie sich über eine solche Vorgehensweise nicht gewundert. Der SPD-Politiker, der sich jedoch immer auf seine wissenschaftliche Expertise berufe, beschädige „in eklatanter Weise“ die Grundsätze der evidenzbasierten Medizin.
Zum Schluss ihrer Rede bietet Pfeiffer dennoch oder gerade deshalb die Zusammenarbeit der Selbstverwaltung mit dem BMG an: „Wir wollen Sie überall dort unterstützen, wo es darum geht, die Versorgung der Menschen zu verbessern und bezahlbar zu halten. Das ist unsere Aufgabe.“
Karl Lauterbach: „Ich stehe ganz klar hinter der Selbstverwaltung“
Und der Bundesgesundheitsminister beginnt versöhnlich: „Ich finde es gut, wenn man sich offen und klar austauscht. Man darf nicht drum herumreden. Das ist auch ein Abend, wo man Anregungen bekommen soll nachzudenken. Man muss konstruktiv miteinander umgehen“, sagt er. Der ist wie Teflon, sagt ein Gast. Sämtliche Kritik prallt an ihm ab. Und Lauterbach macht weiter mit Lobeshymnen: „Ich stehe ganz klar hinter der Selbstverwaltung, und wenn es hier den einen oder anderen Punkt gibt, den wir anders machen, dann ist es trotzdem so: Das selbstverwaltete System ist das beste Gesundheitssystem in Europa. Dabei soll es auch bleiben, das fassen wir nicht an.“
Doch dann legt er los und zieht seine Kritikpunkte als Karten aus der Tasche – hübsch zurechtgelegt und gut geordnet, so wie man es kennt von seinen vielen Ansprachen. Das GKV-System kranke nicht an den Einnahmen, vielmehr gebe es „erhebliche Qualitätsprobleme und Effizienzprobleme.“ Lösbar seien sie, wenn sich stärker auf die Medizin konzentriert werde.
Zum Thema Prävention kontert er, dass es „natürlich simpel und plausibel“ sei zu sagen: Sollten die jungen Leute doch mehr Sport machen, dann müssten nicht Kinder schon Statine zu nehmen. Aber die Kinder, die eine angeborene Fettstoffwechselstörung hätten, könnten so viel Sport machen, wie sie wollten. Mit 25 seien sind ihre Gefäße genauso wie bei 80-Jährigen. Zwei Möglichkeiten habe er, der Bundesgesundheitsminister: „Ich ignoriere das Problem und sage: ,Macht Sport und ernährt euch gesund‘, oder ich gehe an das Problem heran wie die skandinavischen Länder.“ So helfe er, bei diesen Kindern Schlaganfälle oder Herzinfarkte zu vermeiden. Viel Kopfschütteln im Saal.
Für das Medizinforschungsgesetz (MFG) kündigt er gleich mal eine Neuerung an. Unternehmen, die in Deutschland forschen, würden bei der „AMNOG-Bepreisung dafür einen Vorteil haben“. Lauterbach höre schon den Aufschrei seitens der GKV, wie er sagt, und meint: „Das ist aus meiner Sicht eine Win-win-Situation. Wir setzen damit Anreize, dass sie endlich wieder stattfindet: nennenswerte klinische Forschung.“ Es sei ein Trauerspiel, dass in internationalen Journalen der Anteil deutscher klinischen Studien immer weiter zurückgehe. Lauterbach erklärt dann seine Arbeitsweise: „Reformen, die wir machen, sind sehr grundsätzliche Reformen, sie gehen weg von der deutschen Lösung – mehr Geld ins System, bevorzugt Steuermittel.“
Der Minister verliert auch wohlwollende Worte für Gernot Kiefer, der Ende Juli den GKV-SV als Vizevorstand verlässt. Lauterbach nennt ihn „einen Pionier und gleichzeitig einen Veteranen der Selbstverwaltung.“ Großartiges habe er geleistet – und dafür bedankt sich der SPD-Politiker „ausdrücklich“ auch im Namen Bundesregierung. Und der Minister gibt fast alles rhetorisch: „Gernot Kiefer, wir werden ihn in der Funktion vermissen, und er ist wirklich, wenn man so will, Selbstverwaltung at its best.“ Kiefer ist an diesem Abend nicht da. Vielleicht hat er geahnt, dass ihm viele Akteure aus Politik und Gesundheitswesen noch einmal gratulieren wollen für seine Arbeit, ihm einen schönen Ruhestand wünschen. Seit Wochen teilt er mit, dass er keine Abschiedsrede wolle geschweige denn eine Verabschiedung.
Der SPD-Politiker schwenkt in seiner Rede nochmal um, gibt einen Abriss einer bevorstehenden Gesetze und wünscht sich gute Zusammenarbeit. Vorher sagt er noch. „Sie werden mit diesem Ministerium leben und arbeiten müssen.“ Wie wahr.
Die Gäste nehmen zumindest an diesem Abend die Ankündigung gelassen – plaudern und lachen im Garten bei sommerlichen Temperaturen. Und lassen es sich bei sommerlichen Temperaturen gut gehen.
Prof. Dr. Andreas Lehr
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