So vieles ist liegengeblieben

Bilanz der Gesetzgebung für Gesundheitsberufe in der 20. Legislaturperiode

Sabine Rieser, freie Journalistin, Autorin für Observer Gesundheit

Welche Koalition auch immer in der 21. Legislaturperiode politische Verantwortung übernimmt – die Modernisierung und Weiterentwicklung der Gesundheitsberufe ist keine Aufgabe, die sie beiseite schieben sollte. Demografischer Wandel, Fachkräftemangel, Versorgungsnotwendigkeiten und zunehmende Finanzprobleme in Kranken- und Pflegeversicherung erfordern Veränderungen, erschweren sie zugleich aber.

Die Ampel-Koalition hatte sich zwar einiges vorgenommen, aber so vieles ist liegen geblieben. Für den Neustart ist eine kritische, systematische Bilanz nötig. Am besten schon mit Überlegungen zur Anpassung von Versorgungsstrukturen und Leistungsrecht.

Manchmal gilt tatsächlich: Nomen est omen. Im Koalitionsvertrag für die Jahre 2017 bis 2021 widmeten Union und SPD der Weiterentwicklung der Gesundheitsberufe einen eigenen Unterpunkt. Sie wollten deren Aufgaben neu justieren, den Gesundheitsfachberufen mehr Verantwortung übertragen, ihre Ausbildung per Gesamtkonzept neu ordnen. Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ging diese Aufgabe dynamisch und zügig an (siehe „Gesundheitsberufe in der 19. Legislaturperiode“, Observer Gesundheit, 11. März 2024).

Trotz Corona-Pandemie wurde vieles abgearbeitet oder auf den Weg gebracht. Ganz anders fällt im Vergleich dazu die Bilanz der 20. Legislaturperiode aus, in der nur wenig verändert wurde. Diese Analyse vergleicht den Output in beiden Legislaturperioden für die Gesundheitsberufe, geht den Ursachen für die negative Bilanz Karl Lauterbachs nach und erläutert, was in Jahr drei der Ampelkoalition überhaupt noch angepackt wurde – und nicht mehr fertig. Und sie benennt am Ende Ausgaben und Herausforderungen für die nächsten Regierungsjahre vor dem Hintergrund der Wahlprogramme.

 

Negative Bilanz für Amtszeit Karl Lauterbachs

Modernisierung und Weiterentwicklung der Gesundheitsberufe standen im Koalitionsvertrag der Ampel nicht im Vordergrund. Gleichwohl wurden viele kleinteilige Vorhaben aufgelistet. Aber es wurde fast nichts umgesetzt. „Noch ist wenig passiert“ – so lautete der Befund nach dem ersten und genauso nach dem zweiten Jahr der Ampelkoalition. Und nach dem dritten Jahr ebenso, ist nun zu ergänzen. Dass am Ende so wenig Gesetzesvorhaben in diesem Themenkreis der Diskontinuität unterfallen werden, liegt einfach daran, dass nicht mehr vorlag. Vieles, was sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vorgenommen hatten, war offenbar längst aufgegeben worden. Zum Beispiel die Novellierung der Ärztlichen Approbationsordnung (ÄApprO).

Oder das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte es offiziell erst gar nicht angepackt. Wie zum Beispiel eine gesetzliche Grundlage für Modellvorhaben zum Direktzugang für Patienten zu therapeutischen Berufen wie den Physiotherapeuten. Für das Einzige, was Karl Lauterbach in Jahr drei wahrnehmbar forciert hatte, nämlich weitere Reformen für die Pflegeberufe, war es am Ende tatsächlich zu spät: für das Pflegefachassistenzeinführungsgesetz und das Pflegekompetenzgesetz. Unter dem Strich fällt die Bilanz für seine Amtszeit im Vergleich zu der von Jens Spahn damit negativ aus.

 

Angepackte Reformen

Für Jahr eins und zwei gilt: Umgesetzt wurden der Corona-Bonus für Pflegekräfte und das Pflegestudiumstärkungsgesetz, um Pflegefachkräften in Ausbildung oder Studium, die bisher keine Ausbildungsvergütung erhielten, eine solche zu sichern. Damit sowie dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz wurden zudem Maßnahmen ergriffen, um ausländische Fachkräfte leichter und schneller gewinnen zu können und die Anerkennung von im Ausland erworbenen Pflegeberufsabschlüssen zu verbessern.

Teilweise umgesetzt wurde der Ausbau von Personalbemessungsverfahren in der stationären Langzeitpflege, mit dem Pflegestudiumstärkungsgesetz zudem die Stärkung der akademischen Pflegeausbildung gemeinsam mit den Ländern. Zugleich wurde mit der versprochenen Ergänzung der professionellen Pflege durch heilkundliche Tätigkeiten zumindest in einem ersten kleinen Schritt begonnen: durch Vorgaben für entsprechende Studieninhalte. Auch an Rahmenverbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Pflege arbeitete die Koalition (Verlängerung eines Förderprogramms hierzu, Regelungen zu Springerpools, im Krankenhaus Einführung der Pflegepersonalregelung 2.0, Implementierung der Vermittlung digitaler Kompetenzen in Aus-, Weiter- und Fortbildung).

 

Ursachen der negativen Reformbilanz

Dass nichts Größeres an Modernisierung und Weiterentwicklung der Gesundheitsberufe in die Gänge kam, hat mehrere Ursachen. Eine entscheidende war, dass solche Reformen Geld kosten. Verbindliche Ausbildungsvergütungen für alle oder Teilakademisierungen gibt es nicht zum Nulltarif. Spahn konnte anfangs noch auf einen gut gefüllten Gesundheitsfonds zurückgreifen und den Kranken- und Pflegekassen Teile der Kosten aufbürden. Für Lauterbach wurde das immer schwieriger. Denn die Finanzlage verschlechterte sich.

Auseinandersetzungen mit den Bundesländern um ihre Finanzierungsanteile an Reformen gab es aber bereits in der 19. Legislaturperiode. So gaben mehrere Bundesländer fürs Eckpunktepapier der Bund-Länder-AG zum „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“ vom März 2020 zu Protokoll, dass „die mit dem Konzept verbundenen hohen Kosten ein Finanzierungskonzept unter finanzieller Beteiligung des Bundes und der Sozialversicherungsträger erfordern“.

Und man erinnere sich: Bei der Debatte über die neue Approbationsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten verlangte der Bundesrat: „Die Länder erheben Anspruch auf einen aufgabengerechten Anteil am Steueraufkommen als eigene Finanzmittel, um die bereits beschlossenen und noch anstehenden Reformmaßnahmen im Bereich der Gesundheitsberufe umzusetzen.“ Von Jahr zu Jahr schienen die Länder mögliche Kostenbelastungen kritischer zu prüfen. Denn „Reform + mehr Geld = Fachkräftesicherung“ – so einfach ist es nicht in Zeiten einer abnehmenden Erwerbsbevölkerung.

Auch das Bundesfinanzministerium trat auf die Bremse, wie immer wieder eingeräumt wurde. Im Oktober 2024 machte Finanzminister Christian Lindner mit dem Konzeptpapier „Wirtschaftswende Deutschland“ final klar, dass die Sozialversicherungsbeiträge eingedämmt gehören. Es bedürfe „weitreichender Reformen zur Hebung von Effizienzreserven“, auch, weil sich Kosten ungünstig entwickelten im Gesundheitswesen, u.a. durch „steigende Personalkosten, vor allem infolge zunehmender Engpässe auf dem Arbeitsmarkt bei vergleichsweise geringem Automatisierungspotenzial“. Auch inhaltlich blockierte die FDP stellenweise, sehr offen bei der geplanten Apothekenreform. Aus finanziellen Gründen kamen also die wenigen Reformvorhaben, die angepackt wurden, schwer voran.

 

Keine Priorität für Reformen der Gesundheitsberufe

Weiteres wirkte sich erschwerend aus. Lauterbach machte nie wirklich den Eindruck, als ob er sich für die spezifischen Belange vieler Gesundheitsberufe erwärmen würde. Er blieb noch eine ganze Weile vor allem Pandemieminister und löste sich offensichtlich ungern von den damit verbundenen Themen. Beim Deutschen Ärztetag im Mai 2022 sagte er nichts zum befürchteten Milliardendefizit der GKV, aber sehr gern in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz etwas zu Affenpocken. Zudem wurde damals, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, eine Expertenkommission eingerichtet, um Reformen im Krankenhausbereich vorzubereiten. Das folgende Gesetzesvorhaben gestaltete sich aufwendig und mühsam. Damit brachte der Minister zudem die Länder gegen sich auf. Wenig verwunderlich, dass sie an anderer Stelle, bei Reformen für die Gesundheitsberufe, nicht sonderlich kompromissbereit wirkten und vor allem zusahen, dass damit verbundene Ausgaben von anderen beglichen würden.

Mit der Krankenhausreform rückten zudem automatisch die Berufsgruppen Ärzte und Pflege in den Vordergrund. Die ambulante Versorgung fand in erster Linie Beachtung, wenn es um Fragen der Notfallversorgung ging. Andere Gesundheitsberufe, ohne die vor allem in diesem Bereich nichts liefe, mussten sich mehr um Aufmerksamkeit kümmern, beispielsweise die Medizinischen Fachangestellten (MFA). Dabei waren sie neben Ärzten und Pflegefachpersonen die dritte Berufsgruppe, der sich der Sachverständigenrat ausführlich widmete. 2022 waren schließlich knapp 680.000 Arzt- und Praxishilfen in Deutschland tätig, davon 477.000 als MFA. Noch immer ist es einer der am häufigsten gewählten Ausbildungsberufe von Frauen. Der Rat konstatierte einen hohen Bedarf an inhaltlicher Überarbeitung ihrer Ausbildungsordnung. Vorarbeiten wurden zwischenzeitlich in Angriff genommen.

 

Viel Ankündigung, wenig Aktion

Zudem war auch im Themenfeld Gesundheitsberufe eine verbreitete Lauterbach-Angewohnheit festzustellen: viel Ankündigung, wenig Aktion. Das betraf nicht nur die Reformen für Pflegeberufe. Beim Therapiegipfel des Spitzenverbands der Heilmittelverbände im November 2022 erklärte er: „Wir wollen den Direktzugang ermöglichen. Und wir wollen die Teilakademisierung einführen, um eine eigene Evidenz zu ermöglichen.“ Es werde „an allen Ecken und Enden gleichzeitig gearbeitet“. In Sachen Modellprojekte für den Direktzugang spreche man über eine gesetzliche Verankerung innerhalb von „Wochen und nicht über Monate“. Fakt ist: Weder beim Direktzugang noch bei der Berufsgesetzreform inklusive Teilakademisierung war im November 2024 etwas gesetzlich verankert. 

Fairerweise ist aber festzuhalten: Auch zu Spahns Zeiten blieb einiges liegen, u.a. die Novellierung der Ärztlichen Approbationsordnung (ÄApprO) – woran die Länder einen entscheidenden Anteil hatten. Lauterbach kam ebenfalls damit nicht weiter. Unbearbeitet blieb von Spahn wie von Lauterbach auch die Modernisierung der Approbationsordnung der Apotheker. Inzwischen wird es langsam knapp. Denn bis März 2026 muss sie wegen Konformität mit europäischem Recht überarbeitet sein. Die „Pharmazeutische Zeitung“ verwies am 14.8.2024 auf eine Warnung der Hochschullehrenden in diesem Bereich: Eine neue Richtlinie der Europäischen Union (EU) definiere Mindestanforderungen für die Apothekerausbildung. Ohne deren Novellierung in Deutschland „würde der deutsche Abschluss nicht mehr automatisch in den EU-Mitgliedstaaten anerkannt werden“.

Lauterbach schob indes ein „Gesetz für eine Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform“ an, das die Zunft schwer gegen ihn aufbrachte, vor allem wegen der sogenannten Apotheken light. In diesen sollten erfahrene Pharmazeutisch-Technische Assistentinnen (PTA) mehr oder weniger ohne Apotheker oder Apothekerin vor Ort versorgen. Dagegen protestierten selbst Vertreterinnen dieses Gesundheitsberufs – eine interessante Besonderheit. Denn normalerweise fordern die Gesundheitsberufe mehr Autonomie und weisen sie nicht zurück.

 

Bund-Länder-Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe nicht abgearbeitet

Was ebenfalls weder Spahn noch Lauterbach gelang: Die Inhalte des Bund-Länder-Gesamtkonzepts Gesundheitsfachberufe vom März 2020 abzuarbeiten. Sie beziehen sich auf die Ausbildungen für Diätassistenten, Ergotherapeuten, Logopäden, Masseure und medizinische Bademeister, Medizinisch-technische Assistenten/ Laboratoriumsassistenten/ Radiologieassistenten (MTA u.a.), Orthoptisten, Physiotherapeuten, Podologen. Nur für die Assistenzberufe (MTA u.a.) wurde die berufsgesetzliche Basis noch zu Zeiten Spahns reformiert. Die anderen Berufsgruppen arbeiten weiter auf Basis jahrzehntealter Berufsgesetze bzw. Ausbildungs- und Prüfungsordnungen. Lauterbachs BMG hatte allerdings fast drei Jahre Zeit für diesen Themenbereich, Spahn nur ein gutes Jahr lang. Vor allem aber: Nicht mehr einbezogen in die Eckpunkte wurden seinerzeit die Ausbildungen für PTA, Anästhesietechnische und Operationstechnische Assistenz (ATA/OTA), Pflegefachkräfte, Notfallsanitäter und Hebammen. Denn deren Novellierungen hatte Spahn in der 19. Legislaturperiode abarbeiten lassen.

 

Eckpunkte der Bund-Länder-AG „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“

Die Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen neu zu ordnen und zu stärken für künftige Herausforderungen – darum ging es bei dem Konzept, auf das sich Jens Spahn und seine Länderkolleginnen und -kollegen am 4. März 2020 verständigt hatten. Es sei gemeinsam in einem intensiven Diskussionsprozess entwickelt worden, teilte das BMG seinerzeit mit. Das Konzept wurde seit Herbst 2019 erwartet. Die Gesundheitsministerkonferenz hatte bereits im Juni 2017 darauf gedrängt, das Thema zu bearbeiten. Die Eckpunkte sollten die Basis für „notwendige gesetzliche Änderungen“ darstellen. Im Einzelnen ging es um folgende Themenschwerpunkte:

  • Schulgeld und vergleichbare Geldzahlungen sollen für die Ausbildung in den Gesundheitsberufen abgeschafft werden.
  • Es sollen angemessene Ausbildungsvergütungen gezahlt werden.
  • Revision der Berufsgesetze: Die modernisierten Ausbildungen sollen „insbesondere zur evidenzbasierten Entscheidungsfindung und zu evidenzbasiertem Handeln in der individuellen Patientenversorgung befähigen“. Alle Berufsgesetze sollen zukünftig kompetenzorientierte Ausbildungsziele.
  • Durchlässigkeit: Ausbildungen in einem Gesundheitsfachberuf sollen leichter in einem anderen angerechnet werden können.
  • Akademisierung und Direktzugang: Teilakademisierung, Vollakademisierung und Direktzugang werden geprüft – für jeden Beruf gesondert.
  • Neu zu regelnde Berufe
  • Finanzierungsfragen: Keine Einigung. U.a. Weiterberatung, auch mit der Staatssekretärs-Arbeitsgruppe „Wissenschaft und Gesundheit“, die von Gesundheitsminister- und Kultusministerkonferenz der Länder mandatiert wurde.

 

Am Ende der 20. Legislaturperiode ist festzuhalten: Die Modernisierung zahlreicher veralteter Berufsgesetze stockt. Aus Modellprojekten zum Direktzugang wurde wieder nichts. Und die Akademisierungsquote ist weiter minimal. Bei der Vorstellung des SVR-Gutachtens am 25. April 2024 zu „Fachkräfte im Gesundheitswesen. Nachhaltiger Einsatz einer knappen Ressource“ berichtete Ratsmitglied Prof. Melanie Messer: Erst ein Prozent der Pflegefachpersonen habe eine akademische Qualifikation. Schon vor mehr als zehn Jahren, 2012, hatte der Wissenschaftsrat eine Quote von zehn bis zwanzig Prozent empfohlen. Dass alles schier ewig dauert, dafür ist auch die Blankoverordnung ein Beispiel. Sie wurde bereits 2016 angestoßen. Doch erst 2024, am Ende der 20. Legislaturperiode, ist sie dabei, in der Regelversorgung anzukommen.

Auch neue Berufe wurden nicht geschaffen, obwohl so viel von Community Health Nurses und Advanced Practise Nurses die Rede ist. Und von einer geregelten Substitution ärztlicher Aufgaben und damit der Heilkundeübertragung auf andere Berufsgruppen sowie substanziellen Kompetenzerweiterungen für diese ist das bundesdeutsche Gesundheitswesen immer noch weit entfernt. Es fehlen nicht unbedingt „die Ideen, wie man die Menschen zusammenbindet, wie man aus dem Neben- und Untereinander von Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden und anderen Berufsgruppen ein Miteinander macht“. Das hatte der Bundestagsabgeordnete Ates Gürpinar (Die Linke) im Oktober 2023 bei der Verabschiedung des Pflegestudiumstärkungsgesetzes den Gesundheitspolitikern der Koalition vorgeworfen. Aber es fehlt auf jeden Fall immer noch die gesetzliche Basis für versorgungsorientierte, klug ineinandergreifende, ressourcenschonende interprofessionelle Zusammenarbeit.

 

Entwürfe für zwei neue Pflegegesetze

In Jahr drei wurde als Erstes das Pflegefachassistenzeinführungsgesetz bis zur Kabinettsreife gebracht (4.9.2024), für das formal das Bundesfamilienministerium zuständig ist. Es sollte dazu dienen, 27 unterschiedliche Landesregelungen für Pflegeassistenten und -helfer durch eine einheitliche, bundesweit geregelte Ausbildung in 18 Monaten zu ersetzen. Das zweite Vorhaben war das Pflegekompetenzgesetz. Im Laufe der Monate ging es dabei allerdings nicht mehr allein um neue Befugnisse und Kompetenzen für Pflegefachpersonen. Es kamen weitere Regelungsfelder hinzu. Bis zum Kabinettsentwurf zog es sich. Er lag erst weit nach dem Koalitionscrash vor, am 16.12.2024.

Beide Vorhaben muss man erst einmal abschreiben. Wie man deshalb zu einer Einschätzung kommen kann, wie die Bevollmächtigte der Bundesregierung für Pflege, bleibt ein Rätsel. Claudia Moll lobte am 20. November: „Die Bundesregierung hat sich für die Pflegenden ins Zeug gelegt wie für kaum eine andere Berufsgruppe – und dabei viel erreicht.“ Der Minister war etwas zurückhaltender, als er den Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag zum Jahresende „Betreff: Bilanz der 20. Legislaturperiode“ schrieb: „Gerade auch im Bereich Pflege und Gesundheit wurden zahlreiche Maßnahmen darüber verabredet, was in unserem Gesundheitswesen verändert, erneuert und verbessert werden muss.“

Dass man gemeinsam mit der Opposition hier noch etwas voranbringen könnte, war illusorisch. Zwar hatte Karl Lauterbach beim Deutschen Pflegetag (DPT) am 7. November, gerade mal einen Tag nach dem Koalitions-Aus, noch suggeriert, die Arbeit könne weitergehen: „Wir haben noch wichtige Gesetze vor uns in der Pflege.“ Da beide Vorhaben von allen demokratischen Parteien im Bundestag begrüßt würden, könne man noch daran weiterarbeiten. DPT-Präsidentin Christine Vogler beruhigte das nicht. Bundeskanzler Olaf Scholz habe am Vortag erläutert, welche wichtigen Gesetze noch zu verabschieden seien. Kein Pflegeberufegesetz sei darunter gewesen. Das Scheitern der Ampel sei „eine Katastrophe für die Pflege“.

Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann bestätigte beim DPT in einer Diskussionsrunde zum Pflegekompetenzgesetz zwar dessen Wichtigkeit: „Grundsätzlich ist es so, dass alle für dieses Gesetz sind.“ Aber er machte ebenso klar, dass man vonseiten der Union über den Entwurf, „eine sehr gute Grundlage“, erst wieder in der nächsten Legislaturperiode reden werde. Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, bestätigte diesen Kurs: „Die Ampel ist Geschichte. Aus meiner Sicht ist die Legislatur im Gesundheitswesen beendet.“

 

Gegenfinanzierung ausschlaggebend

Man kann das pflege- und versorgungspolitisch für falsch halten. Doch dass es Pflegeassistenz- und Pflegekompetenzgesetz über alle parlamentarischen Hürden schaffen würden, war nie sicher. Michael Weller, Leiter der Abteilung Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung im BMG, hatte im März 2024 bei einer Pressekonferenz geklagt: Mittlerweile müsse er für jedes Gesetz und jede Maßnahme eine Gegenfinanzierung präsentieren. Immer deutlicher wurde: Selbst Vorhaben, die anscheinend inhaltlich sowohl die Koalition wie Bund und Ländern lange und intensiv abgestimmt hatten, waren ohne mehrheitsfähige Gegenfinanzierung vom Scheitern bedroht.

„Ich glaube, dass wir gut durch den Bundesrat kommen“, erklärte die grüne Bundesfamilienministerin Lisa Paus bei Vorlage des Kabinettsentwurfs zum Pflegefachassistenzeinführungsgesetz zwar noch. Schließlich sollten die Bundesländer bei den Kosten entlastet und die neue einheitliche Ausbildung über den Ausbildungsfonds für Pflegeberufe finanziert werden. Allerdings zum Preis von Mehrkosten bei gesetzlicher und privater Kranken- wie Pflegeversicherung und von steigenden Eigenanteilen bei den Pflegebedürftigen. Einen Monat später verlangte der Bundesrat eine grundsätzliche Änderung der vorgesehenen Finanzierung. Der Bund müsse Pflegeeinrichtungen die Ausbildungskosten aus Steuermitteln bezahlen. Nur so würden auch Pflegebedürftige bei den Eigenanteilen entlastet wie im Koalitionsvertrag versprochen.

Auch das Pflegekompetenzgesetz war kein Selbstläufer, schon gar nicht wegen der Ausführungen zur Gegenfinanzierung. Erst einmal brauchte das BMG lange, bis es überhaupt mit seinen Vorstellungen hierzu herausrückte. Vorläufige Eckpunkte legte der Bundesgesundheitsminister erst am 19. Dezember 2023 vor. Danach sollten auch neue Berufsbilder mit Möglichkeiten zur eigenständigen Ausübung von Heilkunde konkretisiert werden, so die Advanced Practise Nurse (APN) unter Einbezug des Berufsbilds Community Health Nurse (CHN). Dann kündigte Karl Lauterbach am 20. März 2024 an, dass es nicht bei der Weiterentwicklung von Kompetenzen für die Pflege bleiben werde. Das Gesetzesvorhaben werde noch um einen zweiten Teil ergänzt, bei dem es um neue Versorgungslösungen für Pflegebedürftige gehen solle (Stichwort: stationär-ambulante, kurz stambulante Versorgung). Am 6. September lag der Referentenentwurf vor. Damit verbunden war wieder eine Änderung von Inhalt und Strategie. Das Kompetenzgesetz solle nur das erste von drei Vorhaben sein, hieß es nun. Das zweite, ein Advanced-Practise-Nurse-Gesetz, sei schon „in der Endstrecke“. Man wolle das Kompetenzgesetz damit nicht überfrachten und zu viele Kompromisse eingehen müssen, erläuterte damals der Minister. Als drittes Vorhaben solle noch eine große Pflegeversicherungsstrukturreform kommen, im Herbst.

Am Ende blieb es bei Teil 1, dem Pflegekompetenzgesetz. Die Kabinettsfassung sah vor, gesetzlich mehr Kompetenzen für die professionelle Pflege zu verankern, auch im Leistungsrecht. Die Kernidee lautete: „Pflegefachpersonen sollen künftig neben Ärztinnen und Ärzten auch selbständig weitergehende Leistungen als bisher und insbesondere – abgestuft nach der jeweils vorhandenen Qualifikation – selbständig erweiterte heilkundliche Leistungen in der Versorgung erbringen können.“ Weiter sah der Entwurf noch Reformen zur Sicherstellung der Pflege- und Unterstützungsstrukturen vor, inklusive der neuen „stambulanten“ Versorgungsform, mehr Möglichkeiten für den Einsatz von Einzelfallhelfenden und neue Regelungen für die Kommunen, besonders in der Pflegeplanung. Dieser Umfang hätte es ebenfalls erschwert, sich noch rasch mit der Opposition zu einigen.

Bei diesem Gesetzesvorhaben stellte das BMG sogar Ausgabeneinsparungen in Aussicht. Für die soziale Pflegeversicherung sollten es schon nach dem Referententwurf mehr als 150 Mio. Euro pro Jahr sein. Und zwar hauptsächlich wegen der angenommenen Nutzung von „stambulanter Versorgung“ statt bisheriger betreuter ambulanter Wohnformen. Der BKK Dachverband monierte die Kostenabschätzungen. Denn, wenn man Pflegefachpersonen mit mehr Kompetenzen ausstatte, habe das schließlich seinen Preis. Der Verband der Privaten Krankenversicherung fand die Einsparprognosen ebenfalls „gewagt“. Denn führe man neue Leistungen ein, könne man nur schwer einschätzen, wie sie in Anspruch genommen würden. Doch für den Kabinettsentwurf kam es sogar noch besser: Da schlug das BMG Neuregelungen bei den Begutachtungspflichten und -rechten von Pflegebedürftigen Grad 4 und 5 vor und errechnete weitere Kosteneinsparungen.

 

Kein substanzieller Fortschritt für die Pflege

An Modernisierung und Weiterentwicklung der Berufsgruppe hat diese Legislaturperiode der Pflege am Ende kaum etwas gebracht. „Wenn wir die vorhandenen Kompetenzen der Profession Pflege nicht endlich nutzen, wird die pflegerische Versorgung in diesem Land zusammenbrechen“, warnte Christine Vogler, die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, im Dezember. Das mag man für übertrieben halten. Doch der Sachverständigenrat Gesundheit & Pflege stellte in seinem Gutachten zur Situation der Fachkräfte im Gesundheitswesen in Bezug auf die Pflege fest, dass große Reformschritte nötig seien. Zentral seien auf jeden Fall eine Modernisierung des Berufs durch entsprechende Anforderungsprofile und bundesweit durchlässige Qualifiktionsstufenmodelle von der Ausbildung übers Studium bis zur Promotion, so Messer. Dazu hätte das Pflegeassistenzgesetz beigetragen. Sinnvoll aufeinander aufbauende Qualifikationsmöglichkeiten könnten vermutlich auch die schier endlose Debatte darüber abschwächen, ob man nun eher etwas für Assistenzkräfte oder für Akademiker in der Pflege tun müsse.

 

Apotheken-Reformgesetz – steckengeblieben als Referentenentwurf

Ein Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz II wurde nicht geschrieben, sondern stattdessen ein „Gesetz für eine Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform“. Den Referentenentwurf legte das BMG am 19. Juni 2024 vor. Aufgrund massiver Proteste der Apothekerschaft, Vorbehalten bei Gesundheitspolitikern der Koalition und einem Leitungsvorbehalt der damaligen liberalen Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger kam es nie zu einem Kabinettsentwurf, auch wenn Lauterbach ihn mehrfach ankündigte. Stark-Watziger wollte einen Apothekenbetrieb ohne Approbierte nicht zulassen. Diese Idee, Apotheken light zu erlauben, macht das Vorhaben auch unter dem Blickwinkel von Reformen in den Gesundheitsberufen interessant. Dem Bundesgesundheitsminister schwebte damit vor, dass auch ein Apothekenbetrieb allein mit erfahrenen Pharmazeutisch-Technischen Assistentinnen möglich sein sollte. Zumindest, wenn ein Apotheker oder eine Apothekerin einige Stunden pro Woche vor Ort wäre und den Rest der Zeit telepharmazeutisch angebunden. Vorgerechnet wurde im Entwurf auch, was sich sparen ließe durch einen solchen Personalswitch: Gehalt in Höhe von etwa 1.300 Euro monatlich. Würde etwa die Hälfte der Apotheken entsprechende Personalumstrukturierungen vornehmen, kämen elf Mio. Euro pro Jahr an Einsparmöglichkeiten zusammen.

 

ABDA, Adexa und BVpta vereint im Protest

Der Widerstand gegen diese Pläne war massiv. Gabriele Regina Owerwiening, die damalige Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), stellte klar: Einrichtungen ohne Apothekerinnen und Apotheker „sind keine Apotheken. Da hilft es auch nicht, wenn ein Apotheker oder eine Apothekerin für ein paar Stunden pro Woche vorbeischaut“. Andreas May, Bundesvorstand der Apothekengewerkschaft Adexa, kritisierte: „Was sich Honorar- und Strukturreform nennt, ist bestenfalls ein Verschiebebahnhof. Im schlimmsten Fall ist es ein Einstieg in die Apothekenketten: mit ausgedünntem Personal, noch weniger Aufstiegschancen für Apotheker:innen und mit einem vergifteten Angebot für die PTA, viel Verantwortung für wenig Geld in den Zweigapotheken zu übernehmen.“ Weiter hieß es bei der Adexa zum Entwurf: „Sollten PTA eine Leitungsbefugnis erhalten, wäre ein Aufbaustudium zwingend erforderlich, ähnlich wie beim Berufsbild der Physician Assistants (PA).“ Auch Anja Zierath, Bundesvorsitzende des Bundesverbands PTA (BVpta), lehnte den Vorstoß ab: „Ja, wir wollen und können auch mehr Verantwortung übernehmen und auch vertreten. Stundenweise. Aber eine Apotheke leiten, mit Ausnahme einer wöchentlichen achtstündigen Anwesenheit eines Apothekers, einer Apothekerin, steht für uns nicht zur Diskussion.“

An solchen Statements sieht man, dass man die Gesundheitsberufe nicht über einen Kamm scheren kann. Auch wenn Themen wie Fachkräfteengpässe, Weiterqualifzierung, bessere Bezahlung für alle relevant sind, so gibt es im beruflichen Selbstverständnis doch gewachsene Unterschiede. Bei den Organisationen, die die Pflege vertreten, spielt die Eigenständigkeit des Berufs eine große Rolle. Dazu passt, das Pflegefachpersonen mit dem Pflegeberufegesetz in der 19. Legislaturperiode eigene Vorbehaltsaufgaben zugeordnet wurden. PTA verstehen sich nach Darstellung ihrer Organisationen hingegen als Angehörige eines Assistenzberufs und Teil eines hierarchischen Teams. Berufspolitisch spielt bei ihnen seit Jahren der Wunsch nach qualifizierten Weiterbildungen eine Rolle, die Karriereschritte und bessere Verdienstmöglichkeiten eröffnen und nicht nur Wissenszuwachs, der im Zweifel selbst bezahlt werden muss. Doch die Apothekerschaft fürchtet ihre Ersetzbarkeit. Sie sorgte mit dafür, dass die Berufsgesetzreform den PTA vor einigen Jahren keine interessanten Perspektiven eröffnete. Angesichts der Apotheken-light-Diskussion heute nachvollziehbar. Doch ohne Entwicklungsperspektiven bleibt der PTA-Nachwuchs aus oder geht irgendwann. Dann nutzt auch eine lässige Nachwuchskampagne wie die der ABDA unter der Überschrift „How to sell drugs offline (fast)“ in Anspielung auf eine beliebte Netflixserie, Anfang 2024 für drei Jahre begonnen, nichts.

 

Angebote an der Schnittstelle zu ärztlichen Aufgaben

Mit dem Apotheken-Reformgesetz sollten aber nicht nur Apotheken light etabliert werden. Es sah auch vor, die Möglichkeit zu Impfungen in Apotheken auszuweiten. Als sich abzeichnete, dass das Reformvorhaben insgesamt scheitern würde, wurde das Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit genutzt, um mehr Impfungen in Apotheken zu ermöglichen. Doch da dieser Kabinettsentwurf der Diskontinuität unterfällt, wird es damit erst einmal nichts.

Derzeit sind in Apotheken Impfungen gegen Corona und zum Grippeschutz erlaubt. Vorgesehen war vor allem die Ausweitung von Impfungen nach ärztlicher Schulung mit Totimpfstoffen. Das Impfen in Apotheken ist in der Berufsgruppe selbst nicht unumstritten und bei der Ärzteschaft schon gar nicht, die das häufig noch für ihre originäre Aufgabe hält. Die Impferfolge der Praxen sind allerdings überschaubar, und das Angebot ist nicht so niedrigschwellig wie gern behauptet. In den jüngsten verfügbaren Auswertungen des Robert Koch-Instituts von Ende 2022 heißt es, dass die Quoten bei den meisten Impfungen, die die Ständige Impfkommission empfiehlt, unter 50 Prozent liegen. Europäische Kommission und Weltgesundheitsorganisation empfehlen einheitlich, bei Seniorinnen und Senioren eine Grippeimpfquote von mindestens 75 Prozent zu erreichen. In Deutschland wurde dieses Ziel zuletzt mit 43 Prozent deutlich verfehlt. Und auch von den 18- bis 49-jährigen Risikopatienten sind weniger als 20 Prozent gegen Influenza geimpft.

Könnten Impfungen in Apotheken eine Trendumkehr bewirken? Derzeit nicht, legt die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag vom 22.8.2024 zu „Aktuelle Impfquoten und Impfdaten sowie Erfahrungen zu Impfungen in Apotheken“ nahe. Was die bisherigen Möglichkeiten gebracht haben, weiß die Bundesregierung nur zum Teil. Zu Grippeschutzimpfungen durch Apotheker lägen ihr bislang keine Daten vor. Zu Corona-Impfungen schreibt sie, von 2021 bis März 2024 seien rund 450.000 Impfungen aus Apotheken gemeldet worden. Das seien 1,6 Prozent aller solcher Impfungen in diesem Zeitraum. Dennoch: „Aus Sicht der Bundesregierung hat sich das ergänzende Impfangebot in Deutschland bewährt.“

 

Pharmazeutische Dienstleistungen – aus Sicht von Lauterbach ausbaubar

Neben Impfungen in Apotheken sind auch die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) dort nicht unumstritten. Am 21. Februar 2024 präsentierte die ABDA ihre neue Kommunikation zu diesem Thema, um die fünf mit den Krankenkassen abrechenbaren pDL noch bekannter zu machen: (1) Die standardisierte Risikoerfassung von hohem Blutdruck, (2) die erweiterte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung mit Üben der Inhalationstechnik, (3) die erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation, (4) die pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie, (5) die pharmazeutische Betreuung von Organtransplantierten. Teile der Apothekerschaft, vor allem in Kammern und Verbänden, sehen diese Beratungsoptionen als Chance, die Apotheken als Orte niedrigschwelliger Versorgung auszubauen und Kompetenz zu beweisen. Andere fragen sich, wie sie bei knapper Personaldecke auch noch solche Zusatzaufgaben übernehmen sollen. Und wie passen pDL, in der Apotheke losgelöst von anderen Versorgern erbracht, zum Ideal ressourcenschonender und vernetzter Versorgung?

Karl Lauterbach war allerdings der Meinung, dass es noch mehr werden könnten. Am 28.8.2024 beschloss das Kabinett den Entwurf zum Gesundes-Herz-Gesetz. Er sah u.a. vor, Apotheken verstärkt in die Beratung zu Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und tabakassoziierten Erkrankungen einzubinden. Dazu sollten weitere pharmazeutische Dienstleistungen etabliert werden. Auch dieses Vorhaben wird wegen des Ampelbruchs nun nicht umgesetzt. Wie bei anderen Gesundes-Herz-Ideen war auch hier bemängelt worden, dass die Evidenz fehle, vor allem vonseiten der Krankenkassen.

Und noch weitere Themen, die die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Ärzte- und Apothekerschaft verändert hätten, werden durch Diskontinuität erst einmal zu den Akten gelegt: Regelungen im Kabinettsentwurf zur Reform der Notfallversorgung. Sie sahen einerseits ein ärztliches Dispensierrecht in Notdienstpraxen vor und andererseits die Einbindung von Apotheken in sogenannten Notfallzentren, um die Versorgung mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten zu sichern. Die ABDA hatte u.a. bemängelt, dass hier Parallelstrukturen geschaffen würden, „die dem Anliegen einer besseren Verzahnung im Gesundheitswesen widersprechen“.

 

Heilmittelerbringer: kein Fortschritt bei der Akademisierung

Etwas spät in der Legislaturperiode kam am 14.2.2024 auch der Referentenentwurf zu einem Physiotherapeutenberufereformgesetz. Er sah für die Zukunft neben berufsschulisch qualifizierten Physiotherapeuten auch studierte Physiotherapeuten B.Sc. vor und somit die Teilakademisierung. Diese sei relevant „für die Weiterentwicklung der Gesundheitsberufe insgesamt und in der interprofessionellen Zusammenarbeit“. Die Ausbildung zum Masseur und Medizinischen Bademeister sollte erhalten bleiben, aber in einem eigenen, angepassten Berufegesetz geregelt werden. Einer Vollakademisierung, wie sie die übergroße Mehrheit der Verbände und Organisationen in diesem Berufsfeld gefordert hatte, erteilte das BMG damit eine Absage. Bei dieser Enttäuschung blieb es nicht. Es ging einfach nicht weiter mit dem Vorhaben. Warum, dazu hüllt sich die Bundesregierung gern in Schweigen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Gruppe Die Linke vom 23.12.2024 heißt es lapidar: Der Entwurf „befindet sich seit längerer Zeit in der Abstimmung“. Zu hören war immer wieder, dass er nicht gut mit den Ländern abgestimmt war und es etliche komplexe offene Fragen gab.

 

Zukunft der Modellstudiengänge offen

Das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen wies im August 2024 darauf hin, dass es aber weiter hochschulisch qualifizierte Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden geben könne. Denn auf der Basis von Modellklauseln hatten Hochschulen entsprechende Angebote einrichten können. Mit dem Pflegestudiumstärkungsgesetz liefen diese Klauseln aus und wurden durch unbefristete Regelungen ersetzt. Nun können die Länder diese Studiengänge fortsetzen, neue einrichten – oder Aufgebautes beenden. Andreas Pfeiffer, der Vorsitzende des Spitzenverbands der Heilmittelverbände (SHV), hatte im November 2024 erklärt, man wisse noch nicht, wohin es gehe: „Wir werden wohl beides haben, Fortführung und Schließung.“ Es hänge von der finanziellen Situation eines Bundeslandes ab.

Was in der 20. Legislaturperiode ebenfalls nicht gelang, war, die versprochenen Modellvorhaben für den Direktzugang von Patienten zum Physiotherapeuten auf den Weg zu bringen. Starten konnte hingegen die Umsetzung der Blankoverordnung, für die Ergotherapie schon im April, für die Physiotherapie im November 2024. Grundlage sind wie bisher eine ärztliche Diagnose und Verordnung. Doch Heilmittel, Menge und Frequenz der Behandlung legt der behandelnde Therapeut fest. Die Blankoverordnung in der Physiotherapie ist allerdings zunächst auf Erkrankungen im Schulterbereich begrenzt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hatte für weit mehr Indikationsbereiche plädiert. Sie hält die Blankoverordnung für ein gutes Modell einer kompetenzorientierten Arbeitsteilung unter Gesundheitsberufen. Und Teile der Heilmittelverbände begrüßen die Blankoverordnung als Schritt hin zu mehr beruflicher Autonomie. Das alles war auch Thema beim Therapiegipfel des SHV. Im Nachgang schrieb der Dachverband: „Die Verbände appellierten aber auch an die Ärzte, verantwortungsvoll mit der Erwartungshaltung ihrer Patientinnen und Patienten umzugehen.“ Denn Blankoverordnung bedeutet nicht völlige Verordnungsfreiheit. Statt des Arztes haftet nun der Therapeut für eine wirtschaftliche Behandlung. Auch für ihn gelten gewisse Budgetgrenzen. Über diese „Autonomie mit Zäunchen“ scheinen die Patienten nicht immer im Bilde zu sein, offenbar auch, weil verordnende Ärztinnen und Ärzte nicht immer darauf hinweisen.

 

Honorarsteigungen kritischer betrachtet

Nach einigen Jahren deutlicher Honorarsteigerungen, die Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn auf den Weg gebracht hatte, weht den Heilmittelerbringern nun diesbezüglich ein rauerer Wind entgegen. Im Juni 2024 erhob das Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung Vorwürfe, es habe zwar erhebliche Vergütungssteigerungen für Heilmittelpraxen gegeben. Doch das Geld komme dort bei den angestellten Therapeuten nicht an. Deshalb sei der Abstand zum Krankenhaus beim Einkommen immer noch erheblich. Und das, wo doch die Nachwuchsprobleme mit mehr Honorar behoben werden sollten. Der SHV wehrte sich mit Verweis auf eine ungeeignete Datenbasis: Die Behauptung der Barmer sei „fachlich und sachlich falsch“. Kurz vor dem diesjährigen SHV-Therapiegipfel veröffentlichte der AOK-Bundesverband ein Positionspapier zur „Transformation in eine zukunftsfähige Heilmittelversorgung“. Von 2015 bis 2023 hätten sich die Ausgaben im Heilmittelbereich von sechs auf etwa 12 Mrd. Euro verdoppelt. Die Verdienstmöglichkeiten hätten sich verbessert, die Honorare seien gestiegen. Nun müsse man die „Weiterentwicklung der Qualität und die Effizienz der Versorgung in den Mittelpunkt stellen“. Solche Appelle kennt man aus anderen Bereichen des Gesundheitswesens. Vertrags- und Verhandlungsstrukturen für die Praxen der Heilmittelerbringer haben sich in den letzten Jahren denen der Arztpraxen angeglichen. Kein Wunder, dass sich die Appelle die Krankenkassen bekannt anhören.

 

Aufgaben und Herausforderungen in der nächsten Legislaturperiode

Welche Koalition auch immer in der 21. Legislaturperiode politische Verantwortung übernimmt – die Modernisierung und Weiterentwicklung der Gesundheitsberufe ist keine Aufgabe, die sie beiseite schieben sollte. Demografischer Wandel, Fachkräftemangel, Versorgungsnotwendigkeiten und zunehmende Finanzprobleme in Kranken- und Pflegeversicherung erfordern Veränderungen, erschweren sie zugleich aber. Eine Feststellung der Observer-Analyse von März 2024 zu den komplexen Anforderungen an Reformen der Gesundheitsberufe ist immer noch zutreffend: „Sie sollen einen Modernisierungsschub auslösen, der Nachwuchs anzieht, Aufstiege im Berufsfeld gut ermöglichen, aber auch bewährte, erfahrene Berufsangehörige nicht vergrault. Sie sollen Fachkräfteeinwanderung erleichtern, vorgegebene bundesdeutsche Kompetenzen und Standards aber nicht verwässern. Sie sollen der Versorgung dienen und finanzierbar sein. Sie sollen jedes Berufsfeld in sich optimal für die Zukunft ausrichten, aber sich gleichzeitig in ein schlüssiges Miteinander der verschiedenen Gesundheitsberufe einfügen.“

Ohne Anpassungen koppelt sich Deutschland noch mehr von Standards ab, die anderswo in Europa gelten, zum Beispiel bei der Akademisierung. Es ist sicher zutreffend, dass aus der EU heraus keine Lösung des bundesdeutschen Fachkräftemangels zu erwarten ist. Aber wenn die Berufsausübung hierzulande unattraktiv sind, werden unnötig Chancen vergeben. Modernisierung tut auch Not, weil sich die Qualifikationen für Gesundheitsberufe mit anderen Ausbildungen und Studiengängen messen müssen – die Jungen haben die Wahl. Angesichts der bekannten Finanzprobleme in den Sozialversicherungssystemen und dem Staatshaushalt ingesamt werden die Herausforderungen dabei größer. Wie sie im Einzelnen zu bewältigen wären, dazu halten sich alle Parteien in ihren Wahlprogrammen bedeckt (siehe auch Dr. Robert Paquet „Überlegungen zu den Wahlprogrammen 2025“, Observer Gesundheit, 14.1.2025). Denn: „Mit der Gesundheitspolitik kann man bekanntlich keine Wahlen gewinnen, aber man kann damit Wahlen verlieren. Das wissen alle Parteien und ergehen sich daher in möglichst allgemeinen Versprechungen.“ Alle wollten Verbesserungen für die Gesundheitsberufe, „vor allem für die Arbeits- und Vergütungsbedingungen der Pflegekräfte“. Und „fast alle (außer der AfD) wollen auch eine Ausweitung der Kompetenzen der nichtärztlichen Berufsgruppen“.

Der Sachverständigenrat hat in seinem jüngsten Gutachten zahlreiche Herausforderungen aufgelistet. Die Anzahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen sei in den letzten Jahren zwar um 20 Prozent gestiegen. Damit nehme Deutschland, was die Anzahl an Ärzten und Pflegekräften im Vergleich mit anderen Ländern angeht, eine Spitzenposition ein. Gleichzeitig prägten aber viele strukturelle Mängel und Ineffizienzen das System. Die stationäre Versorgung binde vergleichsweise viel Personal. Und, sollte man ergänzen: Geld, das fehlt, um die ambulante Versorgung interprofessionell auszubauen und für eine Versorgung von zunehmend mehr alten Menschen gut aufzustellen. Die Experten hoben auch hervor: Viele Beschäftigte im Gesundheitswesen sind Teilzeitarbeitende. Hier wird eine Negativspirale erkennbar: „Herausfordernde Arbeitsbedingungen werden durch Personalengpässe verschärft, dies führt zu sinkender Arbeitszufriedenheit und erhöht den Wunsch nach Arbeitsplatzwechsel oder Berufsausstieg.“ Und nach Teilzeitarbeit. Die Lösung? Sei u.a. für den Fachkräftemangel trotz großen Personalreservoirs, dass alle effektiver miteinander arbeiteten. Dafür müssen aber nicht nur Gesundheitsberufe modernisiert und weiterentwickelt werden. Sondern auch Versorgungsstrukturen und das Leistungsrecht angepasst. Das ist eine noch weitaus größere Aufgabe.

 

Maßnahmenbilanz für die Modernisierung und Weiterentwicklung der Gesundheitsberufe in der 20. Legislaturperiode

(Stand: 31. Dezember 2024)

 

Im Koalitionsvertrag – umgesetzt:

  • Corona-Bonus für Pflegekräfte
  • Für Pflegefachkräfte in Ausbildung oder Studium, die bisher keine Ausbildungsvergütung erhalten: Schließung der Regelungslücken durch das Pflegestudiumstärkungsgesetz
  • Vereinfachung und Beschleunigung der notwendigen Gewinnung von ausländischen Fachkräften sowie der Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen,
    durch (1) Regelungen im Pflegestudiumstärkungsgesetz, teilweise auch mit Wirksamkeit für weitere Gesundheitsberufe wie Hebammen, Heilmittelerbringer etc. (2) Durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz
  • Im Krankenhaus: Einführung der Pflegepersonalregelung 2.0. Ab Quartal IV/2024: Beginn der Datenerhebung

 

Außerhalb des Koalitionsvertrags – umgesetzt:

  • Novellierung der Berufsausbildung der Medizinischen Fachangestellten: Voruntersuchung durch das Bundesinstitut für Berufsbildung wurde begonnen.

 

Im Koalitionsvertrag – teilweise umgesetzt:

  • Ausbau der Personalbemessungsverfahren in der stationären Langzeitpflege (Modellvorhaben läuft noch bis vermutlich Mai 2025)
  • Stärkung der akademischen Pflegeausbildung gemeinsam mit den Ländern: Durch das Pflegestudiumstärkungsgesetz, in dem als „Orientierungspunkt“ zehn Prozent hochschulisch ausgebildete Pflegekräfte gesetzt werden. Effekte sind noch abzuwarten.
  • Ergänzung der professionellen Pflege durch heilkundliche Tätigkeiten: durch eine Regelung im Pflegestudiumstärkungsgesetz, die die selbstständige Ausübung der Heilkunde für drei Indikationen zur Vermittlung im Studium vorsieht (Versorgung chronischer Wunden, Diabetes, Demenz). Aber: keine weiteren Regelungen, da ein Pflegekompetenzgesetz nicht über einen Kabinettsstatus hinausgelangte
  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Pflege: Im Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz Verlängerung des Förderprogramms zur Vebesserung der Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf (auf 2030) sowie Regelungen zu Springerpools
  • Implementierung der Vermittlung digitaler Kompetenzen in der Ausbildung der Gesundheits- und Pflegeberufe + in Fort- und Weiterentwicklung, zuletzt im Pflegestudiumstärkungsgesetz
  • Umsetzung des Nationalen Gesundheitsziels „Gesundheit rund um die Geburt“ mit einem Aktionsplan. Vorlage des Aktionsplans im Juni 2024, aber: Zielhorizont bis 2030.

 

Im Koalitionsvertrag – nicht umgesetzt:

  • Harmonisierung der Ausbildungen u.a. durch bundeseinheitliche Berufsgesetze für Pflegeassistenz, Hebammenassistenz und Rettungssanitäter – gemeinsame Finanzierung von Bund und Ländern. Aber: Erarbeitung eines Pflegefachassistenzeinführungsgesetzes, das allerdings nicht über einen Kabinettsstatus hinausgelangte
  • Schaffung neuer Berufsbilder wie der „Community Health Nurse“
  • Allgemeines Heilberufegesetz
  • Weiterentwicklung des elektronischen Gesundheitsberuferegisters
  • Neue Delegationsmöglichkeit für Gesundheitsberufe: Umgang mit Schmerzmitteln nach dem Betäubungsmittelgesetz
  • Modellprojekt zum Direktzugang für therapeutische Berufe
  • Bundesweite Befragung aller professionell Pflegenden, um zu Erkenntnissen zu gelangen, wie die Selbstverwaltung der Pflege in Zukunft organisiert werden kann
  • Beschleunigte Anbindung sämtlicher Akteure an die Telematikinfrastruktur
  • Approbationsordnung Ärzte: Ausrichtung auf mehr Digitalisierung, Ambulantisierung, Spezialisierung, Individualisierung, berufsgruppenübergreifende Kooperation, Stärkung der Allgemeinmedizin
  • Stärkung des Ausbaus hebammengeleiteter Kreissäle
  • Bessere Personalschlüssel für eine 1:1-Betreuung durch Hebammen
  • Möglichkeit und Vergütung zur ambulanten, aufsuchenden Geburtsvor- und -nachsorge für angestellte Hebammen in Kliniken
  • Gendermedizin als Teil des Medizinstudiums, der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe
  • Stärkung des Deutschen Pflegerats als Stimme der Pflege im G-A und anderen Gremien
  • Ausbau der Mitspracherechte für weitere Gesundheitsberufe im G-BA
  • Reform der Krankenhausvergütung: Anteilige Mittel für Weiterbildung in den Fallpauschalen anteilig nur für die Kliniken, die weiterbilden
  • Aktualisiertes Fortbildungskonzept für Ärztinnen und Ärzte, um medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche leichter verfübar zu machen
  • Pflegeausbildung: Ermöglichung auch in Einrichtungen der Eingliederungshilfe und der Reha
  • Novellierung des Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken, um pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) besser zu honorieren und Effizienzgewinne innerhalb des Finanzierungssystems zu nutzen
  • Verbesserung der Arzneimittelversorgung durch Apotheken an integrierten Notfallzentren in unterversorgten Gebieten durch flexiblere Vorgaben in der Apothekenbetriebsordnung. Aber: Erarbeitung entsprechender Regelungen im Gesetz zur Reform der Notfallversorgung, für das am 7.7.2024 der Kabinettsentwurf vorgelegt wurde

 

Außerhalb des Koalitionsvertrags – nicht umgesetzt:

  • Physiotherapeutenberufereformgesetz: Referentenentwurf vom 14.2.2024
  • Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform: Referentenwurf vom 19.6.2024

 

 

Weitere Analysen der Autorin zum Thema: 

„Gesundheitsberufe in der 20. Legislaturperiode: ein Update“, Observer Gesundheit, 11. März 2024,

„Noch ist wenig passiert in der Ampelkoalition“, Observer Gesundheit, 12. April 2023,

„Gesundheitsberufe in der 20. Legislaturperiode“, Observer Gesundheit, 7. Oktober 2021,

„Gesundheitsberufe in der 19. Legislaturperiode – eine vergleichende Analyse (II)“, Observer Gesundheit, 17. Februar 2020,

„Gesundheitsberufe in der 19. Legislaturperiode – eine vergleichende Analyse (I)“, Observer Gesundheit, 10. Februar 2020.


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