28.03.2025
Selektivverträge als Blaupause für ambulante Versorgung 4.0
Zum Ergebnispapier der Koalitionsarbeitsgruppe Gesundheit und Pflege
Dr. Norbert Smetak, Vorsitzender MEDI Baden-Württemberg e. V., Vorsitzender MEDI GENO Deutschland e. V.
Die Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege hat ihre Vorstellungen für die medizinische Versorgung in einem wenig ambitionierten Grundsatzpapier zusammengetragen. Dabei ist Patientensteuerung das große Zauberwort zur Sicherung der ambulanten Versorgung. Doch: Steuerung muss gekonnt eingesetzt werden. Und sie allein wird das Ruder nicht herumreißen.
Es sind schwierige Zeiten für die ambulante Versorgung. Nicht nur, weil sie schon jetzt am Limit arbeitet und der große demografische Wandel erst noch bevorsteht, sondern auch, weil die Dringlichkeit der Reformierung von schweren Weltkrisen und großen Wirtschaftsnöten überschattet wird. Dennoch bleibt eine stabile medizinische Versorgung für die Bevölkerung essenziell.
Gesundheit gehört zu den wichtigsten Themen für jeden Einzelnen von uns. Es trägt nicht gerade zur besseren Stimmung bei, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass der Staat sich nicht ausreichend um ihre existentiellen Nöte kümmert – im Gegenteil.
Probleme werden nicht gelöst
Das Grundsatzpapier der AG Gesundheit wirkt erschreckend unambitioniert und wird die massiven Probleme der ambulanten Versorgung nicht lösen. Es sollen 500 Milliarden Euro in den kommenden Jahren für Investitionen in die Infrastruktur fließen. Aber was ist mit dem so dringend reformierbaren Gesundheitswesen? Die Ideen der AG: Budgets sollen umverteilt werden, Termine der Fachärzteschaft verordnet und somit der Mangel verwaltet statt behoben werden.
Das große Zauberwort heißt Patientensteuerung. Ja, Patientensteuerung ist essenziell. MEDI fordert seit Jahren eine effizientere, intelligente Steuerung in der ambulanten Versorgung – weg von der Flatrate-Medizin. Aber das Prinzip Primärarztsystem darf nicht unser Erfolgsmodell HzV per Gesetzeszwang in die Regelversorgung überführen. Sonst wird die Hausarztpraxis zum Gatekeeper staatlicher Steuerung. Das Erfolgsmodell HzV muss vielmehr die Blaupause für ein künftiges Primärarztsystem sein – und das bundesweit in Kombination mit den Facharztverträgen.
Mit unseren Selektivverträgen zeigen wir in Baden-Württemberg seit Jahren, wie gute Steuerung funktioniert, sodass alle Seiten davon profitieren. Neben einer effizienteren Patientensteuerung und schnellerer Terminvergaben zeigen Studien auch bessere Versorgungseffekte hinsichtlich Mortalität und Hospitalisierungsrate sowie eine deutlich höhere Arzt- und Patientenzufriedenheit. Dabei kann auch die Fachärztin oder der Facharzt bei schwer chronisch Erkrankten als Hauptbetreuerin oder Hauptbetreuer fungieren. So sieht ambulante Versorgung 4.0 aus.
Verpflichtenden Facharzttermine: Eingriff in die Autonomie
Die Selektivverträge sind auch für den Erhalt der ambulanten Versorgung so bedeutend, weil Niedergelassene durch die Verträge adäquater und verlässlicher honoriert werden. Das ist ein entscheidender Faktor, um die Niederlassung für den medizinischen Nachwuchs wieder attraktiver zu gestalten.
Doch beim Lesen des Papiers der AG zweifelt man daran, dass überhaupt ein ernsthaftes Interesse daran besteht, das bewährte ambulante System zu erhalten. Ein Beispiel dafür ist die Idee, dass KVen verpflichtende Facharzttermine einstellen müssen – ein schwerer Eingriff in die Autonomie der einzelnen Praxisstrukturen. Wenn es Primärztinnen und -ärzten oder der KV künftig nicht gelingt, einen Termin im notwendigen Zeitkorridor zu vermitteln, soll der Facharztzugang im Krankenhaus ambulant ermöglicht werden. All das klingt nach einem weiteren Schritt Richtung Staatsmedizin.
Ein künftiges Primärarztsystem mit verpflichtenden Terminen darf zudem nicht ohne die Entbudgetierung der fachärztlichen Leistungen aufgebaut werden. Denn von der Hausärztin oder dem Hausarzt notwendig bescheinigte fachärztliche Untersuchungen müssen am Ende auch vollständig bezahlt werden. Und das nicht nur in unterversorgten Gebieten. Auch das ist fragwürdig. Die veraltete Bedarfsplanung kann keine valide Bemessungsgrundlage für eine künftige Honorierung der Fachärzteschaft sein.
Nach Maßnahmen zur Ambulantisierung sucht man vergeblich im Grundsatzpapier – lediglich ein kurzer Satz, dass Hybrid-DRGs weiterentwickelt und umfassend ermöglicht werden sollen. Sie müssen hinsichtlich Umfang und Leistung dringend neu aufgestellt werden, denn das aktuelle System ist inakzeptabel. Damit kommen wir in der so wichtigen Ambulantisierung nicht voran.
Auf Praktiker hören
Und: Für eine ambulante Versorgung 4.0 brauchen wir endlich die geeignete Digitalisierungslösungen, die uns wirklich entlasten. Aber davon sind wir immer noch weit entfernt. Die ePA ist ein Paradebeispiel. Im Grundsatzpapier liest man von einer „verpflichtenden sanktionsbewehrten Nutzung“. Es ist wie ein Déjà-vu, wenn man sich an das Drama der TI-Einführung erinnert. Wir als MEDI Verbund haben von Anfang an davor gewarnt, dass eine vierwöchige Testphase der ePA nicht ausreichen wird. Es gibt noch zu viele Fragen zur Praktikabilität, Datensicherheit oder Verletzung der Schweigepflicht. Aber wir Praktikerinnen und Praktiker wurden nicht einmal gefragt.
Auch das wünschen wir uns von der künftigen Regierung, dass wir Niedergelassene mit rund 575,7 Millionen Behandlungsfällen im Jahr künftig mit eingebunden werden. Wir kennen die Probleme der Versorgung – und wir wissen auch, wie sie gelöst werden können.
_observer.jpg)
Alle Kommentare ansehen