RSA-Gutachten: Hybrid-Modell beim Krankengeld soll bleiben

Dr. Robert Paquet

Das Krankengeld war die erste Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) überhaupt und dominierte das Leistungsgeschehen jahrzehntelang. Erst nach und nach kamen die Versorgungsleistungen (medizinische Sachleistungen) hinzu. Heute ist es die einzige verbliebene beitrags-äquivalente Geldleistung in der GKV und hat inzwischen einen eher untergeordneten Stellenwert. Trotz dieses Sonderstatus war auch die Form der Einbeziehung des Krankengeldes in den Risikostrukturausgleich immer wieder ein Streitpunkt unter den beteiligten Kassen. 

Dementsprechend war das Thema regelmäßig Gegenstand der Beiratsgutachten. Der Streit wurde mit der Einführung des Hybrid-Modells 2013 vorläufig stillgestellt; aber weitere Gutachten folgten. Mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz 2021 wurde der Beirat beauftragt, die Hauptkontroverse zu klären. Das entsprechende Gutachten liegt nun vor – mit einem überraschenden und doch nicht gänzlich unerwarteten Ergebnis.

 

Einleitung

Im Gutachten[1] zu den Zuweisungen für das Krankengeld nach § 44 SGB V empfiehlt der Beirat die Beibehaltung des gegenwärtig praktizierten Hybrid-Modells. Das verwundert etwas, weil die Grundidee des RSA von einer prospektiven Schätzung der durchschnittlichen Ausgaben für die betreffenden Personengruppen ausgeht und Ist-Ausgleiche im Prinzip nicht vorgesehen sind. Sie werden nur angewandt, wenn die Kassen keinen Einfluss auf das Eintreten eines Leistungsfalles und die Höhe der Ausgaben nehmen können, so wie es etwa beim Kinderkrankengeld nach § 45 SGB V der Fall ist. Beim 2013 eingeführten Hybrid-Modell wird zwar die Hälfte der Ausgaben nach dem Standardisierungsverfahren für die Risikogruppen berechnet, die andere Hälfte wird jedoch den einzelnen Kassen nach ihren tatsächlichen Leistungsausgaben zugewiesen (47).

Hintergrund dieser Sonderregelung war die Kontroverse, wieweit die einzelnen Kassen einerseits das Eintreten und die Dauer eines Krankengeldfalles z.B. durch betriebliche Gesundheitsförderung und engagierte Rehabilitationsanstrengungen (Fallmanagement) beeinflussen können. Andererseits sollte berücksichtigt werden, dass sich die Höhe der durchschnittlichen Krankengeldzahlungen bei den einzelnen Kassen wegen des recht unterschiedlichen Einkommensniveaus ihrer Mitglieder stark unterscheidet. Daher würden Kassen mit hohen KG-Ausgaben pro Tag durch eine Durchschnittsberechnung der KG-Ansprüche über alle Kassen der GKV benachteiligt. Genau diesen Punkt hatten damals vor allem die Betriebskrankenkassen und einige Ersatzkassen problematisiert. Diese Fragen wurden daher im Evaluationsbericht des Beirats des BAS zum RSA 2009 ausführlich diskutiert (hier S.16ff). Die Verständigung auf das Hybrid-Modell war insofern ein politischer Kompromiss.

Das vorliegende Gutachten bezieht sich ausschließlich auf das Krankengeld nach § 44 SGB V. Der Untersuchungsauftrag nach § 10 RSAV wurde dahingehend „konkretisiert“, dass das aktuelle Zuweisungsverfahren (Status quo/Hybrid-Modell) einem Modell mit Standardisierung der Krankengeldbezugszeiten (Morbiditätskomponente) und versichertenindividuell geschätzten Krankengeldzahlbeträgen (Preiskomponente) sowie einem Modell mit Standardisierung der Leistungsausgaben für das Krankengeld gegenüberzustellen sei (9). Diese „Konkretisierung“ durch das Bundesamt für soziale Sicherung (BAS) und den Beirat passt auf den ersten Blick nicht zum Wortlaut von § 10: Eine Einbeziehung der Hybrid-Version in den Verfahrensvergleich ist dort nicht erwähnt. Die politische Anweisung (die sich dann faktisch als Vorentscheidung entpuppte) findet sich allerdings in der Begründung zum Entwurf des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes – GVWG (BT-Drs. 19/26822, Seite 126): „Der Wissenschaftliche Beirat bezieht in seine Untersuchung auch das aktuelle Verfahren für das Krankengeld nach § 44 SGB V mit der Bildung von Risikogruppen und einem anteiligen Ausgleich der tatsächlichen Leistungsausgaben im Jahresausgleich mit ein und stellt dieses den anderen untersuchten Modellen gegenüber.“

 

Zwei Gutachten als methodische Alternative

Man erinnere sich: Bei den beiden angesprochenen Modellen handelt es sich um die Empfehlungen aus zwei im Auftrag des BAS vergebenen Gutachten zur Anpassung der Zuweisungen für das Krankengeld. Im sog. „Erstgutachten“[2] geht es um eine Berechnung, die mit zwei Komponenten arbeitet bzw. in zwei Schritten vorgeht. Zunächst wurde die Morbidität berücksichtigt, also die Wahrscheinlichkeit und Dauer der KG-Fälle der Risikogruppen. Als zweite Komponente wurde der „Preis“ bestimmt, d.h. die Höhe der KG-Zahlungen, die den beitragspflichtigen Einnahmen der Versicherten dieser Kasse entspricht. Die geschätzten Krankengeldbezugstage wurden dann „mit den vorab aus den Informationen der Satzart 303 berechneten versichertenindividuellen Krankengeldzahlbeträgen multipliziert, woraus sich die individuellen Zuweisungen für die Versicherten für das Krankengeld ergeben.“[3] (10)

Im „Folgegutachten“[4] wurden „die Leistungsausgaben für Krankengeld direkt in einer gewichteten Regression über die Risikomerkmale Alter, Geschlecht und zeitgleichen Hierarchisierten Morbiditätsgruppen …standardisiert.“ Dieses Verfahren, das die Schätzung in nur einem Schritt vornahm, erschien eleganter und vermied außerdem die Heranziehung zusätzlicher Daten, die für die Umsetzung des „Erstgutachtens“ erforderlich waren.

Beide Gutachten sind Resultat der o.g. Kontroversen. Zu erinnern ist auch daran, dass sie den damaligen Limitationen unterlagen: Das Erstgutachten hatte noch die Krankengeld-Erwerbsminderungsgruppen (KG-EMGs) berücksichtigt, beruhte auf den 80 Krankheiten der damaligen Morbiditäts-Abbildung und wurde nicht auf Basis einer Vollerhebung, sondern auf Daten mehrerer Krankenkassen gerechnet (49). Auch das Folgegutachten berücksichtigte den Erwerbsminderungsstatus und unterlag der Begrenzung auf 80 Krankheiten.

 

Vergleich der drei Modelle

Der Beirat vergleicht nun alle drei Varianten. Grundlage sind für alle drei die Datenmeldungen des Meldejahres 2023, die mit dem Klassifikationsmodell 2024, also dem vollständigen Krankheitsspektrum gerechnet werden.

Bei der datengestützten Herangehensweise (8) benutzt der Beirat die bekannten Gütemaße R2, CPM und MAPE für die Individualebene, die Kassenebene, die Ebene der Regionen etc. Die Ergebnisse im Detail sind hier wenig interessant. Aus der Zusammenfassung des Beirats sei nur zitiert: „Das Modell des Erstgutachtens ergibt nur hinsichtlich der Kennzahlen auf versichertenindividueller Ebene etwas bessere Ergebnisse als das Modell des Folgegutachtens. Hinsichtlich aller anderen Kennzahlen wird es vom Modell des Folgegutachtens weitestgehend dominiert.“ (10) Dabei sei das Modell des Erstgutachtens deutlich aufwändiger zu berechnen. Dabei geht es vor allem um die beitragspflichtigen Einnahmen der Kassen (Satzart 303) und die fallbezogenen Krankengeldausgaben (Satzart 304)[5]. Die Aufbereitung dieser Daten sei „methodisch anspruchsvoll, sehr zeitintensiv und inhaltlich mit größeren Unsicherheiten behaftet“ (10, siehe auch 64f).

Das Ergebnis erscheint dabei eindeutig: „Das Status quo-Modell führt zu den besten Ergebnissen aller drei Modelle auf versichertenindividueller Ebene und liegt mit einem R2 von 75,42 % (CPM: 51,19 %; MAPE: 414,98 €) weit vor den Ergebnissen des Modells des Folgegutachtens mit einem R2 in Höhe von 11,95 % (CPM: 14,67 %; MAPE: 725,47 €).“ Was angesichts des darin eingeschlossenen hälftigen Ist-Ausgleichs auch zu erwarten war[6].

 

Diskussion

In Konsequenz seiner Empfehlung, das Hybrid-Verfahren beizubehalten, empfiehlt der Beirat denn auch, die Übermittlung der Satzarten 303 und 304 auszusetzen (10). Ein Beitrag zur Vereinfachung und Entbürokratisierung des RSA (67).

In der Diskussion der Ergebnisse weist der Beirat auf einen weiteren Punkt hin. Verwendet wurde auch für das Krankengeld-Gutachten das allgemeine Klassifikationsmodell des RSA, das sich auf die prospektive Schätzung der Leistungsausgaben für Sachleistungen bezieht. Die hier „betrachtete Gruppe der Versicherten mit Krankengeldleistungsanspruch unterscheidet sich in Alters-, Morbiditäts- und Kostenstruktur deutlich von der Gesamtpopulation der GKV. … Während die Versicherten mit Krankengeldanspruch ca. 48 % der Gesamtversicherten stellen, verursachen sie lediglich ca. 30 % der Leistungsausgaben ohne Krankengeld.“ (63) Das führt zu der Überlegung, ob es ggf. sinnvoll wäre, ein eigenes morbiditätsorientiertes Schätzmodell für das Krankengeld nur für die Versicherten mit Krankengeldanspruch zu entwickeln bzw. zu verwenden. „Der sehr deutlich höhere Entwicklungs-, Pflege- und Durchführungsaufwand,“ der mit einem solchen Modell „einherginge, lässt sich durch die überschaubaren Verbesserungen allerdings aus Sicht des Wissenschaftlichen Beirats nicht rechtfertigen.“ (65) Schließlich verweist der Beirat in diesem Zusammenhang auf die nur relative Bedeutung des Krankengeldes: Bei „der Abwägung von Aufwand und Nutzen eines solchen Modells ist zu berücksichtigen, dass die Leistungsausgaben für Krankengeld lediglich ca. 6,6 % der gesamten berücksichtigungsfähigen Leistungsausgaben ausmachen.“ (66)

Eine weitere Rechtfertigung für die Empfehlung, das Hybrid-Modell beizubehalten, findet sich am Schluss des Gutachtens: Zu berücksichtigen sei, dass auf der Individualebene „auf 92,80 % der Versichertenzeiten mit Krankengeldanspruch keine Krankengeldbezugszeiten und damit (bis auf Ausnahmen) auch keine Krankengeldausgaben entfallen. … Das Verbesserungspotenzial aller Standardisierungsmodelle scheint bei der gegebenen Schiefe der Ausgabenverteilung von vorneherein begrenzt.“ Somit sei der „partielle Istkosten-Ausgleich ein probates Mittel, um der Schiefe der Ausgabenverteilung im Rahmen des Finanzausgleichs zu begegnen“ (66).

 

Fazit

Die Botschaft ist: Ist-Ausgleiche jubeln die Gütemaße nach oben. Ist-Ausgleiche sind was Feines. Das passt zur verbreiteten Stimmung in der Politik. Das Gutachten zu den Zuweisungen für das Krankengeld hat damit die Chance, die Diskussion zu diesem Thema endgültig zu beenden. Das könnte auch erklären, warum es zu diesem Gutachten bisher so gut wie keine Resonanz in der Szene gab.

 

[1] Drösler et al. (2025): Gutachten zu den Zuweisungen für das Krankengeld nach § 44 SGB V, Bonn. https://www.bundesamtsozialesicherung.de/fileadmin/redaktion/Risikostrukturausgleich/Wissenschaftlicher_Beirat/20250515_Gutachten_Zuweisungen.pdf

[2] Wasem, J., Schillo, S., Lux, G. & Neusser, S. (2016) „Gutachten zu Zuweisungen für Krankengeld nach § 269 Abs. 3 SGB V i. V. m. § 33 Abs. 3 RSAV – Endbericht“, Universität Duisburg-Essen, https://www.bundesamtsozialesicherung.de/fileadmin/redaktion/Risikostrukturausgleich/Weiterentwicklung/Gutachten_Krankengeld.pdf [30.09.2021].

[3] Satzart 303: „zeitraumbezogene beitragspflichtige Einnahmen je Versicherten“ (siehe ausführlich Seite 22f.).

[4] Schiffhorst, G., Albrecht, M. & Dietzel, J. (2019) „Folgegutachten zu Zuweisungen zur Deckung der Aufwendungen für Krankengeld nach § 269 Abs. 3b SGB V i.V.m. § 33a Abs. 3 RSAV – Bericht zu ZVS-41/2017“, IGES, https://www.bundesamtsozialesicherung.de/fileadmin/redaktion/Risikostrukturausgleich/Weiterentwicklung/20200331Folgegutachten_Krankengeld.pdf [07.03.2024].

[5]: Satzart 304: „fallbezogene Leistungsausgaben (und Bezugszeiträume) für Krankengeld nach § 44 SGB V je Versicherten“ (siehe ausführlich Seite 25f.)

[6] Was der Beirat bei der Ergebnisdarstellung auch einräumt (S. 53f. und passim, z.B. 65 „nicht überraschend“.)

 

Lesen Sie vom Autor auch: 

„Keine Überraschungen: Neues RSA-Gutachten bestätigt FKG“, Observer Gesundheit, 20. Juni 2025.


Observer Gesundheit Copyright
Alle politischen Analysen ansehen