31.05.2022
Qualitätsverträge nach §110a SGB V
Zielsetzung, Chancen, Herausforderungen (Teil 2)
Prof. Roger Jaeckel, Honorarprofessor der Hochschule Neu-Ulm, Fakultät Gesundheitsmanagement
Im ersten Teil des Beitrags zu den Qualitätsverträgen nach §110a SGB V standen die Zielsetzung und Umsetzungshürden im Fokus. Der zweite Teil konzentriert sich auf konkrete Vorschläge zur Nutzung dieses Instruments zur Weiterentwicklung der stationären Versorgung. Anhand von zwei Themenschwerpunkten wird aufgezeigt, wie Qualitätsverträge konkret dazu genutzt werden können, durch innovative und kreative Vergütungs- und Versorgungskonzepte die Behandlung von Patientinnen und Patienten zu verbessern.
Zunächst wird auf den Pay for Performance-Ansatz eingegangen, welche Erfahrungen in anderen Ländern damit gemacht wurden und wie wir in Deutschland davon profitieren können. Anschließend wird dargelegt, wie mithilfe von Qualitätsverträgen Versorgungssilos im stationären Bereich durch die Etablierung von Leistungsbündeln aufgebrochen werden können. Abschließend beschreibt der Beitrag, wie durch die Initiative von Vorreitern aus dem Gesundheitssystem Qualitätsverträge mit Win-Win-Charakter abgeschlossen werden und so eine Signalwirkung für weitere Krankenkassen und Krankenhausträger entfalten können.
Aus der ersten Publikation geht hervor, dass die Idee, mit selektiven Verträgen zwischen Krankenhausträgern und Krankenkassen alternative Vergütungsmodelle zu erproben, zunächst einen positiven Ansatz darstellt. Dennoch haben politische Konstruktionsfehler die beteiligten Akteure vor enorme Hürden gestellt, als es darum ging, das Instrument der Qualitätsverträge in die Praxis zu überführen. Auch wenn einige dieser Umsetzungshemmnisse nach wie vor bestehen, wurden mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG), welches am 20. Juli 2021 in Kraft trat, wichtige Reformschritte in die Wege geleitet, um Qualitätsverträge stärker in den Versorgungsalltag zu integrieren. Letztlich geht es darum, mittels dem Konzept einer qualitätsorientierten Vergütung einen wichtigen Impuls zum erforderlichen Strukturwandel in der stationären Versorgung zu setzen.
P4P: Alternatives Vergütungsmodell für eine qualitativ bessere Versorgung nutzen
Um die Qualität der Krankenhausbehandlung zu optimieren, braucht es eine auf Qualität ausgerichtete Vergütungsstruktur. Pay-for-Performance-Modelle greifen diese Logik auf, indem die Höhe der Vergütung von der erbrachten Behandlungsqualität abhängig gemacht wird. Gemäß Begründung zum GVWG ist es das Ziel der Qualitätsverträge, die Versorgung mit stationären Behandlungsleistungen durch das Setzen zusätzlicher Anreize zu verbessern. Unter Pay for Performance (P4P) versteht man ein Vergütungsmodell, welches durch gezielte Anreizsetzung die Qualität einer Dienstleistung oder Produktanwendung verbessern und die Effizienz optimieren soll. Die Vergütung an sich oder die Höhe der Vergütung ist dabei abhängig vom Erfolg („Performance“) der Anwendung oder Dienstleistung.[1]
P4P in der stationären Versorgung – die Idee
Das P4P-Konzept basiert auf der Idee, dass das Verhalten von Produzenten und Leistungserbringern durch die Art der Vergütung beeinflusst werden kann, damit ein qualitativ hochwertiges und kosteneffizientes System entsteht. Voraussetzung dafür ist, den Charakter bzw. die Höhe der Vergütung von vorab definierten Zielen und Erfolgsindikatoren abhängig zu machen. Es existieren verschiedene P4P-Modelle, die dem Markt sowie dem jeweiligen Produkt oder der Dienstleistung entsprechen müssen. Es gibt keine „one size fits all“-Lösung. Die Modelle unterscheiden sich sowohl in der Art der Vergütung – es gibt bspw. Abo-Modelle, vorgezogene vollständige oder teilweise Zahlungen und dynamisch Modelle – als auch in der Definition der Zielerreichung, die etwa auf einer absoluten oder relativen Zielerreichung, auf Veränderungen im Vergleich zur Vergangenheit oder auf Unterschieden zu anderen Anbietern basieren können.[2]
In der stationären Versorgung sind P4P- Ansätze zumindest in Deutschland bisher wenig verbreitet, obwohl sie auch hier einen wichtigen Beitrag zu einer effizienten und qualitätsoptimierten Behandlung leisten können. Die Grundidee von P4P in der Krankenhausvergütung besteht darin, die Qualität der Behandlung mithilfe von Indikatoren und Zielparametern zu messen und entsprechend finanziell zu honorieren. Dabei sollen Performance basierte Vergütungsmodelle gezielt Anreize setzen, um Therapieentscheidungen und Versorgungsabläufe zur Optimierung der Patientenversorgung zu verbessern, getreu dem Motto „Qualität statt Quantität“. In Bezug auf die Möglichkeit der Umsetzung von P4P-Ansätzen durch das Instrument der Qualitätsverträge ist zu betonen, dass die Qualitätsverträge primär kein Wirtschaftlichkeits-, sondern ein Qualitätsinstrument darstellen und P4P in diesem Zusammenhang auch so verstanden werden sollte.
Konkret könnte ein P4P-Modell im stationären Sektor bedeuten, dass ein Teil der Vergütung auf tatsächlich erzielten Behandlungsergebnissen oder vorgegeben qualitativen Leitlinien und Prozessen basiert. In diesem Rahmen können Indikatoren, die zur Qualitätsbeurteilung herangezogen werden, dazu genutzt werden, individuelle Qualitätsziele zu konkretisieren und deren Erfüllungsaufwand zu objektivieren.[3] Dazu gehören beispielsweise Patientenzufriedenheit, die Koordination der Behandlung oder die gezielte Vorbereitung diagnostischer Maßnahmen. Da im Kontext der Qualitätsverträge eine Erhebung und Übermittlung von Behandlungsdaten an das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) zu Evaluierungszwecken vorgesehen ist, könnten diese Daten auch als Basis für die (Weiter-)Entwicklung von P4P-Indikatoren genutzt werden. Somit stünde eine solide Datenbasis zur Verfügung, die ein zentrales Indikatorensetting erlauben würde.
P4P in der stationären Versorgung – internationale Beispiele
Auch wenn auf dem P4P-Prinzip basierende Vergütungsmodelle im deutschen Krankenhausalltag bisher keine große Rolle gespielt haben, gibt es Beispiele aus anderen Ländern, die als Ansatz und Anregung dienen können, sowohl in Hinblick auf deren Stärken als auch deren Schwächen.
Was innovative Versorgungs- und Vergütungsmodelle angeht, zählt das Gesundheitssystem in Australien zu den Vorreitern. 2008 wurde im australischen Queensland das Clinical Practice Improvement Payment (CPIP) eingeführt. Die Grundidee des CPIP war es, einen Teil der Krankenhausvergütung in bestimmten Bereichen von Qualitätsparametern bei klinischen Prozessen und Ergebnissen abhängig zu machen, um dort die Versorgungsqualität zu verbessern. Die Grundlage der Vergütung war durch bestimmte Indikatoren abgebildet, denen jeweils ein individueller Vergütungsbetrag zugeordnet wurde. Dieser Betrag wurde in der Folge mit der Anzahl der erreichten Indikatoren multipliziert und entsprechend vergütet.[4] Die Bewertung der Performance der Kliniken basierte dabei lediglich auf der Meldung der Umsetzung der zusammenhängenden Vorgaben. Das CPIP ist streng genommen ein „Pay for Reporting“-System. Dass das Programm 2013 nach fünf Jahren Laufzeit eingestellt wurde, zeigt dessen mäßigen Erfolg. Die größte Schwachstelle des CPIP war das Fehlen einer allgemeinen Überwachung und Steuerung des Programms sowie einer systematischen Prüfung der Ergebnisse.[5] Dieses Beispiel aus Australien zeigt sehr gut die Komplexität der Entwicklung eines passenden P4P-Modells und die Wichtigkeit der Abstimmung von adäquaten Indikatoren, Erfolgsparametern sowie deren Steuerung.
Anhand eines zweiten Beispiels lässt sich jedoch gut erkennen, welchen Mehrwert die Einführung eines Performance basierten Vergütungssystems für die Qualität der Krankenhausbehandlung bieten kann. In England wurden 2010/2011 die Best Practice Tariffs (BPT) eingeführt.[6] Bei diesem Modell wird in der Krankenhausvergütung zwischen einem Basistarif und dem höheren Best Practice Tarif differenziert, dessen Ausschüttung die Erfüllung zusätzlicher Qualitätsparameter voraussetzt. Diese Zielparameter werden vom englischen National Health Service (NHS) gemeinsam mit den jeweiligen Fachgesellschaften festgelegt und basieren auf deren Leitlinien. Die höhere Vergütung hängt von der Einhaltung dieser Leitlinien ab. Die Aufstockung der Grundrate unterliegt dabei einer Staffelung, je nachdem welche Vorgaben der Leitlinien erfüllt werden. Die Einführung der BPT hat zu einigen durchaus beeindruckenden Erfolgen geführt. So deuten Evaluationen der Bonuszahlungen bei Hüftfrakturen darauf hin, dass diese zu einer schnelleren Überführung von der Krankenhausaufnahme zur Operation, einer kürzeren stationären Verweildauer, einer geringeren Mortalität innerhalb von 30 Tagen nach dem Eingriff sowie zu einer besseren Überlebensrate ein Jahr nach der Fraktur führen.[7] Die BPT haben sich im englischen Gesundheitssystem nachhaltig durchgesetzt und wurden mittlerweile auf mindestens 22 Indikationen ausgeweitet.[8] Dies zeigt, dass P4P-Ansätze auch langfristig einen positiven Einfluss auf die Behandlungsqualität im stationären Bereich haben können. Der konzeptionelle Mangel in Queensland wurde beim BPT in England dadurch vermieden, dass von vornherein die relevanten Zielparameter einer externen Überprüfung unterzogen wurden. Eine reine Selbstauskunft wird dem verfolgten Qualitätsanspruch eines P4P-Vergütungssystems offensichtlich nicht gerecht.
Die Analyse der beiden Beispiele aus Australien und England zeigt, dass die reine Einführung eines P4P-Modells nicht automatisch zu einer Versorgungsverbesserung führt. Es kommt vielmehr darauf an, wie genau das Anreizmodell aufgebaut ist und wie die Definition und Evaluierung der Indikatoren mit der dazugehörigen Bürokratie sinnvoll und effizient vorgenommen wird.
Chancen von P4P für die stationäre Behandlung in Deutschland
Wenn man ernsthaft daran interessiert ist, die Versorgung der Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt zu stellen, ist es unerlässlich, die Vergütungsstruktur danach auszurichten. P4P-Modelle bieten genau diese Möglichkeit. Indem nachgewiesene höherwertige Qualität entsprechend finanziell honoriert wird, führen die Anreize sowohl bei den Leistungserbringern als auch bei den Kostenträgern zu einem qualitätsorientierten Leistungswettbewerb. Die beiden internationalen Beispiele zeigen, wie unterschiedlich die Idee einer Performance basierten Vergütung aussehen kann. Das Instrument der Qualitätsverträge nach §110a SGB V bietet in Deutschland die Möglichkeit, ein solches Modell als Ergänzung zu dem bestehenden DRG-System in der stationären Behandlung einzuführen und zu erproben. Wie kann man sich ein P4P-Modell in Hinblick auf die Vergütungsform, Ergebnis- und Indikatordefinition im Rahmen eines Qualitätsvertrages konkret vorstellen? Dies soll anhand des Leistungsbereichs der Endoprothetik kurz skizziert werden.
Für eine möglichst komplikationsfreie Hüft- oder Kniegelenksimplantation ist nicht nur ein reibungsloser Verlauf der Operation an sich entscheidend, sondern in gleichem Maße eine adäquate Vor- bzw. Nachbereitung. Dementsprechend müssen im Vorfeld mögliche komplikationsfördernde Indikationen, wie bspw. Diabetes, Depressionen oder eine durch Eisenmangel verursachte Anämie ausgeschlossen sowie im Rahmen eines Prähabilitationskonzeptes[9] Muskelaufbautraining angeboten werden.[10] Nach dem P4P-Prinzip könnten die Kliniken bspw. eine festgelegte Bonuszahlung erhalten, wenn die notwendigen Voruntersuchungen bzw. Prähabilitationsmaßnahmen bei einem Patienten durchgeführt und dokumentiert worden sind. Damit hätten die Krankenhäuser einen Anreiz, den gesamten Prozess der vor- und nachstationären Behandlung in den Behandlungsprozess zu integrieren mit dem Ziel der Komplikationsvermeidung bzw. Komplikationsverringerung während und nach der OP.
Die Details der Ausgestaltung eines solchen P4P-Modells hängen selbstverständlich auch von den Präferenzen und Erfahrungswerten der beteiligten Vertragspartner ab. Das Instrument der Qualitätsverträge bietet in diesem Sinne genau den richtigen regulativen Rahmen, um sich dieser Thematik anzunähern und P4P-Ansätze mit unterschiedlichem Fokus und Ausgestaltung im Kleinen zu erproben. Hat ein solches Performance basiertes Vergütungssystem Erfolg und können Verbesserungen in der Behandlungsqualität nachgewiesen werden, stehen die Chancen gut, dass es in die Regelversorgung übernommen wird und zu einem nachhaltigen Strukturwandel beiträgt.
Krankenhausbehandlung mit Leistungsbündeln ganzheitlich denken
Neben der Einführung qualitätsorientierter Vergütungsmodelle bieten die Qualitätsverträge eine weitere Möglichkeit, ein altbekanntes Problem der Gesundheitsversorgung in Deutschland anzugehen: Versorgungssilos aufzubrechen und sektorenübergreifende Versorgung zu organisieren und zu honorieren. In diesem Zusammenhang ist das zuvor gewählte Beispiel aus der Endoprothetik ein weiteres Mal hilfreich. Wie zuvor beschrieben, beschränkt sich die ideale Behandlung eines Patienten nicht auf eine stationär erbrachte Leistung, sondern umfasst auch eine darauf abgestimmte Vor- bzw. Nachbehandlung, die überwiegend ambulant erfolgen kann, egal ob in der Klinik oder im ambulanten Bereich. Allzu oft ist die Verantwortung für diesen Behandlungsprozess nicht an einer Stelle konzentriert, was zu einer suboptimalen Abstimmung zwischen den verschiedenen Leistungssektoren führt.
Die vor- und nachstationäre Behandlung im Krankenhaus ist derzeit im §115a SGB V geregelt. Allerdings ist dieser Paragraf in seiner aktuellen Form wenig zielführend, und bei der Vergütung entsprechender Leistungen finden qualitative Parameter wenig Beachtung. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Regelung im Kern bereits seit 1989 besteht, also vor über 30 Jahren eingeführt wurde. Der §115a Abs. 2 besagt, dass in der Regel die vorstationäre Behandlung auf längstens drei Behandlungstage innerhalb von fünf Tagen vor Beginn der stationären Behandlung zu begrenzen sei. Zudem dürfe die nachstationäre Behandlung sieben Behandlungstage innerhalb von 14 Tagen nicht überschreiten. Abweichungen sind nur in Ausnahmefällen möglich. Mit diesen pauschalen Vorgaben ist es den Leistungserbringern nicht möglich, den Patienten eine bestmögliche Vor- und Nachbereitung stationärer Eingriffe zu garantieren. Bei manchen operativen Eingriffen ist bspw. eine wesentlich längere Zeitspanne zur Diagnostik und Vorbereitung notwendig. Es braucht vor- bzw. nachstationäre Behandlungs- und Vergütungsmodelle, die eine patienten- und indikationsspezifische Versorgung erlauben und finanziell honorieren.
Mithilfe des Instruments der Qualitätsverträge kann ein Vergütungssystem erprobt werden, in dem Leistungsbündel definiert sind, in denen die Abstimmung zwischen der prästationären Diagnostik und der poststationären Behandlung im stationären Umfeld berücksichtigt wird. Für das Beispiel der endoprothetischen Gelenkversorgung bedeutet dies, dass die Klinik für den gesamten Versorgungsprozess rund um die Operation inklusive prähabilitativer Leistungen verantwortlich ist und dementsprechend auch vergütet wird. Dadurch käme es zu weniger Reibungsverlusten zwischen den einzelnen Sektoren im Prozess. In einem Qualitätsvertrag kann demzufolge die Höhe der Vergütung nicht nur von Qualitätsindikatoren abhängig gemacht werden, welche die Operation an sich betreffen, sondern auch von einer optimalen Vor- bzw. Nachbereitung. Durch die klare Zuweisung der Verantwortung werden die Prozesse sektorenübergreifend optimiert, das Komplikationsrisiko sinkt und letztendlich wird die Versorgungsqualität verbessert.
Allianz der Qualitätswilligen erforderlich
Im ersten Beitrag zu den Qualitätsverträgen wurde auf die bisher nur spärlichen Abschlüsse von Qualitätsverträgen hingewiesen und mögliche Gründe dafür erörtert. Im Allgemeinen scheint es, als seien viele Krankenhausträger und Krankenkassen zögerlich, sich das Instrument der Qualitätsverträge zu Nutze zu machen. Was es braucht, ist ein Best Practice-Vertrag als Leuchtturminitiative, der allen Akteuren der Branche vermittelt, welchen Einfluss ein Qualitätsvertrag auf die Behandlungsqualität ausüben kann. Es braucht mutige Akteure auf beiden Seiten, Kostenträger und Leistungserbringer, die gemeinsam vorangehen und die bestehenden rechtlichen Spielräume ausschöpfen und konkrete Vereinbarungen treffen.
In der Theorie bietet das Instrument der Qualitätsverträge eine Vielzahl von positiven Anreizen für Krankenhäuser und für Krankenkassen, die das Potential haben, den Abschluss eines Qualitätsvertrages zu einem Win-Win-Szenario werden zu lassen, von dem nicht zuletzt auch die Patienten profitieren (siehe Tabelle). So ein Vertrag muss die notwendigen Voraussetzungen erfüllen, indem er die Interessen der einzelnen Parteien berücksichtigt, starke Anreize setzt, einen minimalen administrativen Aufwand bedeutet und die Ziele klar definiert. Wenn ein Vertrag das schafft und gleichzeitig erfolgreich ist, kann er eine gravitative Wirkung haben. So würden immer mehr Krankenkassen und Kliniken dem Vertrag beitreten oder optimierte Verträge in Anlehnung an bereits existierende erarbeiten. Dabei bieten die Qualitätsverträge die Möglichkeit, kreativ zu werden und über bestehende Strukturen hinaus zu denken. Zum Beispiel kann für die Krankenhäuser ein System der Dokumentation, wie es bei den Qualitätsverträgen vorgesehen ist, bei einer effizienten Umsetzung ein Standardtool für den Qualitätsnachweis werden. Zudem können die Kliniken die Qualitätsverträge als Instrument zur Leistungsdifferenzierung nutzen und so die Qualitätsführerschaft in ihrer jeweiligen Region anstreben. Dieser Weg bietet die Chance, nicht nur die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern, sondern den Grundstein für ein im Grundsatz effizienteres und qualitätsorientiertes Vergütungssystem zu legen – ganz nach dem Motto: Qualität gestalten und nicht nur Strukturen verwalten.
Tabelle: positive Anreizfaktoren zur Umsetzung der Qualitätsverträge
Anreizfaktoren | Positive Anreize für die Krankenhausträger | Positive Anreize für die Krankenkassen |
Nutzenmaximierung |
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Vermeidung von Über- und Unterversorgung |
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Qualitätswettbewerb |
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Patientenzufriedenheit |
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Quelle: eigene Darstellung
Aktuelle Entwicklungen und Ausblick
Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass Bewegung in das Thema Qualitätsverträge kommt. Anfang Mai 2022 hat die Siemens-Betriebskrankenkasse (SBK) zwei neue Qualitätsverträge abgeschlossen, einen zur Prävention des postoperativen Delirs[11] mit der Alexianer Krefeld GmbH und einen weiteren im Bereich Endoprothetik mit den Asklepios Kliniken[12]. Diese Entwicklungen zeigen, dass die im GVWG eingeführten Nachbesserungen des §110a SGB V erste Wirkungen entfalten. Der Vertrag mit Asklepios beinhaltet zudem explizit eine P4P-Komponente: Bei einer erfolgreichen Anwendung des endoprothetischen Fast-Track-Verfahrens erhält die Klinik eine zusätzliche Vergütung. Sollten die Patienten bereits nach ein bis zwei stationären Behandlungstagen das Krankenhaus verlassen können (Ultra-Fast-Track), wird ein weiterer Bonus gezahlt. Dadurch wird deutlich, dass immer mehr Akteure im Gesundheitswesen die Chancen von P4P für die qualitative Weiterentwicklung in der stationären Versorgung erkennen und diese auch nutzen wollen.
Solche Einzelinitiativen zeigen, dass das Instrument der Qualitätsverträge ein beträchtliches Potential zur Weiterentwicklung der Krankenhausbehandlung birgt, welches es zu heben gilt. Auch wenn der §110a SGB V aufgrund einiger politischer Konstruktionsfehler zunächst mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen hatte, zeichnet sich nicht zuletzt wegen der im GVWG eingeführten Änderungen ab, dass aus den Qualitätsverträgen doch noch eine Erfolgsgeschichte werden könnte. Sie bieten in jedem Fall die Möglichkeit, mit innovativen Ideen und Konzepten, wie bspw. P4P-Ansätzen, einen nachhaltigen und qualitätsorientierten Strukturwandel in der stationären Versorgung zu befördern. Ein Blick auf P4P-Modelle im internationalen Kontext zeigt, dass es an mehreren Stellen unabhängig voneinander entsprechende Ansätze erprobt werden, um die Qualität in der Krankenhausbehandlung zu verbessern und ein effizienteres System zu etablieren. Nicht zuletzt kann das Instrument der Qualitätsverträge dazu genutzt werden, Sektorengrenzen rund um die stationäre Versorgung aufzubrechen und durch optimierte Prozessabstimmungen Komplikationen zu verringern und somit positiven Einfluss auf den Genesungsprozess der Patienten zu nehmen.
Letztendlich ist das Entscheidende, die gesundheitliche Versorgung aus Sicht der Patienten zu betrachten und deren Behandlungsqualität in den Mittelpunkt zu stellen. Es liegt nun an allen beteiligten Akteuren selbst, erforderliche Impulse zu mehr Qualitätsorientierung in der stationären Versorgung zu setzen. Durch den selektivvertraglichen Ansatz haben Qualitätsverträge das Potential, im Wettbewerb um Patienten und Versicherte einen sinnvollen, aber auch notwendigen Schritt in Richtung mehr Qualitätsorientierung im Gesundheitswesen zu gehen.
[1] Schmacke 2019: Pay for Performance (P4P). Bilanz einer gesundheitsökonomischen Ideologie. Ein narrativer Review. In: Bolte et al. (Hrsg.) 2019: Schriftenreihe des Instituts für Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Universität Bremen.
[2] Amelung et al. 2013: Pay-for-Performance: Märchen oder Chance einer qualitätsorientierten Vergütung? In: GGW 2013, Heft 2 (April): 7-15.
[3] Vgl. Burgdorf, Kleudgen und Diel 2009: Pay for Performance: Wege zur qualitätsorientierten Vergütung. In: Deutsches Ärzteblatt, 106(44): A-2190/B- 1877/C-1837.
[4] Duckett et al. 2008: Pay for performance in Australia: Queensland’s new Clinical Practice Improvement Payment. In: Journal of Health Services Research & Policy, 13(3): 174-177.
[5] Stockwell 2010: Evaluation of financial incentives as a quality improvement strategy in the public hospital context: clinician attitudes, design variables, and economic costs. Doctorate thesis, Queensland University of Technology.
[6] NHS Improvement; NHS England 2019: 2019/20 National Tariff Payment System – A consultation notice: Annex DtD. Guidance on best practice tariffs. A joint publication by NHS England and NHS Improvement. London: NHS Improvement; NHS England.
[7] Oakley et al. 2017: Does achieving the best practice tariff improve outcomes in hip fracture patients? An observational cohort study. In: BMJ Open, 7(2). Whitaker et al. 2019: Does achieving the ‘Best Practice Tariff’ criteria for fractured neck of femur patients improve on year outcomes? In: Injury 50(7): 1358-1363. Metcalfe et al. 2019: Pay for performance and hip fracture outcomes: an interrupted time series and difference-in-differences analysis in England and Scotland. In: Bone Joint Journal, 101-B(8): 1015-1023.
[8] NHS Improvement; NHS England 2019.
[9] Unter Prähabilitation, eine Wortschöpfung aus „Präoperativ“ und „Rehabilitation“, versteht man Maßnahmen, die den Patienten im Vorfeld einer Operation bestmöglich auf diese vorbereiten, um das Komplikationsrisiko zu verringern und eine möglichst schnelle Erholung nach der OP zu gewährleisten. (vgl. Ärzteblatt 2021: „Prähabilitation“ soll OP-Risiken mindern.)
[10] Es gibt bereits seit 2019 einen Qualitätsvertrag im Bereich der Endoprothetik zwischen der BARMER und den Waldkliniken Eisenberg (Thüringen), welcher eine Bonuszahlung unter anderem von einem standardisierten Screeningprogramm auf Vorerkrankungen und einer intensiveren Integration der Rehabilitation in die Versorgung unmittelbar nach der Operation abhängig macht.
[11] SBK 2022: SBK-Qualitätsvertrag zur Prävention des postoperativen Delirs. Pressemitteilung: Die SBK schließt mit der Alexianer Krefeld GmbH ihren dritten Qualitätsvertrag zur Prävention eines postoperativen Delirs ab. Pressemitteilung vom 11.05.2022.
[12] SBK 2022: Neuer Qualitätsvertrag: Fast-Track-Endoprothetik. Pressemitteilung: SBK und Asklepios schließen Pay-for-Performance-Vertrag über schnelle, innovative Operationsmethode für Knie- und Hüftersatz. Pressemitteilung vom 04.05.2022.
Lesen Sie den ersten Teil des Beitrages:
Prof. Roger Jaeckel: „Qualitätsverträge nach §110a SGB V“ , Observer Gesundheit, 3. Mai 2022
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