23.06.2025
Politischer Abend des BPI mit Charme-Offensive und Schimpf-Kanonade













So schnell kann´s gehen. Letztes Jahr war Friedrich Merz bei der Hauptversammlung des BPI und erklärte recht offenherzig: Um die Finanzmisere der GKV zu lösen, müssten die Menschen mehr für ihre Gesundheit ausgeben. Ein mutiges Statement vor der Bundestagswahl, das sich bewahrheitete. Zum Jahreswechsel erhöhten die Kassen ihre Beitragssätze. Von Selbstbeteiligung ist noch nicht die Rede. Stattdessen will die Regierung Merz nun Darlehen an die GKV vergeben.
Ein alter Trick der Schuldenmacher, denn Ausgaben für Darlehen fallen nicht unter die Schuldenbremse, anders als der Bundeszuschuss. Der Bund kann sich so – unbehelligt vom Grundgesetz – viele Milliarden leihen und diese als Darlehen getarnt an die GKV weiterreichen. Klingt zwar ein bisschen unseriös, ist aber doch recht praktisch. Ein kleiner Schattenhaushalt eben.
Mit solchem Finanzkram will sich Gitta Connemann (CDU) am feierlichen Vorabend der diesjährigen BPI-Hauptversammlung im Allianz-Forum nicht aufhalten. Die parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium hat Größeres im Sinn: Vertrauen, Innovation und vor allem Hoffnung. „Sie stehen für Hoffnung“ ruft sie der Industrie entgegen und verspricht: „Alles, was wir machen werden, werden wir mit Ihnen machen“. Dabei garniert Connemann ihre Rede mit zahllosen Fachbegriffen. Kaum etwas bleibt unerwähnt, vom Critical Medicines Act bis zum Innovationsbooster, begleitet von einem Feuerwerk an freundlichen Botschaften. Wer will da schon übers Geld reden. Nachdem sie die Seelen gestreichelt und die (anderen) Themen zumindest benannt hat, verabschiedet sich Connemann mit einem ganz persönlichen Segen: „Bleiben sie behütet!“ – dem Publikum wird’s warm ums Herz. Nur am Pressetisch sieht man vereinzelt Augenrollen.
Dann ist Schluss mit Zuversicht und liebenswürdiger Zuwendung. Die Bühne betritt Prof. Jürgen Falter von der Uni Mainz. Er startet einen Rundumschlag und schildert, was in Deutschland alles schlecht läuft: Infrastruktur und Bundeswehr sind „verkommen“, die Sozialsysteme stehen „kurz vor der Insolvenz“, die öffentliche Verwaltung ist überfordert und die Migration läuft ungesteuert. Außerdem herrscht Wohnungsnot, Deutschland wird de-industrialisiert und die Bürokratie ist am Wuchern. Das wussten viele Gäste jedoch schon vorher, und so steigt mit der Zeit der Geräuschpegel. Falter ruft den Saal zur Ordnung und verspricht: „es geht schneller, wenn Sie ruhig zuhören“. Das klingt wie der Auftakt zu einer klugen Einordung der ganzen Misere. Doch weit gefehlt. Der Politikwissenschaftler zieht ein reichlich kurzes Fazit: Die Regierung stehe vor einer Sisyphos-Aufgabe, habe richtige Ansätze und dürfe nicht resignieren. Das wiederum wussten wir auch schon vorher. Trotzdem schlägt Falter zum Abschluss überaus freundlicher Applaus entgegen. Offensichtlich hat der schimpfende Gelehrte der alten Schule den Leuten aus der Seele gesprochen. Da reicht dann auch ein kurzes Fazit.
Schließlich tritt Klaus Holetschek (CSU) ans Mikrofon. Er hat den Freistaat Bayern als Gesundheitsminister durch die Pandemie geführt und wirkt nun als CSU-Fraktionsvorsitzender im bayerischen Landtag. Holetschek spricht von Innovationen, wie dem Corona-Impfstoff, und von Lieferengpässen bei Generika. Die Pharma-Industrie sei systemrelevant, daher brauche es den Pharma-Dialog. In den drei Schlüsselressorts säßen nun drei starke Frauen aus der Union: Nina Warken (BMG), Katherina Reiche (BMWE) und Dorothe Bär (BMFTR). Es sei ein frommer Wunsch, die abgewanderten Hersteller nach Deutschland zurückzuholen. Stattdessen solle man „die, die hier sind, pflegen“. Das AMNOG werde man mit der Industrie zusammen weiterentwickeln. Die Abwasserrichtline der EU („KARL“) sei „Unsinn“ und müsse „vorne auf die Tagesordnung“; da sei er sich mit Manfred Weber (CSU), dem EVP-Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament, einig. Auch Holetschek mag nicht recht übers Geld reden. Er merkt kritisch an, mit der Erhöhung der Herstellerabschläge im GKV-FinStG habe die Ampel „vollendete Tatsachen“ geschaffen. Das kann man als Absage an künftige Schnellschüsse verstehen, wenn auch Sparmaßnahmen selten vorher mit den Betroffenen diskutiert werden. Und eines kann man auch im schönsten Dialog nicht weglächeln: aus Darlehen des Finanzministers wird die GKV nicht fett. Das gilt auch in Bayern.
Der BPI selber will die Probleme nicht nur benennen, sondern mit Vorschlägen in Vorleistung gehen. Moderator Frank Plasberg fragt den Vorsitzenden Oliver Kirst, was eigentlich die Industrie zur Lösung der Probleme beitragen wolle. Kirst nimmt den Ball gerne auf und berichtet: Seit November 2024 diskutieren auf Initiative des BPI insgesamt 30 Institutionen aus der Versorgung über Probleme und Lösungen. Im Netz spricht der Verband vom „Tag der Gesundheitsversorgung“ und „Vertreterinnen und Vertretern aus der Ärzteschaft, Apothekerschaft, von Krankenkassen und Kliniken sowie der Patientenvertretung und Pflege“. Kirst betont, man arbeite gemeinsam an Lösungsvorschlägen zu Finanzierung, Prävention, Innovation und Digitalisierung. Und: im November dieses Jahres könnten erste Ergebnisse vorgestellt werden. Das merken wir uns und sind gespannt!
Frank Plasberg sorgt zum Schluss noch für Heiterkeit. Er kann es gar nicht fassen, mit welchen Problemen sich Arzneimittel-Hersteller herumschlagen müssen und nimmt als Beispiel KARL. Das ist die neue EU-Richtlinie, nach der die Pharma-Industrie für die Rückstände im Toiletten-Abwasser der Patienten aufkommen soll – und zwar proportional zur Toxizität der Ausscheidungen. Auf so eine Idee kann nur die EU kommen. Mit der Frage „wer kennt KARL?“ eilt Plasberg ins Publikum und sucht nach Verbündeten in Unwissenheit. Dabei landet er ausgerechnet bei Volker Bahr, der das privat geführte Unternehmen Medac aus Hamburg-Wedel vertritt. Als Vorsitzender des BPI-Ausschusses Gesundheitspolitik weiß Bahr natürlich bestens Bescheid. Mit einem Lächeln auf den Lippen klärt er Plasberg auf: Als Onkologie-Versorger müsse Medac mit einer hohen Toxizität rechnen und damit auch mit hohen Kosten. Bei generischen Onkologika sei das durchaus ein Problem. Da hat der Starmoderator wohl den Falschen erwischt. Plasberg nimmt es sportlich und versichert, er habe zuvor noch nie mit Bahr gesprochen. Das glauben wir ihm gerne.
Die Überleitung zum gemütlichen Teil hält BPI-Geschäftsführer Kai Joachimsen wie immer kurz: Die Mittel seien knapp, die Planung dafür verlässlich, der Kartoffelklos werde diesmal knusprig, und um 22 Uhr gebe es zum Abschluss Currywurst. Was will man mehr? Die Band Stand-Arts sorgt für gute Stimmung und die Gäste werden per Flying Buffet an den Tischen verwöhnt – mit recht robuster Lieferkette. Was bleibt ist die Frage, wo sich die Industrie in der anstehenden Finanzdebatte wiederfinden wird. Strukturreformen sind bekanntlich unbequem – Dialog hin oder her. Bei diesen Aussichten halten wir es mit Gitta Connemann und wünschen den Gastgebern herzlich: Bleiben Sie behütet!
Sebastian Hofmann
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