Pflegebedürftige und ihre Angehörigen jetzt entlasten

Claudia Moll MdB, Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung

Die Belastungsgrenze der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen, insbesondere in der häuslichen Pflege, ist überschritten. Es rächt sich, dass sie jahrelang kaum Verbesserungen erfahren haben.

Jeder der seine Angehörige zuhause pflegt, erlebt erfüllende Momente, kommt aber auch oft an die eigenen Grenzen – körperlich, seelisch und finanziell. Pflegebedürftige und pflegende Angehörige machen trotzdem nur selten mit lauter Stimme auf ihre immer schwieriger werdende Situation aufmerksam, da sie schlichtweg weder die Kraft noch die Zeit für Demonstrationen oder lange Forderungspapiere haben. Damit der „größte Pflegedienst Deutschlands“ nicht das Handtuch wirft und Pflegebedürftige zu Hause weiterhin gut versorgt sind, braucht es einen Dreiklang aus der Stärkung der häuslichen und professionellen Pflege sowie dem Ausbau ehrenamtlicher Unterstützung.

 

Dynamisierung der Pflegesachleistungen

Der Koalitionsvertrag sieht eine regelmäßige Erhöhung des Pflegegeldes ab 2022 vor. Bereits Ende 2020 wurde eine Erhöhung der Leistungsbeträge um 5 Prozent für notwendig erachtet, aber dennoch wurde dies bisher nicht umgesetzt. Genauso wie die Zusammenführung von Verhinderungs- und Kurzzeitpflege in einem Entlastungsbudget. Beides muss nun endlich kommen. Dem Entlastungsbudget sollte jedoch noch eine Reihe weiterer Einzelleistungen zugeordnet werden. Denn der bislang starre Leistungskatalog der Pflegeversicherung ist schon lange nicht mehr zeitgemäß. Um passende Pflegesettings zu organisieren, braucht es aber ein flexibel einsetzbares Entlastungsbudget. Und davon würden auch junge Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen profitieren – die oft nicht mitgedacht werden, wenn man über Pflegebedürftige spricht.

Und auch diejenigen, die ihre Versorgung über einen Pflegedienst organisieren, müssen entlastet werden. Die Kostensteigerungen durch zum Beispiel Inflation und Tarifsteigerungen werden von den Pflegediensten auf ihre Klienten umgelegt. Das heißt, dass sie wesentlich weniger Leistungen von der Pflegeversicherung finanziert bekommen und immer mehr aus eigener Tasche zahlen müssen. Daher braucht es auch für die Pflegesachleistungen eine regelhafte Dynamisierung.

Zur Wahrheit gehört, dass das alles nur mit mehr Geld geht. Die im Koalitionsvertrag ebenfalls vorgesehene Erhöhung des Beitragssatzes der Pflegeversicherung ist sinnvoll und muss zeitnah kommen. Und es muss aktuell einen Krisen-Zuschlag bei allen Pflegeleistungen aus Steuermitteln geben. Denn die allseits spürbare Kostenexplosion und Energiekrise, trifft die etwa 4 Millionen häuslich versorgten Pflegebedürftigen und deren Angehörige besonders hart: Viele Angehörige sind zur Versorgung auf das Auto angewiesen, Wäsche muss öfter gewaschen werden und die Heizung muss warm bleiben, damit die Pflegebedürftigen nicht im Kalten sitzen. Darum müssen bei den Entlastungspaketen der Bundesregierung endlich auch die Pflegebedürftigen bzw. ihre Angehörigen adressiert werden!

 

Verbindlicher Anspruch auf Homeoffice

Eine Entlastung der pflegenden Angehörigen muss auch in der Arbeitswelt erfolgen. Im Homeoffice zu arbeiten, erleichtert immens die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf und trägt dazu bei, dass Mitarbeitende auch dem Arbeitsmarkt erhalten bleiben. Spätestens seit Corona ist klar, dass das gut funktioniert. Deshalb muss ein Anspruch auf Homeoffice für pflegende Angehörige verbindlich und umfassend ausgestaltet werden.

Die in der letzten Legislatur auf den Weg gebrachte Begrenzung der Eigenanteile je nach Verweildauer wirkt seit diesem Jahr. Trotzdem steigen die Eigenanteile in der stationären Pflege in vielen Fällen sprunghaft, da sich auch hier Tarifsteigerungen und die Energiekrise auswirken. Deshalb müssen nachhaltigere Lösungen gefunden werden. Auch hier bietet der Koalitionsvertrag Lösungen an: Die geplante Herausnahme der Behandlungspflege und der Ausbildungskostenumlage wird die Pflegesätze deutlich senken – ein klarer Arbeitsauftrag, der nun umgesetzt werden muss. Daneben sind insbesondere auch die Länder in der Pflicht, endlich überall die Investitionskosten zu übernehmen und Pflegebedürftigen so weitere zigtausend Euro pro Jahr zu ersparen. Gleichzeitig wäre es für Einrichtungsbetreiber auch deutlich leichter, bauliche Maßnahmen umzusetzen – insbesondere für teils noch immer unzureichende Barrierefreiheit, veränderte klimatische Bedingungen mit extremen Hitzeperioden oder einfach auch WLAN.

 

Ehrenamtliche und freiwillige Unterstützung auf- und ausbauen

Ein selbstbestimmtes Leben mit Pflegebedürftigkeit ist viel leichter möglich, wenn es neben professionellen Strukturen auch ehrenamtliche gibt. Hier gibt es zahlreiche gute Initiativen und Projekte gerade auf kommunaler Ebene – sowohl in städtischen Quartieren als auch dörflichen Gemeinschaften. Damit regionale Initiativen zu einem festen Bestandteil werden, müssen die Kommunen genügend Mittel bereitstellen. Und auch die Nachbarschaftshilfe muss überall zu einer Leistung werden, die über den Entlastungsbetrag der Pflegeversicherung genutzt werden kann. In einigen Bundesländern ist das bereits möglich.

Daneben sollte die offene Diskussion über eine soziale Pflichtzeit weitergeführt werden. Denn viele Menschen wollen sich engagieren und könnten so unterstützend wirken. Es ist auch eine Chance, mehr Menschen für Ausbildungen in sozialen Tätigkeitsfeldern zu gewinnen. Letztendlich kann es uns aber als Gesellschaft nur weiterbringen, wenn jeder eine Idee davon bekommt, wie zum Beispiel ein Leben mit Pflegebedürftigkeit aussieht und was soziales Engagement tatsächlich bedeutet.


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