NRW-Krankenhausplanung: Jetzt kommt’s drauf an!

Was und wieviel vom Gutachten wird umgesetzt?

Dr. Robert Paquet

In einem kürzlich vorgelegten Gutachten wird eine Bestandsaufnahme der Krankenhauslandschaft in Nordrhein-Westfalen vorgenommen. Dabei werden für die aktuelle Situation, aber auch für die Bedarfsprognose bis 2032 starke Anzeichen für Überkapazitäten und Qualitätsprobleme festgestellt. Empfohlen wird der Übergang zu einer leistungsorientierten Planung mit einer Vielzahl von Verhandlungsschritten und regulatorischen Maßnahmen. Die Gutachter unterschätzen allerdings die politischen Konflikte, die den strategischen Umbau der Planung begleiten würden. Es ist offen, ob die Kraft der Landesregierung für die Umsetzung dieses Projektes reichen wird.

 

Minister Laumann stützt Kritik und Vorschlag der Experten

Die seit 2017 in Nordrhein-Westfalen amtierende Landesregierung (CDU/FDP) ist in der Gesundheitspolitik ehrgeizig gestartet. Minister Laumann hat schon kurz nach seinem Amtsantritt ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Krankenhausplanung auf eine konzeptionell neue Grundlage stellen soll. Das mit Spannung erwartete Werk wurde am 12. September in Düsseldorf präsentiert[1]. Dabei hat sich Laumann mit ungewöhnlich klaren Worten wichtige Feststellungen des Gutachtens zu eigen gemacht. Zum Beispiel die Kritik an der Behandlungsqualität: Rund 53 Prozent aller Prothesen für Kniegelenke seien in Krankenhäusern mit weniger als 100 dieser Eingriffe pro Jahr eingesetzt worden; das seien im Schnitt nicht einmal zwei Operationen in der Woche. Im Interesse der Versorgungsqualität sei das nicht akzeptabel, so Laumann. „Noch gravierendere Zahlen gibt es bei Operationen der Bauchspeicheldrüse. Diese Behandlung ist eine der kompliziertesten Operationen, die es gibt. Ungefähr 2.700-mal wurde diese Behandlung durchgeführt. Allerdings in 165 Krankenhäusern. Diese hohe Zahl an behandelnden Krankenhäusern führt dazu, dass in 66 Krankenhäusern weniger als zehn Operationen im Jahr erbracht wurden. Und das, obwohl der Gemeinsame Bundesauschuss hier eine Mindestmenge von 10 Operationen vorschreibt. Interessant sind auch die Erkenntnisse zur Schlaganfallversorgung. Von den rund 64.000 Schlaganfällen in NRW werden rund 11.000 bzw. 18 Prozent in Krankenhäusern behandelt, die über keine Stroke Unit verfügen, also über keine spezielle Schlaganfallstation.“

Das Gutachten empfiehlt eine grundlegende Reform der Krankenhausplanung: weg von der unzureichenden Planung von Bettenzahlen, hin zu einer detaillierten Ausweisung von Leistungsbereichen und Leistungsgruppen. Laumann ist von dieser Umstellung überzeugt: „Darum stoßen wir die wohl größte Reform der nordrheinwestfälischen Krankenhauslandschaft seit Jahrzehnten an.“ (Pressemitteilung des MAGS NRW vom 12.9.2019). Dabei sollen auch Qualitätskriterien in die Planung aufgenommen werden.

Das Gutachten ist von der „PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH“ erstellt worden, die maßgeblich von der „Lohfert & Lohfert AG“ (Hamburg) sowie dem „Fachgebiet Management im Gesundheitswesen der Technischen Universität Berlin“ (Prof. Dr. Reinhard Busse) unterstützt wurde. Das insgesamt fast 900 Seiten starke Gutachten betrachtet die aktuelle stationäre Versorgungssituation in Nordrhein-Westfalen, identifiziert für die jeweiligen medizinischen Bereiche und die unterschiedlichen Regionen des Landes Über-, Unter- und Fehlversorgungen und gibt eine Bedarfsprognose für die Zukunft. Dargestellt und empfohlen wird eine neue Methodik für die zukünftige Krankenhausplanung.

Die Ergebnisse des Gutachtens sollen – so die Ankündigung von Minister Laumann – nun die Diskussionsgrundlage sein für die Erstellung eines neuen Krankenhausplans für Nordrhein-Westfalen, der „in den kommenden Monaten“ gemeinsam mit dem Landesausschuss Krankenhausplanung erarbeitet werden soll. Was nun tatsächlich passiert, ist allerdings unklar. Ob es zu Änderungen kommt, d.h. zu einer Abkehr vom Status quo der Fortschreibung des Ist-Zustandes („nachvollziehende Planung“), ist an politische Bedingungen geknüpft, die schwer zu erfüllen sind.

 

Bestandsaufnahme …

Das Gutachten beginnt mit einer Bestandsaufnahme. Dabei zeigt sich, dass NRW bei fast allen relevanten Indikatoren der stationären Versorgung „deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt und oftmals zur Spitzengruppe der Bundesländer gehört“. (KF, S. 5). Das gebe „hinreichend Anlass für eine kritische Auseinandersetzung mit den Krankenhausstrukturen und mit der stationären Leistungserbringung in NRW.“ (S. 7). Dazu wurden die Leistungsdaten aller Krankenhäuser (KH) in NRW und die Feststellungsbescheide (FSB) der Plan-KH erfasst und zusammen mit externen Daten zu Demografie, Krankenhaushäufigkeit und Geografie in einer Datenbank zusammengeführt. Schon das war eine herausfordernde Kernaufgabe. „Der anschließende Aufbau einer strukturierten Datenbank war der zentrale Punkt, um die notwendigen Fragestellungen in hoher Detailtiefe beantworten zu können.“ (S. 8).

Die derzeitige Krankenhausplanung in NRW basiert auf den Fachgebieten der Weiterbildungsordnung der Ärztekammern. „Die geringe Granularität der derzeitigen Fachabteilungsstruktur führt dazu, dass die Fachabteilungen Innere Medizin und Chirurgie gemeinsam circa 64 % der Fälle in NRW versorgen. Die Leistungsplanung und -steuerung wird somit erschwert, da in den Fachabteilungen Innere Medizin und Chirurgie eine starke Durchmischung von Basisversorgung und hochspezifischer Spezialversorgung vorliegt. Dies birgt im Rahmen der Versorgungsanalyse das Risiko von Fehlinterpretationen der Ergebnisse.“ (S. 13). Auch der Ressourceneinsatz könne damit nicht abgebildet werden. Nennenswerte Erkenntnisgewinne z.B. zur Feststellung von Unter-, Über- und Fehlversorgung könnten nur mit einer leistungsorientierten Krankenhausplanung gewonnen werden[2].

 

… mit neuem Instrumentarium

Der zentrale methodische Schritt im Hinblick auf eine effektive Leistungssteuerung ist die Entwicklung eines leistungsorientierten Planungsansatzes in Kapitel 6 des Gutachtens. Zurückgegriffen wird dabei auf die Kritik am Status quo: Die bisherige Bettenplanung bestehe oftmals in der Fortschreibung der bestehenden Kapazitäten, berücksichtige nicht die Verweildauern und die Auslastung etc. „Zudem ist das Bett als universelle Planungsgröße unter anderem auch angesichts des immer weiter fortschreitenden (medizin-)technologischen Wandels und einer fortschreitenden personalisierten Medizin wenig zukunftsorientiert, da es nicht die zunehmende Flexibilität der Patientenversorgung abbilden kann.“ (S. 21). Und dann mit feiner Ironie: „Sollten die Bundesländer ein Interesse an dem Ergebnis ihrer Planung haben, das heißt an der tatsächlichen Leistungserbringung und -verteilung, ist im Sinne der Daseinsvorsorge ein neues Instrumentarium mit stärkerem Leistungsbezug anzuraten und notwendig.“ (S. 22).

Vor diesem Hintergrund werden nun Leistungsbereiche und –gruppen (LB und LG) definiert. Nur so ließen sich auch für bestimmte LG die „ambulanten Behandlungsmöglichkeiten sektorenübergreifend planen“, die notwendige Vorhaltung von Medizintechnik beschreiben und Transparenz zur Förderung des Wettbewerbs der KH herstellen (ebenda). Hingewiesen wird ausdrücklich auf den Aufwand und die steigende Komplexität: „Der Weg hin zu einer leistungsorientierten Planung verlangt aufseiten der Planungsbehörde anfänglich einen Aufbau an Expertise unter anderem im Umgang mit großen Datenmengen, medizinischen Klassifikationssystemen und Qualitätsindikatoren.“ (S. 23). Die Gutachten knüpfen dabei an der Leistungsgruppensystematik des „Züricher Modells“ an, das allerdings nach pragmatischen Gesichtspunkten von 140 LG auf 25 Leistungsbereiche (LB) mit 70 somatischen LG und 10 LG im Bereich Psychotherapie vereinfacht wurde. Jeder LB wurde in ein bis sechs LG differenziert. Entscheidend für die Definition waren drei Kriterien:

  • medizinisch sinnvolle Leistungserbringung und -zuteilung,
  • Bedeutung für die Versorgung und der
  • Analyse- und Interpretationsaufwand.

„Dementsprechend wurde jede der circa 1.250 DRG des Fallpauschalenkatalogs 2017 eindeutig einer LG zugeordnet.“ (S.24). Die LG wurden in einer Hierarchie geordnet: „von Leistungen mit niedrigerem Schweregrad hin zu komplexeren medizinischen Leistungen und parallel von konservativer Therapie über interventionelle bzw. minimal-invasive Eingriffe hin zu komplexeren operativen Eingriffen.“ Abgegrenzt wurde der Leistungsbereich Grundversorgung, der alle DRG umfasst, „die von KH ohne erweiterte Fachabteilungsstruktur erbringbar sein müssen“. Ebenfalls abgegrenzt wurden „Querschnittsbereiche und sonstige Leistungen“, die fachübergreifend erbracht bzw. angeboten werden, wie z.B. die Intensivmedizin oder die Akutgeriatrie. (S. 25).

Für die Versorgungsanalyse der 16 geographischen Versorgungsgebiete in NRW (bei 5 Regierungsbezirken) wurden weitere Kennzahlen berücksichtigt, etwa Wanderungskennzahlen zur Darstellung der Mitversorgung unter den VG (S. 28). Um die Versorgungsdichte zu erkennen, wurde ein Versorgungsdichte-Index (VDI) entwickelt und für jedes Postleitzahl-Gebiet angewandt. Zur Bewertung wurde für jedes PLZ-Gebiet die Anzahl der in 20 Minuten Fahrtzeit erreichbaren KH-Standorte ermittelt, wobei zwischen fallzahlstarken KH-Standorten (definiert über das obere Fallzahl-Tertial) und weniger fallzahlstarken KH-Standorten unterschieden wurde.(S. 29) „Diese Darstellung stellt die Konzentration von Leistungen, insbesondere bei kleinen Fallzahl für spezialisierte LG, dar und gibt somit Hinweise auf ein Zentralisierungspotenzial.“ (S. 30).

 

Ergebnis und Bewertung

„Zur Visualisierung des Handlungsbedarfs wurde für jede geografische Analyseebene ein fünfstufiges Schema genutzt, um Anzeichen für eine starke bzw. für eine moderate Überversorgung (senkrechter bzw. schräg nach rechts oben gerichteter Pfeil), für eine bedarfsgerechte Versorgung (waagerechter Pfeil) sowie für eine moderate bzw. starke Unterversorgung (schräg nach rechts unten gerichteter bzw. negativ senkrechter Pfeil) abzuschätzen.“ (S. 30).

Exemplarisch das Ergebnis für die LG Dermatologie: Hier „deuten Anzeichen auf eine Überversorgung in allen Regierungsbezirken hin. Diese ist jedoch nicht von der komplexen Tumorversorgung im Bereich dermatologischer Spezialversorger getrieben, sondern durch die hohe Fallzahl in der Dermatologie mit Nähe zur Grundversorgung und zur ambulanten Versorgung. Ein Versorgungskonzept in diesem Bereich sollte somit das Angebot und die Leistungsstruktur des ambulanten Sektors berücksichtigen.“ (S. 37).

Ein zweites Beispiel: „Im Querschnittsbereich Palliativmedizin lassen die große Anzahl an kleinen Anbietern mit fehlender Spezialisierung sowie die vergleichsweise niedrigen Krankenhaushäufigkeiten, insbesondere für die spezialisierte palliativmedizinische Komplexbehandlung, auf eine in Teilen nicht bedarfsgerechte Versorgung schließen. Es zeigen sich in einigen Landesteilen folglich Anzeichen zur Unterversorgung, die jedoch aus falschen Versorgungsstrukturen resultieren.“ (S. 38).

Insgesamt zeigt sich, „dass der Bedarf an somatischen stationären Leistungen in nahezu allen medizinischen und geografischen Ebenen in NRW gedeckt ist. Zum Teil sind dabei deutliche Anzeichen von Überversorgung vor allem in den Ballungszentren zu verzeichnen. Insbesondere im Rhein-Ruhr-Gebiet gibt es eine hohe Anzahl an Leistungserbringern mit geringem Leistungsaufkommen in enger geografischer Beziehung bei gleichzeitig hoher Krankenhaushäufigkeit, insbesondere in elektiven LG. Dies kann als ein Anzeichen für eine hohe angebotsinduzierte Nachfrage interpretiert werden. Eine Zentralisierung der Leistungen würde dementsprechend zu höherer Qualität führen und eine medizinisch nicht indizierte Mengenausweitung einschränken.“ (S. 40). „Allerdings gibt es auch einige wenige LG und VG, für die Anzeichen für eine Unterversorgung bestehen. Dies trifft auf die LG Neuro-Frühreha und LG Palliativmedizin zu.“[3]

„Aufgrund hoher Überschneidungen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung wäre weiterhin eine sektorenübergreifende Analyse, insbesondere für die Notfallversorgung, in der Grundversorgung sowie in bestimmten vergleichsweise weniger anspruchsvollen elektiven LG wünschenswert.“ (ebenda).

Die Tendenz zur Überversorgung (bei teilweise fragwürdiger Qualität) wird auch durch die Betrachtung der „speziellen Fragestellungen“ (Notfallversorgung im Krankenhaus, Schlaganfall, Herzinfarkt, Geburtshilfe) bestätigt (Kapitel 9). Wenn man Überlegungen zu Mindestmengen einbezieht, zeigt sich relativ häufig eine „Gelegenheitsversorgung“ (S. 59). Die Auswertungen zeigen, „für fast alle Regionen eine hohe Dichte an Versorgern, insbesondere finden sich oft sehr kleine bis mittelgroße Standorte in direkter Nachbarschaft zu großen Versorgern. Dies scheint ein Grund dafür zu sein, dass in vielen Fällen die vom G-BA beschlossenen MMV und weitere Struktur- und Leitlinienvorgaben nicht eingehalten werden. Teilweise werden Mindestmengen drastisch unterschritten.“ (S. 64).

 

Bedarfsabschätzung bis 2032

Die Entwicklung des zukünftigen Bedarfs an stationären Leistungen wird im Wesentlichen durch die zu erwartenden Fallzahlen (Veränderung von Prävalenz und Inzidenz) und die zu erwartende Verweildauer bestimmt. Methodisch wird das Ist-Patientenspektrum in die Zukunft fortgeschrieben (Demographie). Allerdings wird ein Korrektur-Algorithmus zur Berücksichtigung des künftigen ambulanten Potentials angewandt. „Grundlage hierfür ist die Liste der ambulant durchführbaren OPS-Kodes sowie ein internationaler Vergleich mit den ambulant durchzuführenden CHOPS aus der Schweiz. Aus beiden Datenquellen wurde eine gemeinsame Liste an potenziell ambulant erbringbaren OPS-Kodes entwickelt.“ (S. 66). Bei der Verweildauer wird das demographisch veränderte Krankheitsspektrum in Verbindung mit dem zunehmenden ambulanten Potential berücksichtigt. Außerdem wird die „Fehlversorgung Kurzlieger“ bereinigt.

Im Ergebnis für NRW Gesamt zeigt sich bei den somatischen Fächern, „dass gemäß dem beschriebenen Vorgehen zur Prognose in 2032 nur noch rund 84.400 Betten benötigt werden und somit 18.400 Betten weniger als im Soll-Zustand laut FSB ausgewiesen. Der weitaus größere Teil dieser Bettendifferenz erklärt sich jedoch nicht über die prognostizierten Veränderungen (VWD, FZ-Entwicklung und Ambulantisierung), sondern vor allem über die Anpassung der Auslastung sowie die Optimierung der derzeitigen VWD. Während erstgenannte Effekte nur eine rechnerische Verringerung von circa 4.800 Betten verursachen, ist der zweitgenannte Effekt, also die Anpassung bzw. Optimierung der derzeitigen Strukturen, mit -13.600 Betten mehr als dreimal so relevant.“ (S. 67).

„Dabei sind teilweise uneinheitliche Entwicklungen in den LB und den geografischen Regionen festzustellen. So zeigt sich in der Fallzahl-Prognose auf der einen Seite für die LB Herz, Gynäkologie, Geburtshilfe, Onkologie/Hämatologie und Ophthalmologie ein deutlicher Rückgang von mehr als 10 % in der Nachfrage nach diesen Leistungen bis 2032. Außer im Bereich der Geburten und Neugeborenen ist dieser Rückgang auf ein vergleichsweise hohes ambulantes Potenzial zurückzuführen. – Auf der anderen Seite wird bis zum Jahr 2032 ein deutliches Fallzahlwachstum für die LB Thoraxchirurgie (+11 %), Nephrologie (+13 %) sowie für die Querschnittsbereiche Palliativmedizin (+16 %), Intensivmedizin (+13 %) und Geriatrie (+21 %) prognostiziert.“ (S. 74).

Für die psychiatrischen und psychosomatischen Fächer wird ein moderater Rückgang der benötigten Kapazitäten erwartet. Insbesondere für die vollstationäre Versorgung der PP wird ein Rückgang der Belegtage prognostiziert. „Dieser ist zum großen Teil auf eine Verschiebung der Behandlungen hin zu mehr teilstationär versorgten Patienten zu erklären.“ (S. 82).

 

Qualitätsorientierte Krankenhausplanung

Die überwiegend festgestellte „Überversorgung“ wird bis 2032 durch den rückläufigen Bedarf noch verstärkt. Die notwendige „strukturelle Umgestaltung“ soll aber nicht nur die Versorgungssicherheit gewährleisten, sondern auch die Versorgungsqualität steigern. Ziel ist, auf einer transparenten und nachvollziehbaren Datenbasis (jedoch „ohne übermäßige Regulierung“) einen leistungs- und qualitätsorientierten Planungsansatz für die Regionen zu schaffen. Die Gutachter betonen dabei erneut, dass die Differenzierung nach LB und LG „Voraussetzung für die Effektivität eines qualitätsorientierten Planungsansatzes ist“. (S. 84).

Zur Festlegung geeigneter Qualitätsdimensionen wurden überprüft: Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität, Mindestmengen sowie Servicequalität. Für die Eignung waren verschiedene Kriterien maßgeblich. Neben der validen Messbarkeit war vor allem die Frage zu beantworten, ob die Qualitätsdimensionen sinnvoll mit den Leistungsgruppen verknüpfbar sind. Außerdem spielten die Aspekte der standardisierten Erhebung und der Kontrollmöglichkeit eine Rolle, sowie die Frage, ob von der Wahl bestimmter Qualitätsindikatoren Fehlanreize für die KH ausgehen könnten. Im Ergebnis erfüllte vor allem die „Strukturqualität“ alle Anforderungen; Prozessqualität und Mindestmengen erwiesen sich als „selektiv“ nutzbar. Die Ergebnisqualität schied aus, weil sie methodisch nicht sicher messbar und ihre Verknüpfung mit den LG problematisch sei. Auch die Servicequalität schied wegen der unklaren Verknüpfung mit den LG und Messproblemen aus.

Die Methodik zur Erarbeitung von Qualitätsvorgaben wird im Bericht beispielhaft für drei sehr unterschiedliche Typen von LG durchgespielt (Ösophaguschirurgie, Endoprothetik Hüfte und Zerebrovaskuläre Störungen, inkl. Stroke). Bei der Strukturqualität geht es naturgemäß um technische und personelle Ausstattungsvorgaben, die Vorhaltung von Fachabteilungen, die bei Komplikationen beteiligt werden müssen (Intensivstation) etc. Im Hinblick auf die Prozessqualität wird am Beispiel der Ösophaguschirurgie gezeigt, welche Relevanz Tumorboard und Indikationskonferenz haben (aufgrund der meist onkologischen Indikationen). Die Anforderungen an diese Prozessbestandteile werden beispielhaft im Detail diskutiert. Außerdem können „weitere Anforderungen“, wie z.B. „Zertifizierungsvorgaben“ (für die Stroke-Unit) oder ein Zweitmeinungsverfahren (bei der Endoprothetik) hinzukommen. (S. 95).

Für den Bereich Psychiatrie erklären die Gutachter, dass Qualitätsvorgaben zum jetzigen Zeitpunkt nur auf Einrichtungsebene und nicht auf LG-Ebene definiert werden sollten. Richtungsweisend könnten dabei Ausarbeitungen der Gesundheitsdirektion Kanton Zürich sein. (S. 97).

Die Gutachter fassen zusammen: „Die Analyse geläufiger Qualitätsdimensionen hat ergeben, dass die Strukturqualität vollumfänglich zur Krankenhausplanung geeignet ist. Die Dimensionen Prozessqualität und Mindestmengen sind generell zur Krankenhausplanung geeignet, sollten jedoch nur selektiv für homogene LG verwendet werden.“ (S. 99).

 

Umsetzung in die Praxis

Im Ergebnis skizzieren die Gutachter die Zusammenführung der entwickelten Ansätze zu einem neuen Planungsprozess mit regionalem Bezug. Der erste Prozessschritt ist dabei die Veröffentlichung der Ergebnisse der Versorgungsanalyse, der Bedarfsprognose und der Feststellung des Handlungsbedarfs in der jeweiligen Region (Anzeichen für Überversorgung, bedarfsgerechte Versorgung oder Unterversorgung). Im zweiten Schritt werden die Krankenhausträger dazu aufgefordert (noch vor Beginn der eigentlichen Verhandlungen), „für jede zu verhandelnde LG zu erklären, ob eine Versorgungsabsicht besteht. Falls ein Krankenhausträger eine positive Absichtserklärung für eine LG einreicht, muss der Krankenhausträger Angaben zur Einhaltung der Qualitätsvorgaben der jeweiligen LG liefern.“ (S. 104). Die Gutachter weisen darauf hin, dass das Verfahren anspruchsvoll ist: „Zum Zweck der Auskunftserteilung sollte durch das MAGS eine softwarebasierte Lösung, beispielsweise in Form einer Online-Plattform, entwickelt und eingerichtet werden, die eine strukturierte digitale Eingabe aller Informationen ermöglicht. So können die Selbstangaben der Krankenhausträger direkt als Datenbank angelegt werden und es wird eine standardisierte und automatisierte Prüfung der Angaben auf Validität ermöglicht.“ (ebenda). „Die Absichtserklärung und die Selbstangaben der Krankenhausträger bilden die Basis der nachfolgenden Verhandlungen der regionalen Planungskonzepte.“ (ebenda) „Ziel der Verhandlung ist die Konsensfindung darüber, welche KH-Standorte ein Versorgungsangebot für eine bestimmte LG erhalten und welche KH-Standorte von der Versorgung ausgeschlossen werden sollten.“ (S. 106).

Unabhängig von der Frage, ob es zu einer einvernehmlichen Lösung kommt, ist der nächste Schritt die Weiterleitung der Verhandlungsergebnisse (über die Bezirksregierung (BR), die die Ergebnisse prüft und eine Empfehlung formuliert) an das MAGS. „Sobald das MAGS die Ergebnisse der regionalen Planungskonzepte und die Empfehlungen der BR erhalten hat, prüft es diese … inhaltlich und rechtlich. In diesem Zuge bestätigt das MAGS die Empfehlung der BR oder es lehnt diese ab.“ (S. 109). Wesentlich ist nach Auffassung der Gutachter ein straffer Zeitplan für diesen Planungsprozess, der nicht viel länger als ein Jahr betragen sollte. Für die Fortschreibung sollten „ordentliche Planungszyklen“ durch das MAGS vorgegeben werden. Dabei sollten die LG, die eher der Grund- und Regelversorgung zuzurechnen sind (z.B. LG Gastroenterologie, Allgemeine Urologie, Allgemein- und Viszeralchirurgie) alle fünf Jahre neu geplant und verhandelt werden. Demgegenüber sollten LG, die eher der Schwerpunkt- und Maximalversorgung zuzurechnen sind (z.B. LG Pankreas- und Lebereingriffe, zerebrovaskuläre Störungen mit Stroke, Transplantationen), nur alle zehn Jahre neu geplant und verhandelt werden (S. 110).

In ihrem Schlusskapitel geben die Gutachter Handlungsempfehlungen zur Umsetzung ihrer Vorschläge. Der entscheidende Hinweis richtet sich auf die Implementierung eines LG-Groupers, der eine automatisierte Zuordnung der Daten der KH anhand der festgelegten Methodik (auf Basis der DRG, ICD oder OPS-Kodes sowie Alter) zu einer LG leisten soll. Mit dessen Entwicklung sollten geeignete Unternehmen beauftragt werden. Der Grouper sollte auch den Plankrankenhäusern zur Verfügung gestellt werden (S. 114). Auf die Straffung des Planungsverfahrens wurde bereits hingewiesen. Schließlich sollte auch eine Verknüpfung von LG und Investitionsfinanzierung angestrebt werden. Im Gegensatz zur bestehenden Pauschalförderung sollte eine zielgerichtete Steuerung der Investitionsmittel über Einzelförderung erfolgen. Zum Schluss erneut der Hinweis, dass die Implementierung einer leistungs-, bedarfs- und qualitätsorientierten Krankenhausplanung die Bereitstellung der notwendigen (und vor allem zusätzlichen) Sach- und Personalressourcen sowie entsprechender fachlicher Kompetenzen (beim MAGS und in den Bezirksregierungen) erfordert (S. 117).

Zum Verfahren wird noch eine Alternative diskutiert: Mit einer „umfassenden Einführung“ des neuen Verfahrens könnte „der anzustrebende Paradigmenwechsel und die damit verbundene vollständige Abkehr vom Bett als Planungsgröße bis zum Jahr 2022 umgesetzt werden.“ Mit einer „sukzessiven Einführung“ würde man dagegen zwei Schritte gehen und das Verfahren zunächst für eine Auswahl von LG umsetzen (S. 118f.). Hier würden sich als Einstieg z.B. die LB Bewegungsapparat und Neurologie (zusammen mit einem Fallzahlanteil von ca. 15 Prozent) eignen. Eventuell ergänzt um ausgewählte LG des LB Herz, der rund 6 % aller Fälle ausmacht und in NRW durch eine hohe Überversorgung gekennzeichnet ist. – Bei der Abwägung der beiden Umsetzungsvarianten spricht für den „sukzessiven“ Einstieg, dass man zügig beginnen könnte und im Laufe des Prozesses „Lernmöglichkeiten“ hätte. Andererseits müsste man bei der schrittweisen Implementierung über einen gewissen Zeitraum die Parallelität zweier Planungssystematiken bewältigen. Außerdem müssten für den Einstieg bestimmte Fachgebiete und LG ausgewählt und voneinander abgegrenzt werden, was durch den hierarchischen Aufbau der LG erschwert wird (S. 123). Weswegen nach Empfehlung der Gutachter „die umfassende Einführung der neuen Planungsmethodik vor dem Hintergrund der besseren Ressourcenallokation die vorzuziehende Variante darstellt.“ (ebenda).

Zusammenfassend unterstreichen die Gutachter noch einmal die Vorteile ihres Planungsmodells[4]: Der konsequente Übergang von der Bettenorientierung zur Leistungsorientierung bietet Transparenz über das Leistungsgeschehen, die den Häusern die Erarbeitung einer „langfristigen Medizinstrategie“ ermöglicht. Leistungsstarke Bereiche können identifiziert werden, und die Abstimmung der Leistungsanbieter in regionalen Netzwerken wird gefördert. Damit wird wiederum die Planungssicherheit gestärkt. Die KH haben ein „konstantes Wettbewerbsumfeld aufgrund klar abgegrenzter Versorgungsaufträge.“ Die Qualitätsorientierung wird gefördert: „Erstmals existiert ein strukturiertes Vorgehen, Wettbewerber mit unzureichender Qualität von der Versorgung bestimmter Leistungen auszuschließen.“ „Qualitätsorientierte Leistungsumverteilung führt zur Realisierung von Skalenerträgen und die vorhandenen Investitionsmittel werden zielgerichteter verteilt.“

 

Gesamteinschätzung

Die Aufbereitung der Basisinformationen ist sehr wertvoll und schafft erstmals Transparenz. Daran zeigt sich bereits, dass die bisherige Krankenhausplanung keine brauchbare Grundlage hatte. Das Gutachten zeigt nun methodisch den Weg zu einer Leistungsplanung auf, die allerdings standardisiert und – im Hinblick auf die Informationsaufbereitung – weitgehend automatisiert eingeführt werden müsste. Die weiteren von den Gutachtern entwickelten und empfohlenen Verfahrensschritte erscheinen zwar in sich konsequent und bauen logisch aufeinander auf. Etwas blauäugig erscheint jedoch der Gedanke, die Dinge würden sich dabei überwiegend im Konsens entwickeln. Die KH-Träger und ihre Einrichtungen stehen in scharfer Konkurrenz zueinander. Schon die Interessenbekundungen für Versorgungsaufträge dürften daher zu Konflikten führen. Der freiwillige Verzicht eines KH auf bisher besetzte „Marktanteile“ in einer Leistungsgruppe bzw. seine konsensuelle Unterordnung in eine regionale Kooperation wären nach aller Erfahrung sehr ungewöhnlich.

Schon diese Konflikte dürften die Grenzen der Versorgungsgebiete weit überschreiten und bei den Kompetenzen der Bezirksregierungen nicht haltmachen. Wenn man über die bloße Fortschreibung des Status quo hinauskommen will, dürfte daher das MAGS von vornherein in die Kämpfe aller rund 370 Krankenhausstandorte verwickelt werden. Ob die politischen Kräfte der Koalition und auch des Ministers, Karl-Josef Laumann, dazu ausreichen, ist eine offene Frage. Erst recht, wenn die entsprechenden Konflikte das Jahr 2021 bestimmen und damit den Vorwahlkampf zur Landtagswahl im Frühjahr 2022 prägen werden.

Mit der Bestandsaufnahme und der kritischen Würdigung der aktuellen Verhältnisse könnte man ja noch durchkommen. Die Umsetzung von Schlussfolgerungen daraus würde jedoch direkt und schmerzhaft die Interessen einzelner Häuser berühren. (Über die finden sich dann konsequenterweise in dem Gutachten keine Informationen; das gesamte Werk geht nicht über die regionale Ebene der „Versorgungsgebiete“ (mit jeweils mehreren Stadt- und Landkreisen) hinaus. Insoweit bleibt das einzelne Haus immer noch hinreichend hinter einer Gruppe versteckt.) Diese politische Brisanz, die ja nicht nur das MAGS, sondern auch die Parteien und die einzelnen Abgeordneten des Landtags berührt, dürfte der Grund dafür sein, dass man seit der Präsentation des Gutachtens nichts mehr über die Umsetzung gehört hat. Der vorgelegte Zeitplan – Umstellung der Planungssystematik bis Ende 2020 – erscheint daher als überaus ambitioniert.

Gleichwohl ist jedem Krankenhaus in NRW anzuraten, sich mit dem Vorschlag zur neuen Planungssystematik vertraut zu machen und das eigene Leistungsangebot im Lichte der Bestandsaufnahme und der Bedarfsprognose kritisch zu überprüfen. Dabei sollte klar sein, dass man die vorgeschlagene Methodik prinzipiell auch für kleinere regionale Einheiten als die „Versorgungsgebiete“ fortentwickeln kann, ggf. bis an die Schwelle der einzelnen Krankenhäuser. Transparenz kann insoweit schon eine Drohung sein.

Andererseits: Der intelligente Vorschlag zu einer neuen Planungssystematik führt nicht automatisch zu mehr Fachkompetenz beim MAGS und den Bezirksregierungen. Erst recht gibt es der Landesregierung nicht direkt mehr Investitionsmittel, mit denen sie besser steuern könnte. Die politischen Fallstricke wurden bereits erwähnt. Insoweit sollte man nicht allzu große Hoffnungen auf das Gutachten und die Krankenhaus-Planung durch die Länder setzen. Der Ansatz wirft allerdings die Frage auf, wie jenseits dieser Planung eine qualitätsorientierte Umgestaltung der Krankenhauslandschaft gelingen kann. Die bundespolitischen Vorgaben (durch Gesetz und G-BA), die das Gutachten ja auch als Hebel benennt, dürften hier die größere Wirkung entfalten.

 

[1] „Gutachten – Kurzfassung (KF): Krankenhauslandschaft Nordrhein-Westfalen“, Berlin im August 2019; Herausgegeben von PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH, Friedrichstraße 149, 10117 Berlin. Alle weiteren Informationen, auch die Langfassung, siehe: https://www.mags.nrw/pressemitteilung/gutachten-empfiehlt-grundlegende-reform-der-krankenhausplanung-nordrhein-westfalen – Lang- und Kurzfassung haben die gleiche Kapitelzählung. Bei der Kurzfassung (KF) wurde vor allem auf die ausführliche Darstellung der Empirie verzichtet.

[2] Auf die Besonderheit der Versorgungsstruktur der psychiatrischen und psychosomatischen Fächer (Kapitel 5) wird hier nicht näher eingegangen. In diesem Bereich sei die Gliederung nach Leistungsgruppen nicht angemessen; außerdem stellt sich das Problem, dass noch nicht alle Standorte ihre Fallzahlen gemäß dem im Jahr 2013 eingeführten pauschalierten Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) abrechnen (S. 16). Ein besonders gravierendes Spezialproblem in diesem Bereich ist der Trend von stationären zu teilstationären Leistungen.

[3] Für den Bereich „psychiatrische und psychosomatische Fächer“ (PP) wird festgestellt (Kapitel 8): „Die durchgeführte Versorgungsanalyse zeigt auf, dass NRW in den Ballungsräumen in allen LG gut versorgt ist.“ Allerdings „erscheint eine sektorenübergreifende Planung unter Einbeziehung des nicht-stationären Versorgungsangebotes unbedingt notwendig. Insbesondere sollten in einem ersten Schritt psychiatrische Institutsambulanzen in die Analysen einbezogen werden.“ (S. 44f.).

[4] Präsentation des Gutachterteams am 12.9.2019, Seite 15


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