18.01.2023
Neujahrsempfang des Deutschen Hausärzteverbandes
Der erste große Berliner Neujahrsempfang ist wie immer der des Deutschen Hausärzteverbandes. In diesem Jahr heißen die Gastgeber Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender, und Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, erste stellvertretende Bundesvorsitzende, seit September 2022 im Amt. Und politische Prominenz sowie Vertreter von Verbänden und Institutionen kommen zahlreich an diesem Winterabend in den Capital Club im Herzen Berlins; darunter auch der Bundesgesundheitsminister.
Zu Beginn seiner Rede bedankt sich Beier erst einmal bei seinem Vorgänger Ulrich Weigeldt. Der hätte diesen Empfang zu der derzeitigen Größe und dem Wert verholfen. Beier habe überlegt, ob er einen Handstand machen müsse, um mehr Aufmerksamkeit für die hausärztliche Versorgung zu bekommen, sagt er dann Richtung Politik. Seine Kollegen hätten das Gefühl, es sei selbstverständlich, was sie täglich leisten. 90 Prozent der ambulanten Versorgung würden sie während der Infektwellen übernehmen. Mehr als 100 Millionen Impfungen seien von Hausärzten während Corona erfolgt.
Nicola Buhlinger-Göpfarth legt nach. Während der prekären Situation bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen Ende 2022 hätten die Hausärzte vor allem in ländlichen Gebieten 41 Prozent der Versorgung übernommen. Sie fordert mehr Wertschätzung ein.
Doch nicht nur das: Bedarfsgerechte und effiziente Strukturen nennt Beier. Doch da haben die 30.000 Hausärzte augenscheinlich ihre Zweifel. Hinsichtlich von geplanten Gesundheitskiosken, Primärzentren oder der Auslagerung von ärztlichen Leistungen in Apotheken fürchten sie Doppelvorhaltungen. Und die Frage von Beier ist berechtigt, ob politisch bedacht ist, dass man in Zeiten knapper Ressourcen lebe. Die würden, so seine Einschätzung, „kannibalisiert“.
Beier verweist auf die Terminsercvicestellen. Bedürfnisse würden befriedigt, aber nicht der Bedarf. Seine Frage: Wie kann besser gesteuert werden?
Seine Kollegin Bühlinger-Göpfarth hat die passende Antwort: die hausärztliche Versorgung forcieren. Das 15-jährige Bestehen der HZV werde in diesem Jahr gefeiert – sie sei das Arbeitsmodell der Zukunft. „Die beste Idee im System“, so Bühlinger-Göpfarth. Mit Blick auf den Nachwuchs verlangt die Hausärztin die Umsetzung des „Masterplan 2020“ sowie das Einschränken der investorengeförderten MVZ. Sie sei sehr froh, dass das Thema politisch aufgegriffen sei.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach beginnt launig seine Rede. Dies sei sein dritter Auftritt bei den Hausärzten in seinem Amt. „Ich bitte Sie, dies nicht den anderen Verbänden mitzuteilen“, sagt Lauterbach. Die vielen Strukturreformen, die „wir angehen wollen, können sonst nicht mehr gemacht werden, weil sie durch die Verbändekräfte verlorengehen“ – es wird gelacht.
Nun ist das BMG im Übergang aus dem Notfall- in den Gestaltungsmodus, wie der Minister bei öffentlichen Auftritten jetzt immer wieder gern sagt.
Zuerst einige Worte über sein Lieblingsthema, Covid. Es geht um Sterblichkeit und Long Covid. Corona; eine Infektion nicht ohne Risiko. „Wir müssen vorsichtig sein, dass man den Tag nicht vor dem Abend lobt“, so der SPD-Politiker. Dann kommt natürlich der Dank an die Hausärzte für ihre Arbeit während Corona – von Lauterbach und der „gesamten Bundesregierung“.
Hausärzteverband und BMG seien nicht immer im Konsens, ist dann zu hören. Aber es werde in der Sache und fair gestritten. Der Bundesvorsitzende habe ihn in der Vergangenheit angerufen, bevor er an die Öffentlichkeit gegangen sei. Lauterbach: „Das erlebe ich nicht bei jedem Ärztefunktionär.“ Es sei die Art und Weise, wie man miteinander umgehe. Die Länderpolitiker werden es gern hören.
Ein Thema bei Lauterbach darf nicht fehlen: Entökonomisierung
Und dann berichtet Lauterbach von der Entbudgetierung für die Kinderärzte. Und kündigt „ein solches Gesetz“ auch für die Hausärzte an. „Da dürfen Budget und die damit eingehende Bürokratie keine Rolle spielen, sondern ausschließlich der medizinische Aspekt. Da darf es nicht sein, dass man durch bürokratische Dokumentation sich das Budget erkämpfen muss“, erklärt er dann.
Bei der Approbationsordnung habe man sich mit den Ländern auf einen Weg geeinigt. Im Frühjahr werde es einen neuen Entwurf geben, teilt der Minister mit. Langfristig könne man nur dann die Versorgung realisieren, wenn man zusätzlich 5.000 Medizinstudienplätze schaffen würden. Ohne diese würde man darauf angewiesen sein, Ärzte „aus den ärmsten Ländern dieser Welt“ abzuwerben, wo sie dringender benötigt werden. Dies sei unethisch.
Zudem will Lauterbach dafür sorgen, „dass ein überwiegender Teil der Studierenden sich für die hausärztliche Versorgung interessiert“. Wie er das machen will? Unklar. Die investorenbetriebenen MVZ will er „sehr stark einschränken“. Wenn man dies so weiterlaufen lasse, verändere dies das Gesicht der ambulanten Versorgung.
Hinsichtlich Gesundheitskiosken bittet Lauterbach die Hausärzte, „großzügig“ zu sein. 1.000 Kioske – da würde „nicht ein einziger Arzt“ aus der Versorgung abgezogen. Sie würden geleitet „von besonders qualifizierten Pflegekräften“. Die Kioske seien in Stadtteilen, wo die Ärmsten ohne medizinische Versorgung leben. „Ich bitte Sie um kreative Vorschläge, aber lehnen Sie einen Vorschlag nicht ab, der in anderen Ländern funktioniert“, sagt Lauterbach. Und der den Ärmsten der Armen, mit Sprachmängeln, zum Teil ohne Versicherung zugutekommen würde, legt er noch nach. Diesen Menschen sei man verpflichtet.
Die „Entökonomisierung“, die zu einer besseren Medizin führt – sie darf nicht fehlen in der Rede von Lauterbach. Die Krankenhäuser müssten aus dem Hamsterrad kommen, wo sie „Fälle und Fälle“ machen, um ihr Budget zu erhalten. Dafür hätten sie weder die Qualifikation noch das Pflegepersonal. Digitalisierung ist ein weiteres Thema. „Wir haben viel vor, was den Praxisalltag einfacher und angenehmer, aber auch effizienter macht“, sagt Lauterbach.
Hausärzte verlangen zügig eine EBM-Reform
Und der Bundesvorsitzende, er dankt für die „wertschätzenden und klaren Worte“. Die Entbudgetierung des Honorars der Hausärzte – sie steht nicht auf der obersten Agenda. Vielmehr werde „gleich“ eine EBM-Reform gebraucht.
Viele Anregungen, noch mehr Gesprächsstoff für einen launigen Abend mit herrlichem Blick über Berlins Mitte, gutem Essen und umfangreichem Getränkeangebot.
Fina Geschonneck
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